Page images
PDF
EPUB

ERSTES BUCH.

Die Gattung der Privatrechte

oder

die allgemeinen Lehren des Privatrechts.

Einleitung.

I. Kapitel.

Uebersicht des Systems.
(Zu § 352-366)

I.

Der Paterfamilias, die Hauptgestalt des
Römischen Privatrechts.

Zu § 353] Das Privatrecht der Römer hat sein besonderes Gepräge durch die Energie empfangen, mit welcher die reine Privatrechtsidee durchgeführt ist. Dieser specifisch privatrechtliche Typus oder civilistische Styl ist in dem älteren streng nationalen Recht, worunter im Allgemeinen das in den XII Tafeln gegründete und unter Leitung der Pontifices entfaltete verstanden werden mag, in eminenter Weise zu Tage getreten; aber auch später, nachdem mancher genossenschaftliche Zug in das System des Privatrechts Eingang gefunden, herrscht der Gesichtspunkt der isolirten, concentrirten und selbstgenugsamen Privatpersönlichkeit so entschieden vor, daß das gesammte Privatrecht in der Hauptsache dadurch bestimmt bleibt.

Im Mittelpunkte dieses Baues steht die classische Gestalt des paterfamilias; die juristische Seele dieser Gestalt ist eben die civilistische Centralidee der Römer gewesen. Von dieser Centralidee aus baut sich die ganze Welt des Römischen Privatrechts auf, und bestimmt sich das innere Verhältniß aller Theile desselben. Man könnte fürwahr diese Idee die Centralsonne Rom's nennen; sie bestrahlt alle Theile jenes Baues und durchleuchtet dessen gesammtes Fachwerk: nur was in ihr Licht gerückt und in demselben angeschaut wird, kann wahrhaft verstanden werden. Durch die Gestalt des paterfamilias im Mittelpunkte der res privata ist dieser Sphäre eine so vollkommene Plastik zu Theil geworden, daß kein Privatrecht eines anderen Culturvolks sich mit dem Römischen messen kann, und selbst das Römische Staatsrecht an Plastik, Einheit und Durchsichtigkeit dem Römischen Privatrecht nachsteht. Auch das jus publicum

der Römer ist eine noch lange nicht erschöpfte Quelle großartiger staatsrechlicher Motive und eine noch gar nicht genügend benutzte Schule staatsmännischer Bildung, allein wie schon in den XII Tafeln das Staatsrecht vom Privatrecht überflügelt war, so ist auch nachgehends das Privatrecht zu größerer Reife gediehen, als das Staatsrecht, und man wird in den meisten Punkten der Forschung am sichersten daran seyn, wenn man nicht das jus privatum als einen Reflex des jus publicum, sondern umgekehrt dieses als einen Reflex von jenem betrachtet. Wenn der altrömische Staat ein Vertrag der Geschlechtshäupter, der Regierungsantritt seiner Könige und Consuln eine Wahlcapitulation mit der Gesammtheit der Geschlechtshäupter, das Tributum ursprünglich ein Anlehn, jedes Gesetz eine Sponsio war: wer erkennt da nicht das Abbild des privatrechtlichen Grundwillens, und wer möchte da nicht den paterfamilias das Urbild des civis nennen! Was originell im Römischen Staatsrecht war, war militärisch, alles Andere im Staat war nur der Reflex des Hauses. Dürfen wir uns wundern, daß die Privatmacht sich länger ihre Spitze, das jus vitae ac necis, erhielt, als die Staatsmacht der Republik es vermochte (leges Porciae!), daß das Privatrecht eine lebhaftere Expansionskraft (in dem Institut der Latinität) im Reiche entwickelte, als das Staatsrecht, daß das jus publicum weit früher seine praktische Bedeutung und Römische Art verlor, als das jus privatum, denn der Römische paterfamilias bewahrte sich auch in der Kaiserzeit noch ein gutes Theil seiner Ehrwürdigkeit, und daß selbst die militärischen Staatsideen sich in häuslichen Privatideen, die provincia im peculium, das imperium proconsulare in der libera peculii administratio, das Principat im peculium castrense spiegelten?

