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Schon in den XII Tafeln tritt uns diese letztwillige Omnipotenz als das Grundprincip entgegen, die Intestaterbfolge nimmt da die zweite Stelle ein, in Gemäßheit der Worte: „si intestatus moritur", und seitdem erscheint im Röm. Recht immer die legitima delatio durchaus nur als subsidiäre; „Praetor eum ordinem secutus, quem et lex XII tabularum secuta est: fuit enim ordinarium, ante de judiciis testantium, dein sic de successione ab intestato loqui" (Ulp. fr. 1. pr. D. si tabulae 38, 6). Ich möchte demnach nicht das Testament „eine die Intestaterbfolge aufhebende lex" (wie Köppen S. 13), sondern die lex publica hier einen Ersatz der (mangelnden oder mangelhaften) lex privata nennen; weit entfernt, im Römischen Testamente dann „die Merkmale eines Familienrechts" wahrzunehmen, verstehe ich vielmehr am ausgebildeten Intestaterbrecht Vieles nur dann, wenn ich jenes als eine Nachbildung der letztwilligen Erbfolge ansehe, z. B. den anfänglichen Mangel und die spätere Zulassung der successio ordinum.

Daß das Mancipationstestament schon in den XII Tafeln anerkannt gewesen sei, davon wissen wir nichts; das Wort „legare“ (uti legassit, ita jus esto!), welches unmöglich mit nuncupare gleichbedeutend war, spricht dagegen, denn die nuncupatio wurde da nur beim mancipium und nexum zugelassen, das supremum judicium aber sicher nicht unter dem mancipium mitbegriffen, da noch später die hereditas nicht unter den res mancipi mit aufgezählt wurde. Wenn es richtig ist, daß die res mancipi und die Mancipation mit dem Censusvermögen zusammenhingen, so konnte eine hereditas überhaupt nicht unter die eigentlichen res mancipi gerechnet werden, da sie als Ganzes nicht einen censusmäßigen Bestandtheil eines Privatvermögens, d. h. einen selbständigen Factor des abschätzbaren Besitzthums bildete. Schon aus diesem Grunde war die Anwendung der Mancipation auf sie etwas künstliches und neues. Ucberdies setzt die Idee der hereditas als einer vom körperlichen Subject ablösbaren Vermögenseinheit, welche für sich Object einer Mancipation werden könnte, einen solchen Fortschritt des Rechtsbewußtseyns voraus, daß wir ihn kaum in so frühe Zeit verlegen dürfen, als insgemein angenommen zu werden scheint; hätten bereits die XII Tafeln jene kunstvolle Idee gehabt, so würde dieselbe gewiß auch betreffs der usucapio hervorgetreten seyn, wir wissen aber, daß erst die Pontificaldisciplin später die hereditas interpretationsweise in der Reihe der „ceterae res" (ceterarum rerum annus!) unterbrachte, um jener usucapio eine Basis zu schaffen. Das solenne manu capere und das freie usu capere hängen eng zusammen, und so liegt es schon an sich nahe, zu vermuthen, daß beide durch dieselbe Potenz auf die familia als Vermögensganzes erstreckt worden seien, als einmal die Idee desselben erreicht war, und daß auch die Mancipation erst im Laufe dieser 2. Periode auf die hereditas übertragen ward, läßt sich schon darum denken, weil beim Testiren die Preiszahlung überhaupt kaum als reeller Act Statt haben konnte; erst nachdem die Pontificaldisciplin dicis gratia Mancipationen auszubilden sich entschlossen hatte, konnte

ihre weitere Anwendung auf letztwillige Universalverfügungen gewagt werden, wobei neue Complicationen auftraten (s. Ihering Geist d. R. R. II. S. 554). Wäre das testamentum per aes et libram (schon) durch die XII Tafeln eingeführt worden, so hätte Gaius (1, 102) dieses sicher angemerkt; die Motivirung der Einführung dieser Testamentsform durch die Worte,,subita morte", welche den practischen Zweck betonen, deuten vielmehr auf die waltende Hand der Praxis. Wie an das Wort der XII Tafeln „legare" anknüpfend wahrscheinlich die Pontificaldisciplin die letztwillige Universal- und Singularsuccession zu scheiden und zu entfalten anfing, liegt im Commentar des Pomponius zum alten Scaevola (fr. 120. D. de V. S.) ziemlich klar angedeutet vor (,,latissima potestas tributa videtur“).

