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von Formularen waren die Vorläufer, Surrogate und Quellen des dispositiven Rechts." Die „handfeste Constitution" des Röm. Rechts, welcher dieses seine formale Handlichkeit und „Practicabilität" verdankt, rührt von der pontificalen Technik her, und diese war zunftmäßig bewahrte Weisheit. Der Masse war sie verschlossen: jus civile repositum in penetralibus pontificum (Liv. 9, 46). „Die alten Proceßformeln und ihr Gebrauch waren für den Laien ein eben solches Geheimniß, wie Logarithmentafeln für einen Bauern", und Cicero (pr. Mur. 11) sagt: Posset lege agi necne, pauci quondam sciebant; fastos enim vulgo non habebant; erant in magna potentia, qui consulebantur: a quibus etiam dies, tanquam a Chaldaeis petebantur. „So tief das Röm. Volk diese Absperrung und die damit verbundene Entfremdung des Rechts empfinden mochte, so war doch dieselbe für die technische Entwicklung des Rechts selbst von heilsamem Einfluß. Der Atmosphäre der Volksthümlichkeit bis zu einem gewissen Grad entrückt, hatte das Recht sich so zu sagen zurückgezogen an einen abgelegenen Ort, an dem es ungestört seine Schuljahre durchmachen konnte. Die Schule, in die es hier kam, war eine strenge; man merkt dem ältern Recht überall an, daß es nicht wild aufgewachsen ist, wie unser deutsches Recht, sondern daß es schon früh unter die Leitung eines fast pedantisch gestrengen, aber consequenten Zuchtmeisters gerathen ist. Aber gerade dieser Strenge verdankt das Röm. Recht im Wesentlichen jene Solidität und Festigkeit seines Fundaments, jene Einfachheit und Consequenz seiner ganzen Anlage." Weil das Senkblei und Winkelmaß zur rechten Zeit ihre Schuldigkeit gethan, konnte man sie späterhin entbehren; der Uebergang von dem mathematisch Regelrechten zu freieren Formen ist eben so leicht, wie der entgegengesetzte schwer." Ihering II. S. 123. 313. 337-354. 429.

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Die pontificale Interpretation, als zunftinäßige Thätigkeit subjectiv beschränkt, war um so freier in objectiver Hinsicht, indem sie nicht bloße Auslegung, sondern selbstständige Fortbildung war. In diesem Sinn ist es auch zu verstehen, wenn ich eine declarative, extensive und restrictive Richtung hier unterscheide. 1) Ein Beispiel der declarativa ist der so oft schon und zuletzt von Ihering (II. S. 483) verkannte Rechtssatz, wonach die successio graduum et ordinum im alten Civilrecht ausgeschlossen war: der von der Pontificalinterpretation festgehaltene Wortlaut (proximus agnatus, si agnatus nec escit etc.) gab nicht einen, Vorwand" ab, sondern enthielt in der That den Ausdruck der, der damaligen starren Rechts überzeugung völlig adäquaten Idee, daß der Moment des Todes über das Erbrecht der Person entscheide, und daß, gleichwie für die testamentarische Erbfolge noch keine Substitution galt, so auch in der (jener nachgebildeten) Intestaterbfolge keine eventuelle Berufung stattfinde.* Andere Interpretationen der XII Tafeln durch die Veteres, unter welchen hier vielleicht die Pontifices zu ver

*) s. Cursus § 98 z. E.

stehen sind, erwähnt Paulus in fr. 53. D. de V. S. Ferner führt Gaius (2, 54) den Satz, daß,,olim rerum hereditariarum possessione velut ipsae hereditates usucapi credebantur“, auf die Interpretation des Wortlauts der XII Tafeln zurück, welche nur für Grundstücke ein biennium verlangten; die Hüter des Rechts faßten, zunächst im Interesse der sacra, die hereditas als eine res auf, aber als eine incorporalis, die nicht zu den res soli gehören konnte und darum in die Kategorie der „ceterae res" fallen mußte. 2) Ein Beispiel der extensiva interpretatio ist nach Gai. I, 165 die legitima tutela des Patrons, was Ulpian in fr. 3. pr. D. de legit. tutor. (26, 4) so ausdrückt: Tutela legitima, quae patronis defertur, lege XII tabularum, non quidem specialiter vel nominatim delata est, sed per consequentias hereditatium, quae ex ipsa lege patronis datae sunt. 3) Für die restrictiva interpr. läßt sich Pomponius in fr. 120. D. de V. S. anführen, so wie aus späterer Zeit jenes Responsum des Scaevola: in disputando adjiciebat, exheredationem „in cetera parte" non valere, exheredationes enim non essent adjuvandae (Paul. in fr. 19. D. de lib. inst. 28, 2). Vergl. Liebe d. Stipulation S. 10ff. Thering Geist d. R. R. II. (ed. 1.) S. 66-73. 486. 610. 622. Marquardt R. Alterth. IV. S. 234ff. u. Leist l. c. S. 18.