[ocr errors]

Es ist ein Irrthum, zu denken, daß die Geschichte der menschlichen Gesellschaft vom Individuum zur Genossenschaft aufsteige; zwar ist der Keim der selbständigen Individualität in alle genossenschaftlichen Lebenskreise gelegt, aber lange pflegt er da zu schlummern, bevor er eine Macht im Leben wird und gar zum gestaltenden Princip der Menschheit erstarkt. In der Kindheit der Natur herrscht allenthalben die Idee der Gattung, und das Ganze ist, wie Aristoteles sagt, vor seinen Theilen da. Nur allmählich geht die Massenwirkung in Articulation über, nur langsam emancipirt und löst sich das Individuum von der Gattung, das Familienglied von dem Familienkörper, der Stammgenosse vom Stamm, der Bürger von der Nation, der Einzelwille vom Gemeinwillen, die freie Persönlichkeit des Einzelnen, der ein Ebenbild der Urpersönlichkeit Gottes ist, von den Ordnungen der Natur und Banden der Ueberlieferung, in die er hineingeboren ist und als deren Resultat und Theil er sich vorerst fühlt und denkt. Nun aber bemerken wir, wie überaus scharf die Linie ist, welche vom Römischen Rechtssinn gezogen wurde zwischen der res publica und res privata, ja man kann sagen, zwischen dem civis und paterfamilias. Wie in Himmel und Erde, haben die Römer ihre Rechtswelt auseinander gelegt, man könnte

das jus publicum ihren Himmel, das jus privatum ihre Erde nennen; ihr Capitol mit der Staatsgottheit war ihr Olymp, ihr Privathaus war ihr irdisches Reich, und wie es eben die Art des antiken Heidenthums war, seine wahre Heimat suchte es auf Erden und nicht im Himmel; in der vollen Sinnlichkeit irdischer Verhältnisse fanden die classischen Männer der Antike ihr Genüge, und da waren sie Meister. Der Ausdruck dieses Gefühls irdischer Machtvollkommenheit war die mit großartigen Linien umzirkte Privatsphäre des Römers; im Mittelpunkte dieser Sphäre, als paterfamilias, als Souverän des Hauses, in seiner der Staatsmacht gleichartigen und ebenbürtigen Macht fühlte er sich als Schöpfer, Erhalter und Regierer und erblickte er den Repräsentanten der monarchischen, centralisirenden Idee, welcher, wenn er überhaupt je im Römerthum gegeben gewesen, jedenfalls infolge der Vertreibung der Könige für das Gemeinwesen abhanden gekommen und im capitolinischen Jupiter mehr nur wie ein Schatten erhalten war.

