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seinem Bedürfnisse jenen gesetzlichen Vor-Act voran, welchen ich oben (S. 171 fg.) erörtert und als provocatio sponsione ad judicium bezeichnet habe, wozu sich die vocatio ad vindicationem als ein völlig analoger Act darstellt, und wodurch es zugleich völlig deutlich wird, dass die Reform in allen Beziehungen wohl durchdacht und planmässig durchgeführt wurde. Es versteht sich aber von selbst, dass eine solche Reform nur durch die Fachmänner des Pontifical-Collegiums durchdacht und vorgeschlagen werden konnte.

Capitel XI.

Die erste pontif. actio generalis und die Adaptirung der ersten Hlauptart derselben zur Geltendmachung des Anspruchs aus dem formfreien Darlehn und der vom Prätor proponirten Exceptionen.

Vorbemerkungen.

§. 49. Ich habe hier an den oben (S. 193-210) geführten Beweis zu erinnern, dass es vor den leges Juliae zur Geltendmachung der vom Prätor proponirten Actionen und Exceptionen in judiciis legitimis, den vier genera actionum entsprechend, vier genera sponsionum praejudicialium gab, dass römische Schriftsteller die praejudicielle Funktion der Sponsio mit dem prätorischen Rechte und seiner Begründung in Zusammenhang bringen und noch eine Reihe von Zeugnissen erhalten ist, aus welchen sich die Sponsio als das Organ zur Geltendmachung des prätorischen Rechtes in judiciis legitimis nachweissen lässt. Hieher gehören die Zeugnisse des Valerius Maximus (VIII, 2, §. 2) und Plautus (Rudens V, 3, 13-26) über Sponsionen, in welche prätorische Exceptionen nur darum eingekleidet wurden, um ihnen civile Wirksamkeit gegen Ansprüche aus civilen Obligationen zu verschaffen; die Zeugnisse des Valerius Maximus (VII, c. 1 §. 2 und c. 7 §. 5) und Cicero (de orat. I. c. 39) über Conflicte des prätorischen Notherbenrechts mit dem civilen testamentarischen Erbrecht, und des prätorischen Intestaterbrechts mit dem civilen Intestaterbrecht, welche vor den Centumvirn in der Form der legis actio in rem per sponsionem et sacramentum ausgetragen wurden; das Zeugniss Ciceros (de orat. I, c. 40) über eine status quaestio (de civitate Manini), welche vor den Centumvirn nur durch die legis actio in rem per spons. et sacram. entschieden werden konnte, und des Plautus (Rudens III, 4, v. 6 sqq.) über eine Sponsio praejudicialis zur Entscheidung einer causa liberalis; endlich das Zeugniss

Cicero's (in Verrem II lib. I c. 45), dass der Conflict des prätorischen Erbrechts aus einem prätorisch wirksamen Testamente mit dem civilen Intestat - Erbrecht in der Form der legis actio in rem per sponsionem et sacram. ausgetragen wurde.

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Die erste pontif. actio generalis.

§. 50. Wie die legis actio in pers. stricti jur. in jus composita vor der schon oben (S. 84 fg.) besprochenen lex Pinaria lautete, darüber bestehen unter den Processlehrern keine wesentlichen Meinungsverschiedenheiten. Die absolute und unbeschränkte Rechtsbehauptung des Klägers wird von Valerius Probus 4, 1 angedeutet: aio te mihi dare oportere, und da diese actio eine actio stricti juris war, und somit jede nachfolgende nähere Bestimmung des klägerischen Uebereigungs-Anspruchs ausschloss, so musste dieser von vornherein allseitig genau bestimmt (quid, quale, quantum) vorliegen. Dass diese Bestimmtheit sogar auch hier eine individuelle, und bei vertretbaren Gegenständen der Uebereigung eine der letzteren gleichkommende sein musste, darauf werde ich noch unten in einem anderen Zusammenhange zurückkommen. Das oportere bezeichnet eine bestehende civilrechtliche oder gesetzliche Verpflichtung und stellt sich mir nach den oben (S. 221) citirten Ausführungen Iherings als eine der sua causa entsprechende Angriffs-Clausel dar. Aus diesem Grunde glaube ich gegen Bethmann-Hollweg 1) annehmen zu müssen, dass in die Worte der legis actio nicht einmal die formelle causa debendi (ex sponsu) aufgenommen wurde, wie auch das von Cicero pro Roscio Comoedo c. IV. 11 angegebene judicium diese causa wirklich nicht enthält. Weil ferner die Verneinung des Beklagten der klägerischen Rechtsbehauptung genau entsprechen musste, so war auch sie eine absolute und unbeschränkte und stellte als solche den rechtlichen Bestand des ganzen klägerischen UebereigungsAnspruchs in Abrede. Das verneinte oportere gestaltete sich also hier zur Vertheidigungsclausel. Durch diesen directen Gegensatz der Behauptungen der Parteien war nun die richterliche Entscheidung nothwendig geworden, wesshalb jetzt der Kläger den Beklagten zum judicium herausfordern, der Beklagte aber diese Herausforderung dadurch annehmen musste, dass auch er den Kläger zum judicium herausforderte. Hiermit sind aber bereits die wesentlichen Elemente des judicium privatum gegeben: Dem Conflicte der Behauptungen der Parteien folgt unmittelbar deren Willenseinigung, sich dem judicium und seinen gesetzlichen Folgen zu unterwerfen.

