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sen durch Gesetze, welche er selbst gab, Gränzen und Formen ihrer Thätigkeit ordnete). Unter den hier von Dionysius erwähnten xavóveç haben schon Bethmann-Hollweg1) u. A. „die Anfänge der legis actiones" verstanden.

Der römische König hatte also innerhalb der vom Volke genehmigten principiellen Justizgesetze die selbstständige rechtsetzende Macht:

I) im Gebiete des materiellen Rechtes, und zwar:
1) des gesetzlichen

2) des gewohnheitlichen;

II) im Gebiete des formellen Rechtes :

1) für die Bestimmung der Formen der Rechtsgeschäfte 2) für die Bestimmung der Formen des Processes.

Es gab also in der Königszeit zwei Arten des gesetzlichen Rechtes, oder zwei Arten von leges: 1) die Volksgesetze als oberste Grundgesetze, 2) die leges regiae im engeren Sinne, als königliche Ausführungsgesetze. Diese Arten der Justiz - Gesetze unterschieden sich dadurch von einander, dass die ersteren aus der unmittelbaren, die letzteren aber, auf der durch eine lex de imperio dem Könige übertragenen potestas legum interpretandarum beruhend, aus der mittelbaren Volksgesetzgebung hervorgegangen waren, welche noch in der Zeit der Republik in mehreren Arten in Uebung war. Ein weiterer Unterschied bestand darin, dass die ersteren den Tod des Königs unbedingt überdauerten, die letzteren aber den Nachfolger in der königlichen Würde nicht unbedingt banden, weil die Interpretatio ihrer vermittelnden Natur gemäss den Bedürfnissen der Zeit Rechnung zu tragen hatte, der König aber bei der Ausübung dieser Prärogative unabhängig war.

Hiermit ist auch die oben bei Seite gelassene Frage über die Natur der eigentlichen leges regiae beantwortet, und die Behauptung begründet, dass diese nicht als Gewohnheitsrecht zu bestimmen sind. Es ist nicht ohne Interesse zu sehen, wie viel Rubino) bloss die überlieferte Bezeichnung,,leges regiae" zu schaffen gab, um ihnen den mos majorum substituiren zu können. Was nun die Natur der uns überlieferten leges regiae betrifft), so lässt sich

6) Dionys. IV. 25: ἐκεῖνος διελῶν ἀπὸ τῶν ἰδιωτικῶν (scil. ἐγκλημάτων) τὰ δημόσια, τῶν μὲν εἰς τὸ κοινὸν φερόντων ἀδικημάτων αὐτὸς ἐποιεῖτο τὰς διαγνώσεις, τῶν δὲ ἰδιωτικῶν ἰδιώτας ἔταξεν εἶναι δικαστάς, ὅρους ἀυτοῖς κανόνας τάξας, οὓς αὐτὸς ἔγραψε νόμους.

7) Civilpr. I. S. 56.

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9) Bruns, fontes jur. Rom. antiq. p. 1–12. edit. 2; Kuntze, Excurse S. 78,

bei dem Umstande, dass die römischen und griechischen Quellen die eigentlichen leges regiae von den in der Königszeit zu Stande gekommenen Volksgesetzen nicht unterscheiden, wohl kaum mehr ganz sicher unterscheiden, ob diese leges regiae der einen oder der anderen Art angehören. Weil jedoch principielle Gesetze auf das praktische Leben nur selten einen unmittelbaren Einfluss auszuüben vermögen, eine praktische Wirksamkeit also nur die eigentlichen leges regiae hatten, so ist es wahrscheinlich, dass uns in den überlieferten leges regiae nur die eigentlichen Königsgesetze vorliegen, eine Annahme, welche durch die concrete Natur ihrer Bestimmungen bestätigt wird. Nach der Vertreibung des Tarquinius Superbus veranstalteten Mitglieder des durch Rechtskunde ausgezeichneten Papirischen Geschlechtes eine Sammlung der königlichen Gesetze. Ueber die Einrichtung dieser Sammlung haben wir keine Nachricht, aber sie war während der ganzen Zeit der Republik bekannt, und wurde in dem Theile, welcher die religiösen Bestimmungen enthielt, nicht nur von Alterthumsforschern benutzt. Zur Zeit der Dictatur Caesar's unternahm Granius Flaccus eine Ueberarbeitung der Papirischen Sammlung: er nannte sie nach dem Gebrauche seiner Zeit jus Papirianum. Dieses hatte sachliche Abtheilungen, von denen die eine „jus civile", eine andre,,de ritu sacrorum“ hiess innerhalb derselben waren die betreffenden Gesetze der Könige zusammengestellt 10).

