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II.

Ueberreste Römischer Rechtsquellen oder Rechtsdenkmäler aus der dritten Periode.

Zu § 177] Man kann zwei Arten,,monumentaler Ueberlieferung" unterscheiden: a) solche Inschriften- und Urkundentexte, welche auf antikem Material und im Originalexemplar erhalten, beziehendlich wiederaufgefunden sind, und b) solche wörtliche Textmittheilungen, welche wir der referirenden (antiken oder mittelalterlichen) Literatur verdanken. Mehr oder minder zuverlässige und vollständige Sammlungsversuche rühren her von Gruter, Muratori, Barn. Brissonius, Terrasson, Marini, Haubold-Spangenberg (Monumenta legalia), Orelli, Henzen, Zell, Th. Mommsen, Leon Renier (s. Rudorff Rechtsgesch. § 81). Zu der ersteren Art (sub a) gehören ff (vergl. Rudorff I. §. 81. 83).

1) Sctum de Bachanalibus nebst einem Consularschreiben (186 v. Chr.) auf einer Bronzetafel 1640 in Bruttien gefunden und jetzt in Wien. Ueber die Veranlassung dieses berühmten Sctum s. Lange Alterth. II. S. 213.

2) Eine lex agraria, 8 Jahre nach der lex Thoria, im Jahre 111 durchgesetzt (wodurch die italischen Domanialstrecken für zinsfreies Privateigenthum der Possessoren erklärt wurden), in 7 (jetzt nur noch 6) Bruchstücken mit 51 Kapiteln (d. h. oberes Drittheil der Erztafel) theils zu Neapel, theils zu Wien aufbewahrt, lange Zeit mit der lex Thoria verwechselt, von Rudorff, Huschke und Mommsen einigermaßen ergänzt.

3) Tabula Bantina mit einem lateinischen und einem oskischen Texte auf Vorder- u. Rückseite der 1790/3 in Lucanien gefundenen Tafel, welche jetzt in Neapel ist. Der lateinische Text enthält bloß die Schlußsanction eines unbekannten Plebiscits (lex Acilia repetundarum? lex Licinia de ambitu? lex Plautia judiciaria v. J. 89? Göttling Staatsverf. S. 456; Lange Alterth. II. S. 568), der oskische vielleicht das Bruchstück eines von Rom an Bantia um das J. 100 verliehenen Stadtrechts (Kirchhoff, Lange, Huschke).

4) Plebiscitum de Thermensibus s. lex Antonia Cornelia Fundania 72 v. Chr. (wodurch die Bürger von Thermessus in Pisidien für liberi amici sociique populi Romani erklärt wurden) auf einem zu Neapel aufbewahrten Bronzestück (Dirksen).

5) Setum Lutatianum v. J. 78 (den ehrenvollen Abschied dreier griechischer Schiffscapitäne mit Restitution gegen Rechtsversäumnisse enthaltend) lateinisch und griechisch auf einer Bronzetafel in Neapel.

6) Lex (Cornelia) de scribis, viatoribus et praeconibus, vielleicht ein Bruchstück der Sullanischen lex Cornelia de Magistratibus oder lex de viginti Quaestoribus v. J. 81 v. Chr. (673 d. St. s. Lange

Alterth. II. S. 558) auf einer (vielleicht der achten) Gesetztafel zu Neapel. Dieses Bruchstück bildet außer dem von Frontin. de aquis c. 100 mitgetheilten Sctum die Hauptquelle über den Dienst der Subalternbeamten. Vergl. Mommsen i. Rhein. Mus. f. Philol. N. F. VI. S. 1 ff. v. Bethmann-Hollw. II. § 77.

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7) Lex Rubria 49 v. Chr. (eine im Entwurf vielleicht von Cäsar herrührende städtische Gerichtsordnung für Gallia cisalpina, durch welche die bald darauf erfolgende Einverleibung in Italien vorbereitet ward*) auf einem die Kap. 19-23 des Gesetzes enthaltenden Tafelbruchstück, welches eine ursprüngliche Copie des Gesetzes 1760 bei Veleja ausgegraben ward, in Parma ist, und namentlich von der operis novi nunciatio, dem damnum infectum, der Schuldexecution und dem judicium familiae herciscundae handelt. Vgl. Danz Röm. R. G. I. S. 71 ff. Ritschl Facsimile 1851. Huschke Gaius S. 202-242. Mommsen Corpus inscr. latin. Vol. I. p. 118 und in Bekkers Jahrbuch II. S. 319-334. Rudorff R. R. -Gesch. I. § 12. Anm. 5. v. Bethmann-Hollw. II. § 59. Anm. 20 (S. 30).

8) Tabula Heracleensis s. lex Julia municipalis 45 v. Chr. (eine von Cäsar entworfene, die bisherigen Grundlagen bewahrende und fortan maßgebend bleibende Gemeindeordnung nicht bloß für Rom, sondern namentlich für die Römischen und Latinischen Städte in ganz Italien) aus zwei, 1732 am Tarentiner Meerbusen gefundenen Tafelhälften bestehend, deren obere (Aes Neapolitanum) 74, die untere (Aes Britannicum) 163 Zeilen enthält, mit einem Psephisma aus der Zeit der Freiheit Heraclea's auf der Vorderseite. Die eine Zeit lang (1735-60) in England befindlich gewesene Hälfte ist jetzt in Neapel mit der anderen vereinigt (Ausgg. von Dirksen, Hugo, Marezoll; s. Rein Privatr. S. 13. Anm. 3).

Die drei Wiederauffindungen, welcher die historische Juristenschule Deutschlands ihre wichtigste Quellenanregung verdankt, sind die der lex Julia municipalis, der lex Rubria de Gallia Cisalpina und der Commentarii des Gaius. Jene zwei bilden unsere Hauptquelle über die Italische Städteverfassung. Auf die lex Rubria (zuerst in Italien 1780 edirt) machte in Deutschland zuerst Hugo (civ. Magazin II. S. 431 ff.) im J. 1796 aufmerksam, welcher auch in Deutschland zuerst beide Theile der lex Julia herausgab (civ. Mag. III. S. 340 ff.). Mit ihnen ist Hugo's Name eben so verwachsen, wie der Göschen's mit Gaius; die scharfsinnige Vermuthung, daß die Tafel von Heraklea identisch sei mit der lex Julia rührt von v. Savigny (Verm. Schr. Bd. 3. S. 327 ff. 401 ff.) her. Vergl. dazu C. Hegel, Gesch. der Städteverfass. von Italien I. S. 18 ff. Mommsen, Corpus inscript. lat. Vol. I. p. 119 sq. u. v. Bethmann-Hollw. Röm. Civilproc. II. § 58. Anm. 12.

Ueber die aus Röm. Rechtsbüchern uns überlieferten wörtlichen Textstücke (s. oben sub b) vergl. Rudorff I. § 88.90.

*). Cursus § 174 a. E. und die Excurse zu diesem Kap. No. I. sub II. 1.

III.

Die Formen der Thätigkeit des Juristenstandes.

Zu § 185] Die juristische Praxis und Literatur wuchs in Rom aus der ganzen Breite und Fülle des Nationallebens hervor, obgleich sie lange das Monopol einer ,,Kaste" schien. Nur wo Gebundenheit im bergenden Schoße einer sorgfältig und streng gehegten Tradition vorausgegangen ist, pflegt die Entbindung zur Freiheit der Bewegung schöpferischen Reichthum und kräftige Lebensdauer im Gefolge zu haben.

1) Die Praxis. Das Recht war das Element jeden Römers. „,Der kleine Grundbesitzer, sparsam und erwerbslustig, bedurfte des juristischen Raths nicht allein, sondern die Consultation war für ihn eine Seelenstärkung. Daher wird man den Einfluß der Respondenten auf den Karakter der Röm. Bauern, d. h. auf die Verfassung nicht hoch genug anschlagen können. Der Bauer verheirathete keine Tochter, verkaufte kein jugerum, schloß kein Anlehn, ohne sich bei seiner juristischen Freundschaft in irgend einem senatorischen Hause Raths zu erholen“ (K. W. Nitzsch). Man unterschied (s. dazu Ihering Geist II. § 42. S. 439) am Juristenberufe (urbana militia): A) das cavere d. h. das Abfassen von Geschäftsformeln und juristischen Instrumenten aller Art. Diese Cautelarjurisprudenz war besonders wichtig in einer Zeit, wo das größte Gewicht auf die technische und terminologische Correctheit des juristischen Handelns und Verhandelns gelegt und darin die Hauptgarantie praktischer Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit gesehen ward; sie war die Rüstung des jus strictum. Aber unter der scheinbar starren Hülle schlug schöpferisches Leben,,,ein neues Formular bedeutete für den Verkehr eine neue Bahn, die er einschlagen konnte,“ „die leges contractus mußten die (mangelnden oder mangelhaften) leges de contractibus ersetzen", und die Redaction war zugleich eine latente Construction (s. Ihering II. S. 312. 443. 604 bis 608). Beispielsweise werden uns aus älterer Zeit genannt a) die Manilianae actiones des M.' Manilius, s. Manilianae venalium vendendorum leges, d. h. Kaufcontractsformulare (Varro de re rust. 2, 5, 11), in denen vielleicht das System der duplae stipulatio und evictio seine Wurzeln hatte; die oft daneben genannten Hostilianae actiones waren weiter nichts als oratorische Musterformeln (Cic. de or. 1, 57). Vergl. Rudorff I. § 64. S. 159. § 95 a. E. b) die cautio Muciana des Oberpontifex Scaevola, wodurch einem Legatar ermöglicht ward, ein Legat, welches ihm unter einer lebenslänglichen conditio non faciendi hinterlassen war, doch alsbald vorläufig zu erwerben; c) die stipulatio Aquiliana des Aquilius Gallus, wodurch eine Mehrheit verschiedenartigster Rechnungsposten in eine Generalformel und Gesammtobligation so zusammengezogen werden konnte, daß alle Posten dann durch einen einmaligen Acceptilationsact in Bausch und Bogen

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zu erledigen waren; d) die lex venditionis de rutis et caesis, welche von Aquilius Gallus für überflüssig erklärt ward, weil gebrochene Kreide und gefällte Bäume von selbst aufgehört haben, Theil des Bodens zu seyn und um deßwillen vom Verkäufer nicht besonders reservirt zu werden brauchen (fr. 17. § 6. D. de act. emti 19, 1). Auf solche Thätigkeit bezieht sich das stipulationum et judiciorum formulas componere bei Cic. de leg. 1, 5. Von Cascellius wurde erzählt, daß ihm vergeblich von den Triumvirn angesonnen worden sei, deren Neuerungen in juristische Formeln zu bringen (de aliqua earum rerum formulam componere: Val. Max. 6, 2, 12), und Ihering (Geist II. S. 605) macht mit Recht darauf aufmerksam, daß auf dem Wege dieses Cavirens manche Geschäftsclausel, z. B. das pactum de distrahendo beim Hypothekenvertrag, allmählich in ein s. g. naturale negotü übergegangen, und die lex contractus zu einem objectiven Rechtssatz geworden seyn möge.

B) Das respondere, worunter nicht bloß das Rathgeben im engern Sinn, d. h. Beantworten von Rechtsfragen der Rath suchenden Privaten (consultores), und zwar sowohl das mündliche, als auch das schriftliche Rathertheilen zu verstehen ist, sondern ebenso der Beirath für die Proceßmagistrate, die Gerichtsredner und die urtheilenden Richter. (das s. g. assidere: fr. 1. D. de off. assess. 1, 22; fr. 37. D. ex quib caus. maj. 4, 6). Wir haben uns zu denken, daß namentlich auf dem Wege dieser gutachtlichen Beihülfe der mos Civitatis sich consolidirte und zu der Schwesterform des jus honorarium in Rapport trat, und mit Bezug hierauf sagte Cic. de or. 1, 45: „est sine dubio domus jurisconsulti totius oraculum civitatis;“ und Top. 17: „In omnibus iis judiciis, in quibus ex fide bona" est additum, ubi vero etiam,,inter bonos bene agier“, inprimisque in arbitrio rei uxoriae, in quo est,,aequius melius“ parati esse debent (sc. jurisconsulti). Illi enim dolum malum, illi fidem bonam, ili aequum bonum, illi, quid socium socio, quid eum, qui negotia aliena currasset; quid eum, qui mandasset, eumve cui mandatum esset, alterum alteri praesture oporteret, quid virum uxori, quid urorem viro, tradiderunt. Licebit igitur, diligenter cognitis argumentorum locis, non modo oratoribus et philosophis, sed juris etiam peritis copiose de consultationibus suis disputare“. a) So mag die regula Catoniana (Vater oder Sohn?) entstanden seyn, wonach ein wegen Unfähigkeit des Testators ungültiges Legat nicht convalesciren kann. b) So ist der Begriff des furtum festgestellt z. B. auf Mobilien beschränkt (fr. 38. D. de usurp. 41, 3: aus welcher Stelle des Gaius zu entnehmen ist, daß diese Frage unter den Veteres Controvers gewesen), durch Brutus und Scaevola auf furtum usus ausgedehnt worden (Gell. N. A. 7, 15). c) Durch des Brutus sentententia, partum ancillae ad fructuarium non pertinere, (fr. 68. D. de usufr. 7, 1) ward eine vetus quaestio entschieden und so in der Sclavengeburt die Menschenwürde anerkannt. d) Durch die auctoritas Aquilii Galli ward geltend, daß Jemand zum Erben excepta re singula, und ein postumus nepos, welcher der Sohn

eines vor dem Testator versterbenden Sohnes ist (s. g. postumus Aquilianus) zum Erben eingesetzt werden könne (fr. 74. D. de her. inst. 28, 5; fr. 33. § 1. D. de subst. 28, 6). e) Praesumtio Muciana, daß ehemännliche Schenkung als Quelle jedwedes zweifelhaften Erwerbs der Gattin während der Ehe gelte. f) Ausspruch des Trebatius zu Gunsten des emtor domus, wenn der Verkäufer sich einen Auszug vorbehalten hatte (exceptio habitationis: fr. 21. § 6. D. de act. emti 19, 1).

Das scribere, welches neben dem cavere und respondere genannt wird (Cic. de orat. 1, 48), ist zunächst nichts weiter als die schriftliche Ausübung dieser zwei Berufsthätigkeiten, die selbstverständlich überhaupt sehr oft ineinander flossen. Namentlich bei Testamentsabfassungen, einer wichtigen Lebensangelegenheit jedes ordentlichen Römers, war Rath und Beistand angesehener Juristen willkommen; Cic. de or. 2, 8 sagt mit Bezug auf diese Praxis des Oberpontifex Scaevola: „Si, inquam, Scaevola, nullum erit testamentum recte factum, nisi quod tu scripseris, omnes ad Te cives cum tabulis veniemus, omnium testamenta tu scribes unus.“

Diese gesammte Thätigkeit, welche in der fori disputatio und juris interpretatio zusammengefaßt war, unterschied sich von der causarum opera (Cic. de leg. 1, 4), d. h. von der rednerischen Unterstützung der Proceßparteien seiten angesehener und erfahrner Redner (Patroni).

2) Die Theorie in schriftstellerischer Form entwickelte sich auf natürlichste Weise aus jenem scribere. Rudorff (I. § 62. Anm. 28) erwähnt der Breite der Gutachten des Brutus bei Cic, de or. 2, 33. 55. im Vergleich,, mit der sauberen species facti der classischen Juristen": wir erblicken in dieser naiven Breite den ersten Schritt der literarischen Entfaltung; ein Gutachten war in dieser frühen Zeit etwas Größeres als später, oft eine sachliche Schöpfung von eminenter Tragweite, und neue Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen, gab es noch keinen geeigneten literarischen Typus von entwickelter Selbständigkeit. Ein Beispiel davon, wie das (schriftliche) Respondiren in die Schriftstellerei überging, erhalten wir aus Gellius' (7, 15) Erzählung, daß der Begriff des furtum usus, durch Responsen des Brutus begründet, dann in die Darstellung des jus civile des Scaevola (lib. 16) übergegangen sei (vergl. Sanio Zur Gesch. d. Röm. Rechtswiss. S. 40).

Die Entstehung der juristischen Literatur steht im engsten Zusammenhang mit der Röm. Literaturgeschichte überhaupt. Von dieser bemerkt Deuerling, Cicero's Bedeutung f. d. Röm. Literatur (Augsb. 1865), S. 9:,,Ein Wendepunkt trat ein mit der Unterwerfung Unteritaliens durch Rom. Die Römer, welche schon früher mannigfache Berührungspunkte mit den Hellenen Großgriechenlands und Siciliens gehabt hatten, wurden nun auch mit der hellenischen Literatur bekannt (270). Diese, damals abgeschlossen und von seltner Vollendung, machte auf die Römer, die eben zu einer feineren Cultur übergingen und aus der eignen Vergangenheit nichts auch nur entfernt Aehnliches entgegenzustellen hatten, einen mächtigen Eindruck. Indeß ein Gemeingut

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