Page images
PDF
EPUB

schaften oder Erbschaftsobjecte durch Usucapion an ganz fremde Personen gelangten, während Blutsverwandte des Erblassers vorhanden waren.

Es ist klar, dass der Prätor urbanus eine so weitgreifende und schwierige Reform des grundgesetzlichen Civilrechts nicht ohne die fachmännische Mitwirkung der Pontifices durchführen konnte, weil einerseits die Bedürfnisse des Lebens die Befreiung von den beengenden Formen des grundgesetzlichen Civilrechts gebieterisch forderten, andrerseits aber die Grundlagen der nationalen Rechtspflege zu erhalten waren.

Hiermit sind die Richtungen der Reform im Allgemeinen angedeutet, welche ich unten genauer darzulegen haben werde.

VII. Capitel.

Unzulänglichkeit der lex Aebutia zu einer die judicia legitima erhaltenden Reform und Nothwendigkeit eines zweiten Gesetzes zur conservativen Verwerthung der dem Prätor urbanus verliehenen Gewalten.

§. 34. Ich habe schon oben dargelegt, dass die forma legitima agendi das Fundament des judicium legitimum bildete, und dass alle Requisiten des letzteren sich darum nur als nothwendige Folgen der Natur dieses Fundamentes darstellen, weil die forma legitima agendi als ein Bestandtheil des grundgesetzlichen Civilrechts nur für die römischen Bürger und nur für Rom und seine Bannmeile galt, wobei es selbstverständlich ist, dass über römische Bürger in Rom nur ein römischer Magistrat die Gerichtsbarkeit ausüben, und nur römische Bürger als Geschworne zu Gericht sitzen konnten. Das Ladungs- und Executionsverfahren, also auch das Vadimonienrecht, gehörten also nicht zur Wesenheit des judicium legitimum. Wenn also der Prätor urbanus die potestas juris civilis corrigendi und supplendi zur Reform des Ladungs- und Executionsverfahrens, sowie des Vadimonienrechtes verwerthete, so wurden durch diese Reformen die judicia legitima nicht alterirt. Für diese Gebiete konnte also der Prätor urbanus durch seine potestas juris civilis supplendi neue actiones in factum als processualische Delictsklagen schaffen, wofür uns Gaius in IV. 46 Beispiele anführt1). Allein weil diese

1) Gaius IV. 46: ceterae quoque formulae, quae sub titulo,,de in jus vocando" propositae sunt, in factum conceptae sunt, veluti adversus eum, qui in jus vocatus neque venerit, neque vindicem dederit; item contra eum, qui vi exemerit eum, qui in jus vocatur, et denique innumerabiles ejusmodi aliae formulae in albo proponuntur.

neuen judicia des Edictes nur auf dem Imperium des richterlichen Magistrats beruhten, so konnten auf Grund derselben wohl die vom richterlichen Magistrat zum Geschwornenamte berufenen Recuperatoren, nicht aber die von der Verfassung berufenen Geschwornen (judices) die Sache untersuchen und durch Urtheil entscheiden 2). Ebenso könnte der Prätor urbanus seine potestas juris civilis corrigendi im Gebiete der Privatdelicte zur Anwendung bringen, einerseits, weil das Strafrecht, gleich dem Executionsverfahren vom Imperium des Magistrats untrennbar war, andrerseits, weil er nur im Interesse der Humanität handelte, wenn er in diesem Gebiete reformirte und neue judicia imperio continentia schuf. Ich betrachte es aber als einen folgenschweren Irrthum, dass Gaius IV. 30 bisher so interpretirt wurde, als habe der Prätor urbanus in Folge der lex Aebutia überhaupt die Actionen des Grundgesetzes durch Actionen des Edictes zu ersetzen angefangen. Gerade durch diesen Irrthum war die Thatsache unerklärlich geworden, dass ungeachtet zahlreicher Spuren des prätorischen Rechtes in den Komödien des Plautus. und Terentius von Delictsklagen abgesehen doch nirgends eine formula des Edictes erkennbar hervortritt, und dass das um das Jahr 550 publicirte jus Aelianum sogar noch neue Legis actiones enthielt 3).

quibus

[ocr errors]

2) Gaius IV 185: Fiunt autem vadimonia quibus dam ex causis pura dam recuperatoribus suppositis. Gellius XX 1, §. 14: praetores — injuriis aestimandis recuperatores se daturos esse edixerunt.

