Page images
PDF
EPUB

kämpfen nur Willkür-Acte der Consuln zur Folge haben mussten. Die weitreichende strafrechtliche potestas legum interpretandarum der Consuln ist es, gegen welche die Kämpfe der Tribunen gerichtet waren, und die auch der Volkstribun Terentilius Harsa im Auge hat, wenn er bei Livius III, 9 seinen Antrag auf Abfassung neuer Grundgesetze so begründet: Nomine tantum minus invidiosum (scil. imperium consulare), ipsa re prope atrocius quam regium esse: quippe duos pro uno dominos acceptos im moderata infinita potestate, qui soluti atque effrenati ipsi omnis metus legum omniaque supplicia verterent in plebem. Quae ne aeterna illis licentia sit, legum se promulgaturum, ut quinque viri creentur legibus de imperio consulari scribendis. Quod populus in se jus dederit, eo consulem usurum, non ipsos libidinem ac licentiam pro lege habituros. Die Worte,,metus legum, supplicia" beseitigen jeden Zweifel, dass der Volkstribun hier unter der ,,infinita potestas" der Consuln nur ihre weitreichende, von dem Imperium untrennbare, strafrechtliche potestas legum interpretandarum versteht, und dass diese nach seinem Antrage nicht durch principielle sondern durch specielle Volksgesetze eingeschränkt werden soll.

Das Sacral und Civilrecht war also kein Gegenstand des Kampfes der Parteien, wenn von der traurigen Lage des dem Gläubiger verfallenen insolventen Schuldners abgesehen wird; gleichwohl können wir annehmen, dass eine Revision und eine gesetzliche Fortentwicklung auch im Gebiete des Civilrechts ein Bedürfniss dieser Zeit war. Seit Servius Tullius war auf dem Gebiete des Civilrechts, was die Schaffung neuer, oder Abänderung grundgesetzlicher Bestimmungen betrifft, nichts mehr geschehen: Die politischen Kämpfe hatten das Civilrecht bei Seite gedrängt, und was hier geschah, beschränkte sich auf eine Redaction der leges regiae durch den Pontifex Sextus Papirius ). Weil nun das Civilrecht in dieser Zeit durch Volksgesetze wohl kaum eine Förderung fand, so musste sich auch die Interpretation der Pontifices erschöpft haben, wesshalb nun auch im Gebiet des Civilrechts für die fortgeschrittenen Lebensverhältnisse neue Volksgesetze nothwendig waren. Auch die fruchtbarste Interpretation hat ihre Gränzen, die sie nicht überschreiten kann, ohne sich in Willkürlichkeiten und Ungeheuerlichkeiten zu verlieren: ein Jahrhundert eines bewegten Volkslebens ist aber ganz geeignet, auch die kühnste Interpretation lahm zu legen, eine Erscheinung,

6) Pompon. a. a. O. §. 2: Is liber (scil. Sexti Papirii) - appellatur jus civile Papirianum, non quia Papirius de suo quidquam ibi adjecit, sed quod leges sine ordine latas in unum composuit.

die sich auch nach der Decemviralgesetzgebung fast im nämlichen Zeitraume wiederholt.

Wenn also von dem Uebergange der königlichen Gewalten auf verschiedene Träger abgesehen wird, so hatten die rechtlichen Zustände des Königthums im Wesentlichen bis zum Jahre 303 d. St. fortgedauert, waren aber durch die inzwischen eingetretenen Veränderungen völlig unhaltbar geworden. Man musste sich also, wenn auch ungern, doch entschliessen, die aus der Königszeit ererbten und erhaltenen Zustände zu beseitigen, und für den Staat neue, den Principien der republicanischen Freiheit mehr entsprechende grundgesetzliche Bestimmungen zu schaffen, und die Republik zu verwirklichen, welche bisher nur nominell bestanden hatte.

III. Capitel.

Die Gesetzgebung der Decemvirn.

Die Aufgabe und die staatsrechtliche Stellung der

Decemvirn.

