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weitläufigen, nicht hieher gehörigen oratorischen Schilderungen Cicero's lässt sich dieser Fall in Kürze so zusammenfassen:

Die lex Voconia (v. J. 585 a. u.) hatte verfügt, dass ein zur ersten Censusklasse gehöriger Bürger nur Männer zu Erben ernennen, Frauenspersonen aber, selbst Töchter und Schwestern des Erblassers nicht ausgenommen 18), höchstens die Hälfte seines Vermö-. gens als Legat zuwenden dürfen sollte 19). Als Verres eben zum Stadtprätor designirt war (679 a. u.) starb P. Annius Asellus, welcher nicht zur ersten Censusklasse gehörte, mit Hinterlassung eines Testamentes, in welchem seine einzige Tochter als Erbin instituirt, L. Annius als heres secundus aber substituirt war. Um nun dem substituirten Erben die Erbschaft zu verschaffen, erliess Verres nach seinem Amtsantritte ein Edict, welches nach den Angaben Cicero's im c. 41. §. 106; c. 42. §. 108 und c. 44 so lautete:

Quam virginem mulieremve quis ab A. Postumio, Q. Fulvio censoribus postve ea testamento heredem fecit fecerit, ei (hereditatis) nec petitionem nec possessionem dabo.

Durch den Ausdruck ,,fecit" war diesem Edict eine rückwirkende Kraft gegeben, und auch dem Testamente des P. Annius die Wirksamkeit entzogen, wiewohl es vor dem Edicte des Verres errichtet worden war. Mochte nun das Testament des Vaters auch ein civiles gewesen sein, so erhielt die Tochter die hereditatis possessio doch darum nicht, weil diese zu verweigern der Prätor das Recht hatte, wie es Verres auch wirklich that. Die hereditatis possessio erhielt also der heres secundus, wesshalb die Tochter als Klägerin aufzutreten hatte. War nun das Testament des Vaters ein civiles und stellte die Tochter die hereditatis vindicatio an, so musste ihr der Prätor diese Klage versagen, weil sie dem Beklagten die Vertheidigung seines Erbrechts, wodurch er zum heres primus gemacht worden war, unmöglich machte. Die Tochter war also bei der Verfolgung ihres civilen Erbrechts auf die hereditatis petitio angewiesen. Stellte sie nun diese Klage an, so postulirte der Beklagte die Exceptio des prätorischen Erbrechts, die er in diesem Falle impetriren musste (,,ni ea hereditas ex edicto Verris praetoris tua est"). Weil aber diese Exceptio in diesem Falle nicht zu entkräften war, so hatte die Tochter überhaupt kein Rechtsmittel mehr, um zur Erbschaft zu gelangen.

War hingegen das Testament des Vaters nur ein prätorisch

18) Cic. in Verr. II. lib. I. c. 42; Gaius II, 274; Gellius VII. 13; Quintil. Declam. 264.

19) Bachhofen Lex Voconia, §. 14. Basel, 1843.

wirksames, so war die Tochter von vornherein auf die prätorische hereditatis petitio angewiesen, diese aber musste ihr Verres versagen, wenn er nicht seinem Edicte die Geltung selbst entziehen wollte.

Cicero in Verrem II. lib. I. c. 48: C. Sulpicius Olympus fuit. Is mortuus est C. Sacerdote praetore, nescio an antequam Verres praeturam petere coepit. Fecit heredem M. Octavium Ligurem. Ligur hereditatem adiit: possedit Sacerdote praetore sine ulla controversia. Postquam ́Verres magistratum iniit, ex edicto istius, quod edictum Sacerdos non habuerat, Sulpicii patroni filia sextam partem hereditatis ab Ligure petere coepit. Ligur non aderat. Lucius frater ejus causam agebat: aderant amici, propinqui. Dicebat iste, nisi cum muliere decideretur, in possessionem (scil. hereditatis) se ire jussurum. Im c. 54. §. 143 dieser Rede nennt Cicero das oben erwähnte Edict des Verres über das Pflichttheilsrecht der filia patroni ausdrücklich ein „,edictum de

hereditate.