1) Civilprocess I. S. 148.

Weil aber der klägerische Anspruch in keiner Beziehung einer näheren Bestimmung bedarf, und die Behauptungen der Parteien einander absolut ausschliessen, so muss in diesem Falle entweder die eine oder die andere Partei sich einer böswilligen oder leichtfertigen Processführung schuldig machen. Darum mussten die gegenseitigen provocationes hier interposito sacramento erfolgen. Weil endlich der judex durch diese forma agendi von jeder näheren Bestimmung des klägerischen Uebereigungs-Anspruchs ausgeschlossen war, so war hier auch kein Bedürfniss vorhanden, den Parteien die Wahl eines Ge schwornen ihres besonderen Vertrauens zu gestatten. Es folgte also auf die Ablegung des Sacrationseides unmittelbar die litiscontestatio. Die Erfüllung der durch den Sacrationseid übernommenen Verpflichtung sicherte die Strafe des Meineids. Diese Darstellung enthält zwar eine durch die bisherigen Ergebnisse meiner Untersuchungen veranlasste Modification in der bisherigen Auslegung dieser forma agendi, allein sie hat dieselbe forma agendi zur Grundlage, welche auch die bisherigen Restitutionen dieser legis actio enthalten. Bestrittener ist die Frage, welchen Einfluss die lex Pinaria auf diese legis actio ausübte. In dieser Beziehung habe ich schon oben (S. 84) die Gründe angegeben, warum ich der Meinung nicht beistimmen kann, dass dieses Gesetz den judex unus eingeführt habe. Rudorff 2) nimmt für ,,kleine Sacraments-Sachen" eine judicis arbitrive postulatio und im Anschluss an diese die gegenseitige Aufforderung der Parteien an, sich am gleichen nächsten Monatstage, seit der lex Pinaria aber vielleicht schon am 10. Tage zur Annahme eines judex einzufinden. Allein eine allgemeine Bitte um einen judex erscheint mir darum überflüssig, weil der richterliche Magistrat, wenn er den Parteien die provocationes ad judicium gestatten musste, auch verpflichtet war, ihnen das judicium hier eben so ohne eine solche allgemeine judicis postulatio zu gewähren, wie in den Fällen, wo nicht der Einzelngeschworne, sondern eine Geschwornen-Decurie competent war. Ich glaube also, dass die Parteien einen judex im Allgemeinen gar nicht erst zu erbitten hatten, um so weniger brauchte sich dann eine Partei allein, etwa der Kläger, mit einer solchen allgemeinen Bitte an den richterlichen Magistrat zu wenden. Weiter habe ich beizufügen, dass, wenn diese legis actio den von Rudorff angenommenen Act der judicis arbitrive postulatio enthalten hätte, sie nothwendig auch legis actio per judicis arbitrive postulationem geheissen hätte, weil nach Rudorff (S. 82) dieser Act eben bei jener legis actio vorkam, welche

2) RG. II S. 78.

Puntschart, Civilrecht der Römer.

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von ihm ihre Bezeichnung erhalten hatte. Auf die Wesenheit und die dadurch bedingte Fassung dieses Actes werde ich unten zurückkommen, hier habe ich nur so viel hervorzuheben, dass mir die judicis arbitrive postulatio als ein besonderer Act einer legis actio nur in so fern motivirt erscheint, als vom richterlichen Magistrat eine bestimmte Vertrauensperson als judex oder arbiter (nicht erbeten, sondern) verlangt wird (postulatur), die Parteien also dadurch ein ihnen verfassungsmässig zustehendes Eigenrecht ausüben. Die lex Pinaria bringt Rudorff mit Mommsen 3) und Böcking) mit dem dies in Verbindung, quo (litigatores) ad judicem accipiundum venirent. So lückenhaft nämlich auch die hieher gehörige Stelle bei Gaius (IV, 15) erhalten ist, so sind nach dem,,Apographum" Böckings doch die Worte: „,ad judicem accipiundum venirent. Postea vero reversis dabatur

