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III.

Particuläres jus gentium.

Zu § 340] Von einem dem jus Romanorum coordinirten d. h. allgemeinen und als ein Reichsrecht geltenden jus peregrinorum konnte jetzt immer weniger mehr die Rede seyn, denn das Verhältniß der Röm. Bürger ward an Zahl so überwiegend, daß die Peregrinen die Ausnahme bildeten. Entschieden war dies seit Caracalla der Fall. Allein auch sachlich hatte das peregrinische jus gentium aufgehört, eine eigene Rechtsmasse darzustellen, seitdem Alles, was dieses jus gentium an allgemeinem und bleibendem Werth hatte, durch die Römersitte, den Prätor und die Jurisprudenz dem System des Römischen Rechts zugeführt und einverleibt worden war (vergl. v. Bethmann-Hollweg Röm. Civilpr. II. S. 15. 134). In dem jus militum, welches jetzt als zweite Hemisphäre des Reichsrechts aufkam, waren vollends alle nationalen Bande gesprengt: seitdem konnte jus gentium nur noch als particuläres Provinzial- und Localrecht in Frage kommen. Wir treffen in den Abhandlungen und Gutachten der classischen Juristen gar nicht selten auf Andeutungen particularrechtlicher Phänomene, allein sie haben. für das Verständniß der damaligen Verkehrswelt keinen andern Werth, als die kleinen, fliegenden Wolkenschatten, welche über ein sonniges Hochland den Reiz des spielenden Wechsels streuen. Es zeigen sich hier und da barbarische Sitten, welche kaum etwas Mehreres als ver schwindende Dissonanzen im großen Röm. Völkeraccorde sind, und nur etwa Aegypten mit seiner geologischen Eigenthümlichkeit und politischen Ueberlieferung behauptete noch das Ansehn eines Gestirns, welches nicht bloß von der Röm. Centralsonne Licht empfing, sondern Quelle eignen Lichtes war.

Es hat kein speciell juristisches, sondern mehr nur ein culturgeschichtliches Interesse, zusammenzustellen, welche particularrechtlichen Regeln noch im Reiche bestehen blieben; theils waren es einheimische Gewohnheiten, theils ausdrücklich gewährte kaiserliche Privilegien. Dahin gehörten das im proconsularen Edict begründete Privileg Bithyniens, welches den Gemeinden einen Concursvorzug gewährte (Plin. Ep. 10, 108. 109), das von August an Nicaea verliehene Privileg, vacante Erbschaften der Bürger an sich zu nehmen (Plin. Ep. 10, 87), die Zulässigkeit der Ehe mit der Wittwe des Bruders in Aegypten (1. 8. C. de inc. nupt. 5, 5), die Polygamie der Juden (7. 7. C. de Judaeis 1, 9), die Capitalstrafe gegen lapidum positio in Arabien und chomatum ruptio in Aegypten (fr. 9. 10. D. de extrao. crim. 47, 11). Vergl. Voigt das jus naturale und gentium d. Römer II. S. 788-829. Im Großen und Ganzen war an die Stelle des Gegensatzes von jus Romanorum und peregrinorum der des jus militum und privatorum getreten.

*) s. oben Excurse S. 201.

XXXI. Kapitel.

VI. Rechtspflege.

(Zu § 341-351)

I.

Der Criminalproceß in der Kaiserzeit.

A. Die Capitalgerichtsbarkeit über Hausangehörige, welche von den Familienhäuptern unter Zuziehung der Verwandtschaft geübt wurde, ging in der Kaiserzeit an den Senat über (Senec, de clem. 1, 15; Tac. Ann. 2, 50; Suet. Tib. 35; fr. 5. D. si a par. 37, 12), doch ward den Familienhäuptern und Cognaten eine gewisse Mitwirkung auch fortan eingeräumt (1. 3. C. de patr. pot. 8, 47), und Tödtung eines (eignen) Hauskindes galt nicht als parricidium. In minder schweren Fällen blieb das häusliche Zuchtrecht anerkannt. Dagegen ward den Privaten die Capitalgerichtsbarkeit über ihre Sklaven genommen (Spartian. Hadr. 17), und Ant. Pius stellte die willkürliche Tödtung des eignen Sklaven der eines fremden gleich (Gai. 1, 53). Rudorff II. § 99.

