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derung ob der reichen Fülle zusammentreffender literarischer Erscheinungen erfassen; diese Fülle war nicht eine Ausgeburt krankhafter Geschwätzigkeit und Vielschreiberei, sondern das großartige Ergebniß schöpferischer Regsamkeit. Es ist nicht bloß nebensächlich, daß die juristische Literatur dieser Periode so reich ist, denn mitten in der socialen Entkräftung und sittlichen Verwilderung einer Zeit, in welcher die Masse der Vornehmen wie der Geringen sich an den Genuß des Augenblicks hingab, ragen jener literarische Fleiß und die pietätvolle Ausdauer der Juristen wie Oasen in der Wüste hervor.

Aber so gern der Blick länger auf solchen Punkten weilte, rasch verschwinden sie, ja überraschend schnell, gleich Oasen im Flugsand der Wüste. Wie die Sprache der kaiserlichen Constitutionen sofort in der nachclassischen Zeit an Einfachheit, Prägnanz und Correctheit beträchtlich einbüßt, so fällt auch die Wissenschaft des Rechts von ihrer Höhe. Es kam ja die Zeit des allgemeinen Verfalls. Aber wie ist es zu erklären, daß der Fall so ein Fall zum Tode war? Die Erscheinung ist fast ohne Gleichen, daß eine so hoch erhobene Wissenschaft so plötzlich in Nichts zusammensinkt und alle folgenden Juristen der Vergessenheit verfallen sind, gleich als wenn dieser Wissenschaft das Epigonenthum erspart werden sollte. War der Stoff mit seinen zahllosen Fragen wirklich so erschöpft? oder waren die Talente der alten Welt zu Ende? So müßten wir fragen, wenn wir nicht wüßten, daß inmittels still, aber siegreich ein frischer aus anderem Anfang quellender Geistesstrom hereingetreten wäre in die alternde sterbende Welt, und eine junge Welt voll neuer Ideen ihre Höhen und Tiefen aufgethan hätte. Was Wunder, daß da der Aufwurf aus dem neugegrabenen Strombett das alte Bett verschloß, und alle erhabnen und tiefen Seelen, welche noch erwuchsen, jetzt dorthin blickten und wirkten. Wenn es wahr ist, was von Manchen angenommen wird, daß Tertullian (s. Rudorff R. Rechtsgesch. I. § 91) der Jurist und der Kirchenvater Eine Person sei, so sähen wir in ihm, dem Classiker und Patristen, wie das Heidenthum seine Talente ans Christenthum verlor.

F., Den Juristen, gleichsam den Erben des Prätors, wurde zwar nicht die Gesetzgebung, wohl aber die Rechtsauslegung, die Monothesie (auctoritas conscribendarum interpretandarumque legum) von dem Principat förmlich übertragen und soweit mit ihnen, als den Repräsentanten der Nation, die Legislatur gleichsam getheilt. Durch diese Einrichtung erhielt das Juristenrecht, welches sich früher auf die Grenzen der Röm. Gemeinde beschränkt hatte, die höhere Bedeutung eines allgemeinen Reichsrechts, aus ihren Responsen erwuchs ein drittes, auch das Jus Extraordinarium vertretendes Rechtselement, in ihre Rechtsbücher löste sich die gesammte antike Rechtsbildung (antiqua prudentia) auf, bis endlich auch diese Delegation der immediaten und einheitlichen Staatsgesetzgebung der christlichen Kaiser weichen mußte" (Rudorff R. Rechtsgesch. I. § 62).

Es lassen sich drei Kategorien dieses juristischen Schriftthums un

terscheiden: 1) Exegetische Werke. Dahin gehören die zahlreichen Commentare über a) die XII Tafeln (z. B. von Labeo und Gaius), b) wichtige Einzelgesetze (z. B. lex Cincia, Falcidia, Papia Poppaea, Aelia Sentia), c) einzelne Scta (z. B. ad Sctum Tertullianum), d) einzelne Constitutionen (z. B. ad Orationem D. Severi etc.), e) ad Edictum Praetoris urbani, oder Aedilium, f) über einzelne Hauptwerke berühmter Vorgänger (z. B. libri ad Q. Mucium, ex Posterioribus Labeonis, ad Sabinum, ex Cassio, Plautio, Notae ad Marcellum, ad Papinianum von Ulpian und Paulus).