XXX judex:

idque per legem Pinariam factum est; ante eam autem legem dabatur judex" noch deutlich lesbar, wesshalb es wohl keinem Zweifel unterliegt, dass dieses Gesetz sich nicht auf den judex unus, sondern auf den Termin bezog, an welchem die Parteien vor dem richterlichen Magistrat zur Annahme des judex zu erscheinen hatten. Wenn nun die „denuntiatio diei, quo (litigatores) ad judicem accipiundum venirent, wie Rudorff annimmt, einen besonderen Act dieser legis actio bildete, so kann die Bedeutung dieses Actes nicht darin bestanden haben, dass die Parteien sich etwa den dies ankündigten, der ihnen bereits durch die bisherige Gesetzgebung festgestellt war. War also die lex Pinaria kein überflüssiges Gesetz und hatte sie sich auf den erwähnten Termin bezogen, so kann sie den Parteien hinsichtlich desselben nur ein neues Eigenrecht gewährt haben. War aber dies der Fall, dann konnte sich dieses nur auf die den Parteien eingeräumte gemeinsame Bestimmung dieses Termins bezogen haben. Wenn also Mommsen (a. a. 0.) aus sachlichen Gründen für Gaius IV, 15 die Leseart vorschlägt: Postea reversis dabatur die X vel XXX judex, idque per legem Pinariam factum est, ante eam autem legem (semper die XXX) dabatur judex, so spricht er damit den Parteien ebenfalls das Recht der Wahl dieses Termins zu, und gelangt zu einem Resultate, welches mit dem hier aus anderen Prämissen gewonnenen im Wesentlichen übereinstimmt. Mommsen's und Böcking's Restitution dieser schwierigen Stelle erscheint mir also ganz sinngemäss. Gleichwohl glaube ich die Bemerkung nicht unterdrücken zu dürfen, dass der im Bündniss der Römer mit den Latinern v. J. 261 d. St. vor

3) Chronolog. S. 238, Note 46.

4) Gaius IV, 15, edit. 5.

kommende analoge Termin nur durch ev quéqais déxa = innerhalb zehn Tagen 5), und in der lex agraria v. J. 613 d. St. nur durch ,,in diebus decem proximis" ") ausgedrückt wird, Gaius selbst aber in III, 123 dafür die Bezeichnung intra diem XXX wählt 7). Weil nun nach Böckings Apographum die in Rede stehende Lücke bei Gaius auch für die von Mommsen und Böcking gewählten Ausdrücke keine sicheren Anhaltspunkte bietet, und nicht abzusehen ist, warum die Parteien zwar den 10. und 30., nicht aber auch den 20. Tag als Termin bestimmen durften, so glaube ich für „die X vel XXX" die Worte,,intra D. XXX wählen zu sollen, welche mir mit den in Böckings Apographum enthaltenen Schriftzeichen der Handschrift nicht unvereinbar erscheinen und einen noch entsprechenderen Sinn geben.

Nach dem hier gewonnenen Resultate hatte also die lex Pinaria für die in Rede stehende legis actio jenen Act begründet, durch welchen die Parteien den dies vereinbarten, quo ad judicem accipiundum venirent. Diese Vereinbarung konnte aber nicht ,,denuntiatio", sondern nur condictio heissen, wenn anders das wahr ist, was uns über die Bedeutung der diei condictio berichtet wird 3). Wie Gaius IV, 18 das Wort condictio durch denuntiatio nur er

5) Dionys. IV p. 415: τῶνδε ιδιωτικῶν συμβολαίων διακρίσεις ἐν ἡμέ gais pivéodwoav Séxa, d. h. die Entscheidungen über Ansprüche aus Verträgen der Privaten sollen innerhalb 10 Tagen erfolgen.

6) Mommsen, Corpus inscript Lat. I. 200, p. 81: Sei quid publicanus ejus rei causa sibi deberi darive oportere deicat, de ea re consul prove consule praetor, prove praetore, quo in jous adierint, in diebus decem proximis, quibus de ea re in jous aditum erit recuperatores ex civibus,

qui classis primae sient, XI dato.

7) Gaius III 123: permittitur sponsoribus et fidepromissoribus intra diem XXX praejudicium postulare

8) Hieher gehört zunächst Paulus Diac. p. 39 M. condictum est, quod in commune dictum; p. 64 M.: condicere est dicendo denuntiare; p. 66 M.: condictio in diem certum ejus rei, quae agitur, denuntiatio, in Verbindung mit Cicero de off. I 12: aut status cum hoste dies (= ein mit einem Fremden festgestellter Termin); mit Festus p. 314 M.: Status dies vocatur, qui judicii causa est constitutus cum peregrino; mit Plautus Curcul. I, 1. 8: Si status cum hoste intercedit dies, tamen est eundum, quo imperant ingratiis (d. h.,,wenn auch ein auf beiderseitiger Uebereinkunft mit einem Fremden festgestellter Termin dazwischentritt", eine Vereinbarung, welche für die unverbrüchlichste galt, vgl. Lex XII tab. I frg. 2; endlich mit Tacitus Germania c. 11: (Germani) nec dierum numerum, ut nos, sed noctium computant; sic constituunt, sic condicunt, und mit Servius zur Aen. III, 117: Speciem auguralem tradunt, quae appellatur condictio, id est denuntiatio, cum denuntiatur, ut ante diem tertium quis ad inaugurandum adsit.

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