Durch die hier nachgewiesenen zwei Arten von leges, welche die von den Berichterstattern benutzten Quellen nicht überall genau unterscheiden, erklären sich nun auch die scheinbaren Widersprüche, welche ich oben im Eingange des §. 2 angedeutet habe und welche auch die Gegensätze der Ansichten der neueren Forscher veranlassten. Allein gerade dieser Widerspruch der Quellen gibt uns die sichere Bürgschaft, dass die Berichterstatter sich keine willkürlichen Angaben erlaubten, wenn sie bald von Curiatgesetzen, bald von Gesetzen reden, welche die römischen Könige aus eigener Macht erliessen. Da sie nämlich das Recht des Königs, aus eigener Macht Gesetze zu geben, nach den Anschauungen des Alterthums als ein selbstverständliches betrachten, und bei ihrer Darstellung unsere jetzigen Bedürfnisse natürlich nicht berücksichtigen konnten, ihren Zeitgenossen es aber mehr um eine unterhaltende als belehrende Lectüre zu thun war, so vermeiden sie absichtlich alle bloss gelehrten Erörterungen, welche geeignet wären, uns eine tiefere Einsicht in die Zustände jener Zeiten zu verschaffen. ,,Nicht die Unkunde

10) Vgl. A. W. Zumpt, Crim. R. I. S. 26 -40, u. Noten S. 407–410; Sanio, Varroniana S. 135 fg.

der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Documenten hat uns die Kunde der ältesten römischen Geschichte entzogen, sondern die Unfähigkeit der Historiker derjenigen Zeit, die zur Geschichtsschreibung berufen war, die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten, und ihre Verkehrtheit, in der Tradition nach Schilderung von Motiven und Charakteren, nach Schlachtberichten und Revolutionserzählungen zu suchen, und darüber das zu verkennen, was sie dem ernsten und entsagenden Forscher nicht verweigert haben würde 11)".

Durch die hier nachgewiesenen zwei Arten der Gesetze wird aber nicht bloss der scheinbare Widerspruch zwischen dem Gesetzgebungsrecht der Comitien und des Königs beseitigt, sondern auch die Erklärung gewonnen, wie die Berichterstatter den römischen König bald als beschränkt, bald als unbeschränkt darstellen konnten. Weil nämlich principielle Gesetze auf das praktische Leben keinen unmittelbaren Einfluss auszuüben vermögen, die praktische Gesetzgebung aber den Königen vorbehalten war, so lag es nahe, das entscheidende Moment nicht in der Legislation der Comitien, sondern in der des Königs zu suchen, und den König als thatsächlich unbeschränkt darzustellen. Ich brauche wohl kaum zu sagen, dass hiedurch auch der Gegensatz der Ansichten der neueren Forscher seine Begründung und Erklärung findet.

Ich habe bisher die zweite, dritte und vierte der von Dionysius angegebenen königlichen Prärogativen besprochen, weil jene Prärogative, welche Dionysius als erste angibt, nicht bestritten ist: „Dem Könige waren folgende Prärogativen vorbehalten: Vorerst, dass er über geistliche Angelegenheiten und Opfer die oberste Entscheidung habe, und durch ihn alle Cultushandlungen vollzogen werden 12). Hiermit spricht Dionysius dem Könige die unbeschränkte sacrale Hoheit und das Pontificat zu. In dieser Eigenschaft war der König die Quelle alles geistlichen Rechtes, also der Interpres des Willens der Götter, und in diesem Sinne auch der interpres juris divini. Da nun in den ältesten Zeiten bei allen Völkern die religiöse Idee alle Verhältnisse des menschlichen Lebens durchdrang und beherrschte, so hat Dionysius die sacrale Hoheit und die interpretatio juris divini mit Recht an die Spitze der königlichen Prärogativen gestellt, und

11) Mommsen, Röm. Gesch. I. S. 221. 12) Dionys. II. 14: Baoilεi μèv οὖν ἐξῄρητο τάδε τὰ γέρα. πρῶτον μὲν ἱερῶν καὶ θυσιῶν ἡγεμονίαν ἔχειν καὶ πάντα δι' ἐκείνου πράττεσθαι τὰ πρὸς θεοὺς ὅσια. Servius ad Vergil. Aen. III. 80: Majorum haec erat consuetudo, ut rex esset etiam sacerdos et pontifex. Auch Aristoteles, Polit. III, 14 spricht von dem Könige nur als Feldherrn, Richter und Priester.

ihr die custodia legum atque morum untergeordnet, dadurch aber zugleich gezeigt, dass ihm der innere und nothwendige Zusammenhang der Interpretatio juris divini und humani nicht unbekannt war. Wenn nun Dionysius in II. 14 alle königlichen Prärogativen, wenn auch nicht immer mit zutreffenden Worten, so doch dem Sinne nach in ihrem inneren Zusammenhang und ihrer natürlichen Aufeinanderfolge (interpretatio juris divini und humani, die Bestimmung der Formen der Rechtsgeschäfte und des Processes) richtig angibt, so können wir auch an der Richtigkeit seiner am nämlichen Orte gemachten Angabe, dass dem Volke das Recht zustand, die Gesetze zu genehmigen, um so weniger zweifeln, als diese seine Nachricht auch anderweitige Bestätigung findet. Ich muss mich also dafür aussprechen, dass das römische Königthum eine beschränkte Wahlmonarchie war, dass aber die Art ihrer Beschränkung mit den beschränkten Monarchien der Gegenwart keine Analogie hat, sondern sich als eine davon völlig verschiedene darstellt. Ich brauche hier wohl nicht mehr auszuführen, welchen Ansichten der neueren Forscher die hier geltend gemachte Anschauung nahe oder am nächsten steht, und worin sie sich von allen unterscheidet.