§. 9. Als den Hauptzweck der Decemviralgesetzgebung habe ich soeben die republicanische Constituirung des Staates angedeutet. Dieses Ergebniss meiner voranstehenden Darlegung wird von Pomponius in der L. 2. §. 4 D. de orig. jur. bestätigt, wenn er im Anschluss auf seine so eben besprochene Stelle fortfährt: Postea ne diutius hoc fieret, placuit publica auctoritate decem constitui viros, per quos peterentur leges a Graecis civitatibus et civitas fundaretur legibus. Weil die herrschende Lehre als Aufgabe der Decemvirn nur die Codification des bisher geltenden, unsicheren Gewohnheitsrechtes bestimmt, so wird in dieser Stelle des Pomponius der Nachdruck nicht auf,,fundaretur“ sondern auf,,legibus" gelegt. Allein Gesetze waren auch bisher vorhanden; sowohl unmittelbare als mittelbare Volksgesetze, (die Ergebnisse der Interpretation), wobei ich nur an die oben besprochenen Stellen des Dionysius Gaius und Livius zu erinnern brauche, in welchen ausdrücklich von ,,Gesetzen" die Rede war. Weil nun der Nachdruck in dieser Stelle nicht auf legibus, sondern auf ,,civitas fundaretur" zu legen ist, so schreibt Pomponius den Decemvirn die Aufgabe zu, nach dem Vorbilde der griechischen Republiken dem römischen Staate durch Volksgesetze neue, wirklich republicanische Fundamente zu geben, namentlich aber (§. 3) im Gebiete des Strafrechts an die Stelle bloss principieller Bestimmungen concrete zu setzen, und dadurch die „infinita potestas" legum interpretandarum der Consuln (Livius) einzuschränken.

Die Constituirung eines Staates dachten sich aber die Politiker des Alterthums nur in der Art möglich, dass in die Hände derjenigen, welchen eine so schwierige Aufgabe zufiel, die höchsten Gewalten, namentlich aber auch die höchste Executiv-Gewalt, gelegt würden. Die Bezeichnung der Decemvirn als einer,,gesetzgebenden Commission" ist also darum nicht zutreffend, weil die modernen Gesetzgebungs-Commissionen keine gesetzgebende Gewalt, namentlich aber keine Executiv-Gewalt erhalten, sondern nur berufen werden, um fachmännische Vorarbeiten zu leisten, denen nicht selten das Geschick beschieden ist, als schätzbares Material vergessen zu werden. Eine solche Gesetzgebungs-Commission waren die Decemvirn keineswegs, sondern sie waren sogar noch mehr als eine constituirende Volksvertretung der Jetztzeit: sie waren vielmehr die Regenten selbst, mit allen Hoheitsrechten ausgestattet, welche vor ihnen die römischen Könige und Consuln hatten. Es ist dies ein Moment, dessen Verkennung zu Irrthümern schwer wiegender Natur führen muss. Auf die Decemvirn gingen über: das königliche Imperium der Consuln mit Einschluss der strafrechtlichen potestas legum interpretandarum, die civilrechtliche potestas legum interpretandarum des Pontifex Maximus und natürlich auch die höchste Executiv-Gewalt. Die sacrale Hoheit behielt der Pontifex Maximus; dies folgt zunächst aus der streng persönlichen Natur dieser hochpriesterlichen Würde, dann auch daraus, dass das Sacralrecht nicht bloss in dieser Zeit, sondern noch lange Zeit nachher kein Gegenstand des Streites der Parteien war. Es hat schon Ihering 1) darauf aufmerksam gemacht, dass die Decemvirn nur darum das Connubium zwischen den Patriciern und Plebejern verboten, weil sie, wie Livius erkennen lässt, das Fas nicht ändern durften. Durften sie aber das Fas nicht ändern, so hatten sie auch die sacrale Hoheit nicht erhalten. Die durch ein Gesetz des Volkes erfolgte Uebertragung der oben angeführten Hoheitsrechte auf die Decemvirn berichtet Pomponius mit folgenden Worten: Datumque est iis jus eo anno in civitate summum 2), was Livius in III, 33 dahin ergänzt: iterum mutatur forma civitatis ab consulibus ad decemviros, quemadmodum ab regibus ante ad consules imperio translato. Hieher gehört auch die Nachricht des auch von Böcking und Bethmann-Hollweg als ächt und glaubwürdig anerkannten, von Huschke herausgegebenen auctor incertus 3) pag. 2: Decemviri omnibus urbis magistratibus

1) Geist I. S. 345.

[ocr errors]

2) Pompon. L. 2. §. 4. D. de orig. jur. vgl. §. 24. 3) Incerti auctoris magistratuum et sacerdotiorum p. R. expositiones ineditae, Wratislaviae 1829.

Puntschart, Civilrecht der Römer.

4

per annum sublatis legum condendarum causa et judiciorum ferendorum decem numero constituti senatusconsulto et populi consensu fuerant, et pro ceteris magistratibus officia bene obibant. Dieses Senats-Consult und diesen consensus populi hatte auch Gaius in seinem Zwölftafel-Commentar erwähnt 4). Aus dieser Stellung der Decemvirn ergeben sich nun die schwer wiegenden Folgen, dass die Volksversammlung, wie zur Zeit der Könige, in Sachen der Gesetzgebung auch den Decemvirn gegenüber eine Mitwirkung nur hinsichtlich der principiellen Gesetze verfassungsmässig beanspruchen konnte, dass dieselbe von jedem Einfluss auf das Sacralrecht und auf das, was mit diesem zusammenhing, von vornherein ausgeschlossen war, dass sie nur von diesen Regenten zusammenberufen werden konnte, und dass die Zusammenberufenen auf die vorgelegten Rogationen nur mit Ja oder Nein zu antworten berechtigt waren, ohne auf die Rogationen irgend welchen anderen Einfluss nehmen zu dürfen. Es hing also ganz von dem Ermessen der Decemvirn ab, welche Rogationen sie stellen, wie sie dieselben fassen, und namentlich in wie weit sie im Gebiete des Strafrechts die Macht der richterlichen Magistrate durch concrete Bestimmungen beschränken wollten.