In subsidium trat Intestaterbfolge ein; das Subsidiäre derselben zeigte sich u. A. auch darin, daß für die Bestimmung der Gradesnähe in der legitima successio nicht der Zeitpunkt des Todes des Erblassers, sondern derjenige der Gewißheit, daß kein wirksames Testament da sei, entscheidend war (Gai. 3, 13). Die Intestaterbfolge der voluntarii heredes war von der Regel beherrscht: in legitima hereditate successio non est, d. h. es fand nur einmalige, keine successive Berufung statt, und daher, wenn der vorhandene nähere Agnat, welcher berufen war, nicht antrat, blieb die Erbschaft erblos, und sie fiel an den primus occupans, welcher usucapirte. Das Institut der usucapio hereditatis füllte die große Lücke aus, welche durch jenen spröden Rechtssatz gegeben war, und es mag daher, so lange jene Usucapion galt, und in einfachen Verhältnissen, wo meistens beim Ableben eines Familienhauptes die nächsten Angehörigen im factischen Besitz des Hausstandes sind, kaum ein Bedürfniß nach Ausbildung der Gradsuccession gewesen seyn. Uebrigens mochte die Entwicklung eines Rechtssatzes, welcher das Nachrücken eines Entfernteren an die Stelle des zuerst Berufenen und dann Wegfallenden zuließ, keine so leichte Aufgabe für den einfachen und ungelenken Rechtssinn der alten Zeit seyn, denn was war die successive Berufung anderes, als eine eventuelle oder bedingte? und wie konnte man sich dazu entschließen, eine bedingte delatio ex lege zulässig zu halten, so lange nicht die Statthaftigkeit bedingter Rechtsgeschäfte, und namentlich einer eventuellen scriptio heredis anerkannt war? Die Intestaterbfolge trug einen subsidiären Karakter: daher erst, nachdem die institutio in secundum gradum d. h. die Vulgarsubstitution ausgebildet worden, konnte daran gedacht werden, auch für die legitima hereditas eine Gradsuccession zuzulassen: was dann in der That der Prätor unternahm. Daß es eine solche im alten Recht nicht gab, hatte seinen Grund nicht im bloßen äußeren Wortlaut der XII Tafeln, wie gewöhnlich und namentlich noch von Ihering (Geist d. R. R. II. S. 487) angenommen wird, sondern positiv in der Künstlichkeit dieser juristischen Figur, und negativ in der Bedürfnißlosigkeit jener Zeit.

Von demselben Gesichtspunkte aus haben wir anzunehmen, daß auch keine Einrückung der Gentilen beim Ausfall des nächstberufenen

Agnaten stattfand; es hätte ohnedem etwas sehr Inconcinnes, wenn auf diese Weise die Gentilen in Vortheil gegenüber den Agnaten gekommen wären. Es ist richtig, was Köppen (Röm. Erbrecht I. S. 8. Anmerk. 16; vergl. auch Böcking Röm. Privatrecht. 2. Ausgabe. Bonn 1862. S. 258. Anm. 13) bemerkt, daß die Quellen zunächst nur von den Agnaten den Mangel der Gradsuccession aussagen, allein der Grund dessen lag einfach darin, daß zur Zeit des Gaius, Paulus und Ulpian es kein Gentilrecht mehr gab (Gai. 3, 17).

XVIII. Kapitel.

VI. Rechtspflege.

(Zu § 132-150)

I.

Der altrömische Criminalproceß.

Zu § 132] Nur für wichtigere Fälle bildete sich ein besonderes gegliedertes Strafverfahren aus; die leichteren (Ungehorsams-) Fälle blieben im Imperium der Magistrate beschlossen. Für die Ausübung des Imperium domesticum gegen Familienangehörige bestanden gleichfalls besondere Voraussetzungen (Rudorff R. R.-Gesch. II. § 99).

