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och einmal kurz vor ihrer Abreise nach Griechenland traf Anthemia mit Edgar im Hildebrandtschen Hause zusammen.

Die Wolken schauten trübe herein auf die hier Versammelten. Aus Edgars Phantasieen am Klavier erklang es wie unstillbare, leidenschaftliche Wehklage. Was half es, daß trozige Tonwellen sich dem bitteren Geschick entgegenwarfen? Das Ende blieb eine trostlose Leere.

Erst der glückliche Gedanke Anthemias, ein Beethovensches Adagio vorzutragen, geeignet, der heute obwaltenden Stimmung die Weihe des Genius zu verleihen, verschaffte den zagenden Gemütern Linderung.

Anthemia spielte das tiefsinnige Adagio der ersten B-dur-Sonate (op. 22), das, wie kaum ein anderes Werk dieses Tondichters, ein Bild ungestillter Sehnsucht darstellt, ein namenloses Sehnen nach einem dunklen Etwas, das den

Herzensfrieden bringen soll. Darum nennt es auch der treffliche Beethoventrunkene Robert Griepenkerl in seiner Novelle „Das Musikfest oder die Beethovener" sehr sinnreich: „Die Schwäne, das wunderbare Bild aller Sehnsucht auf Erden."

Man war nicht wenig erstaunt, als nach dem kunstvollendeten, eindrucksvollen Vortrage dieses Adagios Edgar die Mitteilung machte, daß gerade diese Komposition in so geringer Achtung bei vielen Musikern sowohl ausübenden, als komponierenden und ästhetisierenden Schlages stünde. Dem einen ist's zu lang, dem andern nicht vom Beethovenschen Gottesfunken beseelt, dem dritten klingt's gar italienisch. Da bleibt denn nichts anderes übrig, als all diese Herren ihrem eigenen künstlerischen Gewissen zu überlassen. Freilich ist gerade dieses Tonstück eines von den echten Prüffteinen für den Beethovensinn unter den Künstlern.

Es ist historisch, führte Edgar des weiteren aus, daß Beethovens erste und meist einzige Frage nach Konzertaufführungen, denen er nicht beiwohnen konnte, diese war: Wie waren die Tempi?" Das geschah vornehmlich, wenn ein Werk von ihm zur Aufführung kam. Fiel die Antwort nach seinem Sinne aus, dann war ihm alles übrige von nebensächlicher Erheblichkeit. Und in Wahrheit ist es kaum glaublich, wie der Charakter Beethovenscher Tondichtungen je nach dem peinlichen Abwägen des Zeitmaßes sich als recht verschiedenartig erweist. Man nehme zum Beispiel das Tempo im Freudenhymnus der neunten Symphonie um weniges übereilt, wie man es leider fast immer zu hören bekommt, und das genügt vollkommen, der Melodie „Freude, schöner Götterfunken“ einen etwas trivialen Anhauch zu verleihen, während ihr echter Charakter, wie er sich kraft feinsinnigen Tempogefühls ergeben muß, eine Himmelsfreude verkündet, die allein in einer erhabenen Seele nach langen, schweren Kämpfen Raum gewinnen kann.

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Auch unser Adagio (Es-dur) gehört zu den Tongebilden, die durch allgemeine Beschleunigung des Zeitmaßes ihre erhabene Ruhe und Würde schlechterdings einbüßen müssen. Noch manche derartige Bemerkungen machte Edgar an diesem Abend.

Anthemia, voll von den empfangenen Eindrücken, gedachte in tiefstem Leidwesen der Scheidestunde.

Edgar

Und sie kam, die herzenbetrübende Zeit. mußte versprechen, Anthemia seine weiteren Kompositionen nach Griechenland zu senden. Auch die Skizze über die A-dur-Symphonie sollte nach Delos befördert werden.

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Mit einem innigen Händedruck verabschiedeten sich Anthemia und Edgar. Noch einmal verloren sich die Blicke ineinander, als sollten sie auf alle Ewigkeit ein Bild für die Seele auffangen.

Bald nachdem Anthemia Deutschland verlassen hatte, erhielt Emma von Edgar den Gedankengang über die siebente Symphonie von Beethoven in A-dur, op. 92, komponiert im Jahre 1812 und dem Reichsgrafen Moriß von Fries gewidmet.

Emma las folgendes:*)

Einleitendes:

über keine andere Tondichtung Beethovens ist der ästhetische Zwiespalt oder vielmehr Vielspalt schon dem Grundgedanken nach so erstaunlich groß, wie über die siebente Symphonieschöpfung.

