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torisirten, schon ständigen Organ, sondern juristischen Dilettanten überlassen worden sein, und aus der natürlichen Divergenz ihrer Meinungen soll der Organismus des Rechtes und die Einheit der Rechtspflege hervorgegangen sein. Auch setzt diese Ansicht voraus, dass die jährlich wechselnden Träger der Gerichtsbarkeit sich diesen Dilettanten stets und gutwillig fügten; für mehr aber als für Dilettanten können die privaten Juristen dieser Zeit darum nicht angesehen werden, weil noch das um das Jahr 450 d. St. veröffentlichte jus Flavianum keine wissenschaftliche Arbeit war.

Es ist zwar wahr, was der §. 47 angibt, dass vor Kaiser August kein privater Jurist das jus interpretandi hatte, allein daraus liess sich nicht folgern, dass ein jus interpretandi vor Kaiser August überhaupt nicht bestand, weil die custodia juris civilis vom König auf den Pontifex Maximus und sein Collegium, von diesem auf den Prätor urbanus, und erst von diesem auf den Princeps übergegangen war. Gerade weil der Princeps die potestas juris civilis interpretandi erhalten hatte, konnte er ausgezeichneten Privat-Juristen das jus respondendi so ertheilen, ut ex auctoritate ejus responderent. Es hatte also seinen guten Grund, dass die römischen Kaiser durch Decrete und Rescripte auf die Rechtsentwicklung einen besonderen Einfluss ausübten, die juristischen Grössen in ihren Beirath aufnahmen, und dass noch Justinian die Interpretation als der kaiserlichen Auctorität ausschliesslich vorbehalten erklärt 5).

Wenn ich nun den §. 5 in der Fassung, welche mir sprachlich und sachlich allein gerechtfertigt erscheint, unter Verwerfung des zweiten Satzes mit dem §. 6 unmittelbar verbinde, so gewinne ich folgenden sachgemässen Zusammenhang:,,Nachdem die Zwölftafelgesetze angenommen worden waren, fingen die Interpretes derselben an, die Rechtsüberzeugungen der Gebildeten (auctoritas prudentium) und die bei der gerichtlichen Praxis unvermeidliche Erörterung concreter Fälle (disputatio fori necessaria) bei ihrer Thätigkeit zu berücksichtigen", damit aber ist bestätigt, was ich oben aus anderen Quellen dargelegt habe, dass nach römischer Anschauung als die recht bildende Macht das wirkliche Leben mit seinen wechselnden Bedürfnissen betrachtet wurde, und dass das rechtsetzende Organ aus diesem lebendigen Quell schöpfte. Hierauf werden im §. 6 die Interpretes, ihre Befugnisse, ihre Wirksamkeit und die Dauer der letzteren näher bestimmt: Et ita eodem paene tempore tria haec jura nata sunt: leges duodecim tabularum; ex his fluere coe

5) L. 2. §. 21 C. de vet. jure enucl. (1. 17).

pit jus civile; ex iisdem legis actiones compositae sunt. Omnium tamen harum et interpretatio (nicht interpretandi scientia!) et actiones apud collegium pontificum erant, ex quibus constituebatur, quis quoquo anno praeesset privatis (judiciis); et fere populus annis centum bac consuetudine usus est.

Dem Pontifical - Collegium war also für das Gebiet des Civilrechts die ganze Ausführung auch der neuen republicanischen Grundgesetze übertragen, und weil dieses ständige rechtsetzende Organ mit den Bedürfnissen des Lebens in unmittelbarer Berührung sich erhalten musste, so musste jährlich ein anderes Mitglied des Collegiums diese Vermittlung übernehmen und die Vorstandschaft in den Civilgerichten führen. Das sind aber Nachrichten, die von einem tiefen Verständniss der Bedürfnisse der Civilrechtspflege ein laut redendes Zeugniss und zugleich die Erklärung geben, warum das' römische Civilrecht eine so organische Entwicklung fand, und die Rechtsbildungen andrer Völker so sehr übertraf.

Das Civilrecht des Grundgesetzes, seine Eintheilung und Actionen. Unverletzlichkeit der Geschwornen. Lex Pinaria.