Vielleicht sind es auch die Pontifices, welche die ersten Grundlinien zur Theorie des postliminium gezogen haben, und wenn Plin. hist. nat. 7, 60 die Bestimmung der XII Tafeln über Anfang und Ende des Gerichtstags anführend hinzufügt: post aliquot annos adjectus est et meridies, so scheint auch hier der Einfluß der Pontifices angedeutet zu seyn. Ihr Einfluß auf die Usucapionstheorie ist aus der Rolle, welche die usucapio in den XII Tafeln spielte, und aus cit. Gai. 2, 54 zu schließen, und die nuncupatio bei der mancipatio, wodurch der Vorbehalt von Servituten ermöglicht war, gab ihnen Anlaß, die Grundzüge einer Theorie der Servituten zu entwickeln, deren Spuren vielleicht noch in fr. 86. D. de V. S. (vergl. fr. 126. 169. D. eod.) wahrzunehmen sind.

XVI. Kapitel.

IV. Rechtsfähigkeit (persona).

(Zu § 117-122)

I.

Die Clienten.

Zu § 119] Es scheint, daß die Clienten zuerst durch die XII Tafeln civilrechtliche Selbständigkeit (commercium) erhielten. Hiervon machte der Client des App. Claudius, M. Claudius in dem gegen die Virginia gerichteten Vindicationsprocesse einen Gebrauch, welcher zeigt, daß er ein neu errungenes Recht ohne Präcedenzfall auszuüben sich bewußt war (Dion. 11, 30). Nächstdem mögen die Clienten des Stimmrechts in den Tributcomitien durch die lex Valeria Horatia theilhaft geworden seyn, zunächst vielleicht im Interesse der Patricier, die aber von nun

an auch auf ihre Herrenrechte verzichten und den bisher als peculium geltenden Besitz der Clienten als deren volles Privateigenthum anerkennen mußten. Seit dem J. 449 v. Chr. verlautet nichts mehr davon, daß die Clienten seiten der Patrone zur Heerfolge wären entboten worden: woher geschlossen werden darf, daß sie nun auch in die Centurien der stimm und legionsfähigen Bürgerschaft aufgenommen waren. Der erste (von Liv. 5, 32) berichtete Fall, daß Clienten ihre Bürgerpflicht über die Clientenpflicht setzten und in den Tributcomitien stimmten, hat im J. 391 v. Chr. (dem Camillus gegenüber) stattgefunden. Em. Hoffmann i. d. Zeitschr. f. österr. Gymnasien (Wien) 1866. S. 576.

II.

Die Aerarii und Caerites.

Zu § 120] Nach der zum Theil abweichenden Ansicht Em. Hoffmann's (1. c. S. 587) wäre zwischen Aerarii und Caerites zu unterscheiden: Aerarii sollen eigentlich nur die vorübergehend durch Suspendirung ihrer politischen Rechte herabgedrückten, nämlich die aus. nexum Schuldknechte gewordenen Bürger (obaerarii, obaerati) und Caerites die Cäritischen Bürger, welche durch Uebersiedlung nach Rom die Civität ohne Stimmrecht erhielten, gewesen, und beide Classen nur insofern, als sie stimmrechtslose Halbbürger enthielten, später gemeinsam als Caerites oder Aerarii promiscue bezeichnet worden seyn: wobei aber festzuhalten sei, daß die eigentlichen Cäriten nur durch Volksbeschluß, die eigentlichen Aerarier mit Aufhebung der Schuldknechthaft von selbst zur vollen Civität gelangten; und erst nachher sei die Kategorie der Aerarier auf Fälle politischer Infamie durch die Censoren ausgedehnt worden.