Alle bisherigen Deutungsversuche eines Iken, C. Fr. Ebers-Rob. Schumann, Rich. Wagner, A. B. Marx, W. von Lenz, R. Alberti und anderer scheinen die Würde

*) Die hier folgende Abhandlung ward im Wesentlichen bereits im Jahre 1873 in der „Neuen Berliner Musikzeitung“ (Jahrgang XXVII, Nr. 51 und 52, legte Nummern) zum Abdruck gebracht.

und Großartigkeit der geistigen Konzeption mitnichten hinlänglich zu ermessen, viel weniger noch die ideelle Einheit ihrer Teile. Ich hatte keine Ruhe, bis ich für diese Symphonie eine neue, erschöpfende Auffassung gefunden hatte.

Lange nachdem die hier beigegebene Skizze geschrieben war, lernte ich den hohen Geist Arthur Schopenhauers kennen und verehren. Unter den mannigfachsten Anschauungen, die ich daraus zu wahrster Herzenserquickung empfing, erschien mir im speziell musikalischen Teile seines Hauptwerkes das folgende Wort ganz besonders wie aus der Seele gesprochen: „so wird, wer mir gefolgt und in meine Denkungsart eingegangen ist, es nicht so sehr paradox finden, wenn ich sage, daß, geseßt es gelänge, eine vollkommen_richtige, vollständige und in das Einzelne gehende Erklärung der Musik, also eine ausführliche Wiederholung deffen, was sie ausdrückt, in Begriffen zu geben, diese sofort auch eine genügende Wiederholung und Erklärung der Welt in Begriffen, oder einer solchen ganz gleichlautend, also die wahre Philosophie sein würde." (Die Welt als Wille und Vorstellung, erster Band, III. Buch: vom Objekt der Kunst.) Freilich darf ein derartiges Experiment nur an den wenigen auserkorenen Tonwerken vorgenommen werden, die ein Genie in voller Glorie vom heiligen Geiste empfangen hat. Zu solchen Wunderwerken gehört mir nun, wie Sie längst wissen, ganz besonders die A-dur-Symphonie, die ich als die objektivste unter allen Symphonie-Schöpfungen Beethovens bezeichnen möchte.

Sollte, mein verehrtes, gnädiges Fräulein, diese Skizze einem spezifischen Musiker in die Hände geraten, dann haben Sie wohl die Gewogenheit, jenem zu bemerken, daß dieser Versuch, den Geistesgehalt der A-dur-Symphonie darzustellen, sich äußerst getreu dem thematisch-musikalischen Organismus der Partitur anschließt.

Die A-dur-Symphonie stellt eine Art Welt

gericht dar.

Die ziemlich weit ausgesponnene Einleitung des ersten Sages, Poco sostenuto, schildert das Erwachen der Menschen zur lebensvollen Regsamkeit.

Ganz einsam läßt eine Oboe ihren zauberisch idyllischen Gesang erschallen, kräftig gibt hier und dort der ganze Instrumentalchor von seinem Dasein Kunde; alles rührt sich, feimt und sproßt da in unschuldsvollster Natürlichkeit. Selbständig regen sich auch die üppigen Klarinetten, die naturfrischen Hörner uud die schalkhaften Fagotte. In kaum hörbarer Lebendigkeit fliegt hier alles Wesen dem freudvoll winkenden Sein entgegen: so das ganze Streich orchester in hastig leisem Pulsschlag. Rühriger und stärker fallen alle Bläser in diesen Aufschwung ein: alles rüstet sich zur kräftigsten, eifrigsten Teilnahme am Leben. Alle Fähigkeiten scheinen in diesem kühnen Wesen zu walten. Jede einzelne Tonseele bekennt es so überaus freudig, daß sie sich_kampflustig anschickt, die lichte Ätherhöhe des Menschentums durch alle erdenklichen Pfade hindurch zu erklimmen. Großes verspricht freudigen Mutes jeglicher Tonkörper. Wunderbar

festlich ertönt jezt in C-dur der himmlische Morgengesang der Menschheit in ihrer Seelenunschuld, wie ihn der Genius der Welt empfindet. Wieder umfängt uns der Laut der zarten Oboe, die besonders von ihrer Schwester, dann von Klarinetten und Fagotten harmonisch getragen wird. Bald nehmen auch die Violinen an der melodischen Weise dieses herzrührenden Kindheitstraumes den innigsten Anteil.

Und wenn das Herz ganz erstarrt ist: bei solchen Zaubertönen der reinsten Menschlichkeit muß es auftauen; denn aus dieser Melodie klingt die wahre Göttlichkeit des Menschen. Wie dieser Wonnesang alle Tonwesen wieder zur stärksten Begeisterung anfeuert, wie hoch allen das Herz anschwillt, wie alles von neuem machtvoll anstrebt und sich anheischig

kalischer, Die Macht Beethovens.

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