§. 14. Bei dem Nachweis des von Livius bezeugten ,,immensus legum cumulus", welcher aus den Zwölftafelgesetzen hervorgegangen war, habe ich angegeben, dass die Gewohnheit keine selbstständige Rechtsquelle war; wird nun der Bericht des Pomponius über das Gebiet der civilrechtlichen potestas legum interpretandarum des Pontifex Maximus und seines Collegiums mit dem Berichte des Dionysius über die civilrechtlichen Prärogativen des Königs verglichen, so unterscheiden sich beide Berichte nur durch den unerheblichen Umstand von einander, dass Dionysius dem Könige die Bestimmung der Formen der Rechtsgeschäfte ausdrücklich zuspricht, Pomponius aber für das Pontifical-Collegium nur dadurch andeutet, dass er demselben die Ausführung der Grundgesetze im ganzen Gebiete des materiellen Civilrechts und des Processes zuerkennt. Als Ergebnisse der legalen Interpretation haben also die Formen der römischen Rechtsgeschäfte dieselbe gesetzliche Natur als die Klagformeln, woraus sich auch die sonst unbegreifliche Strenge erklärt, mit welcher auf ihre Einhaltung gesehen wurde. So wenig die formelle Natur der legis actio ohne die Einsicht in ihre gesetzliche Wesenheit richtig gewürdigt werden kann, so wenig lässt sich die formelle Natur der römischen Rechtsgeschäfte ohne Einsicht in ihre Gesetzlichkeit begreifen. Hier sind vor Allem die Formen für

die letzwilligen Erklärungen hervorzuheben, weil die testamentarische Erbfolge erst durch die Decemviralgesetzgebung eingeführt wurde, die Pontifices also die Formen der letztwilligen Erklärungen erst zu schaffen hatten. Eine Bestätigung dessen enthält die schon oben. berührte Stelle des Pomponius (lib. V ad Mucium) in der L. 120 D. de V. S. 50,16: Verbis legis duodecim tabularum his: „Uti legassit suae rei, ita jus esto" latissima potestas tributa videtur et heredis instituendi et legata et libertates dandi, tutelas quoque constituendi; sed id interpretatione coangustatum est vel legibus (nicht legum!) vel auctoritate jura constituentium. Weil nämlich die Zwölftafeln ihrem Charakter gemäss für letztwillige Erklärungen nur das oberste Grundgesetz enthielten: „Uti legassit (pater familias) super (familia) pecunia tutelave suae rei, ita jus esto", die Ausführung dieser allgemeinen Bestimmung, oder wie Pomponius sagt, die Einschränkung ihrer Allgemeinheit durch concrete Bestimmungen (coangustare) aber den Pontifices überlassen war, so hatten diese durch ihre in der Form der legalen Interpretation ausgeübte Legislation (legibus) auch die Formen der letztwilligen Erklärungen festzustellen, wozu sich später noch der Einfluss der interpretirenden Jurisprudenz1) gesellte (auctoritas jura constituentium). Ein solches Ergebniss der durch die Interpretation ausgeübten Legislation war das Mancipationstestament. Weil nämlich das angeführte Grundgesetz für die Formen des letzten Willens keine Bestimmung enthielt, ein formloser letzter Wille aber als wirkungslos betrachtet werden musste, so musste erst eine Form gefunden werden, in welcher jener Bestimmung des Gesetzes gemäss der letzte Wille wirksam werden konnte. Darum enthält die Formel der familiae mancipatio bei Gaius II, 104 die Clausel: quo tu jure (in Form Rechtens) testamentum facere possis secundum legem publicam. Die Formel der Testaments-Nuncupation wurde dagegen erst in jener Zeit bestimmt, in welcher bereits die Geheimhaltung des letzten Willens nothwendig geworden war, um Verbrechen vorzubeugen 2).

1) Vgl. Cicero de orat. I. 45 §. 199.

2) Wie Adolf Schmidt (Recht der Notherben 1862 S. 7 Note 13) die so eben besprochene Stelle des Pomponius interpretirt, indem er unter den darin erwähnten leges die lex Furia testamentaria, Voconia, Falcidia versteht, müsste sie meines Erachtens vielmehr so lauten: sed id interpretatione coangustatum est et auctoritate vel legum vel jura constituentium. Wenn aber auch Gaius in II, 224 dieses oberste Grundgesetz citirt, um darzuthun, dass in Gemässheit desselben der Erblasser seine Erben bis zur Erschöpfung der Erbschaft mit Legaten belasten durfte, so interpretirt er diese lex eben nur vom Ge

Wenn ich nun vom Standpunkte der hier gewonnenen Ergebnisse das aus der Decemviralgesetzgebung hervorgegangene Civilrecht klassificire, so gewinne ich:

I) Das unmittelbare Civilrecht der Lex, durch die grundgesetzlichen Bestimmungen der Zwölftafeln als Grundlage aller weiteren Rechtsentwicklung sicher gestellt;

II) Das mittelbare Civilrecht der Lex; oder das Civilrecht der
Pontifices, von diesen in der Form der legalen Interpretation
der Grundgesetze als Gesetzesrecht entwickelt, und zwar :
1) als materielles Civilrecht des Grundgesetzes

2) als formelles Civilrecht des Grundgesetzes, und zwar:
a) als Formen der Rechtsgeschäfte,

b) als Formen des Processes: daher Actionen der Lex

= Legis actiones.

