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ERSTES BUCH.

Ausgangspunkte und Umrisse.

Erster Abschnitt.

Rom's Vor- und Urzeit.

I. Kapitel.

I. Italiens Völker und Lage Rom's.

(Zu § 47-50)

Zu § 50] Auf der breiten durch Niebuhr gelegten Basis ruhen in der Hauptsache noch die Darstellungen bei Göttling, Puchta und Becker. Seit einem Jahrzehend aber ist durch die in Vielem übereinstimmenden Forschungen Anderer die frühere Annahme eines pelasgischen Bevölkerungselementes in Italien (Tyrrhener im Norden, Siculer und Daunier in der Mitte, Oenotrer im Süden) beseitigt und den s. g. Casci, Prisci und Aborigines der Schein besonderer Völkerschaften genommen worden. Die letzteren sind weiter nichts als sagenhafte Ethnificationen geschichtlicher Entwicklungsphasen. In den abrundenden Darstellungen der neuesten Forschung, welche bei Schwegler, Mommsen und Lange gefunden werden, ist festgehalten, daß die Bevölkerung von Mittelitalien sich in drei Hauptstämme auseinanderlegte, welche etwa der hellenischen Trias der Aeolier, Jonier und Dorier, oder der germanischen Trias der Schwaben, Franken und Sachsen verglichen werden könnten: das sind die Umbrer, Sabeller und Latiner. Sie gehören zum indogermanischen Sprachstamm; die Reihenfolge aber, in welcher die Völker dieses Stammes in Europa eingewandert sind, ist nach Pott (Indogerm. Sprachstamm S. 89) folgende: 1) Iberer, 2) Illyrier und Thraker, 3) Hellenen und Italiker, 4) Kelten, 5) Germanen, 6) Slaven.

Die Zusammengehörigkeit der umbrisch-sabinisch-oskisch-latinischen Sprachfamilie" ist zuerst von A. W. Schlegel, R. Lepsius, Klenze und O. Müller angenommen (s. Schwegler R. Gesch. I. S. 175) und seitdem immer deutlicher gemacht worden. Die Völker und Stämme, die wir beim ersten Licht der dämmernden Geschichte in Italien vor

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finden, gehören, wenn nicht alle, doch bei weitem zum größten Theile, dem indogermanischen Stamme an. Sie können folglich, da die ursprüngliche Heimath des indogermanischen Urvolks in Asien zu suchen. ist, nicht Autochthonen der italischen Halbinsel seyn, sondern sind als Einwanderer dahin gekommen und haben sich durch Eroberung in den Besitz des Landes gesetzt. Und zwar sind jene Einwanderungen, wie unbedenklich angenommen werden kann, nicht über das Meer oder zu Schiff, sondern auf dem Landwege, also vom Norden der Halbinsel her, vor sich gegangen. Eine dunkle Erinnerung an diese Vorgänge, namentlich daran, daß jene Völkerzüge vom Norden her gekommen sind und sich stoßweise immer wieder gegen Süden vorgeschoben haben, hat sich in der Sage von den Siculern erhalten. Wahrscheinlich ist ferner, daß die italischen Stämme indogermanischen Geschlechts zusammen und als Eine Nation in Italien eingewandert sind, und daß die dialektische Differenzirung und Verzweigung ihrer Sprache erst in Italien vor sich gegangen ist." (Schwegler a. a. O. S.194). Die alten Siculer in Latium und ihre Verschiebung nach der sicilischen Meerenge erklärt Schwegler (I. S. 211) für ein ungelöstes Problem; vielleicht war sie eine Folge des Vordrängens der Etrusker. Eine andere Völkerbewegung ist die wohl von den Umbrern im Nordosten ausgehende. Mehr als Eine Völkerwelle ist vor Alters aus den engen Thälern der Abruzzen in die breite fruchtbare Ebene Latium's hinabgeflutet, und es ist ohne Zweifel nur zufällig, daß jene Einwanderung der reatinischen sogenannten Aboriginer sich vorzugsweise im historischen Angedenken erhalten hat." "Die Aussendung heiliger Lenze war das Hauptmittel der raschen und energischen Ausbreitung des sabinischen Stammes. Das Sprachgebiet dieses Stammes umfaßte zur Zeit seiner Blüte halb Italien", sagt Schwegler (I. S. 241), und er leitet von einer dieser Aussendungen die Theilnahme der Sabiner an der Entstehung Rom's ab.,,Sie sandten Pflanzvölker in die untern Tiberlande, gründeten hier zahlreiche Niederlassungen, unter denen besonders die Stadt Cures genannt wird, und schoben endlich ihre Ansiedlungen dem Flußthal des Tiber entlang so weit vor, daß sie nur noch 240 Stadien vom tyrrhenischen Meer entfernt waren. Die vorgeschobenste ihrer Niederlassungen war diejenige auf dem nachmals s. g. quirinalischen Hügel: sie war, wie die Sage berichtet, eine Aussendung von Cures, und vereinigte sich nachmals mit der latinischen Niederlassung auf dem Palatin zu einem auf Vertrag gegründeten Föderativstaat. Man darf diesen Ueberlieferungen, im Allgemeinen wenigstens, unbedenklich Glauben schenken" (Schwegler I, S.243).

