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Der Ersatz, welchen der Prätor durch die neue condictio den Bedürfnissen der in Rom früh zur Entwicklung gelangten Geldgeschäfte bot, war aber ein so vollkommener, dass er die Vortheile. der abgeschafften Klage in mehr als Einer Beziehung überwog. Die abgeschaffte Klage ging ebenfalls auf certa pecunia, allein die Forderung aus dem nexus war eine executive, wesshalb der Schuldner vor der lex Valeria sich gar nicht mehr selbst vertheidigen konnte, sondern eines tauglichen Vindex bedurfte, welcher, wenn er sachfällig wurde, dem Gläubiger das Duplum zu zahlen und dann gegen den Schuldner den Regress zu nehmen hatte. Die lex Valeria gestattete dem Schuldner zwar die persönliche Vertheidigung, überliess ihm also zwar die Wahl zwischen eigener und fremder Vertheidigung, allein da sie die executive Natur dieser Klage nicht berührt hatte, so musste der Schuldner, oder sein Vindex, wenn er die executive Forderung läugnete und sachfällig wurde, auch nach diesem Gesetze das Duplum, also mehr als die tertia pars zahlen. Der nexus bot also Vortheile ganz einseitig nur dem Berechtigten, und drückte ganz einseitig nur den Verpflichteten. Wurde nämlich der Kläger abgewiesen, hatte er also leichtfertig geklagt, wozu die Fassung der Nuncupatio benutzt werden konnte, so brachte ihm dennoch seine Chikane keinen Nachtheil; hatte hingegen der Beklagte geläugnet und wurde er sachfällig, so hatte er als poena der Läugnung das Duplum zu zahlen. Ausserdem war das Rechtsgeschäft als ein per aes et libram gestum nur für die Verhältnisse der noch kleinen Stadtgemeinde brauchbar, und wäre in Folge der Veränderung der politischen und commerciellen Verhältnisse des Staates von selbst unbrauchbar geworden. Die neue condictio hingegen bot alle Vortheile der Klage aus dem nexus ohne ihre Nachtheile und war somit ein sehr sprechender Beweis der Tüchtigkeit der alten Schule. Die Form des nexus musste erstens gleich bei der Begründung der Forderung in Anwendung kommen, um überhaupt eine so energische Klage zu haben, wie sie jeder gesteigerte Verkehr erfordert. War nun diese Form der Verpflichtung nicht schon ursprünglich gewählt worden, so konnte der Schuldner hinterher nicht mehr dazu gezwungen werden. Die Klage aus dem nexus war also auch in dieser Beziehung ein Analogon unserer Wechselklage. Die neue condictio gewährte aber dem Kläger den Vortheil, dass er nach ihr noch in jure greifen konnte, wenn der Beklagte läugnete: er konnte also den leichtfertigen Läugner auch in den Fällen empfindlich strafen, für welche es früher keine solche Strafe gab, wenn die Form des nexus nicht schon ursprünglich gewählt wurde, also z. B. in den Fällen der pecunia stipulata. Die

Zeit von 30 Tagen, welche der Kläger bei der neuen condictio dem Beklagten zur Vorbereitung seiner Vertheidigung gestatten musste, brachte er dadurch wieder ein, dass dem Beklagten die 30 tägige Erfüllungsfrist entzogen wurde, welche dem letzteren bei der Klage aus dem nexus zustand. Gleiche Vortheile aber bot die neue condictio auch dem Beklagten, wenn er wirklich nichts schuldete. Da nämlich nach der poena tertiae partis auch der Beklagte greifen konnte, so war diese auch in seinen Händen eine gleich gefährliche Waffe gegen den Kläger. Die processualische Gleichstellung der Parteien, welche die Klage aus dem nexus wegen ihrer executiven Natur nicht kennen konnte, ohne gegen das System zu verstossen, hatte also die neue condictio vollständig verwirklicht, und den Beklagten ebenso geschützt als den Kläger, ohne dass schon bei der Begründung des Rechtsverhältnisses eine besondere Rücksicht auf den Fall einer leichtfertigen Processerhebung zu nehmen war. Es ist aber bekannt, dass bei Eingehung von Rechtsverhältnissen die Parteien sich gewöhnlich ganz anders geben, als dann, wenn die Zeit der Erfüllung gekommen ist. Wird endlich die poena tertiae partis der neuen condictio mit dem Duplum der Klage aus dem nexus verglichen, so bekundet die neue condictio zugleich eine mildere Anschauung und einen gewissen Fortschritt in der Humanität.

