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matik weltlicher Zweckmäßigkeit wird das antike Rom immer Muster bleiben; sein politisches Weltsystem aber hat es vornehmlich in dieser 3. Periode aufgebaut, und wir müssen an dieser Arbeit bewundern, wie die Elemente eines socialen und politischen Individualismus Raum und Geltung finden innerhalb des so festen und strengen Rahmens, der sich nun zugleich als fast in's Unendliche dehnbar erweist. Vergl. Mommsen I. S. 458.*

Diese Entwicklung des Individualismus zeigt sich namentlich an der Art der jetzt hervorragenden und maßgebenden Persönlichkeiten. Solche Heldennaturen, an denen die vorige Periode merkwürdig reich war, treten fast gar nicht mehr auf: die großen Geister der 3. Periode tragen schon ein verhältnißmäßig modernes Gepräge; sie sind nicht mehr Römer im alten Sinne, d. h. nicht mehr Repräsentanten des nationalen Geistes und Organe der gemeinsinnigen Triebe des Volksthums, sondern hellenistisch gebildete Welteroberer, Köpfe voll individueller Ideen, befähigt zu glänzenden Thaten nach Außen und geneigt zu politischen Experimenten im Innern. Die Römer alten Schlags, wie Cato der Sabiner, oder Q. Metellus der unbeugsame Feldherr (Mommsen II. S. 149. 206) oder Livius Drusus ein Aristokrat im edelsten Sinne (Mommsen II. S. 215), wurden immer seltner; M. Claudius Marcellus, unter dessen erprobtem Feldherrntalent Rom gegenüber Hannibal wieder aufzuathmen begann, nahm sich schon damals unter den bedeutenderen Männern als eine seltne Erscheinung alten Styls aus (Mommsen I. S. 622). Immer entschiedener concentriren und verkörpern sich die Staatsmaximen und Parteiinteressen in hervorragenden Persönlichkeiten. Das Gemeinwesen beginnt sich innerlich zu lösen, die Individuen treten mehr auseinander, und so entsteht das Bedürfniß einer künstlichen Zusammenfassung der Parteidisciplin, die endlich zum Imperatorenthum führt.

XX. Kapitel.

II. Politische Verfassung.

(Zu § 161-176)

I.

Die Centurienreform.

Zu § 164] Es herrscht über den Anfängen der 3. Periode ein eigenthümlicher Unstern (Verlust der 2. Decade des Livius!). So bedeutend der Umschwung ist, welchen in dieser Zeit das Röm. Leben theils nachweisbar, theils vermuthlich nahm, dennoch ist die rechtsgeschichtliche Doctrin immer verhältnißmäßig theilnahmlos an diesem Wendepunkt vorübergeeilt,** und nun, da wir uns entschließen, hier Halt zu machen, müssen wir uns gestehen, wie schwankend der Boden

*) Dazu s. Excurs III a E. zum folg. Kap.

**) s. Cursus § 67.

ist, auf welchem wir Halt machen. Wieviel Wolkenschatten schwebt noch über dem von hier sich ausdehnenden Gefilde der Röm, Provinzialwelt, über dem Begriff der provincia, über der Erweiterung und Umgestaltung dieses Begriffs, über den Anfängen und der Entwicklung der neuen Institution der prorogationes imperii! Welche Unvollständigkeit der Einsicht in den complicirten Receptionsproceß des jus gentium* verdunkelt hier unsern Umblick! Welche Zweifel bestehen noch über das Auftreten der processualen formulae und die Zeit der lex Aebutia! Und ebenso überkommt uns ein Gefühl der Unsicherheit, wenn wir vor die Frage treten, in welchen Zeitpunkt das wichtigste Ereigniß der Comitiengeschichte in den letzten Jahrhunderten der Republik fällt.

Die Controvers der Centurienreform ist alten Datums. „Die erste Untersuchung über die Reform der Centuriatcomitien stellte Octavius Pantagathus an (s. Lange Alterth. II. S. 439), dessen Ansicht wir nur aus der Anmerkung von Ursinus zu Livius I, 43 kennen. Ueber die neuere Literatur bis 1841 gibt Gerlach Histor. Studien I. S. 345 eine kritische Uebersicht. Was in dieser Untersuchung, die zu einem für Alle überzeugenden Ergebnisse vielleicht niemals gelangen wird, bis jetzt gewonnen ist, verdankt man vorzugsweise den trefflichen Arbeiten von Huschke, Peter, Mommsen und Gerlach, welche obwohl alle zu verschiedenen Resultaten gelangend, doch den jetzigen Standpunkt klar entwickelt und alle Combination in Betreff derselben nach allen Seiten hin erschöpft haben." Marquardt Alterth. II. 3. S. 9 bis 11. Unsere Darstellung im Cursus (§ 164) hat sich der Ausführung Lange's angeschlossen, aus welcher hier noch Folgendes entnommen wird: „Die Beibehaltung der servianischen distributio centuriarum unter die 5 Classen und des servianischen Princips in der Feststellung der Censussätze mußte bei der Vermehrung des Reichthums (Liv. 24, 11) in den Händen von verhältnißmäßig Wenigen und der massenhaften Vermehrung der Armen den Mißstand immer fühlbarer werden lassen, daß eine, vom Standpunkt des in den Tributcomitien herrschenden Princips der Kopfzahl angesehen, sehr unbedeutende Minorität des Volks in den 18 Reitercenturien und den 80 centuriae peditum der 1. Classe, wenn unter sich einig, den Willen des Volks darstellte und das Stimmrecht der bei Weitem überwiegenden Majorität des Volks illusorisch machte (Cic. de republ. 2, 22). Dazu kam, daß seit der Einführung der Soldzahlung von Staatswegen (405 v. Chr.) und der dadurch möglich gewordenen Heeresreform des Camillus der Kriegsdienst zwar noch nicht ganz vom Census, aber doch von der distributio centuriarum abgelöst war, dergestalt, daß das numerische Verhältniß, in welchem die Bürger der einzelnen Classen nach dem Princip der Kopfzahl zum Kriegsdienst herangezogen wurden, nicht mehr dem numerischen Verhältnisse der Centurien der einzelnen Classen entsprach. Diese Vermehrung der Pflichten gab aber den unteren Classen einen billigen Anspruch auf Verbesserung ihrer politischen Rechte, insbesondere ihres

*) s. Cursus § 184.

jus suffragii in den Centuriatcomitien.

Dennoch bestand (abgesehen von der centuria capite censorum) die servianische Form nach Dionys. 4,21 viele Generationen hindurch unverändert fort." (Lange II. S. 428). ,,In politischer Hinsicht ward durch die Reform in der That ein mehr demokratischer Karakter erzielt. Denn erstens war der höchst bedeutsame Einfluß der Prärogative (Cic. Planc. 20, 49; de div. 1, 45) der Geldaristokratie und damit zugleich auch der Nobilität entzogen; zweitens war das Stimmrecht der ärmeren Bürger dergestalt verbessert, daß eine entscheidende Majorität nicht mehr durch eine einmüthige Abstimmung der 1. Classe, sondern nur durch die Einmüthigkeit von mindestens 3 Classen herbeigeführt werden konnte; drittens war durch die Unterordnung der Classen und Centurien unter die Tribus der Interessengemeinschaft der Tribulen untereinander (Liv. 8, 37; 29, 37) ein Spielraum gegönnt, so daß jener in den Tributcomitien allein maßgebende Zusammenhang selbst in den Centuriatcomitien, namentlich bei der Zunahme des Ambitus, den Einfluß der Classenunterschiede überwog, oder wenigstens paralysirte. Dennoch ist auch die nach dem censorischen Ursprunge der Reform zu erwartende Mischung mit aristokratisch-conservativen Elementen nicht zu verkennen. Denn erstens war die Prärogative nicht in die Hände der zugleich radical gesinnten und persönlich abhängigen ärmeren Bürger, sondern in die des conservativen und unabhängigen Mittelstandes gelegt; zweitens war das bessere Stimmrecht der 1. Classe durch Fortdauer des abgesonderten Stimmrechts der 18 Reitercenturien erhalten; drittens hatten wenigstens innerhalb jeder Tribus die Classenunterschiede nach den Censussätzen insofern noch volle Bedeutung, als eine geringe Zahl von Bürgern erster Classe eben so viel Einfluß besaß, als eine größere Zahl von Bürgern zweiter Classe u. s. w.; viertens endlich war auch die Begünstigung des reiferen Alters vor der Jugend rücksichtlich des Stimmrechts gewahrt. Mit Recht konnte daher noch Cicero sagen (de leg. 3, 19): Descriptus populus censu ordinibus aetatibus plus adhibet ad suffragium consilii, quam fuse in tribus convocatus. Daß eine so karakterisirte Reform in der That nur in das Zeitalter vor dem 2. punischen Kriege paßt, wird kaum noch in Frage gestellt werden können" (Lange II. S. 443).

Jedenfalls kann die Reform nicht so bald nach Vertreibung der Könige stattgefunden haben. „Ebensowenig stimmt die demokratische Tendenz der Reform zu dem aristokratischen Geiste, in welchem die Decemvirn ihr Gesetzgebungswerk ausführten. Liv. 10, 22 (Erwähnung der Prärogative der 18 Reitercenturien) hindert auch, die Reform in die Censur des Appius Claudius Caecus oder in die des Q. Fabius Maximus zu setzen. Gegen diese Ansätze spricht übrigens das Stillschweigen des Livius und des Dionysius bei der Erzählung der Ereignisse der betreffenden Zeitpunkte: ein Stillschweigen, das in der That beweisend ist, weil beide Schriftsteller die Reform kennen und bei Gelegenheit der servianischen Verfassung beiläufig erwähnen. Da nun Livius in der

3. Dekade, die mit d. J. 218 beginnt, bereits voraussetzt (Liv. 24, 7—9), da ferner nach 218 die demokratische Partei in den Consularcomitien ihren Willen auch wirklich durchsetzt: so folgt, daß die Reform in der Zeit der 2. Dekade des Livius, d. i. zwischen 262-218 stattgefunden haben muß. Sodann ist kein Grund vorhanden, die von Livius (1, 43) bei Gelegenheit der Erwähnung der Centurienreform gegebene Zeitbestimmung post expletas XXXV tribus (i. J. 241), obwohl dieselbe nicht nothwendig auf die Zeit der ersten Einrichtung bezogen zu werden braucht, nicht auf diese zu beziehen. Demnach hat also die Reform mit größter Wahrscheinlichkeit in der Zeit zwischen 241 und 218 stattgefunden. Rücksichtlich der in diesen Zeitraum fallenden Censuren kann man aber nur zwischen zweien schwanken, der des Flaminius und Aemilius Papus (220) und der des Aurelius Cotta und Fabius Buteo (241)." (Lange II. S. 429-432.)

II.

Die Tributcomitien und die demokratische

Volkssouveränetät.

Zu § 166] Die lex Hortensia bezeichnet den Gipfelpunkt in der Entwicklung der Volkssouveränetät auf dem Gebiete der Legislation. Die gesetzgebende Gewalt der Tributcomitien, die durch die lex sacrata der 1. secessio in's Leben gerufen, die darauf durch die lex Valeria Horatia zwar nur bedingt, aber in einer von den Banden des alten Familienrechts freien Weise anerkannt, die sodann durch die lex Publilia für eine zur Ablehnung berechtigte Instanz über den Magistraten und dem Senate auf dem Gebiete der Staatsverwaltung erklärt worden war: sie war durch die lex Hortensia als zweifellos und unbedingt oberste Instanz überhaupt proclamirt. Die patrum auctoritas, aus der sich die staatliche Gesetzgebung entwickelt hatte, war als eine abgenützte Schale bei Seite geworfen. Während der Antheil der Patricier an der Gesetzgebung auf Null reducirt, der Antheil des Senats daran precärer als zuvor geworden war, hatte das Volk, und zwar das innerhalb der Tribus viritim stimmende Volk in der That die höchste Entscheidung über die Gesetze. Die Verfassung des Röm. Staats war in der That, wenn man den gleichzeitigen Zustand der richterlichen und der Wahlcompetenz des Volks erwägt, Demokratie (Polyb. 6, 14). Um indessen übertriebene Vorstellungen fern zu halten, darf man nicht vergessen, daß es dem Volke thatsächlich nicht möglich war, von seiner Souveränetät den Gebrauch zu machen, der ihm theoretisch zustand. Die Verwaltung mußte das Volk, wie die Gerichtsbarkeit, zum größten Theil den Magistraten und dem Senat überlassen, weil die Zeit gar nicht ausgereicht haben würde, um wegen aller, selbst nur aller bedeutenderen Verwaltungsmaßregeln die Tributcomitien zu berufen. Meist begnügten sich die Tribunen als Wortführer des souveränen Volkes, nur bei Fragen von principieller Bedeutung die Souveränetät des Volkes zu

wahren. Auch die Entwicklung des Privatrechts entzog sich theilweise der Competenz des Volks infolge des Einflusses, den das prätorische Edict und allmählich auch Senatusconsulte darauf gewannen. Rücksichtlich des Staatsrechts endlich machte sich die Macht thatsächlicher Entwicklung auf eine Weise geltend, daß die theoretische Souveränetät des Volks in der Praxis jenen Entwicklungen dienstbar wurde. Ueberhaupt aber darf nicht übersehen werden, daß bei jeder einzelnen Bethätigung der Volkssouveränetät auf dem Gebiete der Legislation die Initiative der Magistrate, mochte sie mit oder ohne Genehmigung des Senats erfolgen, nicht bloß formell ebenso bedeutend war, wie der jussus populi, sondern materiell sogar bedeutender. Dadurch wurde es möglich, daß die Tributcomitien in der Zeit nach der lex Hortensia trotz ihrer in der Theorie unbestreitbaren legislativen Omnipotenz thatsächlich zu einer anfangs von der Nobilität, später von Factionen und einzelnen Demagogen in Bewegung gesetzten Gesetzgebungsmaschinerie herabsanken. Wurde dieselbe gelegentlich auch gegen den Willen der Nobilität oder der jeweilig herrschenden Partei in Bewegung gesetzt, so fehlte es dann auch nicht an politischen oder religiösen Handhaben, um eine unabhängige Aeußerung des Volkswillens im Entstehen zu unterdrücken (Intercession und Obnuntiation: Lange I. S. 704) oder nachträglich wenigstens wegen vorgefallener Formfehler zu annulliren (Cic. pr. dom. 16, 41; Phil. 11, 6; de leg. 2, 6).“ Lange II. S. 550, 551.

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Verschieden von dem Rechte der Tributcomitien zur Wahl der plebejischen Beamten unter dem Vorsitz der Tribunen ist dasjenige Wahlrecht, welches sie rücksichtlich der magistratus minores und extraordinarii unter dem Vorsitze der Consuln und Prätoren übten. Dieses Recht haben sie nicht auf Kosten der Centuriat- oder Curiatcomitien, die es nie besaßen, sondern auf Kosten der mit dem imperium bekleideten Magistrate erworben. Denn diese, durch das imperium zur Ernennung ihrer Diener und Hülfsbeamten berechtigt, überließen in freiwilliger oder gesetzlich erzwungener Anerkennung der Souveränetät des Volkes den Tributcomitien die Designation der Personen, welche sie selbst sodann kraft der lex curiata de imperio, in der daher auch später noch das eigentliche Recht der magistratus minores zu wurzeln schien (Lange I. S. 333), zu dem betreffenden Amte bestellten." „Dieses Wahlrecht der Tributcomitien ist ein fast noch entschiedneres Symptom der Volkssouveränetät, als das der Centuriatcomitien, weil es auf einer directen Unterordnung der hohen Magistratur unter den Willen des Volks beruht, und weil dieser Wille, seitdem jene Unterordnung gesetzlich nothwendig war, unbedingt galt, ohne an eine Bestätigung der Curiatcomitien gebunden zu sein... Je stärker die Souveränetät des Volks in den Tributcomitien hervortrat, desto gleichgültiger wurde der anfänglich wichtige Unterschied rücksichtlich des Präsidiums bei diesen Wahlcomitien. Daher einerseits die Irregularität, daß Glaucia als Prätor (App. bell. civ. 1, 28) und Cäsar als Dictator (Suet. Caes.76)

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