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Kreis erschien zunächst als ein jus singulare, allein von einem festen Centrum ausgehend trug er die Lebenskraft in sich, zu einem dem jus paganorum ebenbürtigen und coordinirten Reichsrecht anzuwachsen. Die treibende Grundidee war dieselbe, von welcher aus das nationale Civilrecht sich entwickelt hatte: die Idee des souveränen Privatwillens, das Recht eines paterfamilias; im jus militare galt der miles als selbständig, auch der filiusfamilias; und wie im nationalen Civilrecht die Privatsphäre gleichsam im Recht der ultima voluntas gipfelte, so ward auch im jus militare ganz vorzugsweise das Testiren des miles in vorzüglicher und freiester Weise sanctionirt. Der Wille des Soldaten ging nun über die XII Tafeln (s. Brinz Pand. I. S. 771), die Privilegien des testamentum militare gebührten den Soldaten standesmäßig (bis auf Justinian, der sie zuerst auf das in expeditione beschränkte). Die Heere waren nicht mehr fliegende Heersäulen, sondern communale Institutionen, stehende Körper, ihre Standlager und Castelle sammt Heerstraßen und Wällen formirten ein ideelles Territorium im Reich, und die zum System entfaltete Grundidee zog nach allen Richtungen hin ihre Consequenzen. Die einfachen Bürger hießen fortan im Gegensatz der Soldaten: pagani oder privati (Ulp. in fr. 7. § 6. D. de donat. 39, 5 und fr. 3. § 1. D. de muner. 50, 4), und das allgemeine Recht im Gegensatz des Militärrechts: jus commune, jus paganorum oder juris civilis regula (fr. 17. § 2. 4. D. de test. mil. 29, 1; dazu Scaev, in fr. 96. D. ad leg. Falc. 35, 2).

Persönlich und sachlich erweiterte sich das jus militare s. militum. Anfangs ein jus castrense (peculium castrense!) nahm es immer entschiedener das Gepräge der Permanenz an. Die Testirerleichterung ward auf alle erstreckt, qui in hosticulo deprehunduntur s. in procinctu versantur (Ulp. in fr. 1. D. de B. P. ex test. mil. 37, 13); betreffs der Excusationsbefugniß wurden neben den milites diejenigen genannt, qui eidem ordini communicaverunt (Mod. in fr. 8. pr. D. de excus. 27, 1). Rechtsirrthum ward den Soldaten verziehen, das beneficium competentiae ihnen gewährt. Seit Constantin endlich beginnt der favor veteranorum zum System zu werden, und die Geschichte der verpfändbaren militia zeigt uns, wie das System des militärischen Bureaukratismus auch im Privatrecht schöpferische Wirkungen äußerte.

In diesen Zusammenhang gehört das lange problematisch gewesene Institut der Laeti. Auch sonst war das Militärwesen ein Hauptcanal für das Eindringen peregrinischer Elemente und Ideen, aber es wurden diese zum großen Theil völlig intussuscipirt und romanisirt; an den Laeti nun sehen wir, wie Rom die peripherischen, barbarischen Einflüsse nicht mehr allenthalben innerlich zu bewältigen vermag. Auch hier, wie beim Colonat, sind es ackerbauliche Interessen, welche Berücksichtigung heischten, aber indem mit dem ländlichen Bodenbesitz militärischer Reichsdienst organisch verknüpft ward, entstanden typische Verhältnisse, welche lebhaft an die spätere Entstehung des Beneficialund Feudalwesens erinnern. Die früheste ausdrückliche Erwähnung

fällt allerdings erst in die nachclassische Zeit (a. 295 bei Eumen. Paneg. Constantio Caes. 21, 1), aber sein aus germanischen Elementen und auf gallischem Boden erwachsenes Daseyn im 3. und 4. Jahrhundert läßt vermuthen, daß seine Keime bereits unsrer Periode angehören. Vergl. Böcking Notitia Dignitat. II, 2. p. 1043 sq. und Voigt Das jus naturale d. Römer II. S. 891-8.

XXX. Kapitel.

V. Privatsphäre.

(Zu § 331-340)

I.

Zur Dogmengeschichte der classischen Jurisprudenz.

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Zu § 333. 336] Erst seit mehreren Jahrzehenden ist der Anfang gemacht, in das flache Bild der Röm. Jurisprudenz, wie es uns in den Digesten Justinian's vorzuliegen scheint, dogmengeschichtliche Perspective hineinzutragen, doch steht unsre Wissenschaft mit dieser neuen Arbeit noch am ersten Anfang, und die genetische Vertiefung des reichen Dogmengehalts wird nicht eher im großen Styl gelingen, als bis wir uns allgemein entschließen, das Röm. Recht vornehmlich als System des classischen Rechts vorzutragen. Es ist wenn wir von einzelnen Specialleistungen, wie natürlich, absehen ein eigenthümlicher Widerspruch, welchen die historische Schule in und mit sich herumgetragen hat, daß sie das Röm. Recht Justinian's für uns als eine geschichtliche Thatsache ergriffen, aber dieses Recht für sich fast gar nicht in seiner geschichtlichen Bewegung aufgefaßt hat. Wie erklärt sich dies? nicht lediglich aus der Allmählichkeit der geschichtlichen Forschung, denn nicht einmal in den größten und allgemeinsten Zügen hat jene Schule etwas für die civilistische Dogmengeschichte geleistet; sondern ganz hauptsächlich daraus, daß die historische Schule der letzte Act und Ausdruck eines Bewußtseyns war, welches dem recipirten Recht gegenüber unfrei und selbstlos dastand. Man nahm das Justinianische Recht als ein überkommenes Recht, und nahm es eben so, wie es überkommen war; man reflectirte nur darüber, was geworden, nicht wie es geworden war. Das freie Selbstbewußtseyn beginnt erst, wenn man nach der Entstehung dessen fragt, was man hat und die Herrschaft, die fertig dasteht, in ihrem Werden rückwärts belauscht. Die civilistische Dogmengeschichte ist ein solches Belauschen, sie ist die That und Bewährung einer freigewordnen Wissenschaft. Der volle Muth der Freiheit kann erst dann kommen, wenn das Röm. Recht nicht mehr als das Recht Justinian's Geltung behauptet, denn Justinian's Ordnung hat sich wie eine Eisdecke über das breite Bett gelegt, und erst wenn das Frühlingswehen einer durch das erstarkte Nationalbewußtseyn im Recht befreiten Wissenschaft die Decke gesprengt hat, kann die leben

dige Strömung, welche in der Tiefe der Vorzeit Justinian's gegangen ist, dem Auge offen werden.

A. Das Römische Recht ist lange durch das straffe Band unbedingter Einfachheit zusammengehalten worden; es war der Gürtel jenes Kriegskleids, in welchem Rom die Welt und ihre Völker besiegte und einte. Aber Civilisation und Luxus erheben Ansprüche, mit denen solche Einfachheit und Knappheit auf die Dauer unverträglich ist; so kam Gliederung, Mannichfaltigkeit, Verwickelung, Verschlungenheit über das System des Rechts, und zu den einfachen Originaldogmen gesellten sich complicirtere Rechtsideen und combinatorische Formeln. Zuerst Labeo scheint diese Arbeit unerschrocken in Angriff genommen zu haben.