XVII. Kapitel.

V. Privatsphäre (res).

(Zu § 123-131)

I.

Das jus strictum und die arbitria.

Zu § 130] Ihering (Geist d. R. R. II. S. 3. 4. d. 2. Aufl.) sagt vom Röm. Recht: „Es ist ein gewaltiges Gebäude, das wir vor uns haben; wir wissen, daß es zu zwei verschiedenen Zeiten aufgeführt wurde, und es kommt darauf an, den ursprünglichen Bau die feste Burg des jus strictum unter dem modernen Ueberbau herauszufinden. Ist auch mancher Theil desselben völlig verändert, niedergerissen, in Trümmer zerfallen: überall ragt doch noch das unverwüstliche Mauerwerk der alten Zeit hervor und macht es uns möglich, den Baustyl und den Plan des ursprünglichen Baus zu erkennen. Eine feste

Burg haben wir das alte Recht genannt, und dieser Vergleich mag geeignet seyn, den Eindruck zu bezeichnen, den es hervorruft. Eckig und steif, eng und niedrig wie in den Burgen des Mittelalters erscheinen uns die Räume, die wir dort antreffen, aber um so fester und dauerhafter ist das Mauerwerk; was an Bequemlichkeit abging, ersetzte die Sicherheit. Und wie in jenen Burgen umfängt uns hier der Geist einer achtunggebietenden Vergangenheit, die Erinnerung eines kernigen Geschlechts, wilder, gewaltiger Kraft; die Geschichte selbst wird uns hier erst recht lebendig und verständlich. Der allmähliche Ausbau jenes Systems, das Vordringen desselben bis zu seinen äußersten Consequenzen hat sich über mehrere Jahrhunderte hingezogen, und manche dieser Consequenzen mögen erst in der folgenden Periode ins Bewußtseyn getreten seyn, wie umgekehrt die Vorboten und Anfänge des folgenden Systems schon in diese Periode fallen."

Angesichts des im Cursus entworfenen Verkehrsbildes darf nicht unerwähnt bleiben, daß nach der bisher üblichen Vorstellung schon im ältesten Recht Rom's neben dem System des jus strictum ac solenne die Bahn freier Vertragsweisen herging und die bona fides in judiciellen Betracht kam (vergl. hierzu Demelius in Rudorff's Zeitschr. f. Rechtsgesch. II. S. 178. 179). Diese Vorstellung trifft neben die Wahrheit. Für manche Fälle von Grenz- und Besitzverwirrungen, sowie Rechtsgemeinschaften, in denen es sich nicht um Entscheidung eines eigentlichen Streites d. h. Wettkampfes rechtlicher Behauptungen, sondern vielmehr um gütliche Auseinandersetzung durch unparteiische Sachverständige handelte,** mochte allerdings schon frühzeitig ein freieres, einfacheres Verfahren gewährt worden seyn: solche Fälle kommen auch in einfachen Verkehrsverhältnissen vor und verlangen eine naturgemäße Erledigung; wir wissen in der That, daß schon vom Decemviralgesetz einigen Fällen dieser Art vorgesehen war; vielleicht gehört es zu den Verdiensten der Decemvirn, die Idee des arbitrium in das Recht Rom's eingeführt zu haben; für diese Annahme könnte die mit den XII Tafeln fast gleichzeitige lex Pinaria angeführt werden, durch welche für gewisse Schuldklagen, überhaupt zuerst für eigentliche Rechtsstreite, die Bestellung von Einzelrichtern eingeführt wurde. Auch die arbitri waren Einzelrichter. Tab. VII sagte: Si jurgant de finibus, tres arbitri fines regant (s. Bekker in der Heidelb. krit. Zeitschr. f. Rechtswiss. I. S. 449 u. Karlowa Beitr. z. Gesch. d. Röm. Civilproc. S. 152); tab. V: Erctum citumque (i. e. actio familiae erciscundae) fiat inter consortes; tab, VII: Si aqua pluvia nocet, jubetur ab arbitro coërceri (s. Hesse d. Rechtsverhältn. zw. Grundstücksnachbarn 1859. S. 191–194); tab. XII: Si vindiciam falsam tulit, litis et vindiciarum praetor arbitros tres dato (s. v. Keller d. Röm. Civilproc. § 7. 17). Unter denselben Gesichtspunkt würde z. B. der Fall der Urbanservitut in fr. 11. § 1. D. de serv. pr. urb. 8, 2 gehören, der möglicher

*)s. Cursus § 146.