3) Pomponius L. 2 §. 7 D. de orig. jur.: Augescente civitate quia deerant quaedam genera agendi, non multum post temporis (etwa 100 Jahre) Sextus Aelius alias actiones composuit, et librum populo dedit, qui appellatur jus Aelianum. Weil Pomponius unmittelbar vorher von Legis actiones überhaupt und vom jus Flavianum insbesondere spricht, so wurden unter diesen ,,aliae actiones“ auch bisher mit Recht nur neue Legis actiones verstanden. Darum erwähnt Plautus, welcher unter der Herrschaft des jus Aelianum schrieb, achtmal das lege agere, die manus injectio und addictio zehnmal, die pignoris capio zweimal, während ,,formula" nur einmal (Persa II, 47) und ,,verba concepta" nur zweimal (Mercator IV, 4, 50, Truc. IV 2, 54) berührt werden. Die Stellen jetzt z. s. bei Bekker, Actionen, I. S. 90, Note 25. Dabei ist aber noch der wichtige Umstand hervorzuheben, dass das lege agere bei Plautus noch als der eigentliche Ausdruck überhaupt für „klagen, den Rechtsweg betreten", erscheint: Miles II. 5, V. 43:

Scel. Lege ag-ito: te nusquam mittam, nisi das firmatam fidem,
Te huc, si omisero, intro ituram.

Dass dieser Ausdruck in den Komödien sogar gewöhnlich mit scherzhaf ter Ironie gebraucht wird, hat schon Donatus zu Terent. Phorm. V. 7, V. 91 hervorgehoben, Z. vgl. auch Lorenz, ausgewählte Komödien des Plautus 1869,

Es liegt im Wesen eines formellen Rechtes, dass mit seiner Form auch seine Existenz vernichtet wird. Als solche formelle Rechte müssen aber auch die Klagrechte des grundgesetzlichen Civilrechts betrachtet werden, weil sie nur in der Form der legis actio geltend gemacht werden konnten. Die Aenderung der legis actio hätte also die Vernichtung der forma legitima agendi und die Unwirksamkeit aller civilen Klagrechte zur Folge gehabt. Durch die Einkleidung in die Actionen des Edictes hätten diese civilen Klagrechte ihre bisherige gesetzliche Natur eingebüsst, alle so gewonnenen neuen judicia wären judicia imperio continentia gewesen, wodurch natürlich alle judicia legitima vernichtet und die römischen Bürger in die Lage der Peregrinen und Provinzialen gebracht worden wären. Einer solchen Reform, welche die Vernichtung des ganzen grundgesetzlichen Civilrechts und aller verfassungsmässigen Civil-Gerichte zur schliesslichen Folge gehabt hätte, hätte jede zum Schutze der Verfassung berufene par majorve potestas entgegentreten müssen. Solange also die formula des Prätor urbanus nur die Natur des Edictes hatte, was nach einer oben bewiesenen Auslegung des Gaius IV. 30 bis zu den leges Juliae der Fall so lange konnte der Prätor urbanus einen civilen oder gesetzlichen Anspruch nicht ohne Weiteres in eine formula des Edictes einkleiden lassen, ohne das judicium legitimum und seine grossen Vortheile zu vernichten. Im Gebiete der judicia legitima konnte also der Prätor urbanus seine potestates juris civilis corrigendi et supplendi nicht ohne Weiteres in Anwendung bringen, einerseits, weil er die forma legitima agendi nicht ändern konnte, ohne zugleich das judicium legitimum zu zerstören, andererseits, weil die von ihm gegebenen Klagrechte nicht ohne Weiteres in der Form der legis actio geltend gemacht werden konnten. Mit der potestas juris civilis interpretandi konnte er nun, gestützt auf die Machtfülle, welche ihm die lex Aebutia verliehen hatte, zwar die grundgesetzliche Vindicationsformel wieder brauchbar machen, allein zur Gewinnung solcher judicia legitima, welche zur Verfolgung und Vertheidigung auch des prätorischen Rechtes hätten dienen können, war auch diese

war

-

[ocr errors]

S. 135, zu Mil. V. 451. Ebenso spricht der von Varro L. L. IV, 1, 10 erwähnte Aelius Gallus bei Festus s. v. religiosus p. 278 nur von lege agere: (Religiosum ait) esse Gallus Aelius die nefasto apud praetorem lege agere, und die gleiche Identificirung von agere und lege agere findet sich sogar auch bei Varro L. L. VI. 30: Nefas fari praetorem: Do, Dico, Addico, itaque non potest agi; necesse enim aliquo eorum uti verborum, cum lege quid (per) agitur.

