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Aus

Ciceros

philosophischen Schriften.

Auswahl für Schulen.

Von

Theodor Schiche.

Preis gebunden 1 M. 80 Pf.

Leipzig.

Verlag von G. Freytag.

1903.

Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechtes, vorbehalten.

Druck von Gebrüder Stiepel in Reichenberg.

Vorwort.

Die preußischen Lehrpläne für die höheren Schulen von 1901 empfehlen für die lateinische Lektüre in der Prima des Gymnasiums auch eine Auswahl aus Ciceros philosophischen Schriften. Wenn hiermit gemeint ist, daß aus Ciceros umfangreicheren Schriften dieser Art die im Unterricht lesenswertesten Abschnitte ausgewählt werden sollen, so sucht das vorliegende Buch einer solchen Anforderung zu genügen. Demnach sind der Cato Maior, den die Lehrpläne für die Obersekunda empfehlen, und der Laelius hier nicht berücksichtigt. Diese kleineren Schriften pflegen ja vollständig gelesen zu werden, und sie sind von mir einzeln in demselben Verlage herausgegeben worden, wie die vorliegende Auswahl. Diese ist so eingerichtet, daß möglichst zusammenhängende Stücke gegeben werden. Am wenigsten möglich war dies wegen der Beschaffenheit der Überlieferung bei den dem ersten Buch de re publica entnommenen Abschnitten. Aber auch hier habe ich möglichst abgerundete, für sich lesbare Stücke zu geben gesucht und es vermieden, das Trümmerhafte der Überlieferung auch äußerlich erkennbar zu machen. Die Vorbemerkungen, die den zu einem Werke gehörigen Abschnitten jedesmal vorausgeschickt werden, haben den Zweck, erkennen zu lassen, in welchem größeren Zusammenhang die hier gegebenen Stücke ihre Stelle haben, und so zugleich von dem ganzen Werk, dem diese Stücke angehören, eine Übersicht zu geben.

Was den Text der einzelnen Bestandteile dieser Auswahl betrifft, so sind die Abschnitte aus de officiis fast unverändert abgedruckt aus meiner Ausgabe dieser Schrift (2. Aufl. Leipzig, G. Freytag, 1896). Auch für die Tuskulanen habe ich meine Ausgabe derselben (Lipsiae G. Freytag, 1888) hier zu Grunde legen können, während für de re publica und de natura deorum der Text von C. F. W. Müller, nicht ohne genaue Nachprüfung, zu Grunde gelegt ist. Die neueren Arbeiten zur Textkritik dieser Schriften sind gebührend berücksichtigt. Im einzelnen von mir gewählte Lesarten zu begründen ist hier nicht der Ort; dies soll vielmehr in der Zeitschrift für das Gymnasialwesen (Jahresberichte des philologischen Vereins zu Berlin) geschehen. Doch muß ich folgendes schon hier bemerken. An zwei Stellen von de rep. habe ich, um nicht nach Maßgabe dessen was der Palimpsest bietet, mitten im Satze abzubrechen, einen ergänzten Text gegeben. Es heißt nämlich I 39 vom Menschengeschlecht: non est enim singulare nec solivagum genus hoc, sed ita generatum, 164303

IV

ut ne in omnium quidem rerum affluen... Zur Vervollständigung des Gedankens läßt sich heranziehen de fin. III 65: Quodque nemo in summa solitudine vitam agere velit ne cum infinita quidem voluptatum abundantia, facile intellegitur nos ad coniunctionem congregationemque hominum et ad naturalem communitatem

esse natos.

Besonders aber geht, wie S. Brandt (s. Festschrift des Gymn. in Heidelberg 1896, S. 22) bemerkt hat, gerade auf unsere Stelle aus de rep. zurück, was bei Lactant. instit. div. VI. 18 zu lesen ist: dixerunt... inter se congregatos, quod natura hominum solitudinis fugiens et communionis ac societatis adpetens esset. Hiernach habe ich die Stelle in folgender Form gegeben: ita generatum, ut ne in omnium quidem rerum affluentia in solitudine vitam agere velit, sed sit solitudinis fugiens et communionis ac societatis adpetens. Und I 44 heißt es mit der hier gegebenen Ergänzung: iam Atheniensium populi potestatem omnium rerum ipsi, ne alios requiramus, ad furorem multitudinis licentiamque conversam pesti (feram libertati suae reddiderunt.) Daß Cicero etwas Derartiges hier hat sagen wollen, kann man schließen aus § 68: ut ex nimia potentia principum oritur interitus principum, sic hunc nimis liberum populum libertas ipsa servitute afficit. Auch genügt die hier gegebene Ergänzung (mit der natürlich ebensowenig wie I 39 der ursprüngliche Wortlaut hergestellt sein soll) zum Abschluß des hier vorliegenden Gedankenganges, der folgender ist. Die drei Grundformen einer Staatsverfassung können leicht entarten: neben einem guten Herrscher wie Cyrus (dem älteren) steht ein Phalaris, neben der Aristokratie von Massilia die Herrschaft der Dreißig in Athen, neben der Demokratie des Volkes von Athen die von ihm selbst herbeigeführte ochlokratische Entartung, die ebensowenig Bestand haben konnte wie die Herrschaft des Phalaris oder die der Dreißig. Fortgelassen sind in den Stücken aus dem ersten Buch de rep. die Buchstaben L. und S., die zur besonderen Bezeichnung der sprechenden Personen ohne handschriftliche Gewähr in den Ausgaben stehen, ebenso in den Abschnitten aus den Tuskulanen die Buchstaben A. und M., mit denen man die sprechenden Personen bisher hier glaubte bezeichnen zu sollen, obgleich sie entbehrlich sind und die handschriftliche Gewähr für sie ganz unzureichend ist.

Für freundliche Beihilfe bei der Korrektur bin ich meinem Amtsgenossen, Herrn Prof. Dr. Arnold Krause, zu Dank verpflichtet.

Berlin, im Oktober 1902.

Th. Schiche.

Einleitung.

Salve facundiae Latiarumque litterarum parens atque, ut dictator Caesar hostis quondam tuus de te scripsit, omnium triumphorum laurea maior, quanto plus est ingenii Romani terminos in tantum promovisse quam imperii. Plinius hist. nat.

Cicero als philosophischer Schriftsteller.

Unter denen, die der römischen Literatur eine für alle Zeiten giltige Bedeutung verschafft haben, nimmt Cicero eine der ersten, vielleicht die erste Stelle ein. Der Grund dafür liegt ebensosehr in der Form, wie im Inhalt seiner literarischen Hinterlassenschaft. In formeller Hinsicht zeigt die Sprache Ciceros die höchste Vollendung, deren die Sprache der Römer fähig war. Bei ihm sind in Ausdruck und Satzbildung griechischer Wohllaut und griechische Schönheit mit römischer Kraft und Größe in einer Weise vereinigt, wie dies auf dem Gebiete der Dichtung nur noch bei Vergil in ähnlicher Weise hervortritt, dagegen in der Prosaliteratur von keinem Schriftsteller weiter erreicht worden ist. Daß seine literarischen Leistungen aber auch inhaltlich eine so große Wirkung ausübten, wie es tatsächlich der Fall war, findet wiederum seine Erklärung darin, daß er mit dem, was er war und leistete, nicht in den dem römischen Volkstum eigenen Schranken befangen blieb, sondern diese in der Richtung auf das allgemein Menschliche hin, wie es sich im Griechentum darstellt, überwunden hat. Diejenigen Römer, die allezeit als die größten unter ihren Volksgenossen angesehen worden sind, ragen deshalb so hervor, weil sie in besonderem Maße bei der praktischen Betätigung ihres Volkes mitgewirkt haben, die darin aufging, Roms Staatsordnung und Rechtswesen über die Länder des Mittelmeeres zu verbreiten. Wenn nun auch nicht geleugnet werden kann, daß diese Art des Wirkens Männer von bedeutenden, ja ausgezeichneten Eigenschaften hervorgebracht hat, so dürfen doch auch die mit dieser Betätigung verbundenen Mängel im römischen Volkscharakter nicht übersehen werden. Sie liegen in der Ablehnung alles dessen, was für praktische Zwecke keine Bedeutung hat, in der Gleichgiltigkeit gegen geistige Kultur. Das Gefühl dieses Mangels trieb denn auch, als man mit Griechenland in engere Berührung gekommen war, die besseren Naturen dazu, bei den Griechen zu suchen und zu finden, Schiche, Aus Ciceros philosophischen Schriften.

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