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sein doppelseitiges Dasein fristen. An den Kindern jenes Herrn *** hatte bereits eine beträchtliche Anzahl von Lehrern vergeblich ihre pädagogischen Fähigkeiten verschwendet. Herr *** schien voller Zufriedenheit mit Wittigs Leistungen. Allein nach einiger Zeit, am Ende eines Monats, erhielt Wittig, ohne irgendwie darauf vorbereitet zu sein, ein Billet, worin ihm dieser Reiche kundtat, daß er sich wegen einer Unpäßlichkeit seines ältesten Sohnes genötigt sehe, Wittigs Unterricht ganz aufzugeben. Es wurden aber von unserem Freunde der Kinder drei unterrichtet. Von irgend einer Entschuldigung oder Entschädigung war nicht die leiseste Andeutung bemerkbar. So wurde urplöglich der arglose, vertrauensselige Wittig durch die Rücksichtslosigkeit eines angesehenen, gebildeten, reichen Mannes fast um seine ganze Daseinsmöglichkeit gebracht. Ich wundere mich durchaus nicht über die Unmutswolken, die sich auf deiner Stirn ansammeln, liebe Anthemia. Geht es mir doch heute noch immer so, wenn ich daran erinnert werde.

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Und wie nahm dein Freund dieses bittere Ereignis auf? fragte Anthemia, den Blick voll Angst auf Emma ge= richtet.

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Zuerst wallte sein Blut mächtig auf, erwiderte die Gefragte, denn sein Wesen hatte sich damals noch nicht die unerschütterliche Seelenruhe angeeignet, die ihm jezt eigentümlich ist. Es verlangte ihn, jenem Manne in scharfen Ausdrücken dessen arge Gewissenlosigkeit vorzuhalten: allein bald folgte er seinem edleren Ich und suchte sich diese verhängnisvolle Begebenheit ganz aus den Sinnen zu schlagen. Es hielt freilich schwer, denn er fand anderweitig nur einen höchst geringen Ersak für den Verlust jener Privatstellung. Daß man in solchen Fällen doch auch die Hilfe der Staatsgefeße anrufen könne, davon hatte unser Wittig damals freilich keine Ahnung. Solch ein Gedanke wäre ihm nicht im Traume eingefallen.

Jezt aber zeigte sich seinen Blicken

ein trostloser Abgrund. Die große Menschenmehrheit in ihrer kläglichen Torheit und Schwachheit ist zu glauben ge= neigt, daß ein Jünger der Wissenschaft, der sie als Berufs= objekt aufgibt und sich der Kunst widmet, damit zugleich die Fähigkeit verliert, wissenschaftlichen Unterricht zu erteilen.. Das Vertrauen zu Wittigs Lehrtüchtigkeit in den wissenschaftlichen Disziplinen ward zusehends geschwächt, — die Überzeugung von seiner musikalischen Lehrbefähigung war aber durchaus noch nicht vorhanden. So kam er in die furchtbarste Lebensnot. Er mußte elender darben als der geringste Tagelöhner. Höre das Unglaubliche: fast ein ganzes Jahr hindurch bestand sein Mittags- und Abendmahl lediglich aus Brot. Und doch wurde die Musik mit rasender Begeisterung gepflegt und jedes noch so hohe Opfer wurde

ihr leichten Herzens dargebracht. Du weinst, Anthemia. Ich wußte es wohl, daß sich deine Augen mit Tränen anfüllen würden, gutes, edles Herz. Du weißt jedoch noch nicht alles. Die machtvollste Triebfeder zu dieser heroischen Aufopferung war der Riesengeist des unsterblichen Beethoven. Dem Rufe dieses Einzigen mußte unter allen Umständen Folge geleistet werden, mochte die Not noch so groß sein. Was Wunder, daß außer den Geldopfern, die seine eigentlichen Musikstudien erheischten, die Konzerte kein geringes Quantum verschlangen. Wohl noch nie hat jemand so in Beethovenschen Symphonieen geschwelgt, wie dieser junge Musiker. Und wohl nie hat jemand diesem Hochgenuß so schwere Opfer gebracht, wie er. Nicht nur, daß er unbe-. denklich den lezten Heller fortgab, wenn es galt, eine der unvergleichlichen symphonischen Schöpfungen dieses Tonmeisters anzuhören, er veräußerte bisweilen sogar Wertsachen um dieses einzigen Zweckes willen. Neben dieser Hauptleidenschaft ward er bald von einer Spezialleidenschaft für Beethovens siebente Symphonie in A-dur beherrscht. Da mochte nun schlechterdings alles Mögliche und Unmögliche

Kalischer, Die Macht Beethovens.

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vorfallen: das Anhören dieser Symphonie wurde niemals von ihm verabsäumt, gleichviel, welches Orchester sie zur Aufführung brachte. Das wußten auch bald viele seiner Bekannten und Freunde, daß sein Ich von der Aufführung der A-dur-Symphonie unzertrennlich sei. Ich habe es selbst erlebt, daß er bei uns an der Sonntagstafel manch ein verwöhntes Frauenherz verletzte, wenn die eine oder die andere ebenso beredt als vergeblich bitten mußte, er möchte das bevorstehende Symphonie-Konzert doch einmal ihr zuliebe opfern. Die A-dur-Symphonie hatte größere Macht über ihn als der liebreizendste Frauenmund. Kannst du dir das zusammenreimen?

