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Schritt mit der (doch auch hier unleugbaren) Rechtsidee halten, in vielen Stücken, z. B. in Schuldverhältnissen (welche sich auf freies Handeln beziehen) ist überhaupt ein directer Zwang nicht herzustellen.*

Mit allen drei bekämpften Fehlern in ziemlich gleicher Weise scheint mir ein anderer sehr gewöhnlicher Fehler der Rechtsanschauung verflochten zu seyn: diejenige Ansicht, nach welcher das Recht schlechthin nur als äußere Macht und Vorschrift gedacht und ihm folglich der Karakter der Immanenz versagt wird. Ich betrachte dagegen das transscendente Moment nur als ein geschichtlich hinzukommendes. Ohne den Ausgangspunkt der Immanenz würde das Wesen des Gewohnheitsrechts unerklärt bleiben, der Begriff der justitia nur in einem äußerlichen und niedrigen Sinne gefaßt werden können, und es an einem Indifferenzpunkt fehlen, in welchem die beiden Seiten des Rechtsbegriffs, das Recht im subjectiven und im objectiven Sinne, sich zusammenfinden.

II. Kapitel.

Das Gebiet des Rechts.

(Zu § 6-9)

Selbst und Welt als Herrschaftsobjecte.

Die Energie unterwirft der Person ein Object. Je kraftvoller die Energie und je empfänglicher ihr Object ist, um so inniger wird dieses von jenem ergriffen, verarbeitet, tiefer in den eignen Lebenskreis des Individuