Page images
PDF
EPUB

Nach dem trübsten Erdenleid ward Beethoven die seligste Unsterblichkeit zuteil. Wie wonnetrunken ward das Auge, als es diese ehrwürdige Geisterschar musterte, diese Träger und Lehrmeister der höchsten Gedanken aus allen Ländern und Zeiten.

Da erblickte ich auch mehrere schwarze Hunde. Besonders auffallend unter diesen war der bekannte „rhetorische Hund“, der unter dem Sessel des greisen Homer lag. Auf dieser Hundestirn war deutlich zu lesen: Zoïlus, Homeromastix (das heißt: Geißel des Homer). Zu den Füßen des verherrlichten Beethoven kauerten mehrere Hunde, am kläglichsten anzuschauen ein mürrischer Köter mit russischer Schnauze, auf dessen Stirn zu lesen war: Alexander Ulibischeff, Homeromastir II.

[ocr errors]

Eben wollten sich die herrlichen Genien an die reichge= schmückte Tafel begeben, eben schickte sich Beethoven an, eine Ansprache an diese verklärte Geistergesellschaft zu richten, als ich erwachte: voll Unmut, aus dem schönsten Lebenstraume so unbarmherzig aufgerüttet zu sein.

A

Elftes Kapitel.

Eine freudenvolle Überraschung.

D, wie hab' ich geschmachtet in öder Fremde!
Gleich einer welken Blume

In des Botanikers blecherner Kapsel

Lag mir das Herz in der Brust.

Mir ist, als saß ich winterlange

Ein Kranker, in dunkler Krankenstube,
Und nun verlass' ich sie plöglich,
Und blendend strahlt mir entgegen

Der smaragdne Frühling, der sonnengeweckte,
Und es rauschen die weißen Blütenbäume,
Und die jungen Blumen schauen mich an
Mit bunten, duftenden Augen,

Und es duftet und summt und atmet und lacht,
Und im blauen Himmel singen die Vöglein.

H. Heine: Buch der Lieder (Meergruß).

[ocr errors]

n einem heiter blickenden Frühlingstage, wie hehrer Himmelsduft die menschliche Seele erquickend, fuhr ein simpler Wagen durch einen Schlagbaum, der das russische Gebiet vom preußischen Nachbarstaate scheidet.

Im Wagen saß ein kaum dreißigjähriger junger Mann, dessen ganzes Antlig immer mehr von freudigem Glanze überzogen wurde, als er an das Widerspiel zwischen der eben verlassenen russischen Unsauberkeit und den sich immer lieblicher ausbreitenden Zeichen von Reinheit und gesittetem Wesen seines so heiß ersehnten Vaterlandes dachte.

Der Wagen hielt vor dem Bahnhofe der kleinen, schmucken Grenzstadt an. Nachdem der junge Mann den Kutscher

zufriedengestellt hatte, blickte er mit dem Ausdruck des höchsten Entzückens um sich.

Es war Edgar Wittig, der nach langem Schmachten im Zarenreiche trunken von reinster Seligkeit die vaterländische Luft in langen, kräftigen Zügen einschlürfte.

An diesem Tage gab es gewiß keinen Glücklicheren unter der ganzen großen Sonne, als Edgar. Eine so freudige Kühnheit strahlte aus seinen Augen, als wäre die weite, weite Welt sein unumschränktes Eigentum.

Dicht am Bahnhofe befand sich ein kleiner, sorgfältig gepflegter Park, offen für das Publikum. Edgar trat ein und suchte sich einen verborgenen Rasenplah aus. Hier kniete er nieder und füßte den vaterländischen Boden so inbrünstig, als hielte er das himmlischeste. Weib in seinen Armen. Diesen Kuß hatte Edgar längst während seines Hinwelkens im Russenlande der heiß ersehnten heimatlichen Erde gelobt.

In diesem Städtchen mußte er sich mehrere Stunden aufhalten, ehe der Eisenbahnzug abging, der ihn weiter befördern sollte. Edgar lustwandelte noch eine geraume Zeit in den Gängen des freundlichen Parkes, wobei sein ganzes Wesen den Abglanz der vollsten Glückseligkeit zur Schau trug, und begab sich dann in den Speisesaal.

Edgar musterte die Gesellschaft, ohne auf bekannte Gefichtszüge zu stoßen.

Er stand eben auf dem Punkte, einen Plaz an der Tafel einzunehmen, als sein Blick in das kleine angrenzende Zimmer fiel.

