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ren S. 77 ff.) in Varronischen Ueberlieferungen zu suchen sei.

§. 9.

Wir haben bisher an einer Menge von Einzelheiten zu zeigen versucht, wie es höchst wahrscheinlich sei, dass in den beiden ersten Abschnitten des fr. 2. de O. I. Varro dem Pomponius sei es mittelbar oder unmittelbar als Hauptführer gedient habe; der Beweis dafür liegt aber weniger in den einzelnen Argumenten, deren Beweiskraft wenigstens zum Theil bestritten werden kann, als vielmehr in der Gesammtheit der Indicien, welche auf eine Nachbildung Varronischer Ueberlieferungen und auf eine Varronische Methode der Behandlung hinweisen. Und diese Beweiskraft wird noch gar sehr verstärkt, wenn sich etwas Aehnliches in Bezug auf den dritten Abschnitt nachweisen lässt, da dieser, wie oben §§. 2, 3 gezeigt worden, mit den beiden ersten ein einheitliches Ganzes bildet.

Die bei Pomponius §. 35 sqq. zusammengestellten biographischen und bibliographischen Notizen in Betreff der Veteres lassen schon ihrer Beschaffenheit nach vermuthen, dass hier keinesweges Resultate selbständiger Studien der juristischen Litteratur aus Zeiten der Republik vorliegen, dass vielmehr diese Notizen meistentheils aus nicht juristischen Autoren geschöpft sein müssen, ja aus einzelnen Mittheilungen lässt sich von vornherein mit einiger Wahrscheinlichkeit entnehmen, aus welcher Art von Schriftwerken dieselben geschöpft sein dürften. So z. B., wenn in §. 37 in Bezug auf Scipio Nasica berichtet wird: „cui etiam publice domus in via sacra data

est, quo facilius consuli posset", so führt Asconius in Pison. (p. 13. Orell - Baiter) bei verwandten Notizen Varro de vita populi Romani, Pomponius Atticus lib. annalis und Jul. Hyginus lib. de viris claris als Quellen an. Die meisten Indicien sprechen aber auch in diesem Abschnitt für die mittelbare oder unmittelbare Benutzung Varronischer Schriften und zwar kommen dabei hauptsächlich folgende in Betracht:

1) die römischen Familiengeschichten, die zu Varro's Zeit und zum Theil durch ihn 182) und einige seiner Zeitgenossen z. B. T. Pomponius Atticus 183) zu einem besonderen Zweige der Alterthumskunde ausgebildet worden sind (cf. Plin. H. N. 35, 2. §. 8; cf. 34, 13. §. 137. Ritschl a. a. O. Note 182). Auf die Benutzung solcher Familiengeschichten von und seit Varro weisen vornemlich bei Pomponius die §§. 36-38 hin, in welchen sich mancherlei Notizen finden, die zu einer juristischen Litterärgeschichte wenig zu passen scheinen, während sie einer Varronischen Behandlung römischer Familiengeschichten vollkommen entsprechen. Vgl. z. B. das, was in §. 36 über Ap. Claudius Caecus, in §. 37 über Q. Mucius (wobei wohl eine Verwechselung mit Q. Fabius Maximus zu Grunde liegt) berichtet wird oder die Schlussbemerkung

182) Ueber dessen libri de familiis Troianis vgl. Ritschl im Rhein. Mus. f. Phil. N. F. VI. p. 507.

183) Bei Cornel. Nepos Attic. 18 werden Schriften des Atticus über die Junii, Claudii, Marcelli, Cornelii, Fabii, Aemilii genannt. Ob dieses ein vollständiges Verzeichniss sein sollte, ist zweifelhaft, weshalb Drumann V. p. 86. not. 48 vermuthet, dass Cicero bei seiner Belehrung des Paetus über die Papirii (ad fam. 9, 21. §. 2) die Gelehrsamkeit des Atticus zur Schau getragen habe.

Sanio.

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in §. 38 vgl. mit dem von Gell. XIII, 20. (19) benutzten commentarius de familia Porcia und Plin. H. N. VII, 12. §. 61. 62. Aber nicht blos die Auswahl, sondern auch die Auffassung und Verknüpfung des historischen Stoffs weist auf die Benutzung römischer Familiengeschichten seit Varro hin, denn es sind hier ohne strenge Berücksichtigung der Zeitfolge die patricischen Geschlechter, oder solche, deren älteste Familien patricisch waren (§. 36. 37) den plebejischen (§. 38) gegenübergestellt und Mitglieder derselben gens oder familia mit einander in Verbindung gebracht und zum Theil verwechselt. Von §. 39 ab tritt dagegen in der successio prudentium ihr Familienverhältniss mehr zurück und die Rücksicht auf das Verhältniss zwischen Lehrern und Schülern als besonders einflussreich hervor, was auch die Quellenkritik nicht unbeachtet lassen darf.