Schon vor Verres hatte ein Praetor urbanus das jus civile corrigirt, und dem Patron die hereditatis possessio dimidiae partis gegen den Testamentserben des libertus als Pflichttheil gegeben, also die Hälfte an allen Sachen der Erbschaft und die Hälfte an allen Forderungen und Schulden derselben. Obgleich nun die Voconiana ratio, welche die Erbschaften der Frauen in der oben angegebenen Weise beschränkte, und die weibliche Descendenz des Patrons vom Pflichttheil ausgeschlossen war 20), so hatte Verres doch auch der Tochter des Patrons den sechsten Theil der Erbschaft als Pflichttheil gegeben. Wiewohl nun Ligur die Erbschaft schon vor dem Edicte des Prätors angetreten hatte, so wurde er doch von der Tochter des Patrons, dessen libertus er beerbt hatte, auf Herausgabe dès sechsten Theiles der Erbschaft belangt. Der Tochter stand in diesem Falle nur die legis actio in rem per spons. et sacram. zu; der Beklagte aber hatte in diesem Falle die Exceptio des civilen Erbrechts darum nicht, weil seine Erbenqualität gar nicht in Frage stand und der Prätor eben das jus civile corrigirt hatte; gleichwohl aber hätte die Tochter in diesem Falle vor den Centumvirn sachfällig werden müssen, weil das Edict nicht zurückwirkend gefasst werden durfte, das Edict des Verres also als rechtswidrig angesehen werden musste. Die Gewissheit nun, dass die Tochter des Patrons vor den Centumvirn sachfällig werden würde, und der Umstand, dass der civile Erbe abwesend war, mussten dem Verres

20) Vgl. Adolf Schmidt, Pflichttheilsrecht des Patroną, S. 13.

die Drohung als ein sehr wirksames Mittel empfohlen haben, dass er die Tochter sofort in den Besitz des sechsten Theils der Erbschaft setzen werde, wenn mit ihr kein Vergleich zu Stande käme. Diese Drohung war nun zwar ein Act der Ungerechtigkeit, aber für Verres ein sehr wirksames Mittel, seinen Zweck zu erreichen. Wird nämlich die Tochter des Patrons in den Besitz des sechsten Theils der Erbschaft gesetzt, dann hat der civile Testamentserbe zur Wiedererlangung des ihm entrissenen sechsten Theils der Erbschaft darum nur die prätorische hereditatis petitio, weil ihm die hereditatis vindicatio kraft der lex Silia versagt werden musste. Weil aber der civile Erbe in diesem Falle sicher sein musste, dass Verres ihm auch die postulirte hereditatis petitio versagen würde, so hatte er, wenn Verres seine Drohung zur That werden liess, überhaupt kein vom Prätor unabhängiges Rechtsmittel mehr, den ihm abgenommenen sechsten Theil der Erbschaft zu erlangen.

War hingegen das Testament des libertus nur ein prätorisch wirksames, so war der Testamentserbe von vornherein auf die prätorische hereditatis petitio angewiesen und somit in der Verfolgung seines Rechtes vom Prätor abhängig.

Die sponsio praejud. war also auch im Gebiete des Erbrechts das Organ, durch welches die Klagbarkeit des prätorischen Erbrechts in judiciis legitimis vermittelt wurde, allein weil die Sponsio auch das prätorische Erbrecht nicht in ein civiles verwandeln konnte, so blieb auch der siegende prätorische Erbe bis zur Vollendung der Usucapion nur hereditas possessor. Gegen denjenigen, welcher Objecte des Nachlasses ex titulo singulari besass oder in Anspruch nahm, hatte der prätorische Erbe die Rechtsmittel des prätorischen Eigenthümers.

Ich glaube hiermit, meine oben aufgestellte Behauptung, dass es im reformirten Processe des Grundgesetzes vier genera actionum und, diesen entsprechend, vier genera sponsionum gab, auch durch den Nachweis concreter Fälle hinreichend begründet zu haben: das erste genus diente der Umwandlung des nicht-civilen Anspruchs aus dem formfreien Mutuum: das zweite der Umwandlung der nicht-civilen Ansprüche aus dem Depositum, Pignus, Commodatum und den Consensual-Contracten; diese zwei genera sponsionum unterschieden sich wie die actiones stricti und aequi juris. Das dritte und vierte genus diente nur zur Vermittlung der Klagbarkeit, ohne die nicht-civilen Ansprüche in civile zu verwandeln. Das dritte genus umfasste die Statusklagen, unter welchen die sponsio praejud. in einem Falle der causa liberalis eine solche actio simplex enthielt, dass sie auch die Function einer actio duplex annehmen konnte.

Die sponsiones des vierten genus enthielten durchwegs nur actiones simplices, ohne dass diese jemals die Function der actiones duplices erhielten.

Es gab also einst wirklich soviele genera sponsionum als genera actionum (Gaius IV, 1).

XVI. Capitel.

Die Beseitigung des sacralen Elements des Civilprocesses and die Uebertragung des judicare sacramenta von den Pontifices an die tresviri capitales. Reform der Processstrafen.

