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successive Ausbildung der verschiedenen partes iuris scientiae berücksichtigt und ebenso wie Pomponius und Ulpian in fr. 1. §. 1 de I. et I. (I, 1) das Ius publicum und privatum als die beiden Haupttheile der juristischen Fachwissenschaft, als das utrumque opus ICti betrachtet habe.

§. 15.

Wir haben bisher, um bei Pompon. de orig. iur. die Varronischen Elemente und Motive nachzuweisen, uns bemüht, die bei andern Schriftstellern auf verwandte Varroniana hinweisenden directen oder indirecten Spuren aufzusuchen, gleichviel auf welche Klasse Varronischer Schriften sie hinweisen. Dabei gingen wir aber nicht etwa von der Voraussetzung, aus, dass P. die Gesammtheit der Varronischen Schriften gekannt und benutzt habe, vielmehr glauben wir als wahrscheinlich annehmen zu müssen, dass ihm bei seinen Berichten de orig. iur. ein bestimmtes Werk des Varro, sei es mittelbar oder unmittelbar, zum Führer gedient habe. Dieses Werk kann nur ein solches gewesen sein, welches seinem Plane gemäss die von Pompon. im lib. sing. enchir. besprochenen Gegenstände mit umfassen und dessen Inhalt zum Theil wenigstens mehr oder minder ausführlich auch in andern Varronischen Schriften sich wiederfinden musste. Wir denken dabei an Varro's libri XV de iure civili, von deren Existenz wir erst durch den von Ritschl322) publicirten Katalog des Hieronymus Kunde erhalten

322) S. d. oben not. 193 cit. Abh. p. 505.

haben. Leider ist dieses Werk verloren gegangen, ja es ist weder bei Gellius, Festus, noch bei irgend einem Grammatiker, Scholiasten, Glossographen angeführt, deshalb ist aber die Richtigkeit jener Angabe des Hieronymus noch nicht zu bezweifeln, denn Ritschl 323) macht mit Recht darauf aufmerksam, dass ein so vollzähliger von den Forderungen gelehrter Wissenschaft ausgegangener Katalog sämmtlicher Varronischer Schriften wohl nur von Varro selbst herrühren konnte. Der Mangel aller Citate aus jenem Werk liesse sich aus mancherlei Gründen erklären. Es wäre möglich, worauf auch schon Ritschl hingewiesen hat, dass jene libri zwar von Varro verfasst aber nicht herausgegeben sein könnten, da nach dessen eigenem Zeugniss keine unerhebliche Zahl von ihm verfasster Bücher bei der Plünderung seiner Bibliothek abhanden gekommen sei. Gell. III, 10 cf. XIV, 7. Es könnte aber auch herausgegeben sein, jedoch nicht so lange als die grossen Hauptwerke, wie z. B. die antiquitates, die umfassenden Sprachwerke, de re rustica, disciplinarum libri, im litterarischen Verkehr, zumal bei nicht juristischen Schriftstellern, sich behauptet haben und nachdem es auf die auctores utriusque scholae zu Anfange der Kaiserzeit seinen Einfluss geübt, auch bei den Juristen (ebenso wie Cicero's liber de iure civili) in Vergessenheit gerathen sein. Ausserdem kommt auch die Citirmethode und Quellenbenutzung der einzelnen Schriftsteller in Betracht; denn z. B. der ältere Plinius, bei dem man am ersten eine Benutzung jenes Varronischen Werks erwarten könnte, citirt nur in wenigen Ausnahmsfällen das

323) Ebendaselbst 549 ff.

Sanio.

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betreffende Werk des Varro, woraus er eine Notiz geschöpft; Andere, deren Lectüre eine minder umfassende war, wie z. B. A. Gellius, konnten sich mit der Angabe eines Varronischen Hauptwerks z. B. der antiquitates begnügen, ohne sich darum zu kümmern, wie oft Varro in andern Schriften denselben Gegenstand zur Sprache gebracht habe 324). Andere zogen es vor, statt ihre unmittelbare Quelle, die sie überall vor Augen hatten, anzugeben, die bei Varro citirten älteren Autoren zu nennen. So sind ohne Zweifel bei Festus (zum Theil wohl schon nach dem Vorgange des Verrius Flaccus) unzählige Varroniana nicht als solche bezeichnet, während die von Varro citirten älteren theilweise juristischen Autoren dabei angeführt werden. Und wie leicht kann durch Zufall ein einzelnes Citat, worauf zuweilen unsere ganze Kunde eines alten Schriftwerks sich gründet, verloren gegangen oder irrthümlich einem andern Autor zugeschrieben sein? So könnte leicht bei einzelnen Citaten Cato und Varro mit einander verwechselt sein 325). Wenn

324) So handelt z. B. Gell. III, 2 nach Varro (cf. Dirksen Abh. über Gell. p. 34 folg.) von der juristischen Berechnung der Tageszeit und da dieser Gegenstand zu den „, ad observationem disciplinamque iuris antiqui pertinentia" (cf. Gell. ibid. §. 14) gehörte, so könnte er wohl nebst dem Citat aus Q. Mucius auch in Varro's libb. de iure civ. vorgekommen sein, während Gellius, der dieses Werk gar nicht gekannt haben mag, sich lediglich auf Varro's rerum humanar. liber de diebus stützt. Ueber die Citirmethode und Quellenbenutzung des Gellius überhaupt vgl. die lehrreiche Abh. v. Mercklin (ob. not. 1).