Nähere Bestimmung der den Decemvirn ertheilten gesetzgebenden Gewalt.

S. 10. Die den Decemvirn ertheilte gesetzgebende Gewalt lässt sich aus den Worten des Pomponius a. a. (). §. 4 näher bestimmen: Placuit publica auctoritate decem constitui viros, per quos peterentur leges a graecis civitatibus. Datumque est iis eo anno in civitate jus summum, ut leges corrigerent, si opus esset, et interpretarentur. Es ist vorerst sehr bezeichnend, dass Pomponius, welcher nicht wie Livius die politische Geschichte des Decemvirats, sondern nur seinen Einfluss auf die Rechtsentwicklung anzugeben hat, hier nicht, wie Livius, vom Imperium, sondern vom jus summum spricht. Imperium ist nämlich Herrscher macht, Machtvollkommenheit, und hat somit mit der Rechtsentwicklung nichts zu thun. Das jus summum ist Rechts vollkommenheit, und fällt somit mit der potestas summa zusammen. Weil nun auch die civilrechtliche potestas legum interpretandarum des Pontifex Maximus, welcher kein Imperium besass, den Decemvirn übertragen worden war, so konnte Pomponius nur vom summum jus oder von der summa potestas der Decemvirn sprechen. Der Bericht des Pomponius ver

4) Joann. Lydus, de magist. I. 34.

räth also eine viel tiefere Einsicht in die Sache als der des Livius. Der den Decemvirn ertheilten potestas summa gibt Pomponius sachgemäss drei Functionen: ut leges corrigerent si opus esset, et interpretarentur, und weil er auch von leges petere a graecis eivitatibus spricht, so muss noch hinzugefügt werden: et supplerent. Wenn nun Pomponius von der potestas legum interpretandarum spricht, so kann er darunter nur die alte königliche potestas legum interpretandarum verstehen, welche ein selbstständiges, weites Gesetzgebungsrecht in sich schloss, und ein wichtiges Hoheitsrecht des Königs war. Die Decemvirn erhielten also die königliche potestas legum interpretandarum in ihrem ganzen Umfange, also ungetheilt. Der herrschenden Lehre gegenüber, welche den Decemvirn die Codification des Gewohnheitsrechtes als Aufgabe stellt, ist es nicht überflüssig hervorzuheben, dass Pomponius hier von der Interpretation der Gesetze spricht, also die Codification des Gewohnheitsrechtes ausschliesst, und dass er unter diesen Gesetzen hauptsächlich die principiellen Volksgesetze der Königszeit versteht, wenn auch die leges regiae im eigentlichen Sinne von der Interpretation der Decemvirn nicht ausgeschlossen gedacht werden dürfen. Die von Pomponius erwähnte Interpretatio ist also von derjenigen völlig verschieden, welche wir für gesetzgebende Commissionen als selbstverständlich annehmen. Bestehende principielle Gesetze verbessern und neue einführen konnten auch der König und die Consuln nur unter Mitwirkung des Volkes; desshalb musste die potestas legum corrigendarum et supplendarum auch den Decemvirn besonders verliehen werden. Die den Decemvirn übertragene potestas summa enthielt also drei potestates: 1) Die potestas legum interpretandarum, 2) die potestas legum corrigendarum, 3) die potestas legum supplendarum. Es wird sich unten deutlicher zeigen, dass die hier gemachte Unterscheidung dieser drei potestates keine müssige war. Dass alle Volksgesetze und Ergebnisse der Interpretation, welche sich bisher bewährt hatten, in die neue Gesetzgebung unverändert aufgenommen wurden, ist ebenso selbstverständlich, als durch sichere Nachrichten bezeugt 1). In welchem Umfange die Decemvirn bei der Verwerthung der zwei letztgenannten potestates die Gesetze der griechischen Staaten berücksichtigten, lässt sich nicht mehr genau bestimmen, weil sich eine gewisse Gemeinsamkeit der Rechtsanschauungen bei den Cultur-Völkern des Alterthums nicht verkennen lässt, und die späteren Berichterstatter bei ihren Bezugnahmen auf die Zwölftafel-Gesetze die Ergebnisse der Interpretation von den unmittelbaren Bestimmungen dieser Gesetze gar

1) Vgl. Kuntze, Excurse S. 110.

« PreviousContinue »