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des Röm. Volks konnte sie nicht werden, weil sie im nationalen Leben desselben keine Wurzel hatte: sie blieb längere Zeit hindurch ein Besitzthum der vornehmen Welt und wurde von ihr als Mittel zu feinerem Lebensgenuß und als nützliche Beigabe zu Zwecken des öffentlichen und Privatlebens betrachtet. Die Beschäftigung mit der griechischen Kunst und Wissenschaft ward damals sehr äußerlich und ohne Zusammenhang mit dem nationalen Leben betrieben. Einen neuen Impuls gab die berühmte Gesandtschaft der drei griechischen Philosophen und Redner Karneades, Diogenes und Kritolaos (155 v. Chr.), die durch ihre mit allem Flitter der griechischen Rhetorik ausgestatteten Vorträge großes Aufsehn machten. Mehr als früher suchte man jetzt mit Hülfe der fremden Literatur eine eigene lateinische Literatur zu gründen."

Mommsen (R. Gesch. I. S. 895) sagt:,,Der Höhepunkt der Röm. Entwicklung ist die literaturlose Zeit. Erst als die Röm. Nationalität sich aufzulösen und die hellenisch - kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen, stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum steht sie von Haus aus und mit zwingender innerlicher Nöthigung auf griechischem Boden und in schroffem Gegensatz gegen den specifisch Römischen Nationalsinn". Hiervon ist Eine Ausnahme zu machen: die juristische Literatur, sie war der nationalste Theil der Röm. Literatur, und man hat die in ihr niedergelegte Theorie nicht mit Unrecht die Philosophie der Römer genannt. Der Oberpontifex Scaevola und der Redner Sulpicius, jener der Lehrer, dieser der Freund Cicero's, waren wissenschaftliche Köpfe ersten Ranges; sie sind es, welche die Rechtswissenschaft dem universellen Reigen der wissenschaftlichen Disciplinen eingereiht haben, und die Jurisprudenz aller Zeiten hat sie als ihre Urheber und Patriarchen zu feiern. Sie könnten vielleicht in gewisser Hinsicht mit Sokrates und Platon verglichen werden. Sulpicius aber zeichnete sich nicht bloß durch seine wissenschaftliche Methode, sondern auch durch bedeutende schriftstellerische Fruchtbarkeit aus, und scheint der Erste gewesen zu seyn, dessen Schriften im Großen und Ganzen bleibenden Werth behielten; bis in die spätere Zeit wurden seine Schriften citirt und seine Ansichten als maßgebend erwähnt. Vergl. Schneider Quaestt. de Servio Sulpicio (Lips. 1834), I. p. 81 sq.

Aus der Casuistik ist die Röm. Jurisprudenz erwachsen, und von daher ist ihr immer ein gewisses casuistisches Gepräge geblieben; aber es war freilich das edelste Metall, welches in dieser Form ausgemünzt ward. In schulgerechter Definition und systematischer Composition sind die Röm. Juristen nie groß gewesen, auch nicht die der späteren (s. g. classischen) Zeit; fast immer urtheilten sie vom einzelnen Falle aus und betrachteten diesen gerade nur von derjenigen Seite, welche in Frage kam, daher ihre Entwicklung oft den Anstrich von Einseitigkeit erhält; allein indem sie von lebendigen Fällen ausgingen und diese Fälle in lebendiger Anschauung auffaßten, argumentirten sie mit einer

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Sicherheit des Blicks und schöpften sie aus solchen Tiefen des Rechtslebens, daß ihre Gutachten und Schriften selbst in der uns erhaltenen fragmentarischen Beschränktheit einen unerschöpflichen und für alle Zeit ergiebigen Born der Jurisprudenz abgeben.

Es ist noch ein Zweites, was die Jurisprudenz der Veteres karakterisirt und von ihnen auch auf die Späteren übergegangen ist: die traditionelle und schulmäßige Bahn der Fortbewegung. Da ist kein subjectives Belieben und speculatives Experimentiren, kein Spielen mit Einfällen und Paradoxien, sondern allenthalben Handreichung vom Vorgänger auf den Nachfolger („per manus traditum" Pap. in fr. 10. D. de jure codic. 29, 7), Respect vor der bewährten Autorität der Lehrer, vorsichtiges, immer die Vorgängerschaft pietätvoll berücksichtigendes Weiterbauen und darum das schließliche Ergebniß, d. h. der ganze Aufbau der Röm. Wissenschaft, welcher ein imposantes Gefüge von Quadern ohne Lücke und Riß ist. Vergl. Zimmern Gesch. d. R. R. I. § 56.