Rücksichtlich der Etrusker hält Schwegler für wahrscheinlich, dass sie, obschon der umbrischen Völkerfamilie fremd, doch dem indogermanischen Sprachstamme angehörten, und sagt: „Man darf annehmen, dass die Einwanderung der Etrusker die letzte jener vorhistorischen Einwanderungen war, durch welche Italien seine nachmalige Bevölkerung erhalten hat: denn die Einwanderung der Kelten und

die Stiftung der griechischen Colonien in Unteritalien fällt schon in die halb historische Zeit" (I. S. 268). Die von den rasenischen Eroberern unterjochte und zu Hörigen gemachte Grundbevölkerung Etruriens müsse den Sabinern stammverwandt gewesen seyn (I. S. 270); der Einfluß des Etruskischen auf die Ausprägung der Römischen Nationalität sei ein ziemlich geringer geblieben (I. S. 273), weder Atrium noch Toga, weder die Larenreligion noch die Auguralsdisciplin Rom's ist von dort entlehnt (I. S. 275); nur die formale Ausbildung der Lehre vom Templum und von der Landesvermessung, die Haruspicin, die bauliche Kunsttechnik und manches Cärimonial scheinen von dort gekommen (I. S. 277).

Die Romulische Niederlassung ist nach Schwegler's Ansicht nicht die erste. „Dürften wir der Sage glauben, so hätten um den Besitz dieser Hügel schon in unvordenklicher Zeit erobernde Stämme mit der alten eingebornen Bevölkerung gekämpft... Es sollen ureinwohnende Siculer auf diesen Hügeln gesiedelt und eine Stadt Namens Rom bewohnt haben; darauf sollen die s. g. Aboriginer aus Reate die Siculer von dort vertrieben, deren Wohnsitze eingenommen und namentlich auch auf dem palatinischen Berge sich niedergelassen haben; darauf gründet, wie erzählt wird, auf diesem selben Berge der Arkadier Euander eine Colonie; zu gleicher Zeit soll eine andere Griechenschaar im Gefolge des Hercules nach Latium gekommen seyn, auf dem saturnischen Hügel sich niedergelassen und dort die Stadt Saturnia gegründet haben; endlich soll auch auf dem Janiculus eine vorrömische Stadt gestanden haben: Plinius nennt sie Antipolis. Rechnet man zu diesen Niederlassungen die Romulische hinzu, so hat Dionysius (1,73) der Sache kaum Genüge gethan, wenn er nur eine zwei- bis dreimalige Gründung annimmt." (Schwegler I. S. 351). Vergl. dazu Lange Alterth. I. S. 73. Rom ist nicht als eine Colonie Alba's anzusehen (Schw. I. S. 452), wohl ebenso wenig als eine Secession von da (I. S. 455). Nach der Grundvorstellung der Römischen Sage war die gründende Bewohnerschaft des Palatin Hirtenvolk (I S.457), allerdings latinischen Stammes; dass die Sabiner des Tatius ursprünglich auf dem Quirinal gesiedelt haben, ist eine Tradition, die allen Glauben verdient" (I. S. 480). „Der Kampf beider Niederlassungen endigte mit ihrer Vereinigung zu einem Föderativstaat: unter welchen Umständen und nach welchen Vorgängen, bleibt dunkel. Nach der Sage geht jene Union sehr rasch von statten: nach innerer Wahrscheinlichkeit hat sie sich viel langsamer vollzogen. Das Verhältniß der verbundenen Völker war anfänglich wohl nur ein föderatives, isopolitisches: sie bildeten nicht ein einheitliches Gemeinwesen, sondern eine Eidgenossenschaft. Man sieht dies schon daraus, dass jeder der beiden Staaten seinen eignen König behält“ (I. S. 488). Doch scheint für eine ursprüngliche Unterterordnung der Römer unter die Sabiner eine Reihe von Spuren zu sprechen (I.S.492). Der Stamm der Luceres endlich kann nicht aus Etruskern bestanden haben. „Nur der Hinzutritt der Albaner kann es seyn, was zum

