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in der Hauptverhandlung in jure erlassen habe. Von diesem Standpuncte aus aber wird es mir ganz unerklärlich, was denn Verginius mit seiner Herausforderung erreichen will. Nach der Ueberlieferung war doch der Rechtssatz nicht fraglich, dass in einem Freiheitsprocesse nach gepflogener Hauptverhandlung in jure die vindiciae secundum libertatem zu ertheilen seien, mochte der beanspruchte Mensch sich früher in libertate oder in servitute befunden haben, wie denn auch die herrschende Anschauung diesen Rechtssatz nicht als fraglich betrachtet. Von diesem Standpunkte erscheint mir also die Herausforderung des Verginius ganz zwecklos. Weil aber auch die Thatsache, dass Appius Claudius in diesem Processe die vindiciae secundum servitutem gab, notorisch war und von Appius Claudius gar nicht geläugnet wurde, so kann auch über die Thatsächlichkeit des erwähnten Decretes keine Frage mehr gestellt werden. Von diesem Standpunkte erscheint also die Herausforderung des Verginius völlig unmotivirt. Ich sehe mich also genöthigt zur Erklärung dieser mir vom bezeichneten Standpunkte unverständlichen Stelle auch hier die von mir schon vor Jahren gegebene Darstellung dieses Processes geltend zu machen und sie in Kürze so zusammenzufassen: Appius Claudius hatte in diesem Processe die sich erbietenden Vindices als nicht legitimirt zur causa zurückgewiesen, weil er in diesem Falle keine einfache causa liberalis, sondern einen doppelten Conflict der dominica potestas mit der libertas und patria potestas erblicken zu müssen glaubte. Aus diesem Grunde hatte er nach dem Antrage seines Clienten die Vindices als untauglich zurückgewiesen und die ductio der schönen Plebejerin decretirt. Diese Auffassung des Falles und die Zurückweisung der Vindices rief aber eine so mächtige Bewegung des Volkes hervor, dass Appius Claudius sich genöthigt sah, die Durchführung des erlassenen Decretes für diesen Tag zu sistiren, und dieselbe auf den kommenden Tag zu verlegen, wo er inzwischen durch das Aufgebot grösserer Machtmittel der Bewegung Herr zu werden hoffte. Inzwischen wird Verginia ihrem Bräutigam und ihren Verwandten zurückgegeben 3) gegen Leistung der Caution, dass sie am nächsten Tage vor Gericht gestellt werden würde. Wiewohl nun Appius Claudius Massregeln getroffen hatte, dass der abwesende Vater des Mädchens nicht in der Lage sein sollte, so bald in Rom zu erscheinen, so erschien dieser, von den Verwandten herbei gerufen, gleichwohl schon am nächsten Tage, also rechtzeitig, vor Gericht. Appius Claudius muss nun dessen Legitimation ad causam anerkennen, und

31) vindicatur Verginia, z. s. Brissonius s. v. vindicare.

jene Vorverhandlung einleiten lassen, welche im pontificischen Processe Regel, später aber Ausnahme war. Am Schlusse derselben war natürlich, da Verginia gegenwärtig ihr Besitz aber bestritten war, die Besitzfrage zu entscheiden. Da aber in der Vorverhandlung der Besitz stets auf Grund des status quo ante zu reguliren war, mochte der homo bisher in libertate' oder servitute sich befunden haben, so musste in diesem Falle die Frage entstehen, ob Verginia in Folge der gestern decretirten und noch zu Recht bestehenden Ductio als Sclavin, oder, weil die Zurückweisung der Vindices widerrechtlich, also die Ductio nichtig war, als eine thatsächlich noch freie Person behandelt werden solle. Appius war in dieser Zeit der oberste interpres legum, und hatte auch von Seite des Spurius Oppius, der ohne Zweifel inzwischen zur Wahrung der Freiheit der Plebejerin angerufen worden war 32), keine Intercession zu fürchten. Er stellt sich also zum zweiten Male auf den Standpunct seines Clienten, hält die Tags zuvor verfügte Ductio aufrecht, betrachtet die Verginia als eine nicht mehr freie Person und ertheilt die vindiciae secundum servitutem. Jedenfalls muss Appius Claudius sein Verfahren als ein formell correctes dargestellt, und die Ansicht vertreten haben, dass dieser Fall vom Gesichtspunkte des erwähnten Conflictes zu beurtheilen sei, die Vindices also mit Recht zurückgewiesen worden seien. Wie also Appius Claudius die Sache gewendet hatte, lag wohl eine nicht gerade einfache Rechtsfrage vor, so klar sich auch das materielle Unrecht jedem unbefangenen Beurtheiler der Sache darstellen mochte. Verginius konnte ihn daher wohl zur richterlichen Entscheidung herausfordern, ob er nicht (ni = ob nicht, Plaut. Truc. IV, 2, v. 23) an einer freien Person die vindiciae secundum servitutem ertheilt habe 33). Wie Volscius Fictor, so verweigerte auch Appius Claudius die Annahme der Herausforderung, und gestand damit seine Schuld ein 34).