Gleichwie im Sachengebiet universitates rerum aufgestellt (s. z. B. Pomp. in fr. 17. § 4. D. commod. 13, 6) und gar die Stücke einer Heerde, die schon genitalisch und wirthschaftlich eine Einheit bilden, als eine Sacheinheit geachtet wurden, um compresse Rechtsverhältnisse zu gewinnen: so entstand auch im Obligationengebiet das Verkehrs- und Rechtsbedürfniß, gegliederte Massen zu einheitlichen Rechtsobjecten zu comprimiren. Dieses Bedürfniß mochte sich zunächst nach zwei Seiten hin geltend machen: 1) die bei onerosen Verträgen in Betracht kommenden Leistungen waren zum Theil complicirter Natur, und namentlich galt es hier, das Moment der Wechselseitigkeit zur civilistischen Geltung zu bringen. Offenbar ist, dies gethan zu haben, Labeo's Verdienst. Er setzte für die s. g. Innominatcontracte diesen Gedanken durch, und aus seinen Betrachtungen über agere, gerere und contrahere (fr. 19. D. de V. S.) ersehen wir, welche Aufmerksamkeit er dem reichen Gebiete obligatorischer Leistungen schenkte, und wie er hier civilistisch aufzuräumen beflissen war. Dieses Aufräumen war wichtig theils für die negotiorum gestio (s. fr. 17. § 2. D. commod. 13, 6), theils für die (wesentlich und unwesentlich) gegenseitigen Contractsobligationen. Unter letzteren scheint die locatio conductio ein Lieblingscontract des Labeo gewesen zu seyn (fr. 58. 60. D. locati 19, 2), und bei diesem lag es besonders nahe, die beiderseitigen Leistungen als ein wirthschaftlich ineinander geschlungenes Ganzes aufzufassen. Ich schließe aus fr. 19. D. de V. S., daß es schon Labeo und zuerst er besonders war, welcher mit principieller Entschiedenheit die Idee der „,ultro citroque obligatio" aufstellte und dafür auf den im Worte ovráλhayua ausgedrückten Wirthschaftsgrund verwies; aus fr. 7. § 2. D. de pact. (2, 14) erkennen wir, daß unter Celsus und Aristo, Proculianern und Sabinianern, die Idee des ovváhhayua verhandelt und die Ansicht der letzteren derjenigen des Labeo conformirt wurde. 2) In Verbindung mit dem Gedanken der Wechselseitigkeit mußte aber auch die Wichtigkeit des Gedankens, daß die verdungene Leistung eine wirthschaftliche Einheit sei, zum Bewußtseyn kommen, und wem lag dieser Gedanke näher, als dem Begründer der Specificationstheorie? Es galt hier, juristisch mit einem Wirthschaftsmoment zu rechnen, und Paulus (in fr. 5. D. de V. S.)

erzählt uns, daß Labeo bei der locatio conductio zwischen oyov und únorthoμa unterschieden und mithin angenommmen habe, daß in manchen Rechtsverhältnissen ein aus mehrfachen Leistungen und Werken gebildetes Wirthschaftsganzes als solches in Betracht komme, und also gleichsam der Plan selbst das zu leistende sei. Javolen (fr. 51. § 1. D. locati 19, 2) adoptirte diesen Gedanken; er drückte die Idee des Unternehmens, welche einer Reihe verwickelter und verschiedenartiger Leistungen das Gepräge eines einzigen abgeschlossenen Leistungsobjectes gibt und mithin einen besonderen Rechtstypus herstellt, mit dem Worte universitas consummationis" aus, und Gaius (fr. 80. § 1. D. ad leg. Falc. 35, 2) machte davon Anwendung auf Legate.

Labeo gab mit seinen terminologischen Distinctionen viele neue Impulse. Vielleicht war es minder erheblich, daß er vom gewöhnlichen ostentum das qárτaoua (prodigiosum), oder ope und consilio factum, locus und praedium unterschied (s. fr. 38. 53. § 2. fr. 60. § 1. D. de V. S.); wenn er aber vom agere das contrahere und vom "oyov das „ex opere facto corpus aliquod perfectum" unterschied, so drücken uns die fremden Worte συνάλλαγμα und ἀποτέλεσμα neue schöpferische Ideen aus und führen uns auf einen interessanten Zusammenhang des Neuen hin, welches hier geschaffen ward.

B. Eine ähnliche, aber großartigere Compression von Momenten, welche für den oberflächlichen Blick getrennt liegen und äußerlich auseinanderfallen, zeigt sich in drei Instituten von eminenter Bedeutung: ich meine die dos, das peculium (theils profecticium, theils castrense) und die hereditas jacens. Hier kam es darauf an, wirthschaftlich verschlungenen, künstlich combinirten, theils latenten, theils gemeinsamen Interessen einen angemessenen juristischen Ausdruck zu geben.