2) Systematische Werke, und zwar theils a) dogmatische Handbücher des gesammten Rechts: s. g. Digesta, z. B. von Julian, Ulpian, Paulus; theils b) Lehrbücher und zwar mit vorherrschender Systematik (Institutiones, z. B. von Gaius, Marcianus, Ulpianus) oder mit vorherrschenden praktisch-didaktischen Zwecken (Regulae, Definitiones, Memorialia, Differentiae, Sententiae receptae, Quaestiones, Disputationes; z. B. die Quaestiones des Africanus, Cerv. Scaevola, Papinianus und Paulus, die Disputationes des Ulpianus); c) Monographien, entweder kurz zusammengedrängt (libri singulares) oder in Abschnittsreihen (libri) gegliedert (z. B. des Neratius liber de nuptiis, des Pomponius libri VI fideicommissorum, des Modestinus liber singularis de manumissionibus).

3) praktische Werke, namentlich die Zusammenstellung von Rechtsfällen und Entscheidungen enthaltend, unter dem Titel von Responsa, Epistolae, Casus etc. z. B. des Proculus, Celsus jun., Neratius Epistolae, des Cerv. Scaevola, Papinianus, Paulus und Modestinus Responsa.

Daneben stellt Rudorff (Röm. Rechtsgeschichte I. § 63) noch eine Mischgattung auf, wozu er die Enchiridia, Manualia, Res quotidianae einzelner Juristen rechnet. Vergl. Danz Lehrb. d. Gesch. d. Röm. R. I. § 76.

VII.

Ueberreste und Ausgaben positiver Rechtsquellen. Zu § 299-303] 1. Monumentum Ancyranum d. h. die lateinisch-griechische Copie eines von Augustus seinem Testamente beigefügten Anhangs, nämlich der Index rerum a se gestarum aus dem Jahre 14 n. Chr. Dasselbe ist eine der drei Testaments-Zugaben, welche der Kaiser in Gemäßheit seiner Amtspflicht als Pontifex Max., die öffentlichen Begebenheiten aufzuzeichnen, entworfen und vor seinem Mausoleum in Erztafeln aufzubewahren angeordnet hatte; die beiden anderen, darunter das Breviarium Imperii, eine Statistik der Wehr und Steuerkraft des ganzen Reichs, sind leider verloren, jener Index aber wurde in mehreren Städten Asiens nebst griechischer Uebersetzung öffentlich ausgehängt; ein solcher hat sich im Tempel von Angora in Galatia erhalten, eine Anzahl Bruchstücke bloß von der griechischen Uebersetzung auch zu Appollonia. S. Bökh Corp. Inscr. graec. T. III. No.

3971. 4040. Suet. Oct. 101. Tac. Ann. 1, 11. Dio C. 56, 33. Franzius u. Zumpt, Caesaris Augusti Index rerum a se gestarum s. Monumentum Ancyranum (1845).

2. Sctum Hosideanum v. J. 48 n. Chr., welches, um die Alterthümer zu wahren, Kaufgeschäfte über Gebäude auf Abbruch verbietet und den Käufer mit dem Doppelten des Preises (zu Gunsten des Aerars), den Verkäufer mit Nichtigkeit des Geschäfts bedroht. Tac. Ann. 6, 17; Suet. Tib. 48. 49. Unter den Trümmern von Herculanum aufgefundene Bronzetafel, jetzt zu Neapel, verbunden mit einer Dispensation von jenem Verbot (durch ein Sct. Volusianum v. J. 56). Haenel Corpus Legum p. 53. Mommsen Abhandl. der Sächs. Ges. d. Wiss. 1852. S. 272ff. Bachofen Ausgew. Lehren S. 185 ff. Rudorff I. § 50. 84. 3. Lex de imperio Vespasiani* v. J. 70 n. Chr., ein Senatusconsult über Gewährleistung der dem Kaiser reservirten Souveränetätsrechte, mit zugehöriger Sanctio durch eine Lex (curiata?). Wir haben das Endstück derselben auf einer im 14. Jahrhundert gefundenen Capitolinischen Erztafel. Gegen die Aechtheitsbezweiflung s. Niebuhr Röm. Gesch. I. S. 381. Haenel Corpus Legum 57.