IV.

Juristische Schulausdrücke.

Zu § 185] Dieselben mögen sich im Laufe dieser Periode festgestellt haben (vergl. die Formel der stipulatio Aquiliana in fr. 18. § 1. D. de accept. 46, 4). Zur Bezeichnung der verschiedenen Interessenten in den vorgetragenen Rechtsfällen waren die Namen L. Titius, G. Sejus und P. Maevius besonders beliebt (s. z. B. fr. 67. D. de cond. ind. 12, 6; fr. 88. D. de legat. II.); daneben finden sich auch L. Sempronius, G. Cornelius (fr. 59. D. de mand. 17, 1) u. A.; oder ohne Pränomen kurz Titius, Sejus, Maevius, Calpurnius, oder aber bloß die Vornamen Gaius, Lucius (z. B. in fr. 27. D. de legat. II.). Nicht selten finden sich aber anch die abstracten Zahlnamen: Primus, Secundus, Tertius (z. B. bei Paulus in fr. 82. § 1. D. de leg. II., bei Ulpian in fr. 19. D. de condit. 35, 1, und fr. 1. § 8. D. de separ. 42, 6.).

Auch Grundstücke, welche als Streitobjecte vorgestellt wurden, pflegten mit einem Individualnamen belegt zu werden, z. B. fundus Cornelianus, Titianus, Sejanus, Sempronianus, Julianus; oder sie wurden. nach ihrer Ortslage unterschieden: fundus Gabinianus, Tusculanus, Campanus, Lulatianus (z. B. in fr. 78. 91. 93. D. de legat. III.; fr. 12. D. de ann. legat. 33, 1).

Zur Bezeichnung von Sklaven und Freigelassenen wurden griechische Namen vorgezogen: Stichus, Dama, Eros, Pamphilus, Diphilus; andere Namen s. in fr. 87. § 2. D. de legat. II. Doch kommt auch Titius als Name eines Freigelassenen vor (fr. 21. § 4. D. de ann. legat. 33, 1).

Ebenso constant scheinen die processualen Schulausdrücke gewesen zu seyn; sie begegnen uns noch in den Institutionen des Gaius und in den Digesten Justinian's. Mit Aul. Agerius und Numerius Kuntze, Excurse,

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Negidius wurden die Rollen des Klägers (is, qui ait et agit?) und Beklagten (is qui numerare negat?) bezeichnet, z. B. bei Gai. 4, 47. 131, Aus welcher Zeit diese künstliche Terminologie stamme, ist nicht zu sagen; alt ist sie gewiß; doch kommen in den Formeln der lex Rubria Q. Licinius als Kläger und L. Sejus als Beklagter vor. Numerius war ein dem Fabischen Geschlechte eigenthümliches Pränomen, und ein Fabier (Servius Fabius Pictor, Cato's jüngerer Zeitgenosse) war Verfasser einer Schrift de jure pontificio (s. Schwegler Röm. Gesch. I. S. 77); ob von diesem oder in Erinnerung an ihn der „Numerius“ in die Proceßschule gekommen ist?!,,Negidius" ist gleichfalls ein reeller Name (s. z. B. Mommsen R. Gesch. II. S. 11.). Julian in fr. 18. $ 2. D. de m. c. don. (39, 5) führt eine Ageria auf, ohne an eine processuale Rolle derselben zu denken, ebenso Scaevola einen Negidius (libertus) in fr. 33. D. de usu leg. (33, 2).

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Ueber solche „Blanketnamen“ vergl. auch v. Keller Röm, Civilproc. § 40. Anm. 460; Ihering Geist d. R. R. II. S. 614; v. Bethmann-H. Civilproc. II. S. 409. Ueber die der altröm. Ehe eigen

thümliche Formel: Ubi tu Gaius, ibi ego Gaia (Gavius = Stier- oder Heerdenbesitzer wo du Hausherr bist, bin ich Hausfrau!) s. RoB

bach Unters. üb. d. Röm. Ehe (1853) S. 352-6.