Die Schwierigkeit der constructiven Aufgabe bestand hier zunächst darin, daß mehrere Personen: Vater, Tochter und Ehemann, oder Vater und Sohn, oder Erblasser und Erbfolger, sich um die betreffende Masse gruppiren. Paulus sagt, die Ehe sei eine vitae societas, welche die Ehefrau gewissermaßen zur Herrin des Hauses mache (fr. 1. D. de act. rer. am. 25, 2), und doch stand die Frau als selbständige Persönlichkeit neben dem Gatten; Julian sagt, die res castrenses und ceterae „quasi duorum hominum duas hereditates intelligi“ (fr. 17. § 1. D. de test. mil. 19, 1); Javolen sagt: „,heres et hereditas, tametsi duas appellationes recipiunt, unius personae tamen vice funguntur“ (fr. 22. D. de usurp. 41, 3), und doch bemerkt Tryphonin: „,occurrit, non posse dominium apud duos pro solido esse" (fr. 19. § 3. D. de castr. pec. 49, 17). Im Leben flossen dos und peculium mehrfach ineinander (s. z. B. fr. 65. § 1. D. de rei vind. §, 1; fx. 16. D. de relig. 11, 7; fr. 9. D. de jure dot. 23, 3; fragm. Vat. § 112). Sodann zeigte sich, daß innerhalb des Vermögenskreises allerhand Veränderungen vorgehen könnten, deren Complication die Einheit der Rechtsidee nicht beeinträchtigen durfte. Paulus bemerkt: „accessione ususfructus incrementum videtur dotis, non alia dos, quemadmodum si quid alluvione accessisset" (fr. 4. D. de jure Kuntze, Excurse.

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dot. 23, 3); Pomponius und Tryphonin sprechen von accessio et decessio und incrementum peculii (fr. 3. D. quando de pecul. 15, 2; fr. 57. D. de pecul. 15, 1), Ulpian behandelt die accessio et decessio, augmentum et diminutio hereditatis (fr. 178. D. de V. S.; fr. 20. § 3. D. de her. pet. 5, 3). Wie war also die Stellung der um diese Erscheinungen gruppirten Personen zu ordnen und zu formuliren? Betrachten wir zunächst die dos.

1. Die dos war ein wichtiges Entwicklungsmoment in der Consensualehe;* am Dotalinstrument erkannte man die ächte und die ebenbürtige Ehe. Die dos war ein Zuschuß zur Ehe und galt insofern beiden Gatten Ursprünglich nun mag man nicht an einen Rückfall der dos gedacht haben: der Satz, daß dieselbe dem Manne verbleibe, knüpfte die Consensualehe gewissermaßen an die alte Manusehe an, die alles Frauengut dem Gatten gab. Wir müssen annehmen, daß in der praktischen Gestaltung des Dotalrechts sich ein allmählicher Uebergang von der Manusehe zur Consensualehe vollzog. Ist nun, wie neuerdings glaubhaft gemacht ist, der Satz „dotis causa perpetua est“ für die ältere Zeit Grundsatz gewesen, so finden wir in ihm die vermuthete Brücke: wie bei der Manusehe der Ehemann alles Vermögen der Braut per universitatem erhielt und behielt, so bei der Consensualehe das dotis causa Eingebrachte. Der Gatte ward Eigenthümer auch des fundus dotalis, und es war von vorn herein selbstverständlich, daß Eigenthum definitives Eigenthum war. Der künstliche Gedanke eines entziehbaren und rückfälligen Eigenthums konnte nicht sofort fertig entstehen. Zuerst trat die Entziehung in der Gestalt einer actio und obligatio auf; in der lex Julia de fundo dotali tauchte wahrscheinlich zuerst die Idee eines der Frau verbleibenden Rechtes auf, indem ihr rücksichtlich des Grundstücksverkaufs ein Veto eingeräumt wurde (Gai. 2, 63); immer mehr Cautelarbefugnisse wurden dann der Ehefrau gesichert, und endlich mußte die Frage entstehen, ob denn diese der dos gegenüber während der Ehe noch als Fremde gelten könne. Der Gatte mußte die Verfügung in der Hauptsache doch behalten, aber auch der Gattin, schien es, sollte das Eigenthum nicht völlig entzogen seyn, und durch solches Anrecht der letzteren galt des Gatten Eigenthum als beschränkt. Aber wie war diese Beschränkung zu denken? Das war eine zunächst durch Rücksichten der utilitas zu lösende Frage.

Offenbar lag hier eine für Römische Juristen überaus schwierige Frage vor, den socialen Verschränkungen und organischen Verbindungen Einzelner waren von jeher die Römer abhold; ihre corporative Neigung beschränkte sich auf das Gebiet des jus publicum, und die Rechtsfrage der ehelichen Gütergemeinschaft ist zu allen Zeiten eine der schwierigsten. Auch war das ganze Institut der dos ein raffinirtes Erzeugniß des mit dem Familiensinn kämpfenden Egoismus. Wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn wir hier die Römischen Juristen im Grenzgebiet ihrer Meisterschaft anlangen sehen.

*)s. Cursus § 196.

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