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Königin meines Herzens gespendete Anerkennung keineswegs ironisch gemeint. Diese edle Hingebung der Frauen an die Schöpfungen der Genien erfüllt uns im Ernste mit tiefster Ehrfurcht vor der hehren Würde der Frauen, aber geffen wir nie, daß den eigentlichen Ausschlag in der Entwickelung des Menschengeistes doch erst die aktive Begeisterung des Selbstschaffenden gibt.

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Darüber kann wohl kein Zweifel obwalten, sprach Edgar; das wird hoffentlich auch unseren Damen vollkommen klar sein. Lasset nur viele schöpferische Geister erstehen, und der Hauch einer neuen Schöpfung wird schnell seinen Weg in begeisterte Frauenseelen finden! Wird aber, wie schon Plato will, die Erziehung beider Geschlechter eine immer gleichartigere, dann kann in Zukunft das Kulturbild auch ein anderes Aussehen gewinnen. Und selbst der große Stagirite Aristoteles kann schließlich Unrecht bekommen, wenn er in seinem Werke über Staatslehre behauptet: „Das Männliche ist von Natur zur Führung geeigneter als das Seibliche" (τό τε γὰρ ἄρρεν φύσει τοῦ θήλεος ἡγεμονικώτερον. Politicorum Liber I, Cap. V).

Wohl gesprochen, Herr Wittig! ließ sich Anthemias weiche glockenhelle Stimme vernehmen. Hoffentlich stellen Sie uns selbst recht bald auf die Probe. Nun liegt mir noch eine Beethovenbitte am Herzen. Ich habe so vieles von Ihrer gewiß einzigen Vorliebe für die A-dur-Symphonie gehört, daß ich äußerst begierig bin, den inneren Grund dafür zu erfahren. Was treibt Sie so unbändig gerade zu dieser Symphoniedichtung unseres Großmeisters hin? Ich hege den festen Glauben, daß Sie ganz wunderbare Ideenentdeckungen darin gemacht haben.

Dieser Glaube täuscht Sie auch nicht, entgegnete Edgar. Nichts in aller Welt harmoniert seit langer Zeit so mit der ganzen Grundstimmung meines Wesens, wie diese symphonische Konzeption des Meisters. Mir ist manchmal

so, als wäre diese Symphonie eigens für mich geschrieben, als könnte sie kein anderer so verstehen, so in den innersten Nerv ihres Geistes schauen, wie ich. Erwarten Sie jedoch nicht, daß ich heute noch einmal meinen Redestrom über Ihre lammfrommen Häupter ausgieße. Sie sind die geduldigsten Hörer, die mir jemals vorgekommen sind. Ihre Dulderkraft ist sogar stärker als meine Lungenkraft. Aber ich bin gewillt, meine Gedanken über diese Wundersymphonie schriftlich niederzulegen. Sobald ich damit fertig bin, überbringe ich die Skizze unserem teuren Fräulein Hildebrandt, die in ihrer Liebenswürdigkeit wahrlich nicht ermangeln wird, auch Sie, mein verehrtes gnädiges Fräulein, zur Mitwisserin dieser Ideen zu machen. Sie werden hier Beethoven als weltenrichtenden Genius kennen lernen.

Sie spannen meine Erwartung sehr hoch, bemerkte Anthemia. An Ihnen wird es nunmehr liegen, diese nicht aus ihren Himmeln zu stürzen.

Jezt erschien die Dame des Hauses und machte allen weiteren Erörterungen über das schier unerschöpfliche Beethoventhema dadurch ein Ende, daß sie die kleine Gesellschaft an den Teetisch lud.

Hier bot namentlich wieder die heitere, rosige Emma ihr ganzes Unterhaltungstalent auf, um die Wehmutswolken von Anthemias und Edgars Stirn hinwegzubannen, womit sie weit mehr Glück bei der Freundin als beim Freunde hatte. Edgar verlor fast keinen Augenblick seinen eigentümlich schwermütigen Gesichtszug.

Nach den reichen Freuden der Abendtafel belustigte man sich an improvisierten Reimereien, wobei der Leutnant in seinem Elemente war und sowohl in der Erfindungsschnelligkeit als auch in drastischen Anspielungen jedweder Art die höchste Meisterschaft entfaltete.

