Page images
PDF
EPUB

Ihne verneint, dass auf Grund dieser Nachrichten sich annehmen lasse, dass neue Grundsätze im Recht und in der Verfassung von dem Könige ohne Zustimmung des Volkes und Senates eingeführt werden konnten. Schwegler gibt auf Grund der nämlichen Nachrichten dem Könige nicht bloss die constituirende, sondern auch die gesetzgebende Gewalt: Zumpt lässt den König bei Erlassung nicht bloss von Verfassungsgesetzen, sondern auch von Civil- und Criminalgesetzen an die Einwilligung der Volksversammlung gebunden sein. Lange sieht in der regia potestas nur eine Nachbildung der patria potestas: Ihering beweist, dass die patria potestas weder in der gens noch im Gesammtstaat nachgebildet gewesen sei; der Staat sei nach Aussen nicht durch den König, sondern durch das Volk und den Senat vertreten gewesen; der Krieg sei nur im Namen des Volkes und Senates (Livius I, 32) erklärt worden, der König sei bloss Feldherr gewesen, und habe auf die Verfassung sogar den Amtseid abgelegt (S. 274, Note 174). Gerlach stellt das röm. Königthum als eine patriarchalische Theokratie dar: Ihering betrachtet die religiöse Gewalt des Königs nur als eine Folge seines Feldherrnamtes; wer irgendwie den Staat repräsentirt habe, der habe ihn auch den Göttern gegenüber vertreten. Becker und Mommsen nehmen gewissermassen eine vermittelnde Stellung ein: nach ersterem hatte der König zum grossen Theile auch die gesetzgebende Gewalt in sich vereinigt, doch keineswegs unbeschränkt; nach letzterem ist, wie Sallust (Catil. 6) sage, die königliche Gewalt zugleich unbeschränkt und an Gesetze gebunden gewesen (imperium legitimum), unbeschränkt in so fern des Königs Gebot, gerecht oder ungerecht, unbedingt vollzogen werden musste, gebunden in so fern ein dem Herkommen zuwiderlaufendes und vom wahren Souverän, dem Volke, nicht gut geheissenes Gebot auf die Dauer keine rechtlichen Folgen erzeugte. Vgl. jetzt röm. Staatsr. I. S. 183.

Dem Widerspruche gegen Rubino mich anzuschliessen, habe ich für meinen Theil folgende Gründe:

Die Stellen, auf welche er sich beruft, sind theils nicht beweiskräftig, theils beweisen sie das Gegentheil. Zu den nicht beweiskräftigen gehören vorerst diejenigen Berichte, welche selbstständige Anordnungen des Königs im Gebiete des Sacralrechts zum Gegenstande haben. Weil nämlich das Sacralrecht nicht zur Competenz der Volksversammlung gehörte, so lässt sich daraus kein Schluss auf die allgemeine Unbeschränktheit des Königs ziehen; nicht beweiskräftig sind ferner die Stellen, welche selbstständige Verfügungen des Königs im Kriegswesen berichten, weil solche

K

Anordnungen des Königs als des obersten Kriegsherrn nicht die allgemeine Unbeschränktheit desselben zur nothwendigen Voraussetzung haben; endlich sind nicht beweiskräftig die Stellen, welche die leges regiae im engeren Sinne berühren. In dieser Beziehung werde ich bald den Beweis antreten, dass die Natur dieser leges nicht bloss von Rubino, sondern bisher allgemein unrichtig bestimmt wurde. Die Stellen hingegen, welche sogar das Gegentheil beweisen, sind Cicero Tusc. IV. 1. §. 1. und Tacitus Ann. III. 26. Cicero spricht davon, dass der römische Staat schon zur Zeit der Könige seine Grundlagen durch ,,leges" und durch ,,instituta regia" erhielt. Weil nun hier unter ,,instituta regia" Einrichtungen des Sacralrechts und Kriegswesens zu verstehen sind, so ist es unzulässig, daraus eine constituirende Gewalt des Königs im Allgemeinen abzuleiten, und auch die ,,leges" nur als Ausflüsse dieser königlichen Gewalt zu betrachten. Tacitus aber sagt: praecipuus Servius Tullius sanctor legum, quis etiam reges obtemperarent. Dass Tacitus hier nicht selbstständige Anordnungen des Servius Tullius meint, beweist vorerst die Wendung, welche er in Ann. I. c. 6 gebraucht: Augustus ut (scil. Agrippae) exilium senatus consulto sanciretur, perfecerat, und die Bemerkung, dass die leges des Servius Tullius auch die nachfolgenden Träger der königlichen Gewalt oder Regenten (reges), also nicht bloss den Tarquinius Superbus, sondern auch die Consuln der Republik banden. Tacitus aber war es gewiss bekannt, dass nach dem röm. Staatsrecht persönliche Verfügungen eines Machtträgers von Volksgesetzen sich gerade dadurch unterschieden, dass erstere vom Nachfolger im Amte ausdrücklich bestätigt werden mussten, um rechtsgiltig zu bleiben, letztere aber von der Amtsdauer des die Rogation stellenden Machtträgers unabhängig waren, und alle Nachfolger im Amte banden 2). Tacitus bezeichnet also die leges des Servius Tullius ganz deutlich als vom Volke genehmigte Gesetze.