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4. Lex (Flavia) de Salpensanis et de Malacitanis v. Jahre 82-84, d. h. eine lateinische Gemeindeordnung in Gestalt zweier Localstatute, von Domitian den hispanischen Städten Salpensa und Malaca in der Provinz Baetica verliehen. Der in bedeutenden Bruchstücken wohlerhaltene Text befindet sich auf zwei beträchtlichen, zusammen 264 kastil. Pfund wiegenden Bronzetafeln (aes Salpensanum in 2, aes Malacitanum in 5 Columnen), welche 1851 zu Malaga in Spanien ausgegraben in dortigen Privatbesitz kamen. Zuerst durch den Spanischen Juristen de Berlanga (Malaga 1853) veröffentlicht, dann von Mommsen in den Abhandl. d. sächs. Ges. (III. 1855. S. 363 507) mit Erläuterungen, Abdruck und krit. Nachträgen herausgegeben, von Laboulaye (Paris 1856) als ächt angezweifelt, von Giraud (Paris 1856. 1857) vertheidigt, dann von Asher (Notice sur tables de Malaga; Paris 1866) wieder angegriffen und von Arndts in Rudorff's Zeitschr. f. Rechtsgesch. VI. S. 393 ff. dagegen in Schutz genommen, ist noch ein Hauptgegenstand kritischen Streites. Vergl. Dirksen Academ. Abhandl. 1857. Rudorff I. § 12. 81. Krit. Ueberschau d. deut. Gesetzg. u. Rechtswiss. IV. S. 130 ff. 412 ff. Beide Gemeindeordnungen sind Kaisergesetze, welche nicht nur „auf die so dunkle Frage von der Geltung der Lex unter den Kaisern einen Lichtstrahl fallen lassen," sondern auch überraschende Aufschlüsse geben über die latinische Städteverfassung, das Recht der Latini coloniarii und das jus Italicum;** „die ältere Literatur über das jus Italicum wird hierdurch guten Theils unbrauchbar.“

les

Ueber verschiedene kaiserliche Edicte und s. g. Leges agrariae, Tabulae honestae missionis, Gesellschaftsstatute und Privaturkunden s. Rudorff I. § 81-87.

*) s. Cursus § 281. 304. 308.

**) s. Cursus § 295.

Ein großer und werthvoller Theil kaiserlicher Constitutionen* ist uns mit größerer oder geringerer Worttreue in den Codices (Gregorianus: von Hadrian an? Hermogenianus mit Nachträgen? Theodosianus: von Constantin. M. an; Justinianeus: mit Hadrian anhebend), sowie in einigen Privatarbeiten andrer Art (z. B. in den Vaticana fragmenta, der Collatio Legum und Consultatio) erhalten. Außerdem findet sich zerstreut in den mannichfachsten Quellen eine große Anzahl von Kaisererlassen; ein höchst verdienstliches Werk ist daher Haenel's Corpus Legum ab Imperatoribus Romanis ante Justinianum latarum, quae extra Constitutionum Codices supersunt, in 2 Fascikeln, Leipzig 1857. 1860. Dasselbe soll eine die Röm. Codices (u. Novellen) ergänzende Sammlung kaiserlicher Constitutionen von August bis zu Justinian's Regierungsantritt seyn, und enthält aus einem 558jährigen Zeitraume (von 31 v. Chr. bis 527 n. Chr.) Alles, was außerhalb jener Codices in den Schriften Röm. Juristen, in den sonstigen Ueberresten der griechischen und Römischen Literatur, besonders der Profan- und Kirchengeschichte, auf Monumenten in Stein oder Erz vorkommt, sei es nun, daß es in der Vollständigkeit des Originals aufbewahrt, oder nur im Auszug angeführt ist. Das Griechische ist dabei mit einer lateinischen Uebersetzung begleitet, auch sind nicht bloß die eigentlichen Kaiserconstitutionen, sondern zugleich die demselben Zeitraum angehörenden Leges comitiales und Sctu aufgenommen. Vergl. dazu Schletter's Jahrbücher VI (1860), S. 193.

VIII.

Ueberreste und Ausgaben wissenschaftlicher Werke.