Der ständige Beirath des römischen Königs.

§. 4. Wie so eben dargelegt wurde, stand dem Könige nicht bloss die ganze Vollziehung, sondern auch die ganze praktische Justizgesetzgebung zu, wesshalb es von selbst einleuchtet, dass die Lösung einer so schwierigen Aufgabe die Kräfte eines einzigen Mannes überstieg, und dass der König namentlich für das Gebiet der Interpretation eines ständigen Beirathes bedurfte, um die Bedürfnisse des Lebens wahrzunehmen und ihnen Befriedigung zu verschaffen. Es ist also von vornherein wahrscheinlich, dass der römische König, wie der Hohe Priester der Juden, und die Könige Aegyptens, einen ständigen Beirath hatte, welcher als solcher allein die Fähigkeit besass, beim Wechsel der Personen im königlichen Amte die Rechtspflege ohne Störung auf den bereits gewonnenen Grundlagen fortzuleiten. Einen solchen Beirath hatte nun schon der zweite König Roms, Numa Pompilius eingesetzt1), welchen Livius (I. 18) als vir omnis divini et humani juris consultissimus, und als Begründer einer geordneten Rechtspflege bezeichnet *). In dem ständigen Beirath des Numa sassen die drei Flamines, maiores

1) A. W. Zumpt, Crim. R. I, 1. S. 420 Note 61.

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2) Livius I. 19: Regno potitus urbem novam jure legibus ac moribus de integro condere parat. vgl. Cicero de republ. II. 14, 26 de orat. I. 43.

der Dialis, Martialis, Quirinalis und ein Pontifex; der König war als fünfter der Vorstand des Collegiums, und wurde ohne Zweifel in den Fällen seiner Verhinderung vom Pontifex vertreten (vergl. Festus s. v. ordo sacerd. p. 185 M.). Es ist dies wohl jener Pontifex, welcher später nach Beseitigung des Königthums Vorstand des Collegiums wurde, und dann Pontifex Maximus hiess 3). Dass diesem Stellvertreter des Königs die Interpretatio juris divini zustand, hebt Livius ausdrücklich an der Stelle hervor, wo er die Begründung des römischen Sacralrechts und des römischen Götter - Cultus. erwähnt); allein dass diesem Pontifex und dem Collegium auch die Interpretatio juris humani zukam, das folgt nicht nur aus der in dieser Zeit noch untrennbaren Verbindung des jus divinum mit dem jus humanum, sondern auch daraus, dass die Pontifices dem Könige in der Rechtspflege zur Seite standen, die Verzeichnisse der Gerichtstage führten 5), und dass ihnen das Archiv der leges regiae ebenso anvertraut war), wie der Hohe Priester der Juden über die Aufbewahrung und Erhaltung der Lex Dei Sorge zu tragen hatte1).

Der oberste Grundsatz für die Rechtspflege in der

Königszeit.

§. 5. Wie die bisherigen Ergebnisse zeigen, bekundet das römische Volk schon in der Zeit der Könige die Eigenschaft in hervorragender Weise, welche es befähigte für die kommenden Geschlechter sichere Grundlagen der Rechtsordnung zu legen. Das ganze Leben beherrschend und den König bindend sollten nur jene Rechtsgrundsätze sein, welche der sittlichen Anschauung des gesammten Volkes entsprachen. Die concreten Lebensverhältnisse hingegen sollten durch die Formen des Rechtes nicht früher ihre Regelung und Fixirung erhalten, als die Erfahrung die wirklichen Bedürfnisse des Lebens gelehrt hätte. Dadurch aber wird deutlich

3) A. W. Zumpt a. a. O. I. 1. S. 241.

4) Livius I. 20: Pontificem deinde Numam Marcium, Marci filium, ex patribus legit Cetera quoque omnia publica privataque sacra pontificis scitis subjecit, ut esset, quo consultum plebes veniret.

5) Mommsen, Chronolog. S. 16; W. S. Teuffel, Röm. Lit. I. S. 85. 6) Cicero, de republ. II. 14, 16; de orat. I. 43.

7) Hiermit ist zu vergl., was Rudorff in seinem Berichte über Theodor Mommsen's Corpus Inscript., Zeitschr. für RG. III. Bd. 1864 S. 160-188 namentlich S. 187 u. 188 über den ältesten römischen Kalender, den Numaișchen und seine Gerichtstage bemerkt, an welchen der König auf dem Richterstuhle sitzend den Rechtsuchenden Gehör zu geben hatte, z. vgl. jetzt auch Bruns, Fontes Jur. Rom. p. 9. et 26. edit. 2.

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