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I) Die Conception der Cautionsformeln von Seite des Prätor urbanus (stipulationes praetoriae); II) Die Begründung des eigentlichen Interdictenprocesses; III) Die vierte pontif. actio generalis und ihre Adaptirung für die veränderten Verhältnisse der Jurisdiction des Prätor urbanus; IV) die erste pontif. actio generalis, und die Adaptirung der ersten Hauptart derselben zur Geltend machung des Anspruchs aus dem vom Prätor anerkannten formfreien Mutuum und der vom Prätor proponirten Exceptionen; V) die zweite pontif. actio generalis und Adaptirung der ersten Hauptart derselben zur Geltendmachung der Ansprüche aus den übrigen vom Prätor anerkannten, formfreien Real- und Consensual-Contracten und der vom Prätor proponirten Exceptionen; VI) Die dritte pontif. actio generalis und die Vermehrung der ersten Hauptart derselben durch neue, zur Verfolgung und Vertheidigung des prätorischen Eigenthums an Sclaven in Statusfragen brauchbare legis actiones in rem; VII) Das Bedürfniss neuer legis actiones in rem zur Geltendmachung des prätorischen Eigenthums. Die pontif. Geschäftsformen, ihre Reformen, die Beschränkung des ursprünglichen Anwendungsgebietes der Mancipatio, die Begründung des prätorischen Eigenthums und die Vermehrung der ersten Hauptart der vierten actio generalis durch neue zur Verfolgung und Vertheidigung auch des prätorischen Eigenthums brauchbare legis actiones in rem; VIII) Die Begründung des prätorischen Erbrechts und die Vermehrung der zweiten Hauptart der vierten actio generalis durch neue, zur Verfolgung und Vertheidigung auch des prätorischen Erbrechts brauchbare legis actiones in rem; IX) Die in Folge der Trennung des Sacralrechts vom Civilrecht nothwendig gewordene Beseitigung des sacralen Elements des Civilprocesses und die Uebertragung des judicare sacramenta an vom Volke gewählte Magistrate, wozu jedoch die Gewalten des Prätors nicht ausreichten und somit ein Specialgesetz (lex Papiria) nothwendig war; X) Die Composition einer neuen für den geschäftlichen Verkehr sehr vortheilhaften legis actio in personam an Stelle der aufgehobenen actio ex nexu; XI) Die condictio ex lege Calpurnia ; XII) Den Charakter des reformirten Civilrechts und des jus Aelianum.

IX. Capitel.

Die Begründung der stipulationes praetoriae und des eigentlichen Interdictenprocesses.

§. 45. Es ist bestritten 1), ob der Prätor ausser den zur Ein1) z. vgl. Bethmann-Hollweg, Civilpr. I. S. 294, II. S. 738; Keller, Civilpr. §. 22.

leitung und Instruction eines Processes gehörenden Bürgschaften 2) auch die Cautionen zur Sicherung der Ausübung eines Rechtes für die Zukunft, Verhütung von Beschädigungen, u. s. w., schon in der Zeit der Legisactionen, oder erst in der Zeit des „Formularprocesses" kraft seines Imperium's auferlegen konnte. Keller betrachtet die stipulationes praetoriae als eine nothwendige Ergänzung des Systems der legis actiones und spricht ihnen eine weit reichende Anwendung zu3), während Bethmann-Hollweg 4) dieselben sämmtlich dem jus honorarium seiner zweiten Periode, also dem Edictsprocesse, zuschreibt.

Die Eigenthümlichkeit des von mir eingenommenen Standpunktes bringt es mit sich, dass für mich der Gegensatz sachlich nicht besteht, welcher in den angeführten Ansichten hervortritt. Ich brauche nur beizufügen, dass Kellers Ansicht auf den prätorischen Process des Grundgesetzes zu beschränken, Bethmann - Hollwegs Anschauung aber dahin zu berichtigen ist, dass das jus honorarium nicht erst dem,,Formularprocesse", sondern bereits dem reformirten Processe des Grundgesetzes angehört.

Das Imperium ist die Herrschermacht, oder die höchste Macht zu gebieten und zu verbieten, und weil der Prätor zwar ein imperium minus, aber desshalb doch immer ein imperium hatte, so versteht es sich von selbst, dass er von jeher auch Cautionen anordnen (jubere) durfte. In diesem Sinne konnte also Ulpian in der L. 4. D. de jurisd. 2, 1 wohl sagen: jubere caveri praetoria stipulatione imperii magis est, quam jurisdictionis, nur muss meines Erachtens der Nachdruck nicht auf das Adjectiv ,,praetoria", sondern auf das jubere gelegt, und die Geltung des Adjectivs „praetoria" auf die Zeit nach der lex Aebutia und Silia beschränkt werden, eine Beschränkung, welche desto gerechtfertigter erscheint, je weniger es in der Absicht Ulpians gelegen war, bei seiner Darstellung auch die Zeit vor den erwähnten Gesetzen in Betracht zu ziehen.

