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agnatorum). Die Interpretation, deren Ergebnissen in diesen Stellen eine gesetzliche Natur zuerkannt wird, ist zwar nicht die Auslegung principieller Bestimmungen, sondern die gewöhnliche interpretatio extensiva, allein weil die Ergebnisse der einen wie der anderen nur dann eine gesetzliche Natur haben, wenn sie vom competenten Organ ausgesprochen werden, so ist die Folgerung begründet, dass auch die Bestimmungen der auf principielle Gesetze sich beziehenden Interpretation im Gebiete des materiellen Civilrechts eine gesetzliche Natur hatten, und somit ebenfalls leges

waren.

Weil aber dem Pontifex Maximus und dem von seinem Collegium delegirten Vorstand der Civilgerichte die ganze Entwicklung des gesetzlichen Civilrechts, wie einst dem Könige anvertraut war, so folgt daraus, dass, wie in der Königszeit, so auch jetzt noch der mos civitatis für sich allein kein Civilrecht erzeugte, sondern dazu der Anerkennung des rechtsetzenden Organ's, also, soweit es sich um die gerichtliche Praxis handelte, des delegirten Pontifex, bedurfte. Eine ausdrückliche Bestätigung dessen enthält die treffende Stelle aus Ulpians lib. I. ad Sabin. in der L. I. pr. D. de curat. 27, 10, wo berichtet wird: Lege duodecim tabularum prodigo interdicitur bonorum suorum administratio, quod moribus quidem ab initio introductum est 10). Es ist anerkannt, dass die Lex über diese Interdiction keine Bestimmung enthielt "1), wesshalb diese Stelle Ulpians nur so verstanden werden kann, dass diese Interdiction nach der Decemviralgesetzgebung anfänglich nur als mos der betheiligten Agnaten und Gentilen des Verschwenders vorkam, später aber vom rechtsetzenden Organ in der Form der Interpretation der Lex Anerkennung und somit civile Natur erhielt. Für diese Anerkennung spricht auch die Existenz der von Paulus sentent. III. 4a §. 7 erhaltenen, die Voraussetzungen der Interdiction normirenden Interdictionsformel, welche sich ebenso durch ihren von Paulus bezeugten Ursprung als durch ihre Fassung noch als legisactio nur des oder der Betheiligten wiedererkennen lässt: Quando tibi bona paterna

9) Z. vgl. auch Paul. sentent. IV. 18 (Collat. XVI. 3, 3) mit Ulpian frg. 26, 1; ferner den Wortlaut der Lex über das tignum junctum (bei Schoell a. a. O. p. 135) mit Paulus in der L. 23, §. 6. D. de R. V. (6, 1); L. 63 D. de donat. inter virum et uxor. (24, 1) und Ulpian in der L. I. pr. D. de tigno juncto (47, 3).

10) Vgl. Paul. sent. III. 4 a §. 7 und Cicero de senectut. c. 7., welche zwar die,,mores", nicht aber auch die Lex erwähnen.

11) Dirksen, Zwölftafeln S. 304, 379.

avitaque nequitia disperdis, liberosque tuos ad egestatem perducis, ob eam rem tibi aere (Huschke: Lare) commercioque interdico 12). Den juristischen Ursprung aller Formeln hat schon Ihering nachgewiesen 13), und zugleich hervorgehoben, dass Sextus Aelius in seinen Tripertita für das Gewohnheitsrecht keinen Platz hatte, und dieses auch Gaius in I. 2 bei der Aufzählung der Rechtsquellen nicht erwähnt 14).

Weil nun die aus der Interpretation des Grundgesetzes hervorgegangenen Einzelbestimmungen eine gesetzliche Natur hatten, so erklärt sich dadurch nicht bloss die grosse Zahl dieser Gesetze, sondern auch der Platz, welchen sie nach Pomponius (L. 2. §. 37. D. de orig. jur.) schon in den Tripertita des Sextus Aelius einnahmen: Sextum Aelium etiam Ennius laudat, et exstat illius liber, qui inscribitur Tripertita; qui liber velut cunabula juris continet. Tripertita autem dicitur, quoniam lege duodecim tabularum praeposita (sub)jungitur interpretatio, deinde subtexitur legis actio. In den Tripertita des Sextus Aelius waren also jeder grundgesetzlichen Bestimmung die aus der legalen Interpretation hervorgegangenen Einzelbestimmungen des materiellen Civilrechts und des Processrechtes, also auch die speciellen legis actiones oder Klagformen, angeschlossen.

Die Volksgesetze der Königszeit habe ich oben als principielle Gesetze dargestellt: es fragt sich nun, ob auch die Zwölftafelgesetze nur principielle Grundgesetze waren.