Zu § 318-322] Nachdem mancherlei Privatunternehmungen sammelnder Art, in denen auch kleinere Gruppen von Excerpten wissenschaftlicher Werke (des Jus im engern Sinn) zusammengestellt wurden (fragmenta Vaticana, Collatio Legum, Consultatio), sowie verschiedene Erlasse von Gesetzbüchern germanischer Könige im Westen (Lex Romana Visigothorum, Burgundionum, Edictum Theodorici) vorausgegangen waren verwirklichte Justinian i. J. 533 den Plan einer umfassenden Zusammenstellung des Wichtigsten aus allen Römischen Juristenschriften von Mucius Scaevola bis Charisius in so umfassender Weise, daß wir ihm einen beträchtlichen Theil vom gesammten Römischen Juristenrecht verdanken. Dieser in Justinian's Digestenwerk bewahrte Schatz von über 9000 Fragmenten enthält so viel, daß daneben die sonst uns erhaltenen Bruchstücke aus Röm. Juristen fast verschwinden. Es kann daneben eigentlich nur ein, durch besonders glücklichen Zufall in Verona erhaltenes Bruchstück, nämlich das Institutionenwerk des Gaius als selbständiger Werth genannt werden, weil es nahe. zu vollständig gerettet ist, und so das einzige Werk eines Römischen

*) Vergl. oben Excurse S. 29 (Literatur No. VI: Schulting Demelius Bruns).

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Juristen ist, welches uns als Ganzes vorliegt, und zugleich unsrem Blick Tiefen erschließt, welche im Digestenwerk Justinian's eben nur geahnt worden sind. Wir können diesen Veroneser Gaius (etwa in Verbindung mit dem bedeutenden historischen Fragment aus Pomponius* im Digestentitel de origine juris) fast wie den unterirdischen Grundbau zu dem dem Tageslicht angehörigen Aufbau des Digestenrechts ansehen. Außerhalb jenes ,,omne jus antiquum, confusum et quasi quodam muro vallatum" ** hat uns das Glück folgende extramuralen Vorstadtgebäude und zerstreut umherliegenden Ruinen aufbehalten.

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Von dem ersten großen Römischen Sammelwerke des Aufidius Namusa ist uns Nichts erhalten;† von den Juris conditores aus der Zeit des Schulenkampfes besitzen wir nur, was uns Justinian gerettet hat, außer Wenigem, was bei Gellius, Festus, Plinius (Hist. nat.) und einigen anderen Antiquaren mitgetheilt wird (s. Rudorff I. § 88). ††

1. Gaii Institutionum commentarii IV, die Grundlage der Institutionen Justinian's, und außerdem bis zum Jahre 1816 fast nur aus der gothischen Epitome und den in die Digesten Justinian's aufgenommenen Fragmenten bekannt. Von Niebuhr zu Verona auf einem Palimpsest entdeckt, von Goeschen und v. Bethmann Hollweg entziffert, zuerst von v. Savigny auf die wahrscheinliche Urheberschaft zurückgeführt, ist dieses Werk des Gaius dann namentlich von Goeschen, Bluhme, Heffter, Lachmann, Huschke und Böcking kritisch festgestellt, ergänzt und commentirt worden. Niebuhr schrieb damals an v. Savigny über mehrere in der Bibliothek des Veroneser Domcapitels gemachte Funde: „Nun aber kommt erst die rechte Botschaft, welche ich Ihnen zu verkündigen habe: nämlich daß zu Verona von einem alten Juristen so Viel erhalten ist, als einen mäßigen Octavband anfüllen würde: davon aber habe ich nur 1 Blatt zur Probe und zum Beweis abschreiben können. Ich hatte schon zu Würzburg angefangen, mich nach rescriptis umzusehen.... Zu Verona ging mir ein andrer Glücksstern auf. Nämlich der Codex 13., Briefe des h. Hieronymus, ein ziemlich starker Quartband, aus dem 9. Jahrhundert, ist rescript bis auf höchstens / der Blätter, die neu genommen sind. Von dem rescribirten Theil ist Etwas theologischen Inhalts, bei Weitem aber das Meiste juristisch. Es ist von der nämlichen Hand geschrieben, wie das Fragment des Gaius ... Den Namen des Verfassers und den Titel des Buches habe ich vergebens gesucht. Nach meiner Vermuthung, die sich auf die Manier und Citationen gründet, ist es ein Werk Ulpian's (v. Savigny Verm. Schr. III. S. 160-3). v. Savigny selbst rieth aus einer Vergleichung des Blattinhalts mit § 4. J. de succ. libertor. (3, 8) alsbald auf die Institutionen des Gaius (ebendas. S. 203). „Die Veroneser Handschrift des Gaius stammt natürlich noch aus dem Rechtszustande vor Justinian's Gesetzgebung, dem 5. oder spätestens

*) s. Osannus, Pomponii de Origine juris fragmentum (Giess. 1848). Es ist der Enchiridii liber singularis. *") s. Cursus § 51. ††) s. z. B. oben Excurse S. 282 (über Labeo).

†) s. Cursus § 187 (S. 129).

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