325) So ist bei Gell. VI (VII), 10 statt Catonis wahrscheinlich zu lesen Varronis ex primo epist. quaestionum, cf. Ritschll. c. p. 538. H. Jordan Catonis quae extant prolegom. p. CVIII seq. Eine ähnliche Verwechselung beider Namen konnte am leichtesten

wir aber auch absehen von allen solchen Möglichkeiten und nur erwägen, wie Varro's unvergleichliche Erudition und litterarische Thätigkeit Alles umfasste, was zum vollständigen Verständniss des Römerthums und zur nationalen Ausbildung beitrug, so ist es kaum denkbar, dass er omnia,,ad observationem disciplinamque iuris antiqui pertinentia" (Gell. III, 2) aus der ältern juristischen Litteratur nicht in einem eigenen zusammenfassenden und nach einem gewissen Schematismus gegliederten Werk de iure civili zur Vorbildung künftiger viri civiles in seiner Weise verwerthet haben sollte, zumal da er das Ius civile nicht in den Kreis der disciplinae 326) aufgenommen hat.

Bei der Frage über den Zweck und Plan und über die wahrscheinliche Begrenzung des Inhalts der Varronischen libri XV de iure civ. kommen ausser dem Titel noch manche andere Momente in Betracht.

1) Was den Titel betrifft, so fragt Ritschl a. a. O. p. 505, ob Ius civile als Römisches Recht überhaupt oder als römisches Privatrecht zu fassen sei und ist geneigt, das letztere anzunehmen, da Varro das Ius publicum sowol als das Ius sacrum anderwärts, namentlich in den antiquitates rerum human. et divinar. wenn auch nicht

da vorkommen, wo ein Referent den Varro vor Augen hatte und bei demselben Cato citirt fand, oder wo Cato und Varro neben einander benutzt werden. Ob zu diesen Stellen auch Festus v. mundus gehörte, für welchen Artikel Ateius Capito (resp. Verrius Flaccus) den Varro (arg. Macrob. 1, 16. p. 279 Bip.) ebenso gut wie den Cato benutzt haben könnte, mag dahin gestellt bleiben.

326) Cf. Ritschl de M. Terentii Varronis disciplinarum libris comm. Bonn 1845. 4. O. Jahn in den Berichten der K. Sächs. Gesellsch. 1850, p. 272 folg.

in systematischer Erschöpfung zu berühren vielfache Veranlassung gehabt habe, während die libri IV de vita p. R. nicht in gleicher Weise den überreichen Stoff des Privatrechts in sich fassen konnten. Dieses Argument können wir nicht als entscheidend betrachten, wie ja Ritschl selbst bei andern Varronischen Schriften z. B. in libris rhetoricorum, de mensuris, de principiis numerorum etc. es nicht gelten lässt 327). Im Gegentheil dürfte gerade im Hinblick auf die übrige Schriftstellerei Varro's, insbesondere auf dessen Schriften mit isagogischer Tendenz, zu welcher muthmasslich auch die libri de iure civili gehörten, anzunehmen sein, dass er in diesem Werk das Ius publicum nicht ausgeschlossen haben könne. Selbst Q. Mucius, der in seinen libris iuris civilis den Stoff enger begrenzt zu haben scheint, kann das Ius publicum nicht völlig ausgeschlossen haben 328). Um so weniger ist dieses bei Varro anzunehmen, da zu seiner Zeit fachwissenschaftliche juristische Schriften (z. B. des A. Ofi

327) Cf. Ritschl im Rh. Mus. N. F. VI, p. 504. 534. 535 folg. 328) Dafür darf man sich wohl berufen auf die Fragmente des Laelius Felix ad Q. Mucium bei Gell. XV, 27 und auf einzelne Fragmente des Pompon. ad Q. Mucium, z. B. fr. 5. de captivis et de postlim. 49, 15; fr. 17 de legation. 50, 7. Und wie Q. Mucius in seinem Werk das ius pontificium cum iure civili coniunctum berücksichtigt hat arg. Cic. de legib. II, 19. 20. Gell. V, 19. Macrob. 1, 16, so musste er wohl wegen vielfacher Bezüge der alten leges und des ius civile auf das Ius publicum oft auch auf quaestiones iuris publici näher eingehen, womit jedoch nicht behauptet werden soll, dass er den Rechtsstoff mit Rücksicht darauf digerirt habe. Eher liesse sich dies vermuthen bei den libris iuris partiti des A. Ofilius, obwol uns daraus nur einige auf -das Privatrecht bezügliche Citate erhalten sind (fr. 55. §. 1. 4. 7; de legat. III).

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