Die Ortsverhältnisse der Jurisdiction, wie sie zur Zeit der Decemviralgesetzgebung bestanden, machten es möglich, und liessen es sogar im Interesse einer raschen Procedur als vortheilhaft erscheinen, dass Vadimonien niemals aussergerichtlich, sondern stets nur vor Gericht und zwar in der Vorverhandlung eingegangen

2) Zu diesen rechnet Bethmann-Hollweg, Civilpr. I. S. 204 das vadimonium (Gaius IV. §. 184, Plautus, Aulul. II, 4, 38, Curcul. I. 3, 5, Varro, L. L. VI, 7), die sponsio, womit das sacramentum stipulirt worden sei, und die Bestellung der praedes litis et vindiciarum.

3) Civilpr. S. 87.

4) Civilpr. II. S. 738.

wurden, wodurch jedes spätere Processiren (,,recuperatoribus suppositis", Gaius, IV 184) vermieden worden war. Ebenso war in der Vorverhandlung eines Vindicationsprocesses, bei welchem das Streitobject ein bewegliches war, von Seite des Beklagten Caution zu leisten, dass er das Streitobject zum Zwecke der Vindication am bestimmten Tage vor Gericht stellen werde 5). Weil ferner auch publicistische Verpflichtungen in der Form der Sponsio eingegangen wurden, so wird wohl auch die Verpflichtung der praedes litis et vindiciarum in der Form der Sponsio eingegangen worden sein, wie BethmannHollweg annimmt, ohne dass aber daraus gefolgert zu werden braucht, dass diese Verpflichtung erst durch die Sponsio klagbar wurde, weil diese Verpflichtung eine publicistische und somit eine executive war. Was endlich die Eingehung der Verpflichtung zur poena temere litigantium in der von Bethmann-Hollweg angenommenen Form der Sponsio betrifft, so kann ich diese Form der Eingehung dieser Verpflichtung nur für die Zeit nach der lex Silia zugeben. Eine Caution ex lege XII tab. erwähnt endlich die L. 5. D. ne quid in loco pub. 43, 8: Si per publicum locum rivus aquaeductus privato nocebit, erit actio ex lege XII tab. ut nox a domino caveatur. Cautionen konnte also der richterliche Magistrat von jeher kraft seines Imperiums anordnen, aber er konnte dieselben vor der lex Aebutia und Silia nicht concipiren, und die concipirten nicht gegen den Willen der Parteien zwangsweise in Anwendung bringen, weil vor den genannten Gesetzen die Composition solcher Cautionsformeln nicht dem Prätor, sondern nur dem Pontifical-Collegium zustand, und die Conception und zwangweise Anwendung von Stipulations-Formeln zur Sicherung der Ausübung eines Rechtes für die Zukunft, und zur Verhütung von Beschädigungen u. s. w. jene Jurisdictions - Gewalten voraussetzen, welche der Prätor erst durch die lex Aebutia und Silia erhalten hatte. Vor der lex Aebutia und Silia stand also dem richterlichen Magistrat wohl das caveri jubere, aber nicht die Conception der Stipulations-Formeln zu. Gerade diese vom Prätor ausgehende Conception der Stipulationen, womit cavirt werden soll, macht diese Stipulationen zu prätorischen, wesshalb ich auch die stipulationes praetoriae in die Zeit der Begründung des prätorischen Rechtes durch die lex Aebutia und seiner zwangsweisen Geltendmachung für die judicia legitima durch die lex Silia setzen muss. Darum heisst es in der L. 52 pr. D. de verb. oblig. 45, 1: praetoriae sti

5) Im Processe der Verginia werden zwei Fälle solcher Cautionen für die Stellung des Streitobjectes vor Gericht erwähnt.

רנו.

pulationes legem accipiunt de mente Praetoris, qui eas proponit. Denique praetoriis stipulationibus nihil immutare licet, neque addere, neque detrahere. Als älteste, vom Prätor eingeführte stipulatio judicialis erscheint mir die stipulatio pro praede litis et vindiciarum aus dem Grunde, weil sie an die Stelle der im pontif. Vindicationsprocesse nothwendigen Bestellung der praedes litis et vindiciarum trat, also nicht erst dem Processe des Edictes, sondern bereits dem reformirten Processe des Grundgesetzes angehört. Hinsichtlich dieser stipulatio judicialis stellt sich also das hier gewonnene Ergebniss nicht als Gegensatz sondern nur als eine Ergänzung der herrschenden Ansicht dar.

Die Begründung des eigentlichen Interdictenprocesses.

