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könnten. Auch ich konnte mich erst sehr spät mit dem Gedanken vertraut machen, daß er seinen so vielversprechenden wissenschaftlichen Beruf mit dem problematischen eines Musikers vertauscht habe. Von allen Seiten regnete es Vorwürfe, Bitten, Ermahnungen, Belehrungen, deutliche Zeichen von Unzufriedenheit, ja von ernstem Groll über diesen wunderlichen, unfaßbaren Wechsel der Lebensbestrebungen; manche wurden sogar an seinem Verstande irre: allein alle Pfeile prallten von dem felsenharten Panzer seines klaren, festen Willens machtlos zurück. Früher war man entzückt von seinem Klavierspiel, obwohl es doch ganz dilettantenhaft war; jezt aber, wo es anfing, künstlerische Gestalt zu gewinnen, machte man absichtlich nicht viel Aufhebens davon. Seine Künstlerwürde fühlt sich freilich ob solchen Unwesens tief gekränkt, daher zieht er sich immer scheuer von der Gesellschaft zurück. Auch bei uns ist er jezt ein sehr seltener Gast. Wer weiß, liebe Emma, ob es gut ist, daß ich so tiefe Einblicke in das Geisteswalten dieses Mannes tun durfte. Ach, mißdeute mein Seufzen nicht. Hat er denn jezt nach so qualvollen Zeiten noch keine Aussicht, daß sich ihm irgendwie die rettenden Hilfspforten auftun?

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Ach ja, entgegnete Emma, dem Himmel sei dank; ihn erwartet jezt wieder eine lohnendere Privattätigkeit. Ich selbst habe ihn mehreren Familien angelegentlichst empfohlen.

Auch folgendes ist für sein eigenartiges Leben charakteristisch. Es ist uns beiden nur allzu einleuchtend, daß ein so übermäßig betriebenes Musikstudium, verbunden mit der elendesten Ernährungsweise, das körperliche Gedeihen untergraben mußte. Verschiedene Leute seiner Bekanntschaft, die keine Ahnung von seinem Doppelleiden hatten und sein krankhaftes, abgehärmtes, leidensvolles Aussehen beobachteten, sagten sich wohl, daß Wittig jezt ein recht wüstes, schwelgerisches Leben voller Lust und Ausgelaffenheit führen müsse. Wie sollten sie sich sonst sein abgezehrtes, blasses Gesicht

deuten? Bisweilen wurden ihm folche Mutmaßungen klar und offenbar; bedenke, wie ein derartiges Verkennen des reinsten Strebens auf sein Gemüt einwirken wußte. Er trank auch diesen Tropfen willig aus dem Kelche seiner Leiden.

Wie heilsam könnte doch oft manch unnüz verschwendetes Gut verwendet werden, bemerkte Anthemia wehmutsvoll. Wie schwer muß alles dieses auf seinem Geiste lasten? Und doch ist er noch ganz ungebeugt?

Nicht allein ungebeugt, sondern männlich stolzer denn jemals, belehrte sie Emma. Seine erlangte sittliche Würde und vor allem Beethoven, der Mensch und Künstler, halten ihn in allen Drangsalen seines Lebens aufrecht. An diesem höchsten Leitstern rafft er sich stets wieder auf, mag er auch noch so daniedergebeugt sein.

Ich bin dir wahrhaften Dank schuldig, sprach Anthemia mit fast hastiger Unruhe, indem sie sich erhob. Heute gehe ich wohl einer traumreichen Nacht entgegen. Wie vieles hat jezt mein armes Hirn zu erwägen und zu verarbeiten, ich bin ganz voll von diesen Eindrücken. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß es in unserer schreckhaft nüchternen, materiellen Zeit einen solchen radikalen Idealisten gäbe! Doch nun, herzenstraute Emma, muß geschieden werden. Wann sehen wir uns denn wieder?

Jedenfalls nächsten Sonntag bei uns zu einem kleinen Familienmahle, antwortete Emma, während ihren Mund wieder jenes schalkhafte Lächeln umspielte. Ich zähle mit Bestimmtheit auf dich. Nicht wahr, du kommst, Anthemia?

Gewiß, gewiß, liebe Emma, von Herzen gern; aber ich hoffe, dich jedenfalls noch vorher bei mir zu sehen. Wir wollen bald wieder bei mir nach Herzenslust musizieren; wer weiß, ob ich dir nicht noch allerlei zu erzählen haben werde. Doch nun Adieu, Herzens-Emma!

Die Freundinnen umarmten und küßten sich.

Anthemia fuhr unter seligem Sinnen nach Hause.

Viertes Kapitel.

Das Wunder der Beethovenschen Tonmacht.

Sich so verscheucht

Von dem zu finden, den man hochzuschätzen
Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen
Und doch so angezogen werden! Traun,
Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,
Ob Menschenhaß, ob Schwermut siegen soll.
Oft siegt auch keines: und die Phantasie,
Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,
Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald
Das Herz den Kopf muß spielen.

Lessing: Nathan der Weise.
Du mußt glauben, du mußt wagen,
Denn die Götter leihn kein Pfand;
Nur ein Wunder kann dich tragen
In das schöne Wunderland.

