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Sacertät vor jeglicher Verletzung schützt. Weil aber auch die Stelle bei Livius III, 55, welche diese lex Valeria Horatia berührt, sehr bestritten ist, so habe ich hier diese meine Auslegung der erwähnten Stelle in Kürze zu rechtfertigen.

Huschke 4) liest bei Livius III, 55: Consules L. Valerius M. Horatius cum religione inviolatos (scil. tribunos plebis) tum lege etiam fecerunt sanciendo, ut qui tribunis plebis, aedilibus, judicibus decemviris nocuisset, ejus caput Jovi sacrum esset, familia ad aedem Cereris, Liberi Liberaeque venum iret. Huschke versteht nun unter den hier erwähnten judices decemviri die richterlichen magistratus minores, nämlich die decemviri litibus judicandis. Diese Auffassung ist jetzt die herrschende 5). Der Grund, warum ich dieser Auslegung nicht beistimmen kann, ist der, dass die Mehrheit der römischen Juristen unter den judices der lex Valeria Horatia mit Recht nur die Einzel geschwornen, also mit Ausschluss der Consuln und Prätoren, unter den da erwähnten Decemvirn aber die Geschwornen- Decurien verstand, und nur einige Juristen unter den da genannten judices Einzelrichter überhaupt, also mit Einschluss der Consuln und Prätoren in ihrer Eigenschaft als Träger der Jurisdiction oder als judices, begriffen wissen wollten. Dass aber nur die Interpretation der Mehrheit richtig war, das folgt einerseits aus dem Zweck der lex Valeria Horatia, welche nicht zum Schutze des Imperiums, also nicht zum Schutze der Consuln, der tribuni militares consulari potestate, der späteren Praetoren und ihrer Gehilfen, sondern gerade gegen den Missbrauch des Imperiums (Process der Verginia) gegeben worden war; anderseits aus dem, was Livius selbst über die bestittene Interpretation dieses Gesetzes in III, 55 bemerkt: Fuere, qui interpretarentur, eadem lege Horatia consulibus et praetoribus → cautum esse; judicem enim consulem appellari. Quae refellitur interpretatio, quod his temporibus nondum consulem judicem sed praetorem appellari mos fuerat. Es war also bestritten, ob die lex Valeria Horatia die Unverletzlichkeit auch den Consuln und Prätoren verliehen habe. Es braucht nun wohl kaum bemerkt zu werden, dass jene Wenigen, welche diese Frage bejahten, diese Unverletzlichkeit den Consuln nicht in ihrer Eigenschaft als politische Vorstände (praetores), sondern nur in ihrer Eigenschaft als Träger der Jurisdiction (= judices) zuerkannten, wesshalb die Einwend

4) Verfass. des Serv. Tullius S. 593 u. 607.

5) Weissenborn und Hertz in ihren Ausgaben des Livius; Lange, Röm. Alterth. I. S. 722; Mommsen, Röm. Geschichte I. S. 275.

ung des Livius nicht zutreffend ist. Nun aber steht es fest, 1) dass die Consuln ihre Jurisdiction stets jeder für sich, und niemals collegialisch ausübten; 2) dass Varro und Cicero von den Decemvira als von einem Geschwornen-Collegium sprechen®); und 3) dass dieses Geschwornen-Collegium nur eine Geschwornen- Decurie der Centumvirn sein kann, weil Cicero die Competenz in Statusklagen im Allgemeinen den Centumvirn (de orat. I. 38), im Besondern aber (pro Caecina c. 33, pro domo 29) den Decemvirn zuschreibt. Die lex Valeria Horatia konnte also von Centumvirn gar nicht sprechen, weil diese ihre richterliche Thätigkeit nur als Geschwornen-Decurien ausübten, eine Einrichtung, welche Sulla auch für den Criminalprocess einführte), M. Aurelius Cotta aber dahin modificirte, dass er zu den zehn Decurien der Senatoren noch zehn Decurien der Ritter und zehn Decurien der Aerar-Tribunen hinzufügte, für jeden Process aber aus jedem Stande Eine Decurie bestimmtes). In dem Erbschaftsprocesse des Siculer's Heraclius bestand das Geschwornen-Collegium aus fünf Mitgliedern").

Wenn also, wie Livius bezeugt, die Frage bestand, ob unter den judices" der lex Valeria Horatia auch die Consuln (als Träger der Jurisdiction oder judices) zu verstehen seien, so konnte die Mehrheit nur Einzel geschworne, die Minderheit nur Einzelrichter im allgemeinen Sinne dieses Wortes verstehen. Es musste also ebenso die Mehrheit als die Minderheit die judices dieser lex von den Decemviri getrennt, und judicibus, decemviris gelesen haben. Ohne diese Trennung der Judices von den Geschwornen - Decurien hätte ja diese Frage gar nicht entstehen können. Allein dieselbe hätte auch nicht aufgeworfen werden können, wenn, wie jetzt angenommen ist, unter den judices dieser lex jene später eingesetzten und den quaesitores oder judices quaestionis im Criminalprocess 10) entsprechenden, richterlichen magistratus minores verstanden worden wären, weil nach dem Zeugnisse des Livius auch in diesem Falle der Streit sich nur auf die Auslegung des Wortes,,judex" bezogen hätte, kein Römer aber unter dem judex decemvir auch

6) Varro L L. IX, 85: judicium decemvirum; Cicero pro Caecina 33 und pro domo 29: Decemviri sacramentum injustum judicaverunt, injustum judicassent.