Wenn ich nun das Resultat der bisherigen Untersuchungen über die Sponsio als Element der Volkssitte constatire, so war bisher die

32) Livius III, 58. Sp. Oppius proximus invidiae, quod in urbe fuerat, cum injustae vindiciae dicerentur. Plus tamen facta injuria Oppio quam non prohibita invidiae fecit.

33) Die Sponsio selbst aber wäre in diesem Falle nur so zu fassen gewesen: Si ab libertate in servitutem vindicias dedisti, spondesne ob eam rem mihi (25) asses dare?

34) z. vgl. jetzt die zahlreichen Quellenerzeugnisse,,über Streitsponsionen“ bei Bekker, Aktionen I. S. 249-253.

Annahme der provocatio ad judicium sponsione interposita eine sittliche Nothwendigkeit; wird nun die provocatio sponsione zu einem processualischen Mittel erhoben, und seine Verwendung für die Reform dem Prätor urbanus gesetzlich gestattet, so wird dadurch jene sittliche Nothwendigkeit der Annahme der provocatio sponsione vorerst in eine rechtliche verwandelt, dem Prätor urbanus aber auch ein ganz ausreichendes Mittel an die Hand gegeben, alle von ihm im Edicte proponirten Actionen und Exceptionen für die judicia legitima wirksam zu machen.

Die Sponsio als Processorgan und die grosse Bedeutung dieser ihrer Function für die Entwicklung des grundgesetzlichen Civilrechts durch das prätorische Recht vor den leges Juliae.

§. 36. Es ist uns nur mehr ein einziges Gesetz theilweise erhalten, aus welchem die Sponsio in der Eigenschaft eines Process organs erkennbar ist, aber es ist ein glücklicher Zufall, dass dieses die erwähnte Eigenschaft der Sponsio nach allen Seiten hin kennzeichnet. Es sind dies die Fragmente der lex Rubria, welche ich nun in der angedeuteten Richtung zu erörtern, dabei aber die Ausführungen Mommsens über den Inhalt dieses Gesetzes zu verwerthen habe1).

Im römischen Staate standen die römischen und die municipalen Gerichte in dem Verhältniss von Regel und Ausnahme, so dass nach ursprünglichem und ordentlichem Recht jene in allen Sachen allein competent waren, diesen aber nur eine singuläre, auf speciellen Ausnahmen beruhende Gerichtsbarkeit zukam. Die Gerichtsordnung, welche die lex Rubria für die Municipalgerichte in Gallia cisalpina auf vier Tafeln enthielt (von denen nur die vierte theilweise erhalten ist), steht daher zu dem prätorischen Edict in Rom in dem Verhältniss, wie eine provincial-rechtliche Novelle zur Reichsprocessordnung, oder wie ein Particulargesetz zu einem Reichsgesetz. Erhalten sind uns auf der vierten Tafel der Rest des Abschnittes de operis novi nunciatione (c. 19) und der Abschnitt damni infecti (c. 20), welche in der wohl über Caesar zurückreichenden Ordnung des später von Julian redigirten Edictes dem 23. Abschnitte des prätorischen Edictes in Rom entsprechen, und der Abschnitt de confessis (c. 21 u. 22), welcher im prätorischen Edicte

1),,Ueber den Inhalt des Rubrischen Gesetzes", in Bekker's und Muther's Jahrbuche II. N. IX. S 319 fg.

Puntschart, Civilrecht der Römer.

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den Anhang zu dem 28. Abschnitte de re judicata bildete 2). Deu von Mommsen3) gegebenen Text dieses Gesetzes glaube ich nach dem Vorgange von Bruns 4) in den uns geläufigen späteren Wortformen und mit aufgelösten Siglen wiedergeben zu sollen.