Nicht vollkommen, antwortete Anthemia, während ein schmerzensreicher Zug ihrem Wesen etwas besonders Erhabenes verlieh. Wie sehr ich auch die ersten drei Sähe dieser Tondichtung bewundere und liebe: ich kann mir den vierten Sah doch gar nicht in psychologischen Zusammenhang mit den anderen Säßen bringen. Aber dieser Künstler häuft mir Wunder auf Wunder. Ein solcher Grad von Beethovenbegeisterung würde mir völlig unglaublich erscheinen, wenn du, Einzige, mir nicht für die volle Wahrheit bürgtest.

Den Farben, mit denen ich dir dieses Lebensbild entwerfe, teure Anthemia, könnte man wahrlich eher den Vorwurf machen, sie seien zu matt, als den, daß sie zu grell find. Ich kann geradezu sagen, daß sein Leben seit langer Zeit völlig in Beethoven aufgeht. Den Tag beginnt und beschließt er mit diesem Geiste. Hat er in der Frühe aus einer Beethovenschen Sonate sittliche Stärkung gewonnen, dann beginnt sein Tagesstudium. Betritt man seine Häuslichkeit, so findet man ihn entweder an einer Beethovenschen Sonate übend, oder eine Partitur dieses Meisters studierend oder Bücher lesend, die das Leben dieses hohen Geistes behandeln. Hier habe ich noch eine Sonett auf Beethoven,

das er einst während eines Symphonie-Konzertes dichtete: das muß ich dir doch noch vorlesen. Höre:

Beethovens Weihe.
Sonett.

Versunken in gar wundersames Träumen,
Saß wachen Sinnes Beethoven, der Knabe;
Er träumt von ungeahnter Himmelsgabe,
Er ahnt ein Reich von unbegrenzten Räumen.

Da rauscht es über urgewalt'gen Bäumen,
Es fliegt mit Zeus' umkränztem Donnerstabe,
Damit Musik nun einen König habe,
Herbei der Vögel Herrscher ohne Säumen.

Sanft schlummert längst das Kind vom Götterstamme;

Der Aar berührt des Knaben Wunderscheitel

Mit jenem gold'nen Scepter schnell und lange:

Und Polyhymnia mit Zauberklange
Entfernt von Beethoven, was Göttern eitel,

Und weihet ihn zu hehrem Gotteslamme.

Dieses Gedicht, bemerkte darauf Anthemia, könnte mich zu allerhand Gedanken anregen. Zunächst bin ich, die Griechentochter, hocherfreut, immer wieder zu erkennen, wie tief in Herrn Wittig die Neigung für Hellas wurzelt. interessantesten war mir der Schluß mit seiner merkwürdigen Verschmelzung antik-heidnischer Mysterien und christlicher Symbolik.

Am

Ja, ein begeisterter Hellenist ist er, Anthemia, das weiß der Himmel; ich denke mir auch aus diesem Gesichtspunkte seine Freude unendlich, wenn er 'mit dir feinsinnige Gespräche über die göttlichen Hellenen und seinen unsterblichen Beethoven führen könnte. Ich habe nur diese zwei Leidenschaften, sagte er uns vor einiger Zeit: Beethoven und die Griechen, vornehmlich die Athener. Wie du doch abermals so lieblich errötest!

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- Du bist doch unverwüstlich in deinen schelmischen

Neckereien, Emma. Sage mir aber noch: hat er dir denn auch selbst von seiner bejammernswerten Lebensweise gesprochen? Die Augen Anthemias drückten dabei rührendste, innigste Teilnahme aus.

Das nun gerade nicht, sprach Emma. Er ist schon im allgemeinen verschlossener Natur; am allerwenigsten kommt so ohne weiteres eine Klage über seinen Mund. Aber sein düsteres Aussehen, die festgeschlossenen Lippen, die sich niemals dem Lachen zu öffnen schienen, führten eine Sprache trüber Beredtsamkeit. Doch bis vor kurzer Zeit hatte ich selbst keine Ahnung von einer derartigen Tiefe des Elends. Ein Zufall enthüllte mir das Schreckliche. Ich erfuhr es von einem seiner Freunde, der sich einmal bei uns eine darauf hinzielende Äußerung entschlüpfen ließ, so daß alles zu meiner Kenntnis gelangte. Aber Wittig hat keine Ahnung davon, daß ich es weiß, wie sehr er gedarbt hat und noch darbt. Und er brauchte Körper und Geist nicht zu martern, wenn er die Musikkosten beseitigen wollte. Doch das durfte um keinen Preis geschehen, sollte er auch gänzlich dabei zugrunde gehen. Dann verkünde ich's in deine Seele: Dieser Mann mit seiner unerschütterlichen Opferfreudigkeit muß ein Schüßling des lorbeerspendenden Gottes sein!, rief Anthemia begeistert aus, aus den Augen leuchtend, wie die prophetische Sibylle. Auch ich erwarte Großes von diesem hohen Geiste, bemerkte Emma, aber vielleicht auf einem anderen als musikalischen Felde. Übrigens gesellten sich zu seinem freiwilligen Kunstmärtyrertum auch andere unvorhergesehene Leiden mancherlei Art, besonders der quälende und nagende Gedanke, daß es mit den musikalischen Fortschritten so mühselig schleichend ginge, zumal inbezug auf die Klaviertechnik. Der Fingertrok war vielleicht natürlicher als sein Willenstrok. Dazu kam auch noch das allseitige, lästige, obgleich durchaus wohlgemeinte Abraten von einer Kunst, in welcher ihm nach dem Urteile der Meisten keine Rosen erblühen

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