Die bereits sehr eingeschränkte Criminalgerichtsbarkeit der Comitien ging an den Senat, kaiserliche Beamte und den Princeps selbst über. Indem nicht selten von dem Letzteren solche Fälle, die eigentlich vor eine (vom Senat anzuordnende) quaestio extraordinaria oder vor eine der quaestiones perpetuae gehörten, dem Senat zur Entscheidung überwiesen wurden, gestaltete sich eine gewisse Criminal competenz dieser Behörde. Dieselbe erstreckte sich 1) auf völkerrechtliche und hochverrätherische Fälle (Bundesbruch, Aufruhr in Italien, Majestätsverbrechen gegen das Kaiserhaus); 2) auf Amtsmißbrauch, Erpressung, Bestechung u. s. w.; 3) auf alle Anklagen wider Mitglieder des Senatorenstandes. Dio C. 52, 31; 53, 33; Tac. Ann. 3, 12. 66. Bald kam die Provocation vom Senat an den Princeps auf (Tac. Ann. 6, 5), und seit Trajan verkümmerte die Competenz des Senats; nur seine Standesjurisdiction erhielt sich bis ins 3. Jahrh. (Spartian. Sev. 7. Dio C. 74, 2). Lange Röm. Alterth. II. S. 385.

Die durch die leges Juliae erheblich vermehrten quaestiones perpetuae mit ihren Prätores und Richterdecurien ** blieben für Rom, Italien und die Provinzen alten Datums in Wirksamkeit, doch erfuhren sie wegen ihrer Schwerfälligkeit Einschränkung durch die kaiserlichen Gerichte; so kommen sie noch in der Zeit der classischen Juristen vor (Plin. Ep. 5, 21; Quinct. 3, 10, 1; fr. 1. pr. D. de offic. ej. 1, 21). Rudorff I. § 30 a. E. § 39. II. § 103.

Den republikanischen Beamten ging das jus gladii und die animadversio major verloren; dagegen erhielten der Praefectus Urbi über Rom

*) s. oben Exeurse S. 205.

**) s. Excurse 8. 206 und Cursus § 343.

und den Umkreis bis auf 100 Meilen, der Praefectus Praetorio, später die Correctores über Italien, in den Provinzen der Praeses oder Procurator (vice Praesidis) die höhere Criminaljustiz (Collat. 14, 2. 3.). Daneben entschied auch der Princeps selbst unmittelbar auf Vortrag der Statthalter; Deportationsstrafe über vornehme Private und höhere Beamte zu verhängen, behielt er sich überhaupt vor, und außerdem war er für alle Fälle oberste Appellationsinstanz mit dem Recht der Strafmilderung und -Schärfung (fr. 6. § 8. D. de injusto 28, 3; fr. 15. § 1. D. de int. 48, 22; fr. 1. pr. D. quando app. 49, 4). Rudorff II. § 104.

Das alte Anklageprincip galt auch jetzt noch als Regel (Gallican. Avid. Cass. 2; fr. 6. § 2. D. de muner. 50, 4). Mit dem Tode fiel jede Strafe hinweg, außer der damnatio memoriae und fiscalischen Confiscation bei Majestätsverbrechen (extinguitur crimen mortalitate: fr. 11. D. ad leg. Jul. maj. 48, 5; fr. 20. D. de poen, 48, 19; fr. 20. D. de accus. 48, 2; § 5. J. de her. lib. int. 3, 1). Gegen Sklaven trat zufolge eines Senatsconsults vom Jahre 7 n. Chr. die criminalprocessuale Fiction der Freiheit ein, und im Mangel einer ordentlichen Strafe ward dann zu einer außerordentlichen gegriffen. Rudorff II. § 127. Die Oeffentlichkeit blieb im Ganzen bestehen, nur bei Capitalsachen der Senatoren ward sie im kaiserlichen Consistorium bisweilen beschränkt. Rud. I. § 132 a. E. Mit Ausnahme einiger Verbrechen, die nur 5 Jahre lang der Bestrafung ausgesetzt seyn sollten, galt 20jährige Verjährung. Rud. I. § 52. II. § 129.