**) s. Cursus § 150.

weise gleichfalls schon in den XII Tafeln vorkam. Der Strafsatz über bestochene Richter in tab. IX und die Bestimmung über Unterbrechung des Proceßverfahrens durch Krankheit des Richters oder einer Partei in tab. II nennen neben dem juder den arbiter. Wir dürfen aber dieses Gebiet freien Ermessens nicht zu weit ausgespannt denken: es hatte in der Zeit karger Verkehrsökonomie und knapper Rechtspraxis gewiß sehr enge Schranken, und die anerkannten Fälle galten noch durchaus als Ausnahmen oder Einzelnheiten. Sie betrafen Verhältnisse, welche einer exacten juristischen Behandlung sich zu entziehen und daher gewissermaßen jenseits der Schwelle des judicium, nur im Vorhof des Rechts, zu liegen schienen, Cic. Topic. c. 4; de republ. 4 nach Nonius 5, 34: Si jurgant, benevolorum concertatio, non lis inimicorum, jurgium dicitur; Senec. fragm. ed. Rom. Niebuhr p. 100; Hygin 130, 1—3. Wir dürfen daher nicht so weit gehen, schon in dieser Zeit negotia bonae fidei, z. B. societas und mandatum, mit einer dem späteren System des Röm. jus gentium entsprechenden Rechtsfolge anzunehmen. Es wäre der grellste Anachronismus, in die 2. Periode den Dualismus strenger und freier Verträge hineinzutragen, und würde eine solche Annahme nicht bloß unsere einheitliche Vorstellung von jener Periode im Allgemeinen beeinträchtigen (vergl. Ihering Geist des R. R. II. S. 547; Voigt, d. jus naturale und gentium d. Römer II. S. 540 ff.), sondern speciell auch gegen die Rolle verstoßen, welche die nuncupatio sowohl, als die usucapio in den XII Tafeln spielen; denn es galt offenbar als etwas Besonderes, wenn Nebenbestimmungen als Anhängen und Exceptionsclauseln des mancipium oder nexum Wirksamkeit gewährt ward: aus diesem Rahmen herausgenommen konnten also solche Verabredungen nicht zu Recht bestehen; wenn ferner eine ächte Ehe im Fall der annua perseveratio anerkannt ward, so folgt, daß die Verbindung ohne solche Voraussetzung nicht zu Recht bestand, und wir müssen, eingedenk des consequenten Harmonismus naiver Zeiten, weiter schließen, daß, wo Consensualeben nicht zu Recht bestanden, auch Consensualverträge nicht galten. Die Consensual- (und formlosen Real-) Verträge gehören durchweg dem System des jus gentium an, welches im Ganzen der 2. Periode noch fremd blieb. Im System des jus strictum herrschte die Idee strengster Einseitigkeit: wie die alte Ehe als einseitiges Gewaltverhältniß organisirt war, so auch die alte obligatio; die Idee der Wechselseitigkeit ist eine spätere und künstlichere (Ihering Geist d. R. R. III. S. 190. 576). Noch zur Zeit der lex Aquilia (287?) kann das mandatum nicht als juristischer Typus anerkannt gewesen seyn, weil sonst das zweite Kapitel jenes Gesetzes vom treulosen adstipulator durch die actio mandati (directa) so gut wie überflüssig gemacht gewesen wäre; und vielleicht ließe sich die Frage anknüpfen, warum gegen die Vertragsuntreue des Publicanen M. Postumius Pyrgensis (ì. J. 212) nicht mit der actio emti oder locati conducti vorgegangen wurde, wenn der Kauf- oder Verdingungsvertrag damals schon völlig ausgebildet war (8. Mommsen im Hermes I. 1866. S. 178. Anm. 2. zu Liv.

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