2) ist hinzuweisen auf die Varronischen hebdomades oder imaginum libri XV, in welchen unter den griechischen und römischen Notabilitäten der verschiedensten Art (,,aliquo modo illustrium" Plin. N. H. 35, 2. §. 11) zunächst Könige und Feldherren, sodann vor allen übrigen die durch sapientia (civilis) berühmten Gesetzgeber und Staatsmänner nach der Siebenzahl gruppirt (cf. Gell. N. A. III, 10) und nach Zeitaltern geordnet zusammengestellt waren 184). Zu dieser Klasse gehörten auch die alten römischen Rechtskundigen d. h. vornemlich (solange es

184) Ueber die Varronischen hebdomades vgl. ausser Ritschl a. a. O. p. 513 ff. dessen disp. in indice schol. Bonn. 1856/57 nebst epimetrum 1858, Merklin in ind. schol. Dorpat. 1857. und im Philologus 1858. p. 742 ff. Jo. Vahlen in Fleckeisen Jahrb. 1858. p. 737 ff.

noch keine Juristen von Fach gab) die durch bürgerliche Weisheit ausgezeichneten pontifices und Staatsmänner (Senatoren, principes civitatis). Auf diese rechtskundigen Staatsmänner passte auch vorzugsweise der Name ,,sapientes"185) und die einzelnen Rechtskundigen, denen ausdrücklich das ehrende Prädicat sapientes beigelegt wird (nach Cicero's Ausdruck,,qui sapientes a nostris habebantur et nominabantur" Tusc. V, 3, 7) gehören fast sämmtlich in diese Kategorie 186). Varro hat jedoch wahrscheinlich auch die späteren Vertreter der juristischen Fachwissenschaft (qui iuris civilis scien

185) Cf. Drumann V. p. 97. 98. not. 59. 60. Dirksen Abh. über Verrius und Festus 1852 p. 29.

186) Cf. Cic. de amic. 2. Fannius et unum te (Laeli) sapientem et appellant et existimant. Tribuebatur hoc nomen M. Catoni: Scimus L. Atilium apud patres nostros appellatum esse sapientem; sed uterque alio quodam modo: Atilius, quia prudens esse in iure civili putabatur; Cato, quia multarum rerum usum haberet (multa eius et in senatu et in foro vel provisa prudenter vel acta constanter vel responsa acute ferebantur); propterea quasi cognomen iam habebat in senectute sapientis. Te autem alio quodam modo, non solum natura et moribus, verum etiam studio et doctrina esse sapientem; nec sicut vulgus sed ut eruditi solent appellare sapientem, qualem in tota Graecia neminem; (nam, qui septem appellantur, eos, qui ista subtilius quaerunt, innumero sapientium non habent etc. c. 5. eod. Nunquam ego dicam, C. Fabricium, M.' Curium, Ti. Coruncanium, quos sapientes nostri maiores iudicabant, ad istorum normam fuisse sapientes (cf. Cic. de sen. 6: Fabricii, Curii, Coruncanii rempublicam consilio et auctoritate defendebant) de orat. III, 15, 33. 34. de off. III, 4. de rep. I, 7. Eos vero septem, quos Graeci sapientes nominaverunt, omnes paene video in media republica esse versatos cf. Tusc. V, 3, 7. — Diese Stellen entsprechen wenigstens annähernd den Varronischen Motiven. S. die folg. Note.

tiam professi sunt) in dieselbe Klasse gestellt 187); wenigstens scheint er den prudentes in iure civili weder unter den Schriftstellern (Rednern, Historikern, Philosophen) noch unter den Vertretern der disciplinae einen Platz angewiesen zu haben 188). Aus dem Text zu den Varronischen imagines dürfte nun manches Epitheton und Elogium einzelner prudentes in den Bericht des Pomponius übergegangen sein z. B. in §. 38: Atilius (al. Acilius) primus a populo sapiens appellatus est (cf. Cic. in Laelio 2) und wenn P. daselbst bemerkt: Sextum Aelium etiam Ennius laudavit, so bezieht sich dies unzweifelhaft auf den Vers des Ennius:

,,Egregie cordatus homo, catus Aelius Sextus" 189), welcher wie in andern Varronischen Schriften, so auch in den hebdomades vorgekommen sein mag, da in denselben

187) Entsprechend dem juristischen Sprachgebrauch, nach welchem der Ausdruck sapientes auch für prudentes in iure civili überhaupt vorkommt. Cf. Gell. N. A. IV, 1. Dirksen Abh. über Gell. p. 20. So ist auch die noch bei Ulpian vorkommende Definition der iurisprudentia (fr. 10. §. 2.D. de I. et I. 1, 1 eine Umschreibung für civilis sapientia (Ulp. fr. 1. §. 5. de extraord. cogn. 50, 13), deren Begriff freilich nach Entstehung einer juristischen Fachwissenschaft eine gewisse Umwandlung erfahren hatte. Für Varro blieb in den libris imaginum wohl noch der ältere Begriff massgebend, welcher auf die durch Staatsweisheit ausgezeichneten Griechen und Römer, auf die rechtsgelehrten römischen Staatsmänner (,, quos sapientes nostri maiores iudicabant"), ebenso passte, wie auf die griechischen Gesetzgeber und auf jene septem (a Graecis oopoí nominati cf. Varro ap. Augustin. de civ. D. XVIII, 24. 25), S. not. 186.

188) Vgl. Jo. Vahlen a. a. O. (not. 184).

189) Cf. Cic. de or. 1, 45. de rep. 1, 18. Tusc. 1, 9. Varro de L. L. VII, 46. cf. Ennianae poesis reliqq. rec. Jo. Vahlen p. 50. Lips. 1864.

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