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einem öffentlichen Rechte der Gemeinschaft erklärt. Allein es würde sich das Gemeinwesen solchenfalls eine fast unübersehbare Geschäftslast auflegen, und trotzdem würde den Interessen, die geschützt werden sollen, aus früher erörterten Gründen 141) nur unvollkommen gedient sein. Denkbar wäre es auch, dass die Rechtsordnung die Betreibung des Erfüllungszwangs jedem, der es wolle, überliesse. Der Weg der actiones populares wird aber nach unseren heutigen Lebensgewohnheiten nur wenig empfehlenswerth sein. Nicht immer werden sich Personen finden, welche da, wo es nöthig wäre, die Last der Rechtsverfolgung freiwillig übernehmen, ohne eigenes Interesse an der Sache und ohne Verpflichtung, in fremdem Interesse zu handeln. - So scheint denn der Weg der zweckmässigste zu sein, welchen unser Recht thatsächlich einschlägt. Es schreibt zwar, wie den Willensfähigen, so auch den Willenlosen selbst die Ansprüche zu; aber es sorgt auch gleichzeitig für eine Vertretung der Letzteren. Der Urliste der Handlungsfähigen 142) wird ein Name entnommen und dessen Träger mit der Befugniss ausgestattet, für den Willenlosen mit demselben rechtlichen Erfolge zu handeln, wie wenn dieser willensfähig wäre und in Person gehandelt hätte. Der Vormund ist es, dessen Handlungsfreiheit und rechtliche Macht mit jedem Anspruche seines Mündels gewinnt. Allein diese Machtfülle wird ihm nicht zu eigenem Interesse gewährt, sondern zum Vortheile seines Pfleglings. Um dies Verhältniss der Interessenvertretung gleich auf den ersten Blick erkennen zu lassen, wird der Anspruch, den der Vormund geltend zu machen hat, als Anspruch des Mündels bezeichnet. Letzterem persönlich und unmittelbar

141) Oben S. 139.

142) BINDING, a. a. O. II S. 49: »Die Handlungsfähigen bilden die Urliste derjenigen, welche das unendlich grosse Bedürfniss an Handlungen für alle Rechtssubjecte zu befriedigen bestimmt sind.«

nützt das Rechtsverfolgungsmittel nichts. Aber es ist auch unschädlich, dass ihm der Anspruch zugeschrieben wird. Wenigstens dann, wenn die Rechtsordnung sich entschliesst, die Verjährung des Anspruchs so lange ruhen zu lassen, als dessen Inhaber ein vormundloser Curande ist 143).

Dem Willenlosen Ansprüche zuschreiben, enthält mithin keinerlei Hohn gegen diesen. In Verbindung mit der ihm geordneten Vertretung ist es vielmehr das Mittel, auch seine Interessen in gleicher Weise wie die der Handlungsfähigen zu befriedigen.

113) Wie dies betreffs der Ansprüche der Geschlechtsunreifen und (abgesehen von der dreissigjährigen Verjährung) betreffs der Ansprüche der Minderjährigen positivrechtlich geordnet ist hier selbst für den Fall, dass eine Vormundschaft besteht.

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In den früheren Abschnitten habe ich folgende Sätze zu begründen versucht. Die Rechtsordnung schafft Recht lediglich durch den Erlass von Geboten und Verboten. Erstere erstreben eine Aenderung in den bisherigen Verhältnissen, letztere bezwecken deren Erhaltung. Erstere wollen dem Geschützten die Möglichkeit eines künftigen Genusses verschaffen, letztere die Möglichkeit eines Genusses des bisherigen Zustandes bewahren. Erstere schützen ein Interesse, letztere ein Gut. Aber die Rechtsordnung wirkt lediglich mit ihren Imperativen. Denn auf Imperativen oder deren Zurücknahme beruht auch der gesammte Apparat zur Erzwingung der Norm bez. zur Ahndung ihrer Verletzung. Folgeweise - und damit gehen wir einen Schritt weiter hat es die Rechtsordnung mit dem Genusse, dessen Ermöglichung ihre Verbote bezwecken, nicht zu thun. Der Genuss des rechtlich geschützten Guts gehört niemals zu dem Inhalte des Rechts.

1. Dieser Auffassung steht fast 1) die gesammte heutige

1) Mit voller Klarheit erkannt und ausgesprochen finde ich es nur bei LENEL, über Ursprung und Wirkung der Exceptionen S. 9 fg., dass

Doctrin geschlossen entgegen. Ihr ist das Geniessendürfen Inhalt des Rechts, der erlaubte Genuss der persönlichen Güter mithin Ausübung des Rechts der Persönlichkeit, der der Sache Ausübung des Eigenthums oder eines andern dinglichen Rechts.