Späterhin trug Edgar noch auf den dringenden Wunsch Anthemias einen Sonatensah vor. Er hatte das großartige

Largo der Melancholie in D-moll aus der D-dur-Sonate (op. 10) gewählt, eine der tiefsinnigsten, originellsten Konzeptionen Beethovens. Edgar war heute so in der rechten Stimmung, dieses farben- und schattierungsreiche Bild eines melancholischen Menschen am Klavier zu zeichnen. - Der Eindruck war ein so tiefgehender, daß es hernach mit der heiteren Stimmung für den Rest des Abends vorbei war. Endlich mußte auch hier die Stunde der Trennung schlagen.

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Der Glücksstern lächelte unserem Musiker. Er hatte die beseligende Freude, Anthemia nach Hause geleiten zu dürfen. Welche Schauer nie empfundener Seligkeit durchdrangen sein ganzes Wesen, als er Anthemias schwellenden Arm in dem seinen fühlte. Wie sich von diesem üppigen Arme so warmes, jugendfrisches Leben in sein eigenes ergoß! Edgar empfand es wieder einmal, daß die Welt auch neben Kunst und Wissenschaft noch andere Himmelswonnen in sich faßt.

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Sechstes Kapitel.

Ein liebendes Weib.

Das ist der Liebe heil'ger Götterstrahl,
Der in die Seele schlägt und trifft und zündet,
Wenn sich Verwandtes zum Verwandten findet,
Da ist kein Widerstand und keine Wahl.

Es löst der Mensch nicht, was der Himmel bindet.
Schiller: Die Braut von Messina.
Doch Hoffnung haucht Frieden dem schwellenden Herzen
Und flüstert: Auf Wiedersehn, was auch gescheh'
Und der Traum dieser Täuschung versüßet die Schmerzen
Und das nagende Gift in dem lezten Ade.

Byron: Der Liebe lezt Ade.*)

achdem Edgar einmal, angeregt durch Anthemias mitbegeisternde Gegenwart, angefangen hatte, aus seiner einsamen Verschloffenheit herauszutreten, trieb es ihn öfter als ehedem zur Behausung der Geheimratsfamilie.

Anthemia besonders mußte all seine Gedanken über Beethoven erfahren. Und was er noch vor den anderen geheim hielt, weil sie noch nicht reif für die Mysterien dieses Orpheus waren, das wurde vor der herrlichen Griechin entschleiert, sobald sich ihm ein unbelauschter Augenblick darbot. Anthemia hörte dann in andachtsvoller Bewunderung zu.

*) Still Hope, breathing peace through the griefswollen breast
Will whisper: Our meeting we yet may renew:

With this dream of deceit half our sorrow's repress'd,

Nor taste we the poison of love's last adieu!

Byron: Love's last adieu.

Naturgemäß mußten so geistesverwandte Naturen schnell genug jene geheimnisvolle Anziehungskraft aufeinander ausüben, die berufen scheint, ein gemeinsames Dasein für alle Lebenszeit hervorkeimen zu lassen.

Aber die Tage so reiner, ahnungsreicher Freudetrunkenheit sollten bald einem jähen Ende entgegengeführt werden. Die Zeit, welche Anthemia von ihren Eltern für ihre künstlerische Ausbildung in Deutschland gewährt war, erfüllte sich mehr und mehr und die bittere Stunde der Trennung stand nahe bevor.

So mannigfach auch Edgars Leiden waren, in diesem wechselseitigen Drangsal war er dennoch der weniger Beflagenswerte. Er war zu voll vom Geiste der Musik, besonders von Beethovens Genius, als daß der erhebende und berauschende Zauber der Liebe das Alpha und Omega seines Sinnens, Webens und Trachtens bilden konnte. Lern- und Schaffenseifer behüteten ihn gnadenvoll vor den niederschmetternden Schlägen der Liebesgewalten.

Anders Anthemia. Edgars trauerumflortes Wesen hatte es ihr nun einmal so angetan, daß kein Entrinnen mehr möglich war. Die Gewißheit des bevorstehenden Abschieds ward ihr zur unendlichen Herzensqual. In ihrem Innern wogte es in unbeschreiblicher Unruhe. Ihr Herz schien ein unermeßlicher Tummelplah zu sein, auf dem der heiße Kampf der Leidenschaften zum ersten Male sein wunden- und schmerzensreiches Panier aufgepflanzt hatte.

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Anthemias Briefe und Erinnerungen, die allesamt wenn auch nicht in Wirklichkeit, so doch im Geiste ihren Bruder gerichtet waren, sprechen beredter als das erzählende Wort von den Kümmernissen ihrer edlen Seele.

Folgendes schrieb und widmete Anthemia ihrem teuren, innigst geliebten Bruder Sophron:

„Du wirst in großer Angst leben, weil Du so lange nichts von mir gehört hast. Ach! wenn Du so recht wüßtest,

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