Lange bestreitet, dass bei dem von Sallust (Catil. 6) erwähnten imperium legitimum der römischen Könige an bestimmte, die Königsgewalt beschränkende Gesetze (leges) gedacht werden dürfe, weil die Beschränkung des Königs, wie die des pater familias, nur eine sacrale und keine legale gewesen sei. Wenn aber Dionysius 3) als eines der Rechte der Curiat-Comitien bezeichnet, die. Gesetze zu bestätigen (vóμovç eлixνqovν), und wenn neuere Forscher eine legislative Gewalt der Curiat-Comitien angenommen haben,

2) Vgl. Mommsen, Stadtrechte von Malaga und Salpensa, S. 391. 3) II. 14, IV. 20, VI. 66, VII. 38.

so sei dies für die Zeit des ältesten Staatsrechts ein Anachronismus, zu dem man verleitet worden sei theils durch die gesetzgebende Gewalt der Comitien in der Zeit der Republik, theils durch die lex curiata de imperio, theils durch die Existenz sogenannter leges regiae, die nach der Auffassung eines späteren Schriftstellers (Pomponius) auf Antrag des Königs vom Volke beschlossen sein sollten. Allein die gesetzgebende Gewalt der Comitien in der Zeit der Republik sei erst durch die Veränderung des Staatsrechtes, welches Servius Tullius zugeschrieben wird, möglich, und erst nach Vertreibung des Tarquinius wirklich geworden; die lex curiata de imperio sei nur die auctoritas patrum gewesen; die leges regiae seien bloss als ,,Satzungen des ältesten Gewohnheitsrechtes" zu betrachten, womit aber Lange über die Natur der leges regiae nur die jetzt herrschende Lehre vorträgt, indem auch Rubino, Dirksen, Schwegler, Mommsen u. s. w. die leges regiae nur als ein Gewohnheitsrecht ansehen.

[ocr errors]

Das Imperium werde ich unten mit Lange als die höchste Macht zu befehlen und verbieten bestimmen, wesshalb sich das Imperium als Herrschermacht, als Herrschaft darstellt. Die Herrschaft ist aber doch wohl nur dann eine gesetzliche" (legitimum), wenn sie durch Gesetze geregelt, also beschränkt ist. Ich meine, dass auch Sallust diesen seinen Ausdruck nicht anders verstanden hat. Wenn er nämlich den Worten: (Romani) imperium legitimum, nomen imperii regium habebant, unmittelbar den Satz folgen lässt: Post, ubi regium imperium, quod initio conservandae libertatis atque augendae reipublicae fuerat, in superbiam dominationemque convertit, immutato more annua imperia binosque imperatores sibi fecere, so muss er sich das königliche Imperium als ein gesetzlich beschränktes gedacht haben, weil nicht anzunehmen ist, dass er nicht die Schranken des vom Volke genehmigten und geschützten Gesetzes, sondern die Schranken des vom Pontificat des Königs abhängigen Sacralrechtes als wirksames Mittel betrachtet habe, die Freiheit zu erhalten und den Staat zu mehren. Wie Sallust dachte aber wohl auch Cicero, wenn er de legib. III, 7, §. 15 bemerkt: Sed quoniam regale civitatis genus probatum quondam postea non tam regni quam regis vitiis repudiatum est, nomen tantum regis videbitur repudiatum, res manebit, si unus omnibus reliquis magistratibus imperabit.

Wie ich nun die Nachrichten des Tacitus und Sallust mit der >Unbeschränktheit des römischen Königs nicht zu vereinbaren vermag, so kann ich auch den mit diesen Nachrichten übereinstimmenden Angaben des Dionysius nicht allen Glauben versagen. Diony

