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werden konnten 344). Obwol hieraus noch nicht folgt, dass Varro-Pomponius in Betreff des Ius naturale und gentium buchstäblich mit der Exposition Ulpian's in fr. 1. §. 3. 4 eod. übereinstimmten, so ergibt sich doch aus den vorstehenden Bemerkungen mit grosser Wahrscheinlichkeit, dass P. im Enchiridion nach Varronischem Vorbilde 345) auch ein philosophisches prooemium grossentheils entsprechend dem prooemium in Ulpian's Institutionen vorausgeschickt habe und zwar aus demselben Motiv, welches Ulp. fr. 1. pr. eod. mit den Worten bezeichnet:,,Iuri operam daturum prius nosse oportet".

Mit diesem Resultat ist die Beschaffenheit des dritten Fragments aus den 1. s. enchir. des P. in fr. 239 de V. S. 50, 16 wohl vereinbar. Dasselbe enthält eine Reihe juristischer Begriffs- und Worterklärungen (pupillus. servus incola. munus publicum. advena. decuriones

344) Es ist nicht, wie M. Voigt (d. ius naturale, aequum und bonum und ius gentium der Römer I, p. 455, cf. p. 450 not. 609 Leipzig 1856) meint, diese Beziehung auf das Ius gentium eine blosse Folge der Verbindung, welche fr. 2 cit. in Iust. Pandekten erhalten hat. Es verhält sich vielmehr mit fr. 2 ganz ähnlich wie mit fr. 3 eod., wo von dem Recht der Nothwehr die Rede ist, welches wegen des Triebes der Selbsterhaltung (cf. Cic. de invent. 1. c., de off. I, 4) unzweifelhaft auf lex naturae sich gründet, aber im Ius civile wie im Ius gentium anerkannt ist, so dass schon die klassischen Juristen sagen können: vim vi defendere omnes leges omniaque iura permittunt Paul. in fr. 45. §. 4 ad 1. Aquil. 9, 2. Dirksen vermischte Schr. p. 241. not. 125 a.

345) Es darf hier wohl erinnert werden an die bei Cic. acad. 1, 2, 8 dem Varro in den Mund gelegten Worte: in his ipsis antiquitatum prooemiis philosophiae scribere voluimus, cf. Augustin. de C. D. VI, 3.

urbs. oppidum. territorium suum), bei welchen dieselbe Methode der Behandlung, dieselbe Rücksicht auf nomen, origo atque causa im Varronischen Sinne ersichtlich ist, wie in fr. 2 de O. I., ja dieselben lassen zum Theil sich auf Varro zurückführen. Vgl. z. B. §. 6 sqq. ibid. urbs ab urbo (al. urvo) oppidum ab ope dicitur etc. mit Varro de 1. L. V, 141-143, wo der Zusammenhang mit den Gründungssagen der Stadt Rom zu beachten ist, für welche P. auch sonst Varroniana mittelbar oder unmittelbar benutzt zu haben scheint. cf. Serv. Aen. V, 755. Isidor XV, 2, 3. Cic. de rep. I, 25. 26. S. oben p. 47.

Und wenn P. in §. 8 v. territorium mit dem Bemerken: quidam aiunt abweichend von Varro de 1. L. V, 21 (cf. Serv. Aen. V, 755) erklärt, so steht dies mit unserer Annahme nicht nothwendig im Widerspruch, denn auch Varro stellt oft mehrere Erklärungen nach verschiedenen Gewährsmännern und mit Rücksicht auf verschiedene sachliche Beziehungen des Ausdrucks neben einander 346), mithin kommt es nicht sowohl auf buchstäbliche Uebereinstimmung jeder einzelnen Erklärung als vielmehr darauf an, dass die Auswahl und Gruppirung der bei P. erklärten Ausdrücke auf einen von Varro berücksichtigten sachlichen Zusammenhang zurück

346) So könnte die Definition des Frontinus: territorium est, quidquid hostis terrendi causa constitutum est (Gromatici vett. ed. Lachmann, p. 20 lin. 1. 2) und die Ableitung bei Siculus (p. 137 ibid.) a territis fugatisque inde hostibus, ebenso wie die von arcifinius ager ab arcendis hostibus" (p. 6, 1 ibid.) schon bei Varro vorgekommen sein, cf. Rudorff gromat. Inst. p. 251 (cf. p. 230: die Anfänge römischer Bearbeitung der gromatischen institutio reichen nicht über Varro hinauf" etc.).

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weist 347). Es darf daher nicht unbeachtet bleiben, dass die meisten der bei P. in fr. 239 de V. S. vorkommenden Worterklärungen neben andern freilich aus abgeleiteten Quellen geschöpften Varroniana in Isidor's orig. IX, 4 und zwar in ähnlicher Gruppirung sich wiederfinden, vgl. z. B. §§. 21. 23. 26. 36. 38. 40. 42. 43, auch XV, 2, 3 sqq.