Für die Sponsio als processualisches Organ sind aus den Fragmenten der lex Rubria zunächst die Capitel 21 und 22 massgebend. Das Capitel 21 lautet:

A quocunque pecunia certa credita signata forma publica populi Romani in eorum quo oppido, muncipio, colonia, praefectura, foro, vico, conciliabulo, castello territoriove, quae sunt eruntve in Gallia Cisalpina, petetur, quae res non pluris HS. XV. milia erit, si is

I) eam pecuniam in jure apud eum, qui ibi jure dicundo praeerit, ei, qui eam petet, aut ei, cujus nomine ab eo petetur, dare oportere debereve se confessus erit, neque id, quod confessus erit, solvet, satisve faciet,

II) aut se sponsione judiciove uti oportebit, non defendet; III) sive is ibi de ea re in jure non responderit, neque de ea re

sponsionem faciet, neque judicio, uti oportebit, se defendet: tum de eo, a quo ea pecunia petita erit, deque eo, cui eam pecuniam dari oportebit,

siremps res lex jus causaque omnibus omnium rerum esto, atque uti esset, esseve oporteret, si is, qui

I) ita confessus erit,

II) aut de ea re non responderit,

III) aut se sponsione judicioque, uti oportebit, non defenderit, ejus pecuniae ei, qui eam suo nomine petierit,

cuive dari oportebit, ex judiciis datis judicareve recte jussis jure lege damnatus esset, fuisset.

Quicunque II vir IV vir praefectusve ibi jure dicundo praeerit, is eum, qui

I) ita quid confessus erit, neque id solvet, satisve faciet,

II) eumve, qui se sponsione judiciove, uti oportebit, non defenderit,

III) aut in jure non responderit, neque id solvet satisve faciet,

tantae pecunia e, quanta ea pecunia erit, de qua tum inter eos ambigetur, dumtaxat HS. XV milia sine fraude sua duci jubeto; quique eorum quem, ad quem ea res

2) z. vgl. Rudorff Ztsch. f. RG. III. S. 75 fg.

3) Corpus inscript. Latin, Vol. I 1863 N. 205 pag. 115 sq. 4) Fontes jur. Rom. pag. 53. editio 1.

pertinebit, duxerit, id ei fraudi poenaeve ne esto; quodque ita factum actum jussum erit, id jus ratumque esto.

Wenn in der L. 26 D. ad mun. (50, 1) „,ea, quae magis imperii sunt, quam jurisdictionis", dem Muncipalbeamten abgesprochen werden, so sollen ihm damit nur diejenigen Handlungen nicht gestattet werden, bei denen theils eine freiere, mehr arbiträre Behandlung, theils eine grössere Gefahr für den Betroffenen obwaltet. Damit stimmt es völlig, wenn die auf Eingeständniss in jure vor dem Municipal-Magistrat, oder, was dem rechtlich gleichsteht, auf Schweigen und unbefriedigende Antworten in jure sich stützende Execution auch in den Processen, wofür der Municipalrichter competent ist, doch im Allgemeinen dem römischen Magistrat vorbehalten, und nur hinsichtlich der Geldschuidklage für die ductio eine Ausnahme gemacht wird. Der Grund dieses Unterschieds liegt darin, dass bei der Geldschuldklage, welche nominell auf pecunia certa credita, der Sache nach aber auf jede pecunia certa debita geht, die in jure confessio immer auf ein aes confessum hinauslief, dagegen bei jeder andern Klage die confessio noch immer ein Aestimations-Verfahren zur Uebertragung des Einbekannten in eine feste römische Geldsumme übrig liess. Dem rechtskräftigen Urtheile war also wohl jene confessio gleichzustellen, nicht aber auch diese. Dies ist besonders insofern wichtig, als hiernach das, was die lex Rubria hinsichtlich der confessi vorschreibt, nicht ohne Weiteres auf die judicati angewendet werden darf. Vielmehr wird den Municipal-Magistraten wahrscheinlich die Execution nur bei jedem auf römisches Geld gerichteten Erkenntniss und bei jeder rechtskräftigen Sentenz zugestanden. Aus dem Rubrischen Gesetze geht mit Wahrscheinlichkeit hervor, dass zu Caesar's Zeit noch wie vor Alters die ordentliche und solenne Execution die personale, nämlich die ductio war, die missio in bona dagegen rechtlich als ein ausserordentliches, jure imperii zu ertheilendes und darum von den niedriger stehenden Muncipal-Magistraten nicht zu erlangendes Aushilfsmittel galt. Verwandt damit ist die Behandlung des von den Gallischen Municipal-Magistraten auferlegten und von dem Beklagten verweigerten oder nicht recht geleisteten vadimonium in den Fällen, wo dem Muncipal-Magistrat nur die Eröffnung, nicht aber die Erledigung des Verfahrens in jure freistand. Kam ein solcher Fall in Rom vor, so fiel er unter die Kategorie: si is de ea re in jure non responderit, neque de ea re sponsionem faciet, und ein solcher Beklagter war pro confesso, so dass ohne Zweifel sofort die ductio, eventuell die missio in bona verfügt wurde. Dem Gallischen Municipal-Magistrat hingegen war nur gestattet, ein Recuperatorengericht offenbar auf Scha

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