seine potestas völlig unfruchtbar. Sollte also der Prätor urbanus die ihm durch die lex Aebutia verliehenen potestates conservativ verwerthen können, so war noch ein zweites Gesetz nothwendig, welches seine potestas juris civilis interpretandi zur Gewinnung neuer auch für die Verfolgung und Vertheidigung des prätorischen Rechtes brauchbarer judicia legitima fruchtbar, dadurch aber auch seine potestates juris civilis supplendi und corrigendi für die judicia legitima verwendbar machte. Das Mittel, welches dieses Gesetz dem Prätor urbanus an die Hand gab, muss also vorerst geeignet gewesen sein, die Verfolgung und Vertheidigung des prätorichen Rechtes in der Form der legis actio zu ermöglichen; weil aber das römische Recht dieser Zeit noch ein wirkliches Volksrecht war, so muss dieses Mittel auch aus dem Leben des Volkes, als der rechtbildenden Macht, herausgegriffen und zum Processorgan erhoben worden sein. Es ist nicht schwer, in diesem Mittel die Sponsio zu erkennen, in welche auch bisher ,,alle Verträge, insofern sie nur nichts Unerlaubtes enthielten, und auf eine erzwingbare Leistung gerichtet waren, mochten sie an sich klagbar gewesen sein oder nicht, eingekleidet werden konnten, und welche auch die Hinzufügung einer conditio gestattete, dadurch aber es möglich machte, indirect alle gedenkbaren Gegenstände, Leistungen u. s. w. in den Bereich der Obligation zu ziehen, so dass unter der weiten Kategorie des in conditione positum alle und jede Handlungen und Unterlassungen Platz fanden, mochten sie direct klagbar sein oder nicht4).,,Ehe ich nun zum Nachweis schreite, dass die Sponsio ein processualisches Organ war, welche Functionen sie als solches hatte und durch welches Gesetz sie dazu erhoben wurde, habe ich vorher dieselbe auch als bisheriges Organ des geschäftlichen Verkehrs und als Element der Volkssitte zu betrachten, in letzterer Beziehung aber das provocare sponsione darum mit dem provocare sacramento zu verbinden, weil diese für den Process so wichtigen Ausdrücke sich gegenseitig erklären, und ihre Erklärung nur an dieser Stelle finden können.

Die Sponsio als bisheriges Organ des geschäftlichen Verkehrs und Element der Volkssitte. Das provocare sacramento und sponsione. Diese Provocationen waren keine Wetten.

§. 35. Ehe die Sponsio in ihrer Verbindung mit der Provocatio erörtert werden kann, muss sie zuvor an sich als Organ des geschäftlichen Verkehrs betrachtet werden.

4) Ihering, Geist II. 2. S. 541, 542.

In der ersten Auflage seines hier oft genannten Werkes hatte Ihering die Sponsio mit dem Eide in Verbindung gebracht1). Diese Ansicht wurde später von Danz2) dahin entwickelt, dass die Sponsio „das älteste, eidliche, in verba concipirte Versprechen" bezeichnete, während Girtaner 3) unter Prüfung der von Danz benutzten Stellen1) zu dem Ergebniss gelangt, dass der Sponsio und Stipulatio auch ursprünglich jede religiöse Beziehung fremd war, und dass sie nur als eine bestimmte Form für die Erklärung eines bestimmten juristischen Willens aufzufassen ist, der jede andere Beziehung ausschliesst.

Es ist oben nachgewiesen, dass das jus proprium civium Romanorum ganz und gar eine Schöpfung der Pontifices war, und dass das jus civile vom jus sacrum ursprünglich ganz beherrscht wurde. Nun aber bezeichnet Gaius die Sponsio ausdrücklich als jus proprium civium Romanorum 5), wesshalb wir nach Girtaner ohne jegliche Erklärung vor der Thatsache ständen, dass die Sponsio allein, und nicht auch die fidepromissio und fidejussio, eine propria civium Romanorum obligatio war, weil die Momente, welche Girtaner hervorhebt, auch bei der fidepromissio und fidejussio, ja bezüglich der Erklärung des juristischen Willens sogar auch bei der mancipatio und in jure cessio zutreffen. Es muss also für die Sponsio ein Element gesucht werden, welches ihr eigenthümlich und so beschaffen war, dass die Peregrinen von ihr folgerichtig ausgeschlossen bleiben mussten, was uns aber von vornherein auf eine religiöse Beziehung eine nicht zu verkennende Hindeutung gibt.

Es ist nun bekannt, dass die Cultur-Völker des Alterthums das Princip der Staatsreligion so ernst, und ich füge hinzu, so folgerichtig nahmen, dass die Götter des einen Volkes dem anderen als gar keine Götter galten, und dass somit die Götter der Römer nur mit den Römern in Beziehungen stehend gedacht wurden. Wer kein Römer war, konnte einem römischen Gott nichts geloben, von ihm nichts verlangen, und bei ihm nicht schwören. Die Reception frem

1) In Folge der Ausführungen Girtaners, die Stipulatio, 1859 S. 14 -94, erklärt Ihering in der zweiten Auflage seines Werkes, II. Theil, 2. Abth. S. 537 Note 739 diese Verbindung für problematisch.

2) Sacraler Schutz, S. 105 fg.

3) Stipulatio, S. 93, 94.

4) Dionysius I. 40, Livius 9, 5, Festus v. spondere p. 137 M., Paulus Diaconus p. 59 M. Varro L. L. VI. 69-73, pag. 99–101 M.

5) Gaius III 93: Sed haec quidem verborum obligatio,dare spondes? spondeo" propria civium Romanorum est, ceterae vero juris gentium sunt, itaque inter omnes, sive cives Romanos sive peregrinos valent.

Punts chart, Civilrecht der Römer,

11

« PreviousContinue »