§. 68. Die lex Aebutia hatte das Sacralrecht vom Civilrecht getrennt, damit aber auch die Verbindung aufgehoben, welche bis dahin zwischen dem Pontifical-Collegium und den Civilgerichten bestand. Weil nun die Verpflichtung, die poena temere litigantium zu sacriren in der Form des promissorischen Eides eingegangen wurde, die Gerichtsbarkeit in Sachen des Meineides aber noch zu Plautus Zeiten 1) den Pontifices zustand, so ist kein Zweifel, dass die Entscheidung in allen auf den promissorischen Eid und die Processbussen bezugnehmenden Angelegenheiten dem delegirten Pontifex und jenen seiner Amtsgenossen zukam, welche ihn etwa in diesen Angelegenheiten zu unterstützen hatten.

Die Bedingungen, welche die Formel des promissorischen Eides für die Leistung enthielt, waren durch die Clauseln:,,ex animi mei sententia", und,,si sciens fallo" angegeben, wenn anders das wahr ist, was Cicero über die aus dem römischen Alterthum überlieferte Eidesformel in Acad. prior. lib. II. c. 47. §. 146 berichtet: Quam rationem majorum etiam comprobat diligentia (Genauigkeit im Ausdruck), qui primum jurare ex animi sui sententia", quemque voluerunt, deinde ita (insofern) teneri,,,si sciens falleret". So schwört nach Plinius Paneg. c. 64 noch Kaiser Trajan: Consul sedens praebuit jusjurandum et ille (scil. Trajanus) juravit expressit explanavit verba, quibus caput suum, domum suam, si scienter fefellisset, deorum irae consecraret. Da nun nach Varro L. L. VI, 55 das fallere ein fando decipere und contra quam dixit, facere ist, so sind die erwähnten Clauseln gerade der Formel des promissorischen Eides eigenthümlich gewesen. Im pontificischen Processe des Grundgesetzes kann also die poena sacramenti noch

1) Rudens V. 3, v. 21. Cicero ad Att. IV, 2, §. 4: Tum M. Lucullus de omnium collegarum sententia respondit religionis judices pontifices fuisse, legis senatum.

wurde, so

nicht an das blosse Moment der Sachfälligkeit, oder an das objective Unrecht geknüpft, sondern sie muss durch das absichtliche fallere, also die Processstrafe bei den actiones stricti juris ebenso durch den dolus malus bedingt gewesen sein, wie bei bestimmten actiones aequi juris die Leistung des duplum. Wenn also eine Partei bloss wegen eines Formfehlers sachfällig konnte sie die poena sacramenti nicht verwirkt haben. Aus dieser nur bedingten Verpflichtung zur poena sacramenti folgt aber mit Nothwendigkeit, dass in jedem Processfalle eine besondere Untersuchung und Entscheidung über die Frage nothwendig war, ob die Bedingungen der Strafe eingetreten waren. Darum mussten die Urtheile der Geschwornen nicht nur den Ausspruch über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des behaupteten Rechtes, sondern auch einen besondern Ausspruch darüber enthalten, utrius sacramentum justum, utrius injustum sei, und dem delegirten Pontifex zur Amtshandlung mitgetheilt werden. Meineidig konnte aber eine sachfällige Partei selbstverständlich erst dann werden, wenn sie die eidlich versprochne Sacration der Geldsumme nicht leistete, ungeachtet die subjectiven Bedingungen der Processstrafe als eingetreten constatirt worden waren. Es ist einleuchtend, dass die Angelegenheiten der poena temere litigantium dem delegirten Pontifex nicht wenig zu thun gaben, wenn er dabei überhaupt mit seiner Thätigkeit allein ausreichte und nicht die Unterstützung seiner Amtsgenossen in Anspruch nahm. Als nun in Folge der lex Aebutia der Einfluss der Pontifices auf die Civilgerichtsbarkeit, und somit auch auf die Processstrafen beseitigt, dem Praetor urbanus, welcher auch an die Stelle des delegirten Pontifex getreten war, nicht bloss die legale Interpretation, sondern auch die obrigkeitliche Rechtsetzung im Gebiete des Civilrechts übertragen wurde, musste für die Angelegenheiten der Processstrafen, und somit für das judicare sacramenta, um den Praetor urbanus nicht durch untergeordnete Dinge seiner hohen Aufgabe zu entziehen, ein besonderes Organ bestellt, und das Verfahren in diesen Angelegenheiten vereinfacht und abgekürzt werden. Weil aber die Gerichtsbarkeit der Pontifices in Sachen des Eides nach wie vor fortbestand, diese Gerichtsbarkeit ihnen sogar nicht entzogen werden konnte, so ist klar, dass bei dieser Reform auch die bisherige Form, die Verpflichtung zur poena temere litigantium einzugehen, beseitigt werden musste, wenn man nicht nach wie vor einen Theil der Civilgerichtsbarkeit in den Händen der Pontifices sehen wollte.

Dass die Angelegenheiten der Processstrafen an die tresviri capitales übertragen wurden, dafür habe ich schon oben (S. 101) die

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