B. Strafrechtlich sind fünf Classen von Personen zu unterscheiden: nämlich 1) die Mitglieder des Senatorenstandes (s. oben), 2) die milites (und veterani), 3) die Vornehmen (Honestiores), 4) die niedere Volksmasse (Humiliores) und 5) die Sklaven. - Die poenae militum waren besonders Todesstrafe durch das fustuarium supplicium der Kameraden oder Beil der Lictoren, ignominiosa missio und Disciplinarstrafen (fr. 3. § 1. D. de poen. 48, 19; Tac. Ann. 3, 21; Val. Max. 2, 7, 6). Rud. II. § 126. ,,In der vorchristlichen Kaiserherrschaft wird das Strafrecht wesentlich von einer socialen Scheidung getragen, die in der republikanischen Jurisdiction der Triumviri capitales kaum im Keime. vorgebildet war. Die neue Staatsordnung hatte die Gesellschaft in die beiden großen Classen der höheren und niederen Stände zersetzt. Die ,,Honestiores" sind durch Herkunft, Amt, Rang, Besitz mit der Kaiserherrschaft verflochten, ihr Kern ist die (anfangs) republikanisch gesinnte Aristokratie des Senatorenstandes, dem sich die Befehlshaberschaft des abhängigen Heeres und der Municipaladel der gedrückten Gemeinden anschloß. Ihnen gegenüber stand die große Masse der Humiliores, um so drohender und gefürchteter, je gehässiger und vereinzelter die Stellung ist, welche rein äußerliche Rangunterschiede ohne entsprechende politische Selbständigkeit den bevorrechteten Classen anzuweisen pflegen. Nirgends tritt die Ungleichheit bei den Kategorien vor dem Strafgesetze und dem Strafrichter schroffer hervor, als in der Strafe." Rud. II. § 98. Sklaven waren der Folter ausge

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setzt. Ordentlicher Weise sollte die Folter eines Sklaven nur in eigener Sache oder im Strafproceß des Herrn angewendet werden, allein das Edict August's vom Jahre 8 n. Chr. ließ in schweren Capitalfällen auch das Foltern fremder Sklaven geschehen. Freie durften nach republikanischem Rechte weder als Angeklagte noch als Zeugen gefoltert werden (fr. 1. § 9. 10; fr. 15. D. de probat. 22, 3); in der Kaiserzeit wurde dies ein Vorrecht der höheren Classen, und selbst diese blieben bei dem Majestätsverbrechen gegen die Person des Princeps und verwandten Unternehmungen nicht verschont." Rud. II. § 133. Die Entstehung des Rechtssatzes, daß durch Verurtheilung zu schweren Strafen eine servitus poenae begründet werde, gehört gleichfalls der Kaiserzeit an: hiernach hörte ein verurtheilter Sklave auf, seinem Herrn zu seyn (servus sine domino: fr. 8. § 12. D. de poen. 48, 19). Rudorff I. § 123. Dazu Hoeck Röm. Gesch. I. 1. S. 403 ff. und Geib Gesch. d. Röm. Crim.-Pr. S. 393 ff.

II.

Die processuale Obligatio und Novatio.

Zu § 349] A. Aller Verkehr ist ein Austausch der Güter und Wettstreit der Interessen; darum je energischer die Nationalität, um so streitbarer müssen auch die Formen der Geltendmachung dieser Interessen seyn. Verkehr und Proceß waren ursprünglich in Rom nahezu identisch gewesen;* dann hatten sich Friede und Krieg geschieden, und der Proceß war seine eigne Bahn gegangen. Alle Elemente streitbarer Lust lagerten seitdem im Processe sich ab.** Der Civilproceß war das Kriegswerk im Frieden, das Turnier der Röm. Bürger, die im Sommer ihre Feldzüge machten und im Winter dem Kriegsspiel oblagen: die Processe waren ihre Wett- und Ringkämpfe im Winter; denn immer strotzt die naive Volkskraft von einem Uebermaß von Energie, welches im Spiel sich Luft macht und hart an den Ernst streift. So war das Processiren ein wichtiges und beliebtes Geschäft der Bürger und konnte als noble Passion gelten; die juristische Plastik der Römer hat darum den Civilproceß zu einer der interessantesten Schöpfungen des antiken Geistes ausgeprägt. Zuerst lehnte sich der Civilproceß an den Typus des Sachenrechts an, dann aber, als alles sich mobilisirte, nahm auch der Civilproceß eine obligationsmäßige Wendung, und in demselben Maße, als er aus der Conventionalmaxime zur Instructions maxime überging, nahm er mehr und mehr das Gepräge der Obligatio an†: die Obligatio ward der civilistische Typus des Röm. Civilprocesses im Formularverfahren. Aber freilich, diese Proceßobligation konnte, sachlich betrachtet, im Grunde nur eine Form, ein Gewand seyn, in welches das Rechtsverhältniß, indem es in Streit gezogen wurde, eingekleidet erschien; sie war gewissermaßen das sagum, welches dem Rechtsverhält