Mit dieser Vertiefung und Ausarbeitung der Privatsphäre hatte eine herrliche und großartige Idee, die dann im Christenthum eigentlich vollendet werden sollte, zunächst ihren irdischen Ausdruck und juristische Anerkennung gefunden: daß zuletzt aller Werth im persönlichen Geiste des einzelnen Menschen ruht, und alle Bildung auf die Vervollkommnung der menschlichen Seele abzweckt. Das Individuum als Ebenbild Gottes ist der letzte Zweck aller Veranstaltungen und Einrichtungen, und das Allgemeine hat Werth nur nach Maßgabe, als es sich in dem Individuum spiegeln und verwirklichen kann. Der Staat ist ja doch nur eine irdische und vergängliche Institution, während die Seele des Individuums auf Ewigkeit angelegt ist: so dient im letzten Grunde der Staat immer dem Individuum. Alle Entwicklung strebt darum auf das Individuum hin, und die Römer haben etwas Großes gcleistet, indem sie mit ihrem Privatrecht dem Individuum einen Kreis eignen Waltens sicherten und formulirten. Das Individuum als lebendiger Mittelpunkt eines solchen Kreises nun ist der paterfamilias in quellenmäßiger Auffassung; Ulpian (in fr. 4. D de his qui sui j. 1, 6 und fr. 195. § 2. D. de V. S.) sagt: patresfamiliarum sunt, qui sunt suae potestatis, sive puberes sive impuberes, und paterfamilias appellatur, qui . in domo dominium habet, recteque hoc nomine appellatur, quamvis filium non habeat; non enim solam personam ejus, sed et jus demonstramus, d.h. paterfamilias ist die Privatperson in reinster Idee, in rechtlicher Isolirtheit, die Person, welche unbedingte Herrin in ihrer Sphäre ist, die Person also ohne alle Rücksicht auf genossenschaftlichen Zusammenhang, und als Souverän eines Reichs von Beziehungen, die sämmtlich im Lebenszweck und Eigenwillen des Einzelnen zusammenlaufen, die Person, welche Alles unter sich zusammenfaßt und als ihre Pertinenz betrachtet, was nicht dem Staatswillen abgetreten und zugefallen ist, und welche mithin auch die häuslichen Familienbeziehungen als ein Attribut und Monopol des Hauptes, das Familienrecht als ein Privatrecht und analog dem Vermögensrecht, ja fast als ein Vermögensrecht selbst

oder als eine Vermögensgewalt ansieht, kurz die verwirklichte abstracte Person.

Paterfamilias war Privatmann; wie aber unterscheidet sich das Wort von dirç? Im politischen Volksbewußtseyn der Hellenen wog das Gemeinwesen noch dermaßen vor, daß, wer sich als Einzelwesen gerirte und isolirte, als Ungebildeter und Plebejer im schlimmen Sinn, als Laie oder Philister galt; erst in Rom gelangten die Selbstzwecke der Privataction zu voller Würdigung. Wie matrona, war auch paterfamilias eine Ehrengestalt, und man merkte es seiner Haltung an, daß er sich nicht bloß als positives Glied, sondern ebenso als negative Grenze des Staates fühlte. Daß das Haus die Burg des Privatmanns sei, und an der Schwelle des Hauses, wie vor dem Thor der Burg, der Staatswille Halt machen und schweigen müsse, weil er hier auf eine gleich ihm originale Autorität treffe, dies ist nicht erst an den Burgen mittelalterlicher Ritter oder den Häusern britischer Unterthanen, sondern zuerst und in vollstem Maße im alten Rom erkannt und anerkannt worden. Schon die XII Tafeln proclamirten: Privilegia ne irroganto und Uti muncupassit et legassit, ita jus esto; noch Cicero (pr. Caec. 33) erklärt: non, quicquid populus jusserit, ratum esse oportet; wieder mußten die Kaiser anerkennen: ut rata esset voluntas militis quoquo modo testantis*, und wie gern und oft provocirten die Röm. Juristen auf den mos patrisfamilias!

Wir haben das Recht als einen Ausfluß und Ausdruck der persönlichen Energie definirt**: im Römischen paterfamilias nun haben wir die fleischgewordene höchst persönliche Energie vor uns. Von diesem ideell-reellen Centrum aus ist die Lehre des Römischen Privatrechts auf- und auszubauen.

II.

Der Idealismus des Römischen Rechts.

Zu § 353] A. Es ist oben in den Excursen der allgemeinen Einleitung schon vom Idealismus in unserer Wissenschaft, und dann wiederff vom Idealismus in der Jurisprudenz der Römer die Rede gewesen; als Gegensatz dazu ist der Naturalismus genannt worden. Absichtlich ist der Ausdruck Realismus dabei vermieden, denn unter diesem verstehen wir einen solchen Grundzug, welcher keinen eigentlichen Gegensatz zum Idealismus bildet: Ideen sind uns reale Größen, d. h. wirkliche und wirksame Kräfte des Geisteslebens; so unterscheiden wir reelle und unreelle Ideen und können die Realität an sich nicht als Gegensatz der Idealität denken. Beispielsweise ist die Idee der christlichen Kirche eine die Menschheit beeinflußende und durchwaltende Geistesmacht mit einer Fülle realer Wirkungen; oder die Stiftung ist eine Rechtsidee, von welcher im einzelnen Fall eine Summe **)s. Cursus § 3. ††) s. Excurse 8. 270. 275-9.

