Page images
PDF
EPUB

zu ergänzen. Dem zweiten Prätor muss also diese Macht um so mehr abgesprochen werden, als der Gedanke völlig ausgeschlossen werden muss, dass das gesetzliche Civilrecht der römischen Bürger der Fremden wegen irgend welche Aenderung erlitt. Ferner wissen wir aus Gaius IV 105, dass die judicia, denen der Prätor peregrinus vorstand, keine legitima waren, sondern auf dem Imperium beruhten, dass also das Privatrecht des Prätor peregrinus kein gesetzliches war. Gleichwohl aber schreibt Papinian in der angeführten Stelle auch ihm die potestas juris civilis corrigendi und supplendi zu, da es sich nicht annehmen lässt, dass Papinian in jener Stelle nur von dem edictalen Recht der praetores urbani spricht. Ja die herrschende Lehre schreibt die Entwicklung des römischen Privatrechts sogar vorzüglich den Edicten der Fremdenprätoren zu, weil sie annimmt, dass der Prätor urbanus das formfreie Recht seines Amtsgenossen erst nach und nach zu dem Seinigen machte. Ich glaube daher in Uebereinstimmung mit der herrschenden Anschauung annehmen zu dürfen, dass Papinian in jener Stelle auch vom edictalen Recht des Prätor peregrinus spricht.

Aus diesen Prämissen aber glaube ich folgern zu dürfen, dass der Prätor peregrinus nicht das gesetzliche Civilrecht unmittelbar, sondern nur das Civilrecht des Prätor urbanus verbessern und ergänzen durfte. Ist aber dieser Schluss richtig, dann war der Prätor peregrinus bei seiner Rechtsetzung an die Rechtsetzung des Prätor urbanus angewiesen, und konnte somit nur diese verbessern und ergänzen, wobei für ihn dieselben Grundsätze gelten mussten, welche oben für die Verbesserung und Ergänzung des Civilrechts durch den Prätor urbanus hervorgehoben wurden. Es hat schon Bethmann Hollweg1) bemerkt, dass die ältere Bezeichnung des zweiten Prätors, nicht ,,praetor peregrinus" war, sondern praetor, qui inter cives et peregrinos jus dicit, eine Bezeichnung, welche ich oben auf die lex Aebutia zurückgeführt habe. Wenn die Jurisdiction des zweiten Prätors sich auf Bürger und Peregrinen bezog, so ist die Annahme von vornherein unzulässig, dass die römischen Bürger vor ihm die materiellen Bestimmungen ihres Civilrechts einbüssten. Der zweite Prätor musste also im Interesse der römischen Bürger die materiellen Bestimmungen des Civilrechts des Prätor urbanus so viel als möglich zu erhalten trachten, und konnte somit dieselben nur in Folge dringender Bedürfnisse und nur in beschränktem Masse verbessern. Es ist also auzunehmen, dass die materiellen Bestimmungen des vom Prätor peregrinus geschaffenen

1) Civilpr. I. S. 39, Note 3.

internationalen Privatrechts mit den Bestimmungen des Civilrechts im Wesentlichen übereinstimmten, wenn auch das internationale Privatrecht niemals die Natur eines gesetzlichen, sondern stets nur die eines obrigkeitlichen Rechtes hatte. Ein solches Verhältniss zum Edicte der Stadtprätoren zeigen alle von Cicero erwähnten späteren Provincial-Edicte.

Der Prätor urbanus erscheint also zugleich als das Organ der einheitlichen Entwicklung nicht nur des civilen, sondern auch internationalen Privatrechts, wesshalb angenommen werden muss, dass Aebutius bei seinem Gesetze auch die organische Entwicklung des ganzen römischen Privatrechts im Auge hatte.

Wenn ich nun auch das, was hier über die dem zweiten Prätor durch die lex Aebutia ertheilten potestates gesagt wurde, in Einem Satze zusammenfasse, so ergibt sich mir als Inhalt der auf den zweiten Prätor sich beziehenden Bestimmungen der lex Aebutia folgendes:

Die lex Aebutia hatte jedem künftigen Prätor peregrinus (praetor, qui posthac erit, qui inter cives et peregrinos jus dicet) die Gewalt ertheilt, nach seinem Ermessen im Interesse seiner Jurisdiction das Civilrecht des Prätor urbanus in der Form und mit der Kraft des Edictes zu verbessern und zu ergänzen.

Dieses Verhältniss des Prätor peregrinus zum Prätor urbanus erklärt zugleich, warum nach der lex Aebutia wohl die Fremdenprätur zeitweilig wieder dem Prätor urbanus, niemals aber die eigentliche Stadtprätur dem Fremdenprätor übertragen wurde 2).