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Stamme der Luceres den Grund gelegt hat. Und dies ist das relativ Wahrscheinliche. Die nach der Zerstörung Alba Longa's, an welcher Rom keinen Theil gehabt zu haben scheint, nach Rom übergesiedelten und auf dem Caelius ansässig gewordenen Albaner constituirten, als sie zum Föderativ-Staate der Römer-Sabiner hinzutraten, die dritte Stammtribus" (I. S. 512).

Auf eine eigentlich geographisch ethnische Motivirung des Ursprungs und Aufblühens Rom's geht Schwegler nicht ein; hier ist es, wo Th. Mommsen überraschende Gesichtspunkte eröffnet, die zugleich in ihrer besonderen Begründung neu sind, obschon einzelne Andeutungen von einem Rom beherrschenden Handelstriebe schon früher laut geworden waren (z. B. bei Schultz Grundlegung zu einer Staatswissenschaft der Römer S. 134). Mommsen's Hypothese von dem mercantilen Ursprunge Rom's widerspricht scharf dem bisherigen überlieferten Bilde, welches die Geschichtschreibung vom Ursprunge Rom's entworfen hat; doch fehlt es nicht an Anhaltspunkten; aus Livius ist einer der bedeutendsten die vom Sabinerkriege des Tullus Hostilius handelnde Stelle (Liv. I, 30): Tullus ad Feroniae fanum mercatu frequenti negotiatores Romanos comprehensos querebatur;

Auch Mommsen unterscheidet drei-italische Urstämme, die er Japyger, Etrusker und Italiker nennt. Die Japyger sind die Messapier Schwegler's, dieselben, welche Kirchhoff (Allgem. Monatsschrift für Literatur 1852. S. 598) mit dem Collectivnamen Siculer genannt wissen wollte. Mommsen erkennt den Japygischen Dialect als einen vorgriechischen und vom Oskischen verschiedenen (Unterital. Dialecte S. 85. 363). Unter den Italikern unterscheidet er einen westlichen (Lateiner) und einen östlichen Stamm, welcher sich wieder in Umbrer und Osker schied (Röm. Geschichte, I. Kap. 2.), und er vermuthet, dass die Lateiner vor jenen ihre Plätze in der Ebene einnahmen (I. Kap. 3. u. 8.). Er verwirft die s. g. Römische Ursprungssage, in der ein städtegründendes Hirten- und Jägervolk auftritt (I. Kap. 2.), und lässt, indem er sich die Sesshaft werdung der Latiner an Albanergebirge und meerwärts als eine allmähliche Zusammensiedelung grösserer Geschlechtergenossenschaften, die sich um gemeinsame Burgen und Gerichtsstätten sammelten und zu einem Gaubunde zusammentraten, denkt (I. Kap. 3), Rom selbst aus synökistischer Verschmelzung dreier Gaue: der latinischen Ramner und Lucerer und der sabinischen Titier hervorgehen; die latinische Nationalität drückte der Bürgerschaft ihren Stempel auf. Hieran nun knüpft Mommsen die Vermuthung, Rom sei so früh zu seiner hervorragenden politischen Stellung innerhalb Latium dadurch gelangt, daß es strategisch fest und commerciell günstig gelegen, zwar vielleicht die jüngste unter den latinischen Städten und eine mehr gemachte als gewordene Stadt, sich vorzugsweise zum Emporium für den latinischen Fluss- und Seehandel eignete, und dadurch als städtisches Gemeinwesen rasch aufblühte. Daß die später mit Rom verwachsene Ansiedelung auf dem Quirinal eine sabinische (von Cures aus)