Weil die oben dargelegten Motive zur Einführung der neuen condictio dem Gebiete der Antiquitäten angehören, so wäre es wohl nicht unmöglich, dass sie Gaius nicht mehr gekannt, und darum in IV, 21 sein und der späteren Juristen Befremden über das Motiv der Einführung dieser legis actio ausgesprochen hatte, wozu sich sich noch die wichtige Thatsache gesellt, dass später die legis actio per sacramentum und mit ihr die poena sacramenti ausser Uebung gekommen, dadurch aber zugleich jenes Verhältniss aufgehoben worden war, welches ursprünglich zwischen der legis actio in person, in jus composita per sacramentum oder der alten condictio und der legis actio per condictionem des Prätors bestand.

Wird nun die neue legis actio per condictionem mit der legis actio in personam per sacramentum überhaupt verglichen, so liegt zwischen ihnen der Unterschied, dass die letztere eine actio generalis war, die erstere aber nur eine zunächst auf pecunia certa stipulata, expensa lata und adnumerata beschränkte Unterart der actiones in personam stricti juris in jus compositae bildete.

Die condictio ex lege Calpurnia.

S. 72. Es ist natürlich, dass eine Klage, welche so grosse Vortheile bot, und für die Sicherung des Credits sich so sehr be

währt haben musste, das Bestreben erzeugte, sie auch auf andere Gegenstände als die pecunia certa auszudehnen, gleichwohl aber muss die Angabe des Gaius in IV, 19 auffallen, wornach die legis actio per cond. durch ein besonderes Gesetz, die lex Calpurnia, auf omnis certa res angewendet wurde. Wenn nämlich Gaius in IV, 171 von einem sponsionem facere permittere spricht, und dieses permittere nur eine Bewilligung des Prätors sein kann, ja, wenn Gaius unter den causae, ex quibus sponsionem facere permittitur, ausdrücklich auch das prätorische Constitutum anführt, und auch für dieses eine poena temere litigantium bezeugt, wie kommt es nun, dass der Prätor jene Anwendung der legis actio per condictionem auf omnis certa res nicht selbst vollzog, sondern wartete, bis die lex Calpurnia diese Anwendung aussprach? Es liegt nahe zu vermuthen, dass diese Anwendung nicht vom Prätor und von der ihn unterstützenden Jurisprudenz, sondern von einem Volksmanne jener Zeit veranlasst worden war, in welcher die Versorgung des römischen Proletariats mit Lebensmitteln auf Staatskosten schon ein Gegenstand der Politik ehrgeiziger Demagogen war. Für diese Vermuthung finde ich in der Thatsache eine Rechtfertigung, dass die legis actio per condictionem in dieser ihrer Anwendung bekanntlich den Namen,,condictio triticaria" führte 1). Nun aber ist es bekannt, welche Bedeutung in der Zeit der Republik die Sicherung der Getreidelieferungen, namentlich des Weizens aus Sicilien und Africa, für die Rube der Hauptstadt hatte, und wie sehr ein ehrgeiziger Mann dem Souverän in Rom sich empfahl, wenn er ihn vor Hunger bewahrte, und ihm sein tägliches Brod sicherte. Die Anwendung dieser legis actio auf omnis certa res kann ich also nur als eine Massregel der Politik auffassen, und nicht in der ratio juris begründet finden. Es scheint auch, dass diese Anwendung sogleich wieder beseitigt wurde, als ihre nächste Ursache weggefallen war, weil Gaius in IV, 171 die poena tertiae partis nur mehr für die pecunia certa credita anführt. Die eigentliche Function dieser Klage aber lag, wie gezeigt wurde, gerade in der poena tertiae partis, wesshalb die Beseitigung dieser poena für die übrigen res certae einer Beseitigung der legis actio selbst gleichkam, und die alte condictio an ihre Stelle setzte. Der Wegfall der poena sacramenti bei der alten condictio musste aber zur Folge gehabt haben, dass, um der neuen condictio in Sachen der pecunia certa eine möglichst weite Anwendbarkeit zu geben, der Begriff der pecunia credita möglichst erweitert wurde.

1) z. vgl. jetzt auch Bekker, Aktionen I, S. 100. Punts chart, Civilrecht der Römer.

