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gewichen zu sein. Mein männlicher Stolz hat jezt seine schwerste Prüfungszeit. Ich spreche nicht wenige, die so glücklich sind, ihre Gesellschaft teilen zu können, ich könnte also den einen oder den anderen bitten, mich diesem holdeu Mädchen vorzustellen. Sie verkehrt viel im Hildebrandtschen Hause: soll ich dort jezt öfter als sonst meine Besuche machen? Stolz und Liebe halten mich davon zurück. Was kann ich diesem Wesen sein? Sie ist eine vollendete Künstlerin, die vielleicht gar nicht an mich denkt, die übrigens auch in anderen Dingen schwerlich Belehrung won mir erlangen kann. Ich bin ihr gegenüber noch nichts; es wäre also Anmaßung, wenn ich mich ihr mit Hoffnungen nähern wollte. Der männliche Stolz hat seinen Urgrund in der echten Bescheidenheit, die auf Wahrhaftigkeit beruht. Echter Stolz und echte Bescheidenheit müssen immer gepaart in demselben Einzelwesen erscheinen. Daß ich so viel an diese schöne Griechin denken muß, hat auch außer der schmerzerfüllten Seligkeit einsamer Liebe das Gute im Geleite, daß ich für Augenblicke von meinem anderen, immerwährenden Leiden abgezogen werde und nicht selten einen Schimmer stärkender Hoffnung blinken sehe. Hingegen ist mir Beethovens Wundermacht reichlich Bürge, daß mich Liebesleidenschaft jezt nicht verzehren kann. Beethovens Kraft überwindet bei mir selbst den Allbesieger Eros. Wenn ich auch im Sinne des herzinnigen Troubadours Bernart von Ventadorn fühle, daß diese Mädchenerscheinung mich in einen Zauberspiegel blicken ließ, der mein Herz gefangen hält, so stimme ich doch nicht ganz in diesen Ton des lieblichen Sängers ein: Du Spiegel, seit ich in dich sah, Verzehrte mich der Seufzer Glut. Geschieht mir drum, was einst geschah Narciß dem Schönen an der Flut. *)

*) Miralhs! pois me mirei en te M'an mort li sospir de preon.

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Qu'aissi m perdei, cum perdat se
Lo bels Narcezis en la fon.

Aber Anthemia ist das erste Weib, das mir Ehrfurcht gebietet! Den .

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Du mußt durchaus Schumanns Schriften über Musik lesen, denn auch jedem gebildeten Laien sind sie verständlich. Seitdem ich weiß, wie unendlich Schumann den Hochmeister Beethoven verehrt, übt er, als Größester der Epigonen, immer größere Anziehungskraft auf mich aus. Es ist erhebend, zu lesen, wie Schumann seine Verehrung fundgibt. Das ist freilich kein Wunder, daß ich, der winzigsten musikalischen Pygmäen einer zum weltstürmenden Riesen bewundernd, voll heiliger Ehrfurcht aufschaue. Aber eine Merkwürdigkeit bleibt's immerhin, daß selbst ein so großer Tondichter, wie Robert Schumann, so unbegrenzte Verehrung vor dem Tonmeister Beethoven zur poesievollen Darstellung bringt. Unsere Musiker kümmern sich leider allzuwenig um Schumanns Schriften und könnten doch fast aus jeder Seite heilsame Belehrung schöpfen.

Den Namen Beethoven solltest Du immer unverkürzt schreiben; er ist zu hehr, wahrhaft heilig, er blickt uns so weltverheißend an. Warum kann ich nicht wie viele andere Jünger des hehren Meisters zu seinem Grabe wallfahrten? Welch unsterbliches Gebein birgt die Kaiserstadt Wien? Ich möchte, nach Art des Prieners Bias, mein ganzes Hab' und Gut, das heißt mich persönlich zu Beethovens Grabe tragen und mich dort ganz dem hohen Dienste seiner Welten weihen! Aber das kann ich Dir freudig bekennen: seitdem ich mich immer mehr mit dem Studium meines Hochmeisters und anderer Vornehmen im Geiste befasse, bin ich von keinem Wunsche mehr beseelt, als daß mir ein vollkommen bescheidenes Gemüt zuteil werde, und daß ich immer mehr Befreiung von jedem ehrgeizigen Streben erlange.

Das rein Äußerliche hat nur Trauriges für mich, es wird immer härter. Mein Herz ist voll von Unmut. Täg

lich muß ich meinen Geist von neuem im Verschmerzen üben. Wenn ich es nun auch in dieser Kunst schon stattlich weit gebracht habe, so hat doch auch das Verschmerzen seine Grenzen, die schwer oder gar nicht zu überwindende Klippen werden. Und doch wird mein Charakter durch das Übermaß des Leidens immer fester gestählt; echter Stolz hält mich trot aller Donnerschläge, vom Geschick auf mein Haupt geschleudert, aufrecht und zugleich ergeben. Vergeht mir doch kein Tag ohne wahre Erhebung durch die Ideen Beethovens.

