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Ehrgeiziger Menschensinn! säume nicht, dich unaufhörlich in der Geduld zu üben, auf daß die Gewalt des Ehrgeizes nicht die verderblichen Dämonen aus dem geheimnisvollen Schachte deiner Seele heraufbeschwöre. Die hohe Lust an heiliger Himmelswahrheit, wie an der eisenfesten Mannhaftigkeit wird der Ausartung des Ehrgeizes den kräftigsten Zügel anlegen.

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O Mensch, was sicht der äußere Lebensglanz dich an! Was verlockt dich die Sirenenstimme des Ruhmes! Laß dich nicht vom Glanze, nicht vom Ruhme bestricken, Laß sie nimmer einen trüben Fleck auf deine Wahrheit als Künstler und Mensch werfen. Strengste Wahrheit sei deine unumschränkte Herrscherin. Bleiben trotzdem Glanz, äußerer Ruhm und äußere Ehren deinem Lenze fern, dann begnüge dich seelenstolz mit dem schöneren Ruhme eines reinen Menschen, der innere Ehre besitt.

Leistungen, Gedankenarbeiten, die den Stempel des Ungewöhnlichen, Eigenartigen an sich tragen, liebt die Unzahl derer, so auf gleichem Gebiete wirken, aber ruhmlos, schablonenhaft, mit vornehmem Stillschweigen abzulehnen. Freilich spricht nichts beredter für die hohe Bedeutung solcher Geistestaten als eben dieses Nichtssagen, Todschweigen.

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Wie schwach ist doch der Menschengeist! Kann er wohl je ganz dem Walten seiner Idee nachsinnen, ihr allein in eifriger Liebe die geheimen Tränen tiefster Seelenfreude und tiefster Seelenpein nachweinen? Lockt ihn nicht der Zauber schnell hinwelkenden Erdengenusses fort aus seinem heiligen Haine? Belastet er nicht den in Reinheit aufstrebenden Sinn mit dem steten Hang nach irdischer Lust und Herrlichkeit? Sonnt er sich wohl je allein in der Ätherhöhe seines selbsterschaffenen Himmelslichtes? Was für goldene Hütten zaubert

die stets geschäftige Phantasie seinem Geiste wach! Wie die eitle Pracht, der sturmeswild vernichtende Brand der Ruhmsucht sein Mark heimsucht, in heiße Gärung bringt, so daß lange Zeiten vergehen müssen, eh' der Fieberwahn, die unsäglich nagende Sehnsucht nach Herrschaft im Reiche der Geister vor der reinen Freude an Gedankenarbeit gewichen ist! Spät genug, manchmal wohl zu spät, gewahrt der Geist den Abgrund, in den ein nichtig Schattenbild höhnisch grinsend ihn stürzen wollte. Gelangt die Seele wieder zur stillen, friedvollen Einkehr, dann schilt sie ihr eigenes törichtes Beginnen, das um hohle Scheingebilde dem Weben und Sinnen im reinen Ideal, dem höchsten, weltüberwindenden Sein auf lange Zeiten entfremdet ward, auf Zeiten, die sich ohne Frucht für das Seelenheil im flüchtigen Lebensrausche gar zu sehr gefallen haben.

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Für den schaffenden Geist ist stille Zurückgezogenheit, Einsamkeit der wirksamste Hebel zur Vervollkommnung. Die Lauterkeit der Seele fühlt sich im Lebensmeere nur allzuoft gereizt, verlegt. Zart empfindende Gemüter verwunden sich oft unheilsam an Lebensvorgängen, von denen andere Herzen durchaus keinen störenden Eindruck empfangen. Je einsamer, dem erhabenen Gedankenfluge ergebener sich ein Mensch entfaltet, desto schöner hallt der Glockenton der Genienharmonie in seinem Geiste wieder. Der Hauch feierlichen Friedens umfängt sein dichtendes Gemüt, der ätherische Duft göttlicher Liebesallmacht erfüllt den einsam Beglückten.

Arbeite emsig daran, daß dein Sinn, während du schaffend das Geistesall in dir gestaltest, nicht an den Erfolg von außen her gemahnt wird. Das kann dem Aufschwunge der freien Seele nur hinderlich sein. Lebe allein in der künstlerisch-poetischen Idee, in den Objekten deiner Darstellung.

So wie den Menschen eine selbständige Erscheinung gegenübertritt, werden sie in ihrer inneren Schwäche angefaßt. Ruhige Würde erscheint ihnen als Anmaßung; feste, klare Urteilskraft als Zeichen der Überhebung, weil sie selbst ja stets gewohnt sind, sich gegenüber dem Urteile der Autoritäten als gedankenlose Papageien zu verhalten.