*) s. Excurse S. 114. 118. Cursus § 39. Excurse S. 224. †). Excurse 8. 5.

realer, in das Leben bedeutsam eingreifender und mit dem übrigen Verkehr sich verschlingender Wirkungen ausgeht; oder die Firma ist Ausdruck einer merkantilen Potenz, welche die Quelle der wichtigsten realen Werthe im Verkehr wird; auch jedes einzelne Rechtsverhältniß ist ganz abgesehen von seiner äußerlichen Darstellbarkeit ein idealreales Lebensverhältniß, das nicht ein abstractes Gedankending, sondern eine Ursache concreter Erscheinungen wird.*

Der Naturalismus also ist es, welcher uns als der richtige Gegensatz zum Idealismus erscheint. Unter jenem aber verstehen wir denjenigen Grundzug des menschlichen Geistes, welcher diesen so, wie es im Kinde vorherrschend zu seyn pflegt, der natürlichen Umgebung, der unfreien Naturordnung und der überkommenen Tradition hingibt und unterordnet. Wo dies der Fall ist, erscheint der Geist des Individuums, des Volks, mehr oder minder wie ein Reflex der Natur, abhängig von den Eigenschaften des Klimas, unterthan den Eindrücken der Landschaft und Witterung, und theils sklavisch hangend an dem Angebornen und Gewohnten, theils schwimmend auf dem Strome der wechselnden Zeit und getragen von der Welle des Augenblicks. Das ist das Wesen des Kindes mit seinem vorwaltenden Phantasieleben ohne Karakter und persönliche Sammlung; das ist das Wesen des Orients, wo das Menschengeschlecht seine Kindheit verlebt hat. Naturalismus und Orientalismus könnten als identisch gelten. Mit dem Hellenenthum treten wir in das Zeitalter der Jugend ein, wo die Persönlichkeit sich sammelt und concentrirt, sich gleichsam von der Außenwelt zurückzieht, ja ihr fast entfremdet sich eine Innenwelt errichtet und ausbaut und so zu jenem Aufschwung des Seelenadels gelangt, welcher im Gegensatz des Barbaren- und Peregrinenthums bei den Hellenen und Römern zu Tage tritt. Dieser Idealismus ist der Geist des classischen Alterthums und identisch mit dem antiken Occidentalismus. Wir wollen jetzt nicht erörtern, ob das die letzte Stufe der Entwicklung, und ob es nicht die weitere Aufgabe der Menschheit sei, den in sich gesammelten und karaktervoll befestigten Geist, welcher sich von dem Naturgrunde des Lebens entfernt und fast entfremdet hatte, zu diesem Grunde zurückzuleiten, um eine nützliche Herrschaft des Geistes über die Natur aufzurichten und zu vollenden: das wäre eine noch höhere Stufe der Cultur, als die classische Antike erreichte, und ein Fortschritt in der weltgeschichtlichen Mission des Menschengeistes, der nach dem Urgebot Gottes, zu herrschen über die ganze Erde, alles Irdische persönlich durchdringen, vergeistigen und alles unpersönliche Leben auf Erden an die persönlichen Herrscher der Erde knüpfen soll. Uns kommt es hier aber nur darauf an, zu zeigen, inwiefern jener Idealismus, welcher insgemein als ein Monopol des Hellenenthums angesehen wird, genau in derselben Weise dem Römerthum eignet und geradezu dessen universalhistorischen Grundzug ausmacht: mit Absicht

*) s. oben Excurse 8. 8 u. 211.

« PreviousContinue »