Verhältniss der curulischen Aedilen zum Prätor urbanus und peregrinus in Folge der lex Aebutia.

§. 27. Weil Pomponius (a. a. O.) von edicta proponere der Magistrate im Allgemeinen spricht, die Stadt Rom zur Zeit der lex Aebutia den Charakter einer Grossstadt bereits besass, schon Plautus1),,edictiones aediliciae" kennt, und Verfügungen der Aedilen in einem Sinne erwähnt, dass darunter nicht für einzelne Fälle erlassene Befehle verstanden werden können 2), so glaube ich nicht

2) Belege dafür bei Becker, Alterth. II. 2. S. 185 Note 435.

1) Capt. IV, 2, 44.

2) Plautus Miles III. 1. v. 133-136:

Sicuti merci pretium statuit, qui probust agronomus :

Quae probast merx, pretium ei statuit, pro virtute ut veneat,

Quae improbast, pro mercis vitio dominum pretio pauperet:
Itidem divos dispertisse vitam humanam aequom fuit;

[ocr errors]

zweifeln zu dürfen, dass die lex Aebutia auch den curulischen Aedilen die Gewalt der Rechtsetzung verliehen hatte. Allein weil wohl nicht angenommen werden kann, dass ein magistratus minor das Edict eines magistratus major ändern durfte, so kann den curulischen Aedilen nur die Gewalt zugestanden haben, im Interesse ihrer auf die Markt- und Strassenpolizei und die daraus entspringenden Rechtshändel sich beziehenden Jurisdiction 3) das vom Prätor urbanus und peregrinus geschaffene Privatrecht zu ergänzen1).

Die lex Aebutia hatte also allen künftigen curulischen Aedilen die Gewalt ertheilt, nach ihrem Ermessen im Interesse ihrer Jurisdiction das Privatrecht des Prätor urbanus und peregrinus in der Form und mit der Kraft des Edictes zu ergänzen.

Für gemeinsame Entscheidungen ist die gerade Zahl der Stimmenden eine Hemmung, die ungerade Zahl eine Förderung der Energie des Handelns: die curulischen Aedilen waren also schon durch ihre gerade Zahl vor Uebereilungen gesichert.

Wenn nun die durch die lex Aebutia den richterlichen Magistraten verliehenen Gewalten mit einander verglichen werden, so ist nicht schwer zu erkennen, dass sie nicht bloss intensiv, sondern auch extensiv abgestuft waren, dass also der lex Aebutia der Gedanke zu Grunde lag, einen vollkommenen Rechtsorganismus zu schaffen; ferner, dass sie den Prätor urbanus zum Centralorgan für die Entwicklung des gesammten Privatrechts erhoben, endlich, dass sich Rom durch dieses Gesetz für das Gebiet des Privatrechts als italische Grossmacht constituirt hatte.

Mit diesen Bemerkungen ist das Verhältniss der richterlichen Magistrate zu einander und zum prätorischen Recht angedeutet, es handelt sich nun noch darum, das prätorische Recht in seinem Verhältniss zum Gesetzesrecht und zu den gewöhnlichen Verordnungen, sowie seine Form näher zu bestimmen.

Nähere Bestimmung der Natur und Form des prätorischen Rechtes.

§. 28. Der Ausdruck,,lex publica" bezeichnet ursprünglich eine „Erklärung des Volkes", also eine Erklärung des Volkswillens. Legere bedeutet nämlich ursprünglich ein „Erklären", und

3) Varro bei Gellius XIII, 12, §. 13.

4) Vgl. Rudorff, Edictum perpet. pag. 259 sq. und Kuntze, Excurs. S. 488 ff.