XXII. Kapitel.

IV. Rechtsfähigkeit.

(Zu § 188-192)

Zu § 188 u. 190] Die allgemeine Nivellirungstendenz dieser Zeit zeigte sich namentlich in Ansehung der bürgerlichen Rechtsfähigkeit. Einmal fiel innerhalb der Bürgerschaft die bisherige Abstufung von Voll- und Halbbürgern fast ganz hinweg, indem theils manchen Passivbürgergemeinden, z. B. Capua, infolge des 2. pun. Krieges das Bürgerrecht ganz entzogen, theils den übrigen das volle Bürgerrecht gewährt ward; es gab seitdem nur noch einzelne vom Stimmrecht aus besonderen Gründen ausgeschlossene Individuen" (Aerarier). Vergl. Mommsen R. Gesch. I. S. 809 u. Lange Alterth. II. S. 202-4. Zweitens sanken die latinischen Bundesgenossen, welche mancher Vorrechte vor den übrigen italischen Verbündeten sich erfreut hatten, mehr und mehr auf deren Niveau herab: die Freizügigkeit ward ihnen beschränkt, und den neuen latinischen Colonien überhaupt nicht mehr bewilligt; die Steuer- und Kriegslast fiel ihnen jetzt ebenso zu, das Münzrecht ward ihnen ebenso entzogen oder verkümmert, wie den übrigen, und die Erlangung des Bürgerrechts für latinische Gemeinden und Einzelne immer mehr erschwert. Vergl. Mommsen I. S. 670. 809–813. Lange II. S. 110. 190-194. 205.

Anderseits fing man an, neu anzulegenden Städten nicht das latinische, sondern das volle Bürgerrecht zu ertheilen, „,und die bisher fast

regelmäßige Erweiterung der Latinerschaft durch neu hinzutretende Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileja, dessen Gründung 183 begann, ist die jüngste der italischen Colonien Rom's geblieben, welche mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefähr gleichzeitig ausgeführten Colonien Potentia, Pisaurum, Parma, Mutina, Luna (184 bis 177) ward schon das volle Bürgerrecht gegeben", da Röm. Bürger jetzt nicht mehr mit Ertheilung der gesunkenen Latinität zufrieden seyn konnten.

„Die Röm. Bürgerschaft erfüllte in ziemlich geschlossener Masse Latium im weitesten Sinn, die Sabina und einen Theil Campaniens, so daß sie an der Westküste nördlich bis Caere, südlich bis Cumae reichte; innerhalb dieses Gebiets standen nur wenige Städte, wie Tibur, Praeneste, Signia, Norba, Ferentinum, außer derselben. Dazu kamen die Seecolonien an den italischen Küsten, welche durchgängig das Röm. Vollbürgerrecht besaßen, die picenischen und transapenninischen Colonien der jüngsten Zeit, und eine sehr beträchtliche Anzahl Römischer Bürger, die, ohne eigentlich gesonderte Gemeinwesen zu bilden, in Marktflecken und Dörfern (fora et conciliabula) durch ganz Italien zerstreut lebten." Mommsen I. S. 818. Diese Bürgerschaft schloß sich gegenüber der übrigen Bevölkerung Italiens fast hermetisch ab, und der gemeinsam auf diese geübte immer wachsende Druck schärfte den Gegensatz, an welchem nun auch die Latiner vollen Antheil hatten, steigerte die Unzufriedenheit und bereitete die Empörung vor. Mommsen II. S. 222-4. Eine solche war jedoch bei der Geschlossenheit der Röm. Bürgerschaft und der Getheiltheit der Bundesbevölkerung schwierig. Aus den Censuszahlen der Jahre 115 und 70 läßt sich schließen,,daß die Zahl der Bürger nicht sehr viel geringer war, als die der italischen Bundesgenossen, und auf ungefähr 400,000 waffenfähige Bürger mindestens 500,000, wahrscheinlich 600,000 Bundesgenossen, daß also für die Zeit des Bundesgenossenkriegs in Italien auf zwei Bürger drei Nichtbürger kamen." Mommsen II. S. 225.

