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Himmelsaugen, für Augen, in denen sich die ganze große Welt ideal abzuspiegeln schien! Wahrlich, so dachte er, ein voller Strahl aus diesen weltenbergenden Augen mußte jedem schaffenden Geiste neue, ungeahnte Gefilde erschließen.

Wohl hatte seine Phantasie in mancher Mußestunde ein ideales Frauenbild verfolgt, das er mit glänzendsten Phantasiefarben malte, das ihm mit allbezwingendem Augenglanze leuchtend vorschwebte: allein der Adlerflug der Phantasie hier war er von der lebensvollsten Wirklichkeit überboten.

Was Wunder, daß der junge Künstler dem zweiten Teile des unendlich langen Konservatorium-Konzertes durchaus nicht die gleiche an Andacht grenzende Aufmerksamkeit schenkte, wie dem ersten und insbesondere dem zauberhaften Spiele Anthemias. Mochte jezt vortragen, wer da wollte seine Augen und Sinne schweiften immer wieder zur Jungfrau aus Griechenland zurück.

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Als das Konzert beendet war, beeiferte sich besonders die junge Herrenwelt, in die Nähe Anthemias zu gelangen, um des Zaubers ihrer persönlichen Erscheinung noch einmal ganz teilhaftig zu werden. Auch jenem jungen Künstler glückte es noch, einen Blick aus ihren märchenschönen Augen zu erlangen. Ahnungsvoll durchdrangen ihn hier die Schauer der höchsten Seligkeit. Lange noch verweilte er voll jenes süßen Sinnens im Konzertsaale. Auf dem Heimwege glich er einem wandelnden Traum. Mitleidige Sternseelen gaben ihm ein funkelndes Geleite.

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Zweites Kapitel.
Eine griechische Insel.

Nur die mißverstandene Religion kann uns von dem Schönen entfernen und es ist ein Beweis für die wahre, für die richtig verstandene wahre Religion, wenn sie uns überall auf das Schöne zurückbringt.

Leffing: Wie die Alten den Tod gebildet.

ine geraume Zeit war nach dem soeben geschilderten Konzertabend des Konservatoriums verflossen. Die Konzertsaison der Hauptstadt stand jezt in ihrer höchsten Blüte.

Auch der Musiker Edgar Wittig - so hieß jener junge Mann, auf den an jenem Abend das Zusammenwirken eines künstlerisch seelenvollen Klaviervortrags und einer zauberschönen Frauengestalt einen unauslöschlichen Eindruck gemacht zu haben schien, auch dieser besuchte jezt noch um so eifriger die hervorragenden Konzerte, als er hoffen durfte, Anthemia zu sehen und von Zeit zu Zeit einen Blick aus ihren wundersamen Augen zu erhaschen.

War es der schwermütige Zug in Edgars Antlik, der seiner ganzen wie aus Poesie gewebten Erscheinung eine noch höhere Künstlerweihe verlieh, oder war es die ganz eigene Art von Versunkenheit, in welcher er namentlich Beethovenschen Tonschöpfungen lauschte, so daß während dieser Zeit alles übrige in der Welt für ihn gar nicht da zu sein schien, oder war es sonst ein geheimes Etwas im Wesen Edgars: genug, nach geraumer Zeit ruhten Anthemias große, sinnende

Augen, sobald sie sich unbeobachtet glaubten, mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke von Hingezogenheit auf diesem Mannesangesicht.

Wer war denn nun diese Anthemia? Und wer dieser Edgar?

Anthemia Palleukos war die Tochter eines reichen Handelsherrn in Delos oder Dili, der kleinsten der Cyfladeninseln. Das Eiland wird um seiner Kleinheit willen auch Klein-Delos (Mikra-Dilos) genannt. Von der weltberühmten Delischen Kunstherrlichkeit hat sich freilich nicht viel erhalten. Immerhin jedoch lassen Trümmer des Artemistempels und besonders des Apolloheiligtums der vielgepriesenen Schöpfung des Meisters Erisichthon den einstmaligen architektonischen Glanz des Ortes ahnen.

Die Sagen von der wunderbaren Entstehung dieses Eilandes, vom göttlichen Geschwisterpaare Apollon und Artemis-, die Mythen, die sich an den Granitfelsenberg Kynthos und an den munter dahineilenden Bach Inopos knüpfen, des weiteren die historischen Erzählungen von den Festspielen, zu welchen alle fünf Jahre die Hellenenscharen aller Gauen herbeigeeilt waren — endlich die dahingeschwundene Handelsherrlichkeit der einstmals so reich gesegneten Insel: alles das klingt noch jest lebendig in delischen Gemütern nach.

Von Zorn und Wehmut wird unsere Seele erfüllt, wenn wir vernehmen, daß die Abkömmlinge des kunstbegabtesten Volkes selbst die Reliquien des höchsten Kunstdaseins geflissentlich vernichten. Immer mehr sah man in den jüngsten Zeiten auch auf Delos kostbare Reste hellenischer Kunst verschwinden. Der Stoff, aus dem einst so blühendes Geistesleben strahlte, ward und wird noch immer als gemeines Baumaterial verwendet.