Besonders bemerkenswerth ist es noch, dass bei P. in fr. 239 de V. S. die Worterklärungen nach sachlichen Rücksichten, namentlich nach der Beziehung auf personae und res zugleich unter Berücksichtigung des Ius publicum-geordnet sind: denn, falls dieses ebenfalls nach Varronischem Vorbilde geschehen ist, würde es zur Unterstützung der Vermuthung dienen, dass die dem Institutionensystem des Gaius zu Grunde liegende Eintheilung in personae, res, actiones nicht für das Privatrecht entstanden sei 348) und noch weniger, wie v. Savigny (System I, p. 396) annahm, auf einer individuellen Ansicht des Gaius beruhe, sondern eine allgemeine Kategorie sei, welche Varro schon bei Darlegung der

347) Wie mehrere Erklärungen bei P. mit den Gründungssagen der Stadt Rom zusammenhängen (cf. Varro de 1. L. V, 141 sqq.), so scheint auch die aetiologische Erklärung von servi in fr. 239. §. 1 de V. S. (quod Imperatores nostri captivos vendere ac per hoc servare nec occidere solent), welche wohl gleichfalls auf Varro sich gründet (vgl. d. Citate bei Schrader ad §. 3 I. de iure person. I, 3) in Beziehung zu stehen zu den Sagen über Romulische Einrichtungen, arg. Dionys. Hal. II, 16, womit nicht geleugnet wird, dass dabei zugleich eine Beziehung auf die alte Sitte der venditio (captivorum) sub corona zu Grunde liege, cf. Gell. VI (VII), c. 4.

348) Cf. Hugo civ. Mag. V, p. 417 ff. VI, p. 284.

römischen Götterklassen auf die religio civilis angewendet hat 349), dass demnach jene Eintheilung auf einen Varronischen Schematismus zurückweise, welchen Varro wie auf die religio civilis so auch auf das Ius civile zur Anwendung gebracht haben mag.

§. 17.

Ist unsere Vermuthung begründet, dass den 1. s. enchir. des P. ein einzelnes isagogisches Werk Varro's namentlich dessen libri de iure civ. zum Vorbilde gedient haben, so wird es minder befremdlich erscheinen, dass P. in seiner Propädeutik, die unserer Ansicht nach eben in jenem Enchiridion enthalten war, de origine iuris und daneben de verborum significatione handelt. Indessen sollen folgende Bedenken gegen unsere Auffassung nicht mit Stillschweigen übergangen werden. Da nach unserer obigen Ausführung fr. 2 de O. I. ein organisch gegliedertes Ganzes bildet, was von den beiden andern Fragmenten, die überdies einen scheinbar heterogenen Gegenstand betreffen, offenbar nicht gilt, so könnte man bezweifeln, ob die letzteren derselben oder einer andern Schrift, vielleicht dem aus zwei Büchern bestehenden Enchiridion desselben Juristen angehören; man könnte demnach versucht sein, den lib. sing. enchir. des P. für ein kleines manuale zu betrachten, welches sich im Ganzen auf den Gegenstand und Inhalt des fr. 2 de O. I. beschränkt, vielleicht

349) Vgl. Ambrosch über die Religionsbücher der Römer p. 7. 8. Bonn 1843. Ihering Geist des R. R. II, p. 426, auch Rudorff a. a. O. p. 230 folg.

auch noch den Specialtitel de orig. iuris gehabt habe. Dazu kommt noch die Wahrnehmung, dass fr. 10 de gradbus 38, 10 (welches in mehrfacher Hinsicht eine Analogie mit fr. 2 de O. I. darbietet, wovon weiter unten) vermuthlich mit geringer Verkürzung des Originals aus des Paulus lib. sing. de gradibus et affinibus et nominibus eorum excerpirt ist 350) und dass Justinian's Compilatoren diesen Titel zugleich zur Rubrik des Pandektentitels benutzt haben. Man könnte demnach vermuthen, dass der 1. s. enchir. des P. vielleicht auch nur mit geringer Verkürzung in fr. 2 de O. I. excerpirt und durch den Specialtitel: de orig. iur. et omn. mag. et succ. prudentum, den man ebenfalls zur Rubrik des Pandektentitels verwendet habe, von dem zweiten aus zwei Büchern bestehenden Enchiridion des P. unterschieden sei. Diese Vermuthung ist aber, so ansprechend sie auch Manchen erscheinen mag, schwerlich aufrecht zu halten, denn sie lässt die beiden andern Fragmente, welche der Inscription zufolge ebenfalls aus dem 1. s. enchir. des P. entnommen sind, unberücksichtigt, oder es bleibt doch unerklärt, wie mit dem Inhalt derselben jener auf einen rechtshistorischen Inhalt hinweisende Specialtitel zu vereinigen sei. Bei fr. 2 de I. et I. liesse sich eine solche Vereinigung allenfalls versuchen, da dasselbe eine Beziehung auf das Ius gentium, mithin auch auf das Ius non scriptum zulässt 351), welcher Begriff dem fr. 2 de O. I. nicht fremd

350) Cf. Cuiac. obs. VI, 40.

361) Arg. Cic. or. partit. Atque haec communia sunt naturae atque legis: sed propria legis et ea, quae scripta sunt et ea, quae sine litteris aut gentium iure aut maiorum more retinentur. Vgl. auch Dirksen vermischte Schr. I, p. 234. not. 117.

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