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Dem Andenken

an

Johann Ritter von Rainer zu Harbach,

den werkthätigen Freund geistiger Bestrebungen in Kärnten,

in dankbarer Erinnerung

der Verfasser.

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Vorrede.

Schon vor mehr als zwölf Jahren habe ich meine wissenschaftlichen Bemühungen dem römischen Civilprocess gewidmet, wurde aber bald gewahr, dass sich der republikanische Civilprocess nicht wohl darstellen lässt, wenn nicht vorher mit der Erledigung öffentlich-rechtlicher, geschichtlicher und philologischer Fragen auch die Entwicklung des römischen Civilrechts durch die Actionen der Lex und des Edictes dargelegt wird. Meine Forschungen führten also zunächst zur Anlage eines aus vier Theilen bestehenden Werkes: 1) der Entwicklung des römischen Civilrechts durch die pontificischen und prätorischen Actionen der Lex; 2) der Entwicklung des römischen Civilrechts durch die Actionen des Edictes; 3) dem pontificischen und prätorischen Civilprocess der Lex; 4) dem Civilprocess des Edictes und seinem Uebergang in den Civilprocess des Kaiserrechtes. Allein weil ebenso die Vollendung als die Publication eines so weit aussehenden und schwierigen Werkes durch mögliche Wechselfälle leicht gefährdet wird, und es mir auch geboten erschien, zunächst über die von mir gewonnenen Grundanschauungen von Fachmännern Urtheile zu vernehmen, so entschloss ich mich später, die Entwicklung des grundgesetzlichen Civilrechts darzustellen, in diese Darstellung aber aus meinen übrigen Forschungen das zur Gestaltung eines selbstständigen und abgeschlossenen Ganzen Nothwendige aufzunehmen. Das vorliegende

Buch enthält also den Versuch, mit besonderer Berücksichtigung des öffentlichen Rechtes nachzuweisen, wie jener Organismus, welcher den grossen Juristen der Kaiserzeit fertig vorlag, in der Zeit der Republik begründet und fortgebildet wurde, also die Entwicklung des römischen Civilrechts einer Zeit aufzuhellen, welche noch am meisten der Aufhellung bedarf. In dieser Gestalt ist nun die vorliegende Schrift nicht mehr ausschliesslich für Juristen, sondern auch für Philologen und Historiker bestimmt.

Für die Freunde des römischen Civilrechts sucht die vorliegende Schrift folgende Grundgedanken darzulegen:

Die Interpretation (Rechtsanwendung) war schon in der Königszeit ein staatsrechtliches Institut. Die wenigen Justizgesetze dieser Zeit waren nur principieller Natur. Der König hatte die potestas legum interpretandarum: ihm war also die Entwicklung des gesetzlichen Rechtes anvertraut (custodia legum atque morum). Der König war darum nothwendig auch der alleinige Richter. Seiner Bestimmung gemäss gestattete das staatsrechtliche Institut der Interpretation keine völlige Trennung des rechtsetzenden Organs vom Richteramte.

Nach dem Sturze des Königthums wurde die civilrechtliche potestas legum interpretandarum auf den Pontifex Maximus und sein Collegium übertragen, und die früher unmittelbare Verbindung des rechtsetzenden Organs mit dem Richteramte durch eine mittelbare ersetzt, indem aus dem Pontifical-Collegium jährlich ein anderes Mitglied delegirt wurde, um in den Civilgerichten die Vorstandschaft zu führen und bei dem jährlichen Wechsel der richterlichen Magistrate die Einheit der Rechtsprechung zu sichern.

Die Zwölftafelgesetze waren kein ,,codificirtes Gewohnheitsrecht", sondern Grundgesetze oder, wie Cicero sich dafür ausdrückt, legum leges, und enthielten für das Civilrecht zu gutem Theil sogar nur oberste Grundgesetze. Auch die Entwicklung dieses grundgesetzlichen Civilrechts war dem Pontifex Maximus und seinem Collegium anvertraut (custodia juris civilis). Daraus erklärt sich die organische Gestaltung und die Dauerhaftigkeit des republikanischen Civilrechts.

Der Abschluss der mit der Decemviralgesetzgebung begonnenen ersten Periode des republikanischen Civilrechts ist in das Jahr 465/289 zu setzen.

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Durch die lex Aebutia und Silia wurde im genannten Jahre für das Privatrecht die ganze Decemviralgesetzgebung fortgeführt. Das erstere Gesetz hatte die legale Interpretation des Civilrechts vom Pontifex Maximus auf den Praetor urbanus übertragen (custos juris civilis), - also das Civilrecht vom Sacralrecht getrennt, und durch Verleihung des jus edicendi summum an die richterlichen Magistrate (der zweite Prätor wurde schon im Jahre 433/321 nur in der Eigenschaft eines vierten magistratus cum imperio eingesetzt), das jus honorarium begründet, das letztere die Sponsio zum gesetzlichen Organ des Civilprocesses erhoben, beide zusammen aber hatten den Praetor urbanus in den Stand gesetzt, nicht bloss eine umfassende Reform des Civilprocesses vorzunehmen, z. B. die stipulationes praetoriae, den eigentlichen Interdictsprocess zu begründen, sondern durch Vermittlung der sponsio praejudicialis auch seinem obrigkeitlichen Rechte (Actionen wie Exceptionen) Verfolgbarkeit in den verfassungsmässigen Civilgerichten (judicia legitima) zu verschaffen, demselben durch die sponsio praejudicialis theils civile Natur, theils civile Wirksamkeit zu geben, und so das grundgesetzliche Civilrecht bis zur Julischen Gesetzgebung fortzubilden, mit welcher wieder eine neue Periode des römischen Civilrechts eingeleitet wurde.

Die Fortentwicklung des grundgesetzlichen Civilrechts durch Real- und Consensual-Contracte, prätorisches Eigenthum und Erbrecht, hatte sich unter Vermittlung der in dieser Zeit noch in ihrem ganzen ursprünglichen Anwendungsgebiete verwendeten sponsio praejudicialis zunächst durch die pontificischen Actionen der Lex vollzogen. Die vorliegende Schrift hat somit auch das System der processeinleitenden Actionen der Lex oder des Grundgesetzes darzulegen und jene Functionen nachzuweisen, welche diese Actionen (mit bestimmten Ausnahmen) durch den Praetor urbanus erhalten hatten, und darum so gut wie die zum Ersatze der aufgehobenen Klage ex nexu neu eingeführte condictio pecuniae certae (stipulatae, expensae latae,

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