sius gibt in II, 14 die Prärogativen des Königs, wenn auch nicht mit ganz zutreffenden Worten, so doch in der Sache ganz richtig an; es ist also von vorn herein nicht wahrscheinlich, dass er die in derselben Stelle angegebenen Rechte des Volkes, also auch das Recht der Annahme und Verwerfung der königlichen Rogationen nur aus der Verfassung der Republik abstrahirt habe. Dies widerlegt sich dadurch, dass sogar jene hieher gehörigen Nachrichten des Dionysius, welche wir verwerfen müssen, nämlich dass das Volk schon in der Zeit der Könige in Capital-Processen zu richten und in Comitien Beamte zu wählen hatte, nicht auf willkürlichen Combinationen, sondern nur auf Missverständniss der Quellen beruhen. Es ist bekannt, dass der Ausdruck,judicium" vieldeutig ist. Diejenigen römischen Schriftsteller, welche den Process des Horatius unter König Tullus erzählen, reden aber von einem judicium populi, und von der Freisprechung des Horatius durch das Volk. Weil nun Dionysius das Wort judicium auch hier in seiner gewöhnlichen Bedeutung nahm, so schrieb er dem römischen Volke schon für die Zeit der Könige das Recht zu, in Strafprocessen über das caput eines römischen Bürgers zu entscheiden. Dass er aber diese Angabe wirklich nur den Berichten über den erwähnten Process entlehnt hatte, das beweist der Umstand, dass er dieses Recht dem Volke eben vom König Tullus ertheilt werden lässt. In den nämlichen Berichten ist aber auch von der Wahl der später mit den quaestores parricidii identificirten duumviri die Rede; wenn also Dionysius dem römischen Volke schon für die Zeit der Könige das Recht einer Beamtenwahl einräumt, so ist kein Zweifel, dass er auch diese seine Angabe den Berichten über denselben Process entlehnt hat. Hatte nun Dionysius sogar diese angeblichen Rechte nur aus ihm vorliegenden Quellen entnommen, so können wir seiner Angabe über das Recht des Volkes, die königlichen Gesetzanträge zu genehmigen oder zu verwerfen, desto sicherer Glauben schenken, je weniger Anlass zu Missverständnissen die Ausdrücke der Quellen in dieser Beziehung geboten haben können. Ich brauche aber kaum zu bemerken, dass das Volk kein Recht der Initiative hatte, neue verfassungsmässige Rechte also doch nur durch den Entschluss des Königs begründet werden konnten. Die auctoritas patrum de imperio schloss aber die lex populi de imperio nicht aus (vgl. jetzt Mommsen, röm. Staatsr. I. S. 50, 51).

Einen weiteren Grund für die Unbeschränktheit des Königs findet Lange in der herrschenden Anschauung, dass die leges regiae nur,,Satzungen des Gewohnheitsrechts" waren. Die ganz eigenthümliche, keiner Art der modernen Rechtserzeugung entsprechende

Natur der leges regiae werde ich bald darzulegen haben; hier habe ich nur zu bemerken, dass die erwähnte Auffassung dieser leges nur eine nothwendige Folge der ebenso allgemeinen Ansicht ist, dass die Zwölftafelgesetze nur ein codificirtes Gewohnheitsrecht waren. Da ich nun auch dieser letzteren Ansicht aus Gründen, welche ich am gehörigen Orte angeben werde, nicht beistimmen kann, so entfällt für mich auch das Gewicht der aus der Natur der leges regiae entlehnten Einwendung.

Was endlich die bisher fast allgemein bezweifelte Glaubwürdigkeit des ,,unkritischen und verworrenen" Pomponius betrifft 4), so dürften jetzt die Untersuchungen Sanio's 5) das bisherige Urtheil über die Angaben dieses Juristen, wenn nicht ganz beseitigen, so doch bedeutend ändern. Sanio hat nämlich den Beweis geführt, dass dem Pomponius bei der Abfassung seines Enchiridion auch des Terentius Varro libri XV de jure civili zur Grundlage dienten, und dass der Einfluss der Varronischen Schriften auf die isagogische Literatur der Römer sich auch auf die juristischen Schriften von isagogischer und didactischer Natur, zu denen auch der liber singularis Enchirid. des Pomponius gehört, erstreckt habe. Dadurch aber erhalten die Nachrichten des Pomponius über die Rechtsentwicklung der ältesten Zeiten im Vergleiche mit den Nachrichten anderer Schriftsteller eine entscheidende Bedeutung. Auf den von Sanio übersehenen Umstand, dass in den Bericht des Pomponius über die Rechtsentwicklung der ältesten Zeit Bemerkungen eingeschoben sind, welche Varro gewiss nicht, wahrscheinlich auch nicht Pomponius angehören, werde ich unten bei der Besprechung dieses Berichtes zurückkommen.

Bestimmung der staatsrechtlichen Stellung des römischen Königs in der Rechtspflege1).

§. 2. Der so eben besprochene Gegensatz der Ansichten der Forscher über die staatsrechtliche Stellung des Königs ist durch den Gegensatz der Nachrichten selbst hervorgerufen, von denen manche sogar dem nämlichen Berichterstatter angehören. So sagt Pomponius in L. 2. §. 1. D. de orig. jur. 1, 2: Et quidem initio

4) Rubino, a. a. O. S. 400.

5) Varroniana, Leipzig 1867. §. 4—15.

1) Ueber das Verhältniss dieser meiner Frage zum bestehenden Conflict der Meinungen über die Zeit des Beginns der römischen Geschichte z, s. die Vorrede.

« PreviousContinue »