7) Zumpt, Crim. R. II. 2. S. 502.

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8) Zumpt, a. a. O. II. 2. S. 202 fg. 9) Cicero in Verrem II. lib. 2. c. 16 §. 39: Negavit (scil. Verres) se judices e lege Rupilia sortiturum: quinque judices, quos commodum ips fuit, dedit.

10) Zumpt, a. a. O. II. 2. S. 137 fg. und 168 fg.

den Consul verstehen, und somit die Consuln unter die magistratus minores zählen konnte. Ich kann also unter den judices der lex Valeria Horatia nur Einzelgeschworne, unter den Decemviri nur Geschwornen-Decurien verstehen, und muss von diesen Decemviri die Magistrate gleichen Namens unterscheiden, welche später zur Leitung dieser Geschwornen-Decurien vom Volke eingesetzt und gewählt wurden, als Leiter der Decurien aber natürlich kein Collegium bildeten, sondern jeder für sich fungirten. Gegen die Ansicht, dass den Decemviris litibus judicandis die Statusklagen zustanden, welche sie collegialisch entschieden hätten, hat sich jetzt auch Kuntze erklärt "). Bethmann-Hollweg 12) liest zwar auch judicibus, decemviris, versteht aber mit Niebuhr 13) unter den judices die Centumvirn, und vermuthet, dass die Bestellung des judex unus für bestimmte Rechtssachen die von ihm erst in das Jahr 322 d. St. gesetzte lex Pinaria dem Prätor zur Pflicht gemacht habe 14). Die erwähnte Ansicht Niebuhrs widerlegt sich ebenfalls dadurch, dass, wenn die Römer unter den judices der lex Valeria Horatia die Centumvirn verstanden, es gewiss Niemanden einfallen konnte, die Consuln unter die Centumvirn zu rechnen, und die obige Frage aufzuwerfen. Wenn nun das Gesagte richtig ist, so kann auch nicht die lex Pinaria die Competenz der Einzelgeschwornen normirt haben. Da aber die lex Pinaria nur von Gaius in IV, 15 erwähnt wird, und dieser in seinen Institutionen, ja sogar auch in seinem Berichte über die Actionen des Grundgesetzes nirgends hinter die Decemviralgesetzgebung zurückgreift, so kann dieses Gesetz nicht mit Huschke, Mommsen, Rudorff u. A. in das Jahr 282 d. St. gesetzt, sondern es muss mit Bethmann-Hollweg in die Zeit nach der Decemviralgesetzgebung verlegt werden. Ist dieses Gesetz aber in die Zeit nach der Decemviralgesetzgebung zu verlegen, dann kann es auch nicht mit der Einführung des judex unus in Zusammenhang gebracht werden, welchen schon das Zwölftafelgesetz und die lex Valeria Horatia kennt, sondern es muss etwas anderes verfügt haben. Wie nun die lückenhafte Stelle bei Gaius IV, 15 noch deutlich erkennen lässt, und wie diese Lücke auch Mommsen 15) und Böcking 16) ausfüllen, so bezog sich die lex Pinaria auf den ,,dies, quo litigatores ad judicem accipiundum adessent". Vielleicht gehört dieses Gesetz in das Jahr 408

11) Excure S. 96 fg. vgl. auch Zumpt. a. a. O. II. 2. S. 23.

12) Civilprocess I. S. 59.

14) a. a. O. S. 65.

16) Gaius, edit. 5. 1866.

13) Römische Gesch. I. S. 472.
15) Chronologie S. 238.

d. St., in welchem ein Prätor L. Pinarius erwähnt wird 17). Die lex Pinaria hatte also, wie ich unten weiter zu zeigen haben werde, den Parteien nur das Recht gewährt, eine Vereinbarung über den erwähnten dies zu treffen oder ihn gemeinsam zu bestimmen" (condicere); sie hatte also jenen Act der legis actio in personam stricti juris in jus composita per sacramentum begründet, welcher (diei) condictio hiess, und fortan auch zur Bezeichnung dieser legisactio diente 18).

Vorbemerkungen zur Bestimmung des Endes der verfassungsmässigen Wirksamkeit der Pontifices in der Civilrechtspflege.