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Die der Civilrechtspflege angehörenden, ältesten Rogationen hatten nach den Ergebnissen meiner Untersuchungen entweder nur principielle oder nur ganze concrete Fragen zum Gegenstande, weil einer gesetzgebenden Versammlung, welche alle im Genusse ihrer politischen Rechte stehenden Bürger umfasste, vernünftiger Weise nur solche Fragen vorgelegt werden konnten. Insofern wäre es nun wohl möglich, dass die Rogation des Calpurnius sich bloss auf die Frage der Anwendung der bestehenden legis actio per condictionem auf omnis certa res bezog; allein da dieses Gesetz offenbar schon einer späteren Zeit angehört, so möchte ich in Anbetracht, dass Gaius auch allgemeine Gesetze stets nur in ihrer strengsten Beziehung auf den von ihm behandelten Gegenstand namhaft macht, meinen, dass die lex Calpurnia nur eine Art lex frumentaria war und als solche nur die Versorgung der Hauptstadt mit Lebensmitteln zu ihrem eigentlichen Gegenstand hatte, unter ihren Bestimmungen aber auch die über die künftige Anwendung der legis actio per condictionem auf omnis certa res enthielt. Die ältesten leges frumentariae, welche Rudorff (RG. I. S. 44) anführt, fallen in die Jahre 631, 634, 654; die lex Calpurnia dürfte wohl zu den ältesten Massregeln dieser Art gehören. Calpurnius Piso Fragi war im Jahre 406 a. u. Volkstribun und bekämpfte später auch das Getreidegesetz des C. Gracchus ihm dürfte eine solche erste Massregel zuzuschreiben sein 2).

Weil Gaius in IV, 19 das Anwendungsgebiet der legis actio per condictionem als einer völlig neu gebildeten, speciellen Klage gegenüber der legis actio in personam per sacramentum besonders anzugeben hatte, so war er genöthigt, an dieser Stelle nicht nur die lex Calpurnia, sondern auch die lex Silia zu erwähnen, und für uns den Schein zu erzeugen, als ob auch die lex Silia nur ein specielles, auf die Einführung einer neuen legis actio gerichtetes Gesetz gewesen wäre. Dass er aber zur Nebeneinanderstellung der genannten Gesetze nur durch die erwähnte Zwangslage gedrängt wurde, wenn er nicht eine ausführliche Darstellung aller einschlägigen Reformen des alten Processes geben wollte, das beweist der Umstand, dass er die lex Silia ebensowenig bei der Erwähnung der legis actiones in rem per sponsionem et sacramentum, als an den Stellen berührt, in welchen er die Sponsio thatsächlich als ein Organ des Processes behandelt.

2) Vgl. Pauly, Real-Encycl. s. v. Calpurnius.

XVIII. Capitel.

Die dargelegten neuen, vom Praetor urbanus geschaffenen, Legisactiones und die Nachricht des Pomponius über das jus Aelianum. Der Charakter des reform. Civilrechts des Grund

gesetzes und des jus Aelianum.

§. 73. Durch den gesetzlichen Vor-Act des ex jure manum consertum vocare hatte die alte pontificische legis actio in rem per sacramentum eine vom Orte des unbeweglichen oder schwer transportablen Objectes unabhängige Function erhalten und konnte nun in Verbindung mit diesem neuen Vor-Acte als eine neue legis actio in rem betrachtet werden. Die legis actio in personam in jus composita per sacramentum und die legis actio per judicis postulationem wurden durch die Vor-Acte der verschieden gefassten sponsiones praejudiciales zur Geltendmachung jener obligatorischen Ansprüche und Exceptionen, welche nur der Prätor anerkannt hatte, brauchbar gemacht, und erhielten dadurch ganz neue Functionen. Die verschiedenen legis actiones in rem per sponsionem et sacramentum, welche der Prätor zur Entscheidung von Statusfragen, zur Entscheidung von Eigenthums- und Erbrechtsstreitigkeiten eingeführt hatte, waren neue legis actiones in rem. Weil aber auch die vom Praetor urbanus geschaffene legis actio per condictionem Functionen hatte, die der alten condictio fremd waren, so musste selbstverständlich auch diese Klage als eine neue betrachtet werden. Allein eine völlige Neubildung stellt nur die legis actio per condictionem dar, wesshalb Gaius in IV, 12 nur diese, nicht aber auch die von ihm in IV, 95 erwähnte legis actio in rem per sponsionem et sacramentum unter den Actionen der Lex anführt.

Die Reform der pontificischen legis actio in rem war schon in der Zeit der lex Aebutia unabweislich nothwendig; die übrigen neuen legis actiones dienten zur Geltendmachung des prätorischen Rechtes in judiciis legitimis und waren somit zugleich mit der Begründung und Entwicklung des prätorischen Rechtes einzuführen. Die Einführung dieser neuen legis actiones muss also in die nächste Zeit nach der lex Aebutia und Silia gesetzt werden. Es hat für mich ein besonderes Interesse, dass das hier Gesagte auch durch die Nachricht des Pomponius in der L. 2. §. 7. D. de orig. jur. 1, 2 über das jus Aelianum bestätigt wird:

Augescente civitate quia deerant quaedam genera agendi, non post multum temporis spatium Sextus Aelius

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