In der Jugendblüte der geistigen Tätigkeit sind wir noch in zu hohem Maße der Sucht, dem Zehrfieber untertan, daß die Welt von unseren Werken erfahre, daß sie uns bewundere und wohl gar bewundernd zu unseren Füßen liege. Je klarer sich das Menschendasein in unseren Köpfen gestaltet, je tiefer wir von der wahren Welteitelkeit durchdrungen sind, desto mehr und immer mehr wird sich all unser Streben, Denken, Fühlen, Empfinden allein den ewigen Ideen der Menschheit hingeben, die zu ihrer steten Vervollkomm= nung dienen müssen. Sind dann die äußerlichen Mißverhältnisse auch noch so tief zu beklagen: das Weben in der idealen Welt wird sich in uns immer großartiger, beglückender und beseligender gestalten. Nicht allein die Sehnsucht nach einer anderen, höheren Welt, sondern auch die zuversichtliche Erwartung einer solchen wird so in stetem Wachstum begriffen sein.

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Neuntes Kapitel.

Die Charakterherrlichkeit Beethovens.

Unabhängigkeit adelt die Seele und erhebt den Geist.
Beethoven: Lebensmaxime.*)

Ihm war nie zu vergleichen ein Mann von den Erdebewohnern.
Homer: Ilias. **)

Sehn wir den Größern tragen unsern Schmerz,
Kaum rührt das eigne Leid noch unser Herz.

Shakespeare: König Lear. ***)

Was unsterblich im Gesang soll leben,
Muß im Leben untergehn.

Schiller: Die Götter Griechenlands.

n einem eleganten, vielbesuchten Weinlokale der Residenz saßen eines Abends mehrere Freunde Edgar Wittigs, die Leutnant von Sickingen zu einem Abendschmause eingeladen hatte. Außer dem Gastgeber befanden sich daselbst noch drei geistvoll aussehende junge Männer: der Philosoph Freimann, der Schriftsteller Honrath und der Musiker Vulpius alle etwa dem dreißigsten Lebensjahr nahe.

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allein fehlte noch immer.

Edgar

*) Vgl. A. Schindler: Biographie von L. van Beethoven II, 32. **) τῷ δ ̓ οὔ πώ τις ὁμοῖος ἐπιχθόνιος γένετ' ἀνήρ.

***)

Homeri Ilias II, 553.
When we our betters see bearing our woes
We scarcely think our miseries, our foes.

Shakespeare: King Lear.

Die Stimmung der jungen Geister war die rosigste von der Welt. Noch befanden sie sich ja alle in jenem beglückten Stadium des Daseins, in dem ein jeglicher sich wie ein titanischer Atlas vorkommt, der das ganze Weltall auf seinen urkräftigen Geistesschultern leichten Mutes forttragen kann. Ihr kaustischer Wih sprudelte in unversieglicher Macht. Alles wurde vor das Richtbeil des Gedankens gebracht und wahrlich blutwenig blieb in Kunst und Wissenschaft von der Hinrichtung verschont.

Endlich rief von Sickingen ungeduldig aus:

stecken?

Aber wo in aller Welt mag Wittig denn heute

Diese Frage könnten Sie sich wohl sehr gut selbst beantworten, antwortete Freimann lachend. Wissen Sie denn nicht, daß heute abend Symphoniekonzert ist? Da schwelgt Freund Wittig wieder einmal in A-dur-Genüssen. Ich wünschte, ich besäße seinen unverwüstlichen Enthusiasmus, sagte Vulpius mit einem Anhauche von Wehmut. Wenn ich den Tag hindurch Musik getrieben habe, dann mag ich des Abends keine Töne mehr.

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Da müssen Sie sich Wittigs Musikmagen anschaffen, bemerkte Honrath ironisch. Die musikdurchwürzte Tageszeit macht ihn erst recht für symphonische Freuden empfänglich. Bei mir freilich, entgegnete Vulpius, ist die Zeit längst verschollen, in der ich für meine Kunst alles hinzuopfern bereit war. Wie der Mensch nun einmal so gern geneigt ist, sich vor seinem eigensten Gewissen rein zu baden: so suchte auch ich manch empordringenden Mahnruf des vernehmlich flüsternden Gewissens durch den stillen Gegenruf zu betäuben, daß heutzutage dem ganzen Zeitgeiste nach, der ja mit materiellen Molekülen übermäßig durchschwängert ist, eine reine, völlig uneigennüßige Aufopferung für die Kunst zur Unmöglichkeit geworden ist. Und so begleitete ich anfangs diese beispiellose Aufopferungsfreudigkeit unseres Freun

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