Schiller: Sehnsucht.

Edgar Wittig hatte das erste Jahr seines Musikstudiums hinter sich. Das Erringen der notwendigen Doppeltechnik für die ausübende und selbstschöpferische Kunst kostete körperlichen und geistigen Schweiß. Wie oft mußte er an die Wahrheit des Hesiodeischen Ausspruches erinnert werden, daß die Götter den Schweiß vor die Tüchtigkeit gestellt haben (Τῆς ἀρετῆς ἱδρῶτα θεοὶ προπάροιθεν ἔθηκαν)!

Viel eher gelang es ihm mittlerweile, die Schwierigkeiten der Kompositionstechnik, als diejenigen der klavieristischen Fertigkeit zu überwinden. Die in der Jugendzeit mechanisch gar nicht geschulten Finger spotteten selbst seiner Riesen

anstrengungen: die Fingernatur ließ sich nun einmal nicht ummodeln.

Wenn Wittig Pianisten und Pianistinnen hörte, die zum großen Teile keinerlei Verständnis, gar keinen offenen Sinn für die Heiligkeit der Kunst hatten und die doch mit glänzender Fertigkeit spielten und prunkten, dann drohte ihn hernach die Verzweiflung zu übermannen.

Warum war es ihm mit der unendlichen Liebe, Begeisterung und Aufopferungsfähigkeit für die Tonkunst versagt, in ihrem Tempel als ein echter Priester zu schalten? Wozu in eine Seele die glühendste Verehrung für den Weltgeist Beethoven pflanzen, ohne ihrem Körper die Macht zu verleihen, die innerlich wohnenden Ideen von der eigenartigen Wunderherrlichkeit eben dieses Genius auch nach außen hin lebensvoll zu gestalten? Heißt das nicht untilgbaren Schmerz in ein überströmendes Gemüt legen?

Es gehörte zu Edgars Trostmitteln, seine Seelenleiden in Briefen an seine geliebte, treue, gleichartige Schwester austönen zu lassen. Diese Schwester allein verstand ihn, liebte ihn, glaubte an ihn und hoffte auf ihn.

Einige Brieffragmente aus dieser Zeit werden das Bild dieses werdenden Künstlers in seinen Doppelbeziehungen zum Leben und zur Kunst vervollständigen.

Den .

Du wunderst Dich, daß ich nicht ausführlich genug meine Lage schildere. Ich mag's aber nicht tun. Wozu meine Trostlosigkeit bis in die kleinsten Fasern hinein malen! Mein Los ist schreckenerregend. Ich staune, daß meine fünf Sinne noch in Ordnung sind. Immer diese Doppelqual der Musikleiden und der Lebensarmut. Meine Kraft Wie schade, wird sie nicht bald gebrochen sein? daß Du nicht musikalisch bist. Dann könntest Du empfinden, wie Dir aus mancher Beethovenschen Sonate der eigenste Schmerz herauszutreten scheint, wie der Trost einkehrt, wenn

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die wild wogenden, schmerzensvollen Tonfluten unser gramerfülltes Herz noch mehr durchwühlen. Mag so das Herz um und um gerüttelt werden gedenken wir dann doch recht der kalten Menschen! Den .

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Bei mir soll die Kunst nie nach Brot gehen, dafür muß die Philologie sorgen. Und ich bin mit mäßigem Brot ganz zufrieden. Das Reale muß noch immer mehr bei mir verschwinden, wenn ich im Tempel der Kunst_weilen will. Ich komme mir selbst so rätselhaft mit meiner Kunst vor, weil ich weiß, daß ich an keiner eingebildeten Neigung leide. Ich werde darum auch ewig mit meinem Geschick grollen, das mich so sonderbar spät von dem Glorienscheine der Musenkunst bestrahlen ließ, wenn es mir nicht gelingen soll, ganz in ihr heimisch zu werden. Da stehe ich zwischen zwei Dämonenscharen eingerammt: die eine Schar frohlockt schon über meinen unvermeidlichen Sturz, die andere umspinnt mich mit den süßesten Hoffnungen. Ich aber muß taub gegen all diese Einflüsterungen sein, der Kunststimme allein will ich folgen. Materiell gipfeln die Schwierigkeiten zu erschrecklicher Höhe an. Doch es wird kein Einwand mehr fruchten; also verschone mich damit, geliebte Schwester. Ich habe den Kampf mit so vielen feindlichen Mächten unternommen: fiegen will ich, oder ehrenvoll unterliegen, nimmermehr mich in Feigheit zurückziehen.

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Ich tröste mich allerdings: und es ist ein erhabener Trost, wenn ich an die Leiden wahrhaft großer Geister denke, bei denen sich mit wenigen Ausnahmen das Wort bewahrheitet hat: „Der ungeschundene Mensch wird nigt ergogen" (Ὁ μὴ δαρείς ἄνθρωπος οὐ παιδεύεται). Θα nach müßte ich nun bald die Palme der Erziehung davontragen. Der Ernst des Schicksals hat mich schnell zum Manne gereift. Ich bin seit langer Zeit in der schönsten

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