Wie nun auch die Volksgesetze der Königszeit nur insoweit sich als principielle Gesetze betrachten lassen, als es die Natur der Sache gestattet, weil im Gebiete des Strafrechts und des Processes auch concrete Bestimmungen unabweislich sind, so müssen für das Strafrecht und den Process auch die Zwölftafelgesetze solche concrete Bestimmungen enthalten haben, zumal es für das Gebiet des Criminalrechts sich zugleich um die Beschränkung des ,,imperium consulare" gehandelt hatte. Wir müssen also annehmen, dass die Decemvirn die Delicte genau qualificirt hatten, und dass diese früher nicht auf Tafeln aufgestellten Gesetze nun in der Form der Volksgesetze publicirt wurden. Soll jedoch das staatsrechtliche Institut der Interpretation im Gebiete des Civilrechts seinen Zweck erreichen, sollen ferner die Zwölftafeln mit Cicero, Livius und Pomponius als legum fontes et capita aufgefasst, und ihnen die ubertas zugeschrieben werden, welche ihnen Cicero und Livius zuerkennen,

12) Vgl. Gellius VII. 11. 13) Geist II. 2. S. 581.

14) Geist II. 1 S. 37-45.

so müssen die Zwölftafelgesetze zu gutem Theil nur als principielle, also nur als oberste Grundgesetze aufgefasst werden, wie ja sogar noch Cicero, welcher hinsichtlich des Charakters der Gesetze nur die Decemviralgesetzgebung nachahmt, die in seiner Schrift de legibus vorgeschlagenen leges legum nur als ,,summae rerum atque sententiae" bezeichnet.

Dem hier gewonnenen Ergebnisse scheinen die uns erhaltenen Fragmente der Zwölftafelgesetze zu widersprechen, weil sie nur wenige Bestimmungen enthalten, welche als solche principielle oder oberste Grundgesetze aufgefasst werden können 15). Hierauf habe ich die schon gemachte Bemerkung zu wiederholen, dass principielle Gesetze auf das praktische Leben keinen unmittelbaren Einfluss auszuüben vermögen, ein solcher Einfluss vielmehr nur den Gesetzen concreten Inhaltes zugeschrieben werden kann, mögen diese Grund- oder Ausführungsgesetze sein. Da nun in den Quellen in der Regel nur praktisch wirksame Bestimmungen der Zwölftafelgesetze erwähnt werden konnten, wobei uns noch obendrein nur in wenigen Fällen der unmittelbare Wortlaut des Grundgesetzes bezeugt wird, so können die uns erhaltenen Fragmente der Zwölftafelgesetze die Beweiskraft der Stellen bei Cicero, Livius und Pomponius nicht schwächen, welche diese Gesetze im Allgemeinen nur als oberste Grundgesetze erkennen lassen.

Auf jene Stellen im Berichte des Pomponius, nach welchen das aus den Zwöltafelgesetzen geflossene Civilrecht als ein s. g. Juristenrecht zu betrachten wäre, werde ich bald mit einigen besonderen Bemerkungen zurückkommen.

Dauernde Erfolge der Decemviralgesetzgebung nur im Gebiete des Civilrechts.

S. 12. Den Zwölftafelgesetzen als obersten Grundgesetzen wird von Cicero, Livius und wohl auch von Pomponius eine grosse Fruchtbarkeit zugeschrieben, wobei jedoch der Unterschied hervortritt, dass Livius diese Fruchtbarkeit auch auf das jus publicum zu beziehen scheint, Cicero und Pomponius aber in den Stellen, in welchen sie diese Fruchtbarkeit hervorheben, nur vom Civilrecht zu sprechen haben. Es entsteht somit die Frage, ob die Fruchtbarkeit der Zwölftafelgesetze auf alle Rechtsgebiete zu beziehen oder auf das Civilrecht zu beschränken ist. Die Antwort auf diese Frage

15) Eine Zusammenstellung dieser Fragmente mit einem kurzen Commentar zu finden jetzt auch bei Kuntze, Excurse S. 111-118.

ist zunächst durch die Aufgabe gegeben, welche die Decemvirn erhalten hatten, und durch das beschränkte Maass, in welchem sie dieselbe zu lösen vermochten.