Weil eine eingehende Darlegung dieser unter Verwerthung der vorhandenen Klagformen ohnehin erst später zum definitiven Abschluss gebrachten Actionen an dieser Stelle die Darstellung der äusseren Geschichte unterbrechen, und eine solche Darlegung auch vielfach durch die äussere Geschichte derselben bedingt erscheint, so sehe ich mich genöthigt, diese Actionen erst an jener Stelle darzustellen, an welcher ich ihre innere Geschichte zu behandeln haben werde, und wo sich an ihre Darstellung sachgemäss auch ihre Reform durch den Prätor urbanus anschliessen wird. Hier mag es genügen, das anzugeben, was in den Bestimmungen des Grundge

sichtspunkte der Grösse der Legate, wesshalb die lex Furia testamentaria, die lex Voconia und Falcidia zwar mit jener Stelle des Gaius in Zusammen: hang gebracht, nicht aber mit den von Pomponius erwähnten leges identificirt werden dürfen. Es konnte weder die Ausführung des angegebenen obersten Grundgesetzes bis zu den Jahren 571, 585 und 714 d. St. unterbleiben, noch lassen sich die genannten späteren Gesetze als Ausführungsgesetze jenes obersten Grundgesetzes betrachten. Weil der Ablativ,,interpretatione" sich auf beide Satztheile (vel legibus vel auctoritate) bezieht, so schreibt Pomponius die ganze Entwicklung des von ihm angeführten obersten Grundgesetzes nur der legalen und doctrinellen Auslegung, nicht aber jenen späteren Gesetzen zu, welche jenes oberste Grundgesetz nicht entwickelten, sondern nur die Bestimmungen des bereits zur Entwicklung gelangten den Zeitbedürfnissen gemäss reformirten. Ein besonderes Interesse bietet hier die lex Furia testamentaria, weil sie zugleich einen Beweis enthält, welch heilige Scheu man noch in dieser Zeit empfand, ein oberstes Grundgesetz direct anzutasten. Man liess das Grundgesetz ganz unangetastet, umging aber dasselbe, indem man den Legatar, welcher einen höheren Betrag annahm, mit der Strafe des Vierfachen belegte. vgl. Ihering Geist II. 2. S. 451 Note 646.

setzes direct oder indirect für diese Actionen ausgesprochen war, oder inwiefern sich die Zwölftafelgesetze auch als Quellen dieser Actionen betrachten lassen. Als Minimum dessen, was die Zwölftafeln in dieser Beziehung direct oder indirect enthalten haben müssen, betrachte ich folgendes:

1) Die Unterscheidung der Rechtsverfolgung entweder unmittelbar gegen die obligirte Person (actiones in personam), oder unmittelbar gegen das Streitobject (actiones in rem). 2) Die Unterscheidung der actiones stricti und aequi juris. 3) Die Form der Willenseinigung der Parteien, sich dem judicium und seinen gesetzlichen Folgen zu unterwerfen, also den Contract als Fundament des judicium privatum, wodurch sich nebst vielem Anderen auch das Mass der Ingerenz des richterlichen Magistrats bestimmt. 4) Die absolute Gleichstellung der Parteien im Processe und die unbeschränkte Freiheit derselben im Angriff und in der Vertheidigung. 5) Für Klagen auf ein von vornherein völlig bestimmtes Streitobject die Bestimmung der gesetzlichen poena temere litigantium, als Gegensatz der Klagen auf ein in irgend einer Beziehung noch unbestimmtes, also erst zu bestimmendes Streitobject. 6) Die Unterscheidung der lites oder der Rechtsstreitigkeiten und der jurgia oder der friedlichen Auseinandersetzungen. 7) Die Bestimmung der Competenz der Einzelgeschwornen und Geschwornen-Decurien, und der Rechtssachen, welche auch der richterliche Magistrat selbst sollte entscheiden dürfen. (vgl. Gellius XI, 18, §. 8).

Die unter 1-6 angeführten Unterscheidungen sind einerseits an sich verständlich, anderseits werden sie noch unten ihre nähere Begründung finden; die unter 7) angegebene Bestimmung enthält hingegen eine bisher nicht ausgesprochene Behauptung, und muss somit schon an dieser Stelle begründet werden.

Dass die Zwölftafelgetze auch diese Competenzverhältnisse normirten, folgere ich vorerst aus dem Ausdruck, welchen der oben erwähnte auctor incertus Huschke's pag. 2 über die von den Decemvirn hinsichtlich der judicia zu lösende Aufgabe gebraucht: Decemviri judiciorum ferendorum (causa) constituti; dann aus der Erwähnung des judex und arbiter im Zwölftafelgesetz3), endlich daraus, dass die unmittelbar nach dem Sturze der Decemvirn gegebene lex Valeria Horatia die verfassungsmässigen Einzelgeschwornen und Geschwornen-Decurien durch Androhung der Strafe der

3) Tab. II. fragm. 2: Quid horum fuit vitium judici arbitrove. Gellius XX, 1, §. 7: Nisi duram esse legem putas, quae judicem arbitrumve - capite punit

Puntschart, Civilrecht der Römer.

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