Ursprünglich sprach das Volk nur unter Umständen und nur als Appellationsinstanz Recht. Mit der lex Valeria de provocatione (509, 245 d. St.) waren die Comitialgerichte aus einer Gnadeninstanz zu der ordentlichen Appellationsinstanz in Capitalsachen geworden; da aber weiterhin bei Todesverbrechen die Ueberlassung der ersten Entscheidung an Unterbeamte (duumviri perduellionis und quaestores parricidii) Sitte ward, so sank diese erste Entscheidung,,zu einem Scheinurtheil, der Sache nach zu einer motivirten Anklage herab, und so entstand eine auf Capitalprocesse beschränkte, hier aber gewiß ganz regelmäßige richterliche Competenz der Centuriatcomitien". Durch die Bestimmung der XII Tafeln, daß de capite civis Romani nur in comitiatu maximo gerichtet werden dürfe *, bez. durch die lex Valeria Horatia (449) und eine neuere lex Valeria (300), ward diese Competenz (theils vielleicht den beginnenden Uebergriffen der Tributcomitien, theils der Magistratur gegenüber) neu gesichert. Magistrate hatten die Initiative und Instruction der Sache, der eigentliche Wahrspuch fiel den Centurien zu, eine Sonderung, die wohl an die civilprocessuale Trennung in Jus und Judicium erinnert; allein diese Parallele ist nicht ganz zutreffend, da in Criminalsachen der Magistrat das Verfahren formell wirklich in seiner Hand hatte und den Parteien nicht bloß assistirte, sondern die ganze Verhandlung, einschließlich die vor den Comitien selbst, leitete. Seit den XII Tafeln

*) s. oben zu § 113-116. Excurs II. S. 118.

traten auch Volkstribunen als Ankläger auf, und es scheint, daß ihnen sehr bald die Durchführung der politischen Strafprocesse, d. h. die Verfolgung der perduellio, als Prärogative ganz zufiel, so daß nun die Quaestoren auf die Verfolgung der gemeinen Capitalsachen beschränkt

waren.

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Das Verfahren begann mit der diei dictio auch prima accusatio genannt d. h. Vorforderung des Angeschuldigten durch die Duumvirn oder Quaestoren bez. Volkstribunen; der Angeschuldigte befand sich von da im Zustande öffentlicher Anklage (reus) und ward entweder in Haft gebracht oder gegen Bürgenstellung (rades) auf freiem Fuß gelassen. Die folgende Untersuchung (anquisitio), d. h. Ausführung der Anklage durch den Magistrat und Vertheidigung seiten des Angeklagten, geschah in drei aufeinanderfolgenden Terminen (prodictiones), welche auch als secunda, tertia und quarta accusatio bezeichnet wurden; im letzten derselben wurde mit Beobachtung der Frist der justi triginta dies der Tag des Volksgerichts angesetzt. Diese drei Anquisitionen wurden in conciones, dagegen das Volksurtheil in eigentlichen Comitien ausgeführt. Dem Angeklagten war gestattet, sich durch freiwilliges Exil vor der Urtheilsfällung der drohenden Todesstrafe zu entziehen; ja das Exil ward zur Regel, und seit Manlius (383, 371 d. St.) ist kein weiterer Fall einer Vollstreckung der von den Comitien erkannten Todestrafe überliefert; die Verschärfung des Exils durch aquae et ignis interdictio trat gewissermaßen an die Stelle. Vergl. Geib Gesch. der Röm. Criminalproc. S. 114 ff.; Lange Röm. Alterth. II. S. 467-479; Danz Gesch. d. R. R. I. § 41; A. W. Zumpt das Criminalr. der Römer I. 2. S. 143 ff.