Nehmen wir statt Aller WINDSCHEID. »Dass Jemandem eine Sache eigen ist, will sagen, dass sein Wille für sie entscheidend ist in der Gesammtheit ihrer Beziehungen.<< Kraft des Begriffs des Eigenthums stehe mithin dem Eigenthümer die Befugniss zu, die Sache zu gebrauchen und zu nützen; eine Ausübung dieser Befugniss, ein Gebrauchen, Nützen, Innehaben, Zerstören der Sache sei daher Ausübung des Eigenthumsrechts 2). Ebenso heisst es betreffs der Rechte, welche die eigene Person des Berechtigten zum Gegenstand haben«< 3):

»Der Wille eines Menschen kann als entscheidende Norm für die eigene Person gedacht werden zunächst nach der Seite ihrer leiblichen Existenz. Nach dieser Seite steht dem Menschen zu ein Recht auf Leben und die Functionen, in welchen sich das Leben des Körpers An und für sich kann ferner der Wille des Menschen als entscheidende Norm für die eigene Person auch nach der Seite ihrer geistigen Existenz gedacht werden. Man gelangt dadurch zur Annahme

äussert

der Rechtszweck von dem Inhalte des subjectiven Rechts zu unterscheiden sei. Zwar hatte schon NEUNER, Privatrechtsverhältnisse, S. 11. 18. 154. betont, dass »der Gebrauch, welchen der Berechtigte von dem ihm rechtlich anerkannten Lebensgute machen wird, zunächst nicht unter der Herrschaft des Rechts« stehe, später aber bei Besprechung des Eigenthums S. 53 fg. wurde dieser richtige Gedanke wieder verlassen. Auch SCHLOSSMANN, der Vertrag, fällt trotz einzelner zutreffender Aeusserungen (S. 258. 259) zum Oeftern wieder in die hier bekämpfte Anschauung zurück (S. 249. 251. 255). Vortrefflich jedoch bereits KIERULFF, Theorie, S. 154. 308 fg.

2) WINDSCHEID, Pandekten, § 167. 149 N. 5; I S. 513. 447.

3) A. a. O. § 39 S. 94.

Thon, Rechtsnorm.

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eines Rechts auf Bethätigung des Geistes in seinen verschiedenen Functionen. Dieses Recht ist aber zum Theil wieder weder bestreitbar noch verletzbar, so das Recht auf Bethätigung des Denk- und Empfindungsvermögens.«

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Prüfen wir dies letztgedachte angebliche Recht etwas näher. Wie jedes subjective Recht müsste es auf einen Rechtssatz, ein Gesetz oder eine Gewohnheit, zurückzuführen sein. Allein der Gedanke an ein Gewohnheitsrecht ist hier ausgeschlossen. Seine Bildung setzt auf Seiten der Handelnden eine Uebung aus der Ueberzeugung ihrer rechtlichen Nothwendigkeit voraus. Auf Seiten der künftig Verpflichteten kann aber da von einer rechtlichen Nothwendigkeit nicht gesprochen werden, wo ein Andershandeln ihnen schon nach Naturgesetz unmöglich war. Es bliebe mithin nur ein Gesetz als mögliche Quelle jenes Rechts. Aber ein solches wird schwerlich angeführt werden können. Denn die Gesetze haben weder dies eine Recht, noch irgend ein anderes Recht des Genusses gewährt.

Vergegenwärtigen wir uns an einem einzelnen Beispiele, wie eine Gesetzgebung verfährt und wie sich der Zustand vor und nach derselben unterscheidet. Als das jüdische Volk am Berge Sinai sein Gesetz empfing, war nunmehr durch das eine Verbot: Du sollst nicht tödten! die Unantastbarkeit der Person verkündet. War bis dahin, wie wir annehmen wollen, das aus Egyptenland gezogene Volk noch ohne Recht gewesen und stand sonach bis dahin der Tödtung eines Genossen wenigstens kein äusserlich bindendes Gesetz entgegen, so war jetzt die Tödtung durch Rechtssatz verboten, das Leben der Einzelnen durch dies Verbot und die seiner Uebertretung gedrohten Folgen unter den Schutz der Gesammtheit gestellt. Aber der Genuss ihres Lebens war für die Einzelnen hierdurch in keiner Weise verändert. Hatten sie früher geathmet, gearbeitet, gegessen, getrunken

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