Das Sacralrecht war nicht bloss in dieser Zeit kein Gegenstand des Streites der Parteien, sondern dasselbe blieb auch nach der Decemviralgesetzgebung am längsten in unbestrittenem Besitze der Patricier. Das Sacralrecht konnte also vor den Decemvirn um so weniger in Frage kommen, als sie auch die sacrale Hoheit des Pontifex Maximus nicht erhalten hatten, ihre potestates sich also nur auf die Interpretation, Verbesserung und Ergänzung des jus humanum bezogen. Die Decemvirn waren also schon durch die ihnen. ertheilten potestates angewiesen, jene Bestimmungen des geltenden Sacralrechts, welche mit dem jus humanum in einem unmittelbaren Zusammenhange standen, und berücksichtigt werden mussten, unverändert in ihre Gesetzgebung aufzunehmen. Daraus folgt nun von selbst, dass diese Bestimmungen nicht nothwendig unter den Gesetzen über das jus publicum, zu welchem sonst das Sacralrecht gehörte, Platz finden mussten. Wenn also die Bestimmungen über das jus sepulchrorum und die Todtentrauer in die 10. Tafel aufgenommen worden waren (Cicero de legib. II. 25), so folgt daraus allein noch nicht, dass auch diese Tafel dem jus publicum gewidmet war. Aus der Incompetenz der Decemvirn, sacralrechtliche Bestimmungen zu ändern, erklärt es sich auch, warum sie die attische Zeitrechnung nicht vollständig einführten. Es darf also auch die strenge Beibehaltung der Feiertage nicht, wie dies jetzt geschieht,,,ihrem Aberglauben" zugeschrieben werden. Das Volk scheint aber sogar durch eine besondere Bestimmung des Grundgesetzes von jedem Einflusse auf das Sacralrecht ausgeschlossen worden zu sein. Weil nämlich Valerius Probus unter dem §. 3 (de legibus et plebiscitis) auch die Siglen anführt: S. Q. S. S. E. Q. N. J. S. R. E. H. L. N. R. Si quid sacri sancti est, quod non jure sit rogatum, ejus hac lege nihil rogatur '), und Cicero pro Caecina c. 33 die Worte,,quod jus non sit rogarier, ejus hac lege nihil rogatur", ausdrücklich als eine allen Gesetzen gemeinsame Clausel hervorhebt, durch welche die legislative Gewalt des Volkes beschränkt werde. so möchte ich sie nicht nur auf die durch die Strafe der Sacertät geschützten Gesetze, sondern auch auf das Sacralrecht beziehen, weil ja überhaupt das Fas durch das Jus nicht alterirt werden durfte. Wird nun diese Clausel auch auf das Sacralrecht bezogen, dann erscheint die Unabhängigkeit des

1) Keil, Grammatici L. IV. p. 273.

Punts chart, Civilrecht der Römer.

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Pontifex Maximus und seines Collegiums in Sachen des Sacralrechts von allem Einflusse des Senates, des Volkes und seiner Magistrate sogar grundgesetzlich festgestellt.

Ich kann also die in Rede stehende Fruchtbarkeit der Zwölftafelgesetze auf das Sacralrecht nicht beziehen.

Anders verhält es sich mit dem Civilrecht, zu dessen Auslegung, Verbesserung und Ergänzung die Decemvirn ausdrücklich bevollmächtigt worden waren, und von dem ich schon oben bemerkte, dass es ebenfalls kein Gegenstand des Kampfes der Parteien war. In diesem Gebiete glaube ich vorzügliche Leistungen der Decemvirn des ersten Jahres desto sicherer suchen zu dürfen, je mehr ihnen vor Allem daran gelegen sein musste, auf diesem neutralen Gebiete Ausgezeichnetes zu leisten und sich das Vertrauen der Gesammtheit für die Lösung der brennenden Fragen des Criminal- und Staatsrechts (Abschaffung des Consulats und Volkstribunats) zu erwerben. Dass die Decemvirn des ersten Jahres mit diesen Fragen nichts zu thun hatten, und sie vorsichtiger Weise auf das zweite Jahr verschoben, dafür gibt die beglaubigte Thatsache einen sicheren Fingerzeig, dass die Plebejer erst im zweiten Jahre Alles aufboten, um drei ihrer Standesgenossen: G. Poetilius, Kaeso Duilius, Spurius Oppius, in das Collegium zu bringen, und dies auch erreichten 2). Der eigentliche Erfolg der Decemviralgesetzgebung ist daher wohl nur im Gebiete des Civilrechts zu suchen.

Unter den auf das Civilrecht sich beziehenden Gesetzen aus der Königszeit lassen sich nur sehr wenige als Volksgesetze denken, wobei ich an das über die 50 Gesetze des Servius Tullius Gesagte erinnere; alle Gesetze, welche die Bedürfnisse des praktischen Lebens unmittelbar zu befriedigen hatten, waren leges regiae im eigentlichen Sinne dieses Wortes. Waren nun diese wegen der lebenslänglichen Würde des Königs auch nicht so veränderlich als die Edicte der republicanischen Magistrate, so waren sie als Ausflüsse der königlichen Interpretation doch nach Umständen veränderlich und ihre Geltung von dem Ermessen des Königs abhängig. Von diesem Standpunkte aus betrachtet, vollzieht sich durch die Decemviralgesetzgebung im Gebiete des Civilrechts zunächst die grosse Reform, dass es breitere Grundlagen erhielt, diese aber verfassungsmässig gesichert wurden. Die Rechte, welche die Bürger dadurch gewannen, waren also verfassungsmässige Eigenrechte, die kein Magistrat erst zu bewilligen oder zu versagen hatte. Wenn also die Decemvirn ihre legislative Thätigkeit auch bloss auf Sichtung,

2) Dionys. X, 58. Livius III, 32, 7.

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