Indes erwacht auch dort dank dem immer weiter dringenden Einflusse unseres edelbegeisterten hellastrunkenen Heinrich Schliemann mehr und mehr der Sinn für Griechenlands Kunstherrlichkeit. Nach Schliemanns unglaub

lich genialem Vorgange, der zu den erfolgreichsten Ausgrabungen der Heldenstätten Jlios, Mykenä und Orchomenos führte, ist die gesamte Kulturwelt vom herrlichsten Ausgrabungseifer beseelt, der noch Erstaunliches zutage fördern muß.

Dank diesem auf Schliemanns Geist zurückzuführenden Enthusiasmus beginnt man jezt auch in Delos auszugraben und sieht auch hier schönstes Unterfangen von schönstem Erfolge gekrönt. Schon hat man nicht Geringfügiges vom Apollotheater aufgedeckt und darf immer herrlichere Ausbeute erhoffen. So wirkt Schliemanns Wundergenie unabsehbar weiter fort. In Wahrheit bildet er mit Karl Friedrich Schinkel und Karl Bötticher das glänzende Dreigestirn, welches den Geist hellenischer Kunst und hellenischen Wesens unserem Jahrhundert schöpferisch neu geboren hat. Unsterbliche Ehre sei ihrem Andenken geweiht!

Zum Ruhme der Familie Palleukos ist nun zu ver= melden, daß sie von jeher zu den Wenigen gehörte, in denen noch die alte hellenische Pracht und der einstige Stolz der Vaterinsel einen heilsamen Nachhall fanden. Und doch war nur der Vater Anthemias ein Grieche, die Mutter war eine Tochter Deutschlands. Auf einer seiner zahlreichen Reisen hatte der alte Palleukos seine Gattin kennen und lieben lernen. Wie schwer auch seiner Auserkorenen der Entschluß ward, das geliebte Deutschland mit einer fast ganz verkommenen griechischen Insel zu vertauschen die Liebe half zauberkundig über alle Bedenken hinweg. Und noch zu keiner Stunde hatte es Anthemias Mutter gereut, ihrem edelherzigen Manne gefolgt zu sein.

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Den schönsten Schmuck dieses harmonischen Ehelebens bildeten zwei Kinder: Anthemia und ihr um wenige Jahre älterer Bruder Sophron.

Die Eltern hatten ihren Kindern eine planvolle, sinnreiche, edle Erziehung angedeihen lassen. Die Errungenschaften der modernen, das Altertum überbietenden Ideen

hatten sie mit diesem vortrefflich zu verschmelzen verstanden. Die altgriechische Literatur wurde in ihrem Hause vorzugsweise gepflegt. Die unsterblichen Gesänge des blinden, mäonischen Greises blieben ein unantastbares Heiligtum, die zweite Hausbibel für den erleuchteten Palleukos und sein herrliches Weib.

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Nächst dem Griechentum war es und darin offenbarte sich zumeist der Einfluß der anmutigen Hausfrau die deutsche Kunst und Wissenschaft, die sich allmählich dem empfänglichen Sinne Sophrons und Anthemias erschlossen hatte. Und hierbei vor allem diejenige Kunst, in der Deutschland mit souveräner Gewalt über die moderne Kulturwelt gebietet: die Musik. Für diese Kunst ließ vornehmlich Anthemia seit ihrer frühesten Kindheit eine hervorragende Neigung und Begabung erkennen.

Das herangewachsene Geschwisterpaar erweckte ungeteilte Bewunderung auf der Insel. Vergegenwärtigte man sich ihre hohen Gestalten, ihre untadelig antiken Formen, daneben die innere Gleichartigkeit beider, dann ward man unwillkürlich an die alten Schuhgötter des jetzt verkommenen Eilandes, an den fernhintreffenden Musageten Apollon und an deffen jagdfrohe Schwester Artemis erinnert. Anthemia hatte sich in das Wesen dieser keuschen Göttin so hineingelebt, hatte deren freies Jungfrauendasein so liebgewonnen, daß sie bei sich beschloß, der Göttin ihrer Geburtsinsel auch hierin nachzustreben: sich niemals einem Manne zu vermählen. Die flurenliebende Artemis irgendwie mit dem mondsüchtigen Endymion in Verbindung zu bringen, galt als eitel Keßerei in Anthemias Augen. Die Göttin der Jagd und des gesegneten Flurenlebens blieb ihr nun einmal die Verkörperung vollkommener Keuschheit.

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Es war aber auch gar zu herrlich, frei und ungebunden in der delischen Gebirgslandschaft zu schwärmen, ehrwürdige Tempelruinen aufzusuchen und dort hingelagert zu träumen.

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