S. 15. Ich gelange zur Besprechung der letzten Bemerkung des Pomponius im §. 6 (a. a. 0.): Et fere populus annis (prope) centum hac consuetudine usus est. Weil fere ,,ungefähr", prope „nahezu“ bedeutet, so schliessen sie sich gegenseitig aus. Ich halte das „prope" für ein Einschiebsel. Diese Angabe des Pomponius hat Leist1) dahin interpretirt, dass die Zeitangabe desselben mit der Errichtung der Prätur im Jahre 387 d. St. zusammenfalle, und dass somit die Veränderung, von welcher hier die Rede ist, auf die Einführung der Prätur zu beziehen sei. Die Pontifices seien nämlich die juris periti dieser Zeit gewesen, denen die interpretandi scientia zustand, welche durch die Anerkennung in den Gerichten aufrecht erhalten worden sei. Die Pontifices hätten also die Rechtsweisung (juris dictio) ausgeübt, welche dann bei der Errichtung der Prätur mit dem Imperium des Prätors vereinigt worden sei und das imperium mixtum gebildet habe. Nach der Zwölftafelgesetzgebung sei nämlich ein Jahrhundert hindurch aus dem Collegium der Pontifices jährlich Einer gewählt worden, welcher, so lange dem Consul die juris dictio nicht zustand, der Abfassung der Klagformeln vorstand, allein dieser Pontifex sei kein Magistrat gewesen, sondern sei vielmehr unter der Auctorität des Consuls oder der Militärtribunen gestanden. Als nun die Abfassung der Klagformulare an den Prätor übergegangen hätte derselbe in seinem Album auch die Legis actiones aufgestellt, und diese hätten den ersten Theil seines Edictes gebildet. Dieser Ansicht hat der Hauptsache nach auch Rudorff2)

17) Lange, Alterth. I. S. 660.

18) Ueber das hohe Alter des Ausdrucks condicere und seinen Gebrauch im Fetial- und Sacralrecht z. s. Adolf Schmidt: de orig. leg. act. pag. 40. 1) Geschichte der röm. Rechtssyst. S. 6, 7, 8, 10, 12, 18, 81, 82.

2) R.G. I. S. 147,

sich angeschlossen, während Ihering3) dem neu bestellten Prätor keine grössere Macht zuerkennt, als welche früher der Consul als judex hatte, und Bethmann-Hollweg) die Beschränkung des Einflusses der Pontifices der Veröffentlichung der Legisactiones durch Gn. Flavius im J. 450 d. St. zuschreibt, und auch die Aufstellung der Legisactiones im prätorischen Edict läugnet.

Ueber die staatsrechtliche Stellung des Pontifex Maximus und seines Collegium's habe ich hier nicht mehr zu sprechen; was ich hier noch zu erörtern habe, beschränkt sich darauf, 1) ob unter der von Pomponius erwähnten consuetudo nur das Delegiren eines Pontifex zu verstehen sei; 2) ob bei der Errichtung der Prätur das Amt des delegirten Pontifex wirklich mit dem Imperium des Prätors vereinigt wurde; 3) ob unter dem imperium mixtum wirklich das von Leist Angegebene zu verstehen sei, und 4) ob der Prätor in seinem Edicte die Legisactionen proponirt habe.

Unter der,,consuetudo" des Pomponius kann ich nicht mit Leist bloss das Delegiren eines Pontifex verstehen. Das folgt daraus, dass das von mir nachgewiesene staatsrechtliche Institut der Interpretation eine völlige Trennung des rechtssetzenden Organs vom Richteramte nicht gestattete. Für mich erhält also diese Frage nur den Inhalt, ob die civilrechtliche potestas legum interpretandarum des Pontifex Maximus und somit auch die Vorstandschaft des delegirten Pontifex in den Civilgerichten schon bei der Errichtung der praetura urbana auf den Prätor übertragen wurde.

Bei der Beantwortung dieser Frage habe ich vorerst die Thatsache zu betonen, dass die Errichtung der städtischen Prätur nur auf Grund eines hart erreichten Compromisses zwischen den Patriciern und Plebejern zu Stande kam, welches dahin ging, dass von den Patriciern den Plebejern zugestanden wurde, ut alter consul utique ex plebe fieret (Livius VI, 37), von den Plebejern aber die Trennung der streitigen Gerichtsbarkeit von dem Imperium des Consuls bewilligt wurde: de praetore uno, qui jus in urbe diceret (Livius VI, 42), d. h. die provincia oder der Geschäftskreis des neuen richterlichen Magistrats soll auf die Stadt und ihre Bannmeile beschränkt bleiben. Die Patricier waren also in dieser Zeit noch nicht zu bewegen, den Plebejern einen Antheil an der Stadt - Gerichtsbarkeit zu gewähren, wie dies schon Niebuhr 5) als ein mitwirkendes Motiv für die Errichtung einer besonderen richterlichen Magistratur bezeichnet hat. Nun sollen die Patricier ihr wichtigstes Pri

3) Geist II. 2, S. 388.
5) Röm. Gesch. III S. 37.

4) Civilpr. I. S. 49, Note 3.

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