Erst als durch die wiederholten revolutionären Erschütterungen und das zersetzende Parteigetriebe der Marianischen Zeit das Röm. Staats- und Gesellschaftsgebäude ins Schwanken kam, konnte eine italische Empörung Aussicht auf Erfolg haben. Der 150jährige Damm, welcher von der Röm. Bürgerschaft aufgerichtet worden, ward durch das bellum sociale gebrochen, und Rom mußte seinen Widerstand gegen die Ansprüche der Italiker auf politische Gleichberechtigung aufgeben: es ward nun der größte Theil der freien italischen Bevölkerung zum Röm. Bürgerthum zugelassen (90-88 v. Chr.). Vergl. Mommsen II. S. 225-7; 242; 250; 313.

Den hierdurch begründeten neuen Zustand ließ auch Sulla bestehen in seiner sonst mit aller Nachdrücklichkeit eines geschlossenen politischen Systems durchgeführten Restauration. ,,Jeder Bürger einer italischen Gemeinde war damit von selbst auch Bürger von Rom, die Unterschiede zwischen Bürgern und italischen Bundesgenossen zwischen

Altbürgern besseren und Neubürgern beschränkteren Rechts waren und blieben beseitigt." Mommsen II. S. 348.

XXIII. Kapitel.

V. Privatsphäre.

(Zu § 193-199)

I.

Die Römische Mobiliar- und Geldwirthschaft.

Zu § 193] „Durch die Möglichkeit, Alles mit Geld zu kaufen, tritt der Consumtionswerth der Dinge gegen den Tauschwerth zurück, die Güter werden mehr und mehr nach Geld geschätzt, der Werth der Dinge überhaupt wird in der Vorstellung der Menschen immer mehr ein reiner Tauschwerth, d. h. Geld, so daß sich der Tauschwerth mit dem Consumtionswerth, und da der Tauschwerth in Geld besteht, sich der Werthbegriff überhaupt fast mit dem Geldbegriff identificirt". Nirgends so wie in dieser Periode in Rom hat sich das bezeichnete wirthschaftliche Entwicklungsgesetz bewahrheitet.

Von Alters her, wie es scheint, seit der Servianischen Censusverfassung erschien den Römern das Geld als die wichtigste Form des flüssigen Vermögens; aes alienum bedeutete allgemein Schuldverbindlichkeiten, der Tribut ward in Geld entrichtet, auf Geld gingen in alter Zeit auch alle klagbaren Obligationen unter Privaten (fr. 108. D. de V. S.). Im Volks- und Juristenmunde drückte dann pecunia schlechthin jedweden Vermögensbestand aus („Omnia corpora, omnes res, tam soli quam mobiles, et tam corpora quam jura“ (fr. 178. pr., fr. 222. D. de V.S.); die lex Cornelia über Bürgschaften verstand unter „pecunia“ omnes res (Gai. 3, 124); rei ejusdem pecuniae bedeutete soviel als rei ejusdem debiti; in Stipulationen über Erbschaften wurden diese mit dem Worte pecunia bezeichnet, wie Celsus (fr. 97 eod.) angibt (vergl. dazu fr. 50. D. ad Sct. Treh. 36, 1): wobei wir uns erinnern, daß Cicero die hereditas eine pecunia nannte (Top 5; de invent. 2, 21; de leg. 2, 19. 21), und er sich damit an den Wortlaut der XII Tafeln anschloß. Constantin in 1. 22. Cod. de adm. tut. (5, 37) bemerkte: in pecunia robur omne patrimoniorum Veteres posuerunt, und Justinian in 7. 2. Cod. de const. pec. (4, 18) führt mit Rücksicht auf die actio constitutae pecuniae aus, daß Veteres pecuniae appellatione omnes res significari definiant, et hujusmodi vocabulum et in libris juris auctorum et in alia antiqua prudentia manifestissime inventum sit." Wir ersehen hieraus, daß der Gedanke, welcher von Paulus (fr. 5. pr. D. de V. S.) so ausgedrückt wird: „pecuniae significatio ad ea refertur, quae in patrimonio sunt", das Römische Verkehrsleben beherrschte. Das aber konnte in solchem Maße nur da der Fall seyn, wo seit alter Zeit der Vermögensbestand (zuerst in publicistischem Interesse) auf Geld reducirt ward, und allmählich das Ver

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