*) s. Cursus § 93. 132. †) 6. Excurse S. 218f.

**) s. Excurse S. 142 ff. 211, 214, 216, 222,

niß angethan wurde; so wurde die res zur lis, das commercium zum judicium.

In die Form einer Obligatio läßt sich jedes Vermögensverhältniß bringen, die Obligatio ist dann eben nur eine Form. Allein die Römer machten doch mit dieser Idee Ernst, und daher kam es, daß, wo die res in litem deducta selbst eine Obligatio war, die Wissenschaft mit besonderer Präcision und Eleganz die Folgerungen der Idee der Proceßobligation abzuwägen und auszufeilen hatte. Diese Idee zur wissenschaftlichen Reife gebracht zu haben, ist eines der Hauptverdienste der classischen Jurisprudenz, die Civilproceßobligation eines der interessantesten Monumente der antiken Welt, und nirgends so schön, wie hier, läßt sich der Fortschritt der civilistischen Eleganz studiren, durch welchen die Jurisprudenz der Kaiserzeit ihre Vorgängerschaft, die Veteres, überflügelte. Hier kann der Kampf des Naturalismus mit dem Idealismus oft schrittweise verfolgt werden, und Combinationen treten dabei auf, welche Ueberladungen seyn würden, wenn sie nicht so correct durchgeführt und so durchsichtig gehalten wären.

B. Auf drei hervorragende Punkte des Proceßphänomens mußte der Blick concentrirt werden: 1) die Rückwirkung des Processes auf das geltend gemachte Rechtsverhältniß, 2) die neue Grundlegung zum Austrag des Streites und 3) die Zusammenfassung des Zeitraumes, welchen die Aufeinanderfolge der Proceßacte anfüllt, in einen entscheiden Punkt. Es ist das Verdienst v. Keller's (Litiscontestation und Urtheil, 1827. § 7-23), die zwei ersten Punkte gewürdigt und dogmatisch verarbeitet zu haben, in einer Weise, die trotz mancher Mängel (s. v. Bethmann-Hollweg Civilproc. II. S. 494. Anm. 39) für alle Zeiten maßgebend bleiben wird. Der Genannte hat diese zwei Punkte als die negative und die positive Function der Litiscontestation bezeichnet, worin ihm von Bethmann-Hollweg (a. a. O. S. 510, 512) folgt. Auch v. Savigny (System VI. S. 23) verkennt diese Functionen keineswegs, denn er sagt: „Auf zweierlei Weise greift die L.-C. in das bestehende Rechtsverhältniß ein: nach der Vergangenheit und nach der Zukunft. Nach der Vergangenheit, indem die vorhandene Klage in judicium deducirt und dadurch consumirt, d. h. für jede neue Verfolgung unbrauchbar gemacht wird; nach der Zukunft, indem die L.-C. eine wesentliche Modification für den Inhalt des künftigen Urtheils begründet." Vorzugsweise aber lenkt v. Savigny unsern Blick auf den dritten Punkt, d. h. auf die Gestalt des Processes als eines schwebenden Verhältnisses, denn er sagt (S. 48): ,,Indem nunmehr die Wirkungen der L.-C. dargestellt werden sollen, sind dieselben an den Grundsatz anzuknüpfen, nach welchem die Aufgabe dieses Rechtsinstitutes auf die Ausgleichung der nachtheiligen Folgen geht, welche aus der an sich nicht wünschenswerthen, aber unvermeidlichen Dauer des Rechtsstreits entspringen". v. Savigny ergänzt hiermit gewissermaßen die Keller'sche Construction. v. Keller ist der Idee der Litispendenz nie ganz gerecht geworden; indem er Kuntze, Excurse.

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