§. 46. Es herrscht Uebereinstimmung, dass der Ursprung des Instituts der Interdicte in der Zeit der Legisactionen zu suchen sei1), nicht aber, ob auch die Begründung des eigentlichen Interdictenprocesses dieser Zeit angehöre. Während nämlich Keller die Interdicte allgemein als „eine Ergänzung der Legisactionen" bestimmt, verlegt Bethmann-Hollweg 2) den Uebergang der ursprünglichen Interdicte in Formen, ein judicium einzuleiten, und die Vollendung des eigentlichen Interdictenprocesses in die Zeit der „,formulae“.

Wie ich nun oben (S. 121) nachgewiesen habe, hatten den gesetzlichen Bestand der Legisactionen mit bestimmten Ausnahmen erst die leges Juliae aufgehoben, für mich kann also der schroffe Gegensatz der legis actiones und „,formulae" in der Zeit der Republik gar nicht existiren. Weil aber die Gesetze des Aebutius und Silius auch den Zweck hatten, den pontificischen Process der Lex zu reformiren, so habe ich bezüglich der legis actiones auch die Zeit vor und nach dieser Reform, also den pontificischen und prätorischen Process der Lex, von dem letzteren aber auch den sich nebenber entwickelnden Process des Edictes zu unterscheiden.

Ich stimme nun Bethmann-Hollweg bei, dass die Interdicte als judicia sich aus jenen Verboten (interdicta) und Befehlen (decreta) entwickelten, welche die richterlichen Magistrate auf Anrufen eines Bürgers kraft ihres Imperiums schon in ältester Zeit erliessen, um künftigen Rechtsverletzungen vorzubeugen, oder thatsächlichen Stö

1) Huschke, Studien S. 3; Leist, Bonorum Poss. S. 325; Keller, Civilpr. S. 86; Schmidt, Interdicten-Verfahren, S. 303, fg; Rudorff, R. G. II, S. 176 fg.; Herm. Witte, das interdictum uti possidetis, S. 8; Bethmann-Hollweg, Civilpr. I. S. 202.

2) Civilpr. II. S. 345.

rungen der öffentlichen Ordnung zu steuern, und deren Beachtung sie sich durch gewöhnliche Zwangsmittel sicherten. Ebenso kann es nicht zweifelhaft sein, dass der eigentliche Interdictenprocess dadurch begründet wurde, dass der Prätor jenes Verbot oder jenen Befehl als einen bedingten betrachtete und die Parteien zu einer entsprechenden Sponsio zwang, über deren thatsächlichen Grund dann Geschworne entschieden, und dass der von dem Unterliegenden zu zahlende Betrag der summa sponsionis zugleich die Strafe (poena) seines Ungehorsams war, also die Multa vertrat, durch welche früher der Prätor seinem Verbot oder Befehl Folge verschaffte 3). Allein diese Verwendung der Sponsio war keine,,schon längst bestehende Gerichtssitte", sondern die Befugniss, die Sponsio nach seinem Ermessen zur Begründung von Ansprüchen auch zwangsweise in Anwendung zu bringen, erhielt der Prätot nach den hier gewonnenen Ergebnissen erst durch die lex Silia vom J. 465 d. St., folglich muss auch die Begründung des eigentlichen Interdictenprocesses auf dieses Gesetz zurückgeführt werden. Wenn also Bethmann-Hollweg (a. a. 0.) die Einführung des eigentlichen Interdictenprocesses mit Recht durch die Erweiterung der Competenz des Prätors und seine dadurch bewirkte Ueberlastung motivirt, so spricht auch er von den Ereignissen gerade der Zeit, welche ich so eben angegeben, oben (S. 211-213) aber weitläufig nachgewiesen habe. Den auffallenden Uebergang der ursprünglichen Interdicte in judicia führt also auch Bethmann-Hollweg nur auf besondere geschichtliche Ereignisse surück.

Es erklärt sich nun daraus, warum schon Plautus das interdictum utrubi kennt (Stichus, V, 4, v. 14; V, 5, v. 9) und wie Cicero die Gestalt der possessorischen Interdicte seiner Zeit den ,,majores" zuschreiben (pro Tullio 44) und den Prätor als ganze Tage mit ihnen beschäftigt schildern konnte (pro Caecina, XIII, § 36). Zuerst kam der eigentliche Interdictenprocess wohl bei den Interdicten uti possidetis und utrubi in Anwendung. Für das erstere folgt dies aus Festus, s. v. possessio: non enim possessio est

(nisi in) rebus, quae tangi possunt: (neque) qui dicit se possidere, his vere (Huschke: is suam rem) potest dicere. Itaque in legiti mis actionibus nemo ex his (Huschke: ex jure Quiritium) possessionem suam vocare audet, sed ad interdictum venit, ut Praetor his verbis utatur: Uti nunc possidetis eum fundum, q. d. a., quod nec vi nec clam nec precario alter ab altero possidetis, ita possideatis. Adversus ea vim fieri veto. Weil nämlich bei der Legis actio in rem

3) Bethmann-Hollweg, Civilpr. II. S. 345.

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