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Zu manchen Zeiten überschleicht mich selbst der eisige Gedanke, daß es Tollkühnheit ist, in so späten Jahren den ungeheuren Stoff der Musik bewältigen zu wollen. Wenn ich von vornherein die fast endlose Reihe schwer zu besteigender Bergmassen lebendig vor mir gesehen hätte, wer weiß, ob ich die gefahrvolle Gebirgsreise unternommen hätte. Nun bin ich einmal unterwegs da muß die Kraft mit den Gefahren wachsen. Überhaupt kennst Du meine leitende Grundidee. Alles will ich zur Verherrlichung Beethovens, alles im Hinblick auf sein heiliges, dornengeschmücktes Erdenwallen tun und erleiden. Und ich habe Dir den göttlichen Genius oft genug vorgeführt. Aber um ein Apostel des Musikheilandes Beethoven zu sein, muß man sich wacker rüsten; ich tue es. — Daß alle auf mich erzürnt sind, weil ich eine dargebotene, glänzende Hauslehrerstelle in einer winzigen Stadt Polens von mir weise, ist etwas, das ich begreife, weil die Menschen meinen Eifer für die Kunst zn verspotten gewohnt sind. Genug! ich werde niemals meinen Geist lebendig begraben, um meinen Leib zu pflegen. Und wenn man mich an solch einem Orte auch ganz mit Gold übersäen wollte ich würde mit höchster Gemütsruhe danken. Leider muß ich annehmen, daß Dir und den anderen Mitwissern in der Familie meine Lebens

weise noch tiefer in die Seele schneidet, als mir selbst. Mir ist's, als wäre es ganz so in der Ordnung. Meine eigenste Erfahrung sagt es mir: je größer mein unverschuldetes Unglück, desto mannesstolzer und unbeugsamer ich!

Den ..

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Heute erfährst Du eine angenehme Nachricht, fie wird Dir gewiß Freudentränen entlocken; ich kenne Dein liebes Gemüt. Meinem Lebenslaufe zeigt sich jezt endlich ein wenig Sonnenlicht; ich beginne frisch aufzuatmen. Ich habe nun endlich wieder ausreichende Beschäftigung als Privatlehrer gefunden, so daß ich wieder menschlich leben kann. Da solche Leiden nun von mir Abschied nehmen wollen, darf ich wohl sagen: ich habe mich fast ein volles Jahr geschunden, wie selten ein Mensch. Hoffentlich kehrt mir solche Zeit des Darbens nicht wieder. Jezt fange ich auch an zu hoffen, daß die Sonne Homers mir bald im Hildebrandtschen Hause lächeln wird. Vielleicht habe ich bald das Glück, Anthemia, meinen Augentrost, zu sehen, zu hören und zu sprechen. Ich ahne es nun einmal und fühle mich glückselig im Vorgefühle solcher Herzenserleichterung, dieser endlich gestillten Sehnsucht.

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Fünftes Kapitel.

Das Evangelium Beethovens.
Die Cis-moll-Sonate.

Im Fleiß kann dich die Biene meistern,
In der Geschicklichkeit ein Wurm dein Lehrer sein,
Dein Wissen teilest Du mit vorgezognen Geistern,
Die Kunst, o Mensch, hast du allein.

Schiller: Die Künstler.

Die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich, wie am ersten Tag.///
Goethe: Fauft.

Der menschenfreundliche, gottverwandte Dichter entführt uns der Schwerkraft der Erde, trägt uns auf seine feurigen Flügel hinauf bis in den Kreis des Himmels, dann senkt er sich, auch seine anderen Kinder zu heben; uns aber zieht die Sonne an.

Börne: Aus meinem Tagebuche.

In Wittigs Zimmer herrschte der Geist der Ordnung und Sauberkeit. Es war dort nichts von jenem bodenlosen Durcheinander wahrzunehmen, das man gemeinhin für ein charakteristisches Merkmal der künstlerischen Genialität ansieht. Stellt das geflügelte Wort „geniale Unordnung“ nicht schon an und für sich, wenn auch nicht einen Widerspruch, so doch ein Paradoxon dar? Die Kunst hat es mit dem Geiste des Geordneten, des Kosmischen zu tun: deshalb wäre der Ausdruck „geniale Ordnung" ebenso so wahr als tief und sinnreich, während der Ausdruck „geniale Unordnung“ einen ästhetischen Widersinn in sich begreift.

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