Wie festgebannt blieb sein Auge und sein ganzer Körper. Was war das? Ein lebendiger Traum bei wachem Zustande? Erblickte er nicht dort an einem Tische leibhaftig Anthemia in Gesellschaft einer würdevollen Frau und eines ältlichen Herrn? Der ganze Atem stockte ihm vor innerster Aufregung; es konnte keinem Zweifel unterliegen: dort im kleinen Extrazimmer saß Anthemia mit ihren Eltern.

Glücklicherweise war er von diesem Kreise noch nicht bemerkt worden. Nachdem er sich von seinem tiefen Erstaunen erholt hatte, näherte er sich festen Schrittes dem Tische, an welchem Anthemia nebst ihren Angehörigen saß.

Erst als Edgar ihrem Plate ganz nahe kam, wurde Anthemia seiner ansichtig. Die herrliche Maid aber ward durch seine ihr ganz unerwartet kommende Erscheinung so urmächtig überrascht, daß sie zuerst ganz sprachlos sizen blieb, Edgar wie ein unglaubliches Wunder anstarrte und seinen volltönenden Gruß zu überhören schien.

Endlich gewann Anthemia ihre Fassung wieder, stellte Edgar ihren kaum weniger erstaunten Eltern vor und bat ihn, sich zu ihnen zu sehen.

Edgar blickte mit großem Wohlgefallen auf diese würdigen Gestalten.

Aber, um alles in der Welt! wie kommen Sie hierher, Herr Wittig? fragte Anthemia, noch immer sehr verwundert blickend.

[ocr errors]

Ich bin, mein gnädiges Fräulein, gewiß noch überraschter, Sie in diesem Grenzorte zu finden, als es Ihnen mit mir ergehen kann. Sie wissen es gewiß, daß ich vor längerer Zeit Deutschland verließ, um in Rußland eine Stellung als Erzieher und Lehrer zu bekleiden.

Das weiß ich sehr wohl, antwortete Anthemia; Emma hat es mir geschrieben. Darum glaubte ich Sie tief im Zarenreiche: und nun sehe ich Sie auf deutschem Boden wieder. Uuternehmen Sie nur eine Vergnügungsreise in Ihr Vaterland, um späterhin wieder nach Rußland zurückzukehren?

Um alles in der Welt nicht! entgegnete Edgar. Hat es Ihnen denn dort so sehr mißfallen, mein Herr? fragte Anthemias Vater.

nennen,

In jeder Beziehung. Das war für mich kein Leben zu das war ein anhaltendes, langsames Hinsterben,

Das kann ich mir bei Ihren idealen Kunstbestrebungen wohl erklären, bemerkte darauf die noch immer schön aussehende, stattliche Mutter Anthemias. Unsere Tochter hat uns so viel von Ihnen erzählt, daß ich wahrhaft erfreut bin, so schnell und so unerwartet Ihre Bekanntschaft zu machen.

Sie sind sehr freundlich, gnädige Frau, verseßte Edgar, sich leicht verneigend. Sie werden es wohl begreiflich finden, daß ich mich unendlich freue, die Eltern einer so hochbegabten, kunstverklärten Tochter kennen zu lernen.

[ocr errors]

Mitunter, sagte Anthemia anmutsvoll lächelnd, gesellt sich auch bei Herrn Wittig zur reinen Wahrheit ein Anhauch von Schmeichelei.

[ocr errors]

Wenn Ihnen Ihr Fräulein Tochter sprach Edgar, zu den Eltern Anthemias gekehrt - viele Keime solcher Eigenschaften von mir enthüllt hat, dann werden Sie sich ja eine recht erbauliche Vorstellung von mir gemacht haben.

So folgt Schlag auf Schlag, entgegnete Herr Palleukos in jovialem Tone. Doch Scherz beiseite! So viel darf ich Ihnen freudig eingestehen: seitdem meine Tochter aus Deutschland zurück ist, wird Beethoven mit einer Vorliebe von ihr kultiviert, wie nie zuvor. Aber nicht allein seine Musik, die ganze vorhandene Literatur über diesen Göttlichen wurde nach und nach von ihr mit wahrem Heißhunger verschlungen. Und Sie sind doch allein als wesentliche Triebfeder zu dieser hochedlen Beschäftigung anzusehen. Das muß Ihrer Seele wahrlich keine geringe Genugtuung verschaffen.

Das muß ich dankend anerkennen, versezte Edgar. Es erfüllt mich mit unendlicher Freude, daß ich etwas beigetragen habe, ein Gemüt der beseligenden Kraft Beethovens in die Arme zu führen. Aber noch weiß ich es nicht, welchem Umstande ich das hohe Glück verdanke, Sie hier begrüßen zu können, eben nachdem ich aufs neue meinen teuren deutschen Boden betreten habe. Der Wahrheit immer die

kalischer, Die Macht Beethovens.

17

« PreviousContinue »