gewesen, erklärt Mommsen (gegenüber Schwegler I. S. 480) für gänzlich unerwiesen, wenn auch im Allgemeinen für möglich. Längere Zeit hätten sich die Bergrömer vom Palatin oder von der eigentlichen Siebenhügelstadt (Montani) und die Hügelrömer vom Quirinal (Collini) als befehdende Gemeinwesen gegenübergestanden, aber dann die ersteren ein Uebergewicht gewonnen (Kap. 4.). Von der Tuskischen Sprache bemerkt er, daß sie von den sämmtlichen griechisch-italischen Idiomen eben so weit abstand, wie die Sprache der Kelten und der Slaven; so wenigstens klang sie den Römern: tuskisch und gallisch sind Barbarensprachen, oskisch und volskisch Bauernmundarten. Die Etrusker, sagt schon Dionysios, stehen keinem Volke gleich an Sprache und Sitte; und weiter haben auch wir nichts zu sagen. Höchstens deuten einzelne Spuren darauf hin, daß die Etrusker den Indogermanen beizuzählen sind" (Kap. 9).

Lange (Röm. Alterthümer) schließt sich den Forschungen von Schwegler und Mommsen an, indem er hier und da zu vermitteln sucht; jedoch rücksichtlich der Japyger stellt er die Möglichkeit überseeischer Einwanderung von Hellas her in den Vordergrund, die Siculi hält er für eine Abzweigung der Latini, ebenso die Ausones in Campanien (beide wurden hellenisirt: § 23), endlich die alten Tusci für einen Zweig der Umbrer, von denen die stammfremden und (sowohl den Latinern als den Umbrern) nationalfeindlichen Etrusker, d. h. die von Norden eindringenden barbarischen Rasennae, welche dann den Namen der Unterjochten angenommen haben mögen, zu unterscheiden sind. In den Resten der voritalischen Bewohner oder Autochthonen findet Lange ein Element der sabinischen und latinischen Clientel, in den Resten der umbrischen Tusci ein Element der Römischen Plebs (§ 24). Nach seiner Ansicht ist Rama der Urname der Stadt Rom gewesen. Ueber die Gründe des raschen Aufblühens Rom's stimmt er mit Mommsen ziemlich überein, ebenso über die Unterscheidung einer ältesten städtischen Ansiedelung der Ramnes auf dem Palatin (Roma quadrata, das Palatinische oder Romulische Rom) und einer später mit ihm zusammenwachsenden sabinischen Gemeinde (§ 26): nur daß Lange hier das sabinische Element mehr betont, die Abstammung desselben aus Cures völlig verwirft, und es vielmehr mit dem allgemeinen Vordringen sabellischer Stämme von den Gebirgen nach der Westküste zu in Verbindung bringt. Quirites hießen nach Lange die vereinigten Ramnes und Tities (Kreis der altbürtigen Geschlechter), weil sie in curiae gegliedert und nur durch diese vereinigt waren; Numa's Thätigkeit mag der engeren Verbindung beider Gemeinwesen gegolten haben (§ 27). Die Luceres (neubürtigen Geschlechter) endlich sind übergesiedelte Albaner, welche das progressive Element in Rom verstärken halfen (§ 28).

Nie ist Rom eine eigentliche Kaufmannsstadt gewesen oder geworden, nie hat das Römervolk sich als ein Handelsvolk erwiesen;* Rom's

*) vergi. unten Excurse zu § 97-102. No. V. u. Excurse zu § 193–199. No. I.

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