zwar das Erklären der Schriftzeichen, also Lesen, wie auch das griechische avayıɣváσxɛiv nur ein Wiedererkennen, (nämlich der Schriftzeichen), und dann,,lesen" bedeutet. Interlegere ist ein ,,dazwischen Erklären" also ein Verstehen, das ,,colligere" ein Erklären des inneren Zusammenhanges, also „ein Schliessen". Darum spricht der Lateiner von einer lex publica und privata, weil es Willenserklärungen ebenso des Volkes als der Einzelnen gibt. Legare ist die Intensivform von legere, und bedeutet somit „nachdrücklich, feierlich, imperativ erklären." Im Gegensatz zur lex ist ,,edictum" der Ausspruch, die Mittheilung eines einzelnen Machtträgers (magistratus), wesshalb das Edict nur so lange Geltung hatte, als die Person, welche den Ausspruch that, im Amte war. Ohne besondere gesetzliche Ermächtigung durch das Volk konnten also solche Machtaussprüche den Grundgesetzen gegenüber nur die Natur von Vollzugsverordnungen haben; mit Ermächtigung des Volkes hingegen erlangten sie die Qualitäten der Rechtsetzung, welche ihnen das Volk zuerkannt wissen wollte. Quellenmässige Belege und Beispiele für die Legislation des Volkes in solcher mittelbaren Weise sind noch aus der späteren Zeit der Republik erhalten, nämlich für Fälle, in welchen das Volk einzelnen Machtträgern das Recht ertheilt hatte, Verfügungen mit der Geltung von leges publicae zu treffen. 1) Solcher Art waren die leges Corneliae für Agrigent, Aemiliae für Macedonien, Mummiae für Achaia, Rupiliae für Sicilien, Pompeiae für Bithinien. Als Provincial-Statuten hatten diese mittelbaren Gesetze des römischen Volkes eine von der Amtsdauer der Machthaber unabhängige Geltung. Eine solche mittelbare Volkslegislation wurde nun auch durch die lex Aebutia geschaffen, nur mit dem Unterschiede, dass die Edicte der richterlichen Magistrate keine dauernden Gesetze, sondern gesetzgeberische Verordnungen waren, also nur so lange galten, als ihre Urheber im Amte waren. Weil nämlich die Rechtsatzungen der richterlichen Magistrate in der Form des Edictes zu erfolgen hatten, diese aber keine blossen Vollzugsverordnungen waren, so erscheinen sie als ein Mittelding zwischen der gewöhnlichen Verordnung und dem Volksgesetz, also analog jenen Verordnungen, zu welchen in Verfassungsstaaten unserer Zeit die Regierungen verfassungsmässig berechtigt sind, um in dringlichen Fällen, in der Zeit, in welcher die Volksvertretungen nicht versammelt sind, Verfügungen mit der Kraft provisorischer Gesetze zu erlassen, wobei nur die Verschie

1) Z. s. Kuntze, Cursus, S. 121. Mommsen, Stadtrechte von Malaga und Salpensa, S. 393, Note 11 and 12. Bethmann-Hollweg, Civilpr. II S. 32, Note 5.

denheit Platz greift, dass diese Verordnungen nur provisorische Ergänzungen, nicht aber Verbesserungen oder Reformen zum Zwecke haben dürfen. Darum bezeichnet noch Gaius diese Jurisdictionen des Prätor urbanus und peregrinus nicht einfach als jus edicendi, sondern als jus edicendi amplissimum, wobei die Bezeichnung jus edicendi summum absichtlich vermieden wird, weil die potestates summae (Hoheitsrechte) bereits an den Princeps übergegangen waren. Die Edicte der richterlichen Magistrate Roms sind also als gesetzgeberische Verordnungen solche Justizregierungsverordnungen, deren provisorische Gesetzeskraft auf die Zeit der Amtsdauer der jährlichen Magistrate beschränkt war, und nicht bloss provisorische Ergänzungen, sondern auch provisorische Verbesserungen oder Reformen zum Zwecke hatten. Das Edict des Prätors hatte also nur die thatsächliche Wirksamkeit einer lex annua 2), wesshalb jene Juristen zu viel sagten, welche es geradezu als lex annua bezeichneten. Die Form des Edictes ist durch den Charakter des obrigkeitlichen Rechtes gegeben. Da nämlich dieser darin bestand, dass es zwar die thatsächliche Wirksamkeit, aber nicht die Natur des gesetzlichen Rechtes hatte, die Form des gesetzlichen Rechtes aber durch den jussus populi Romani, oder den kategorischen Imperativ gegeben war, so konnte ein richterlicher Magistrat nur erklären, was er persönlich (ego) thun, oder was er als thatsächlich wirksames Recht behandeln werde, durfte sich aber jenes kategorischen Imperativs nicht bedienen.

Der Bericht des von Huschke herausgegebenen auctor incertus über das Verhältniss des Prätor urbanus zum Prätor peregrinus.

§. 29. Weil der Prätor urbanus durch die lex Aebutia nicht bloss die Functionen, welche früher der Pontifex Maximus und der delegirte Pontifex ausgeübt hatten, in seiner Person vereinigte, sondern auch das gesetzliche Civilrecht zu verbessern und zu ergänzen hatte, so hatte er seit der lex Aebutia nicht bloss die Gerichtsoberherrlichkeit und Vorstandschaft in den Civilgerichten zu führen, sondern er war auch das eigentliche Organ der Reform der leges. Mit diesen Ergebnissen meiner bisherigen Untersuchungen ist nun die Nachricht des jetzt auch von Böcking') und Bethmann-Hollweg 2) als ächt und glaubwürdig anerkannten auctor incertus de magistratibus et

2) Z. s. Cicero in Verrem II lib. I. c. 42.
1) Notit. dign. occ. pag. 427.

2) Civilprozess II S. 46, Note 32.

« PreviousContinue »