Auch die Tributcomitien wußten sich allmählich, insbesondere seit dem plebiscitum Icilium (492), eine gewisse thatsächliche Competenz in Capitalfällen, nämlich in Fällen einer gegen die Plebs gerichteten perduellio, zu erringen. Diese bloß standesrechtliche Gerichtsbarkeit gestaltete sich aber zu einer staatsrechtlichen mit der lex Aternia Tarpeja (454, 300 d. St.), welche, wie es scheint, in Multprocessen (Geldbußen) an die Tributcomitien zu provociren gestattete; auf Verfolgung von Capitalsachen konnten die Tributcomitien wohl verzichten, da die seit der lex Valeria Horatia (449, 305 d. St.) als magistratus anerkannten Volkstribunen jede Verletzung ihrer sacrosancta potestas als eine perduellio gegen den populus Romanus vor den Centuriatcomitien verfolgen konnten. Nunmehr waren es die Volkstribunen, welche theils vor den Centuriatcomitien, theils vor den Tributcomitien die Capitalfälle und politischen Protesse, und die Aedilen, welche vor den Tributcomitien die Multprocesse betrieben. Auf diese Weise gestaltete sich die Grenzlinie zwischen der Competenz der Tribut- und der Centuriatcomitien practisch dahin, daß jene im Allgemeinen die leichteren, diese aber die schwereren Straffälle richteten, und es geschah, daß zufolge der zunehmenden Abneigung gegen Todesstrafe die criminelle Thätigkeit der Tributcomitien immer mehr in den Vordergrund trat und zur Regel

ward. Dennoch kam es nicht zu einer eigentlichen Ausartung der Volksgerichtsbarkeit, denn immer häufiger ward, namentlich in nichtpolitischen Fällen, die Niedersetzung einer besonderen Commission, quaestio extraordinaria, beliebt, wodurch die Untersuchung an außerordentliche Quacstores gelangte, welche ohne Provocation aburtheilten. Solche Niedersetzungen wurden insbesondere bei Betheiligung unterthäniger Gemeinden und sonst in verwickelten Untersuchungsfällen vom Senat beschlossen, mußten aber, wofern das caput eines civis betheiligt war, von den Tributcomitien bestätigt werden, weil dabei das Provocationsrecht alterirt wurde. Durch alles dies war die criminelle Thätigkeit der quaestores parricidii überflüssig geworden, so daß der Rest derselben ihnen genommen und auf die triumviri nocturni übertragen ward, welche seitdem (289, 465 d. St.) triumviri capitales hießen, aber neben den Aedilen immer nur eine sehr untergeordnete Rolle spielten. Vergl. Geib, Gesch. d. Röm. Crim.-Proc. (Leipz. 1842) S. 35 ff. 66 ff. Rudorff R. R.-Gesch. II. § 100; Lange à. a. O. I. S. 335. 758. II. S. 383. 477. 497; Walter Gesch. d. R. R. II. § 830; A. W. Zumpt d. Criminalr. d. Römer I. 1. S. 78ff.

II.

Das Gepräge des altrömischen Civilprocesses.

Zu § 132] Zur allgemeinen Karakteristik des Röm. Civilprocesses bemerkt sehr treffend v. Bethmann-Hollweg I. S. 101. 102: Die Eröffnung des Rechtsstreits durch den Kläger ist nicht Klage bei dem Richter über erlittenes Unrecht (querela), sondern Geltendmachung seines Rechts, ein Handeln mit seinem Widersacher vor Gericht (agere cum adversario apud judicem), daher er actor heißt, und der Andere is, cum quo agitur. Es entspricht durchaus dem tiefen Rechtssinn der Römer, daß sie nicht nur die einzelnen Acte dieses Verfahrens als eben so viele Rechte auffassen, sondern auch der Totalität des Rechtsstreits als eines organischen Rechtsverhältnisses sich bewußt werden, und wir irren wohl nicht, wenn wir dieses Rechtsbewußtseyn schon dieser Periode zuschreiben. Denn ist dem vernünftigen Willen des Einzelnen das Recht immanent, so muß selbst der Kampf zweier Willen sie in eine rechtliche Beziehung zu einander setzen, die in der beiderseitigen Berufung auf das Recht, also in der Unterwerfung unter dasselbe und seinen Vertreter, das Gericht, ihren Ausdruck findet. Hierin liegt die Aehnlichkeit des im Rechtsstreit begründeten Rechtsverhältnisses mit dem Vertrage; denn wenn auch die streitenden Theile Entgegengesetztes wollen, so einigen sie sich doch darin, daß ihr Streit rechtlich entschieden werden soll." Wir können die hier angedeuteten Principien als das civilistische und das vertragsmäßige Gepräge bezeichnen*; sie sind die eigentlichen Grundzüge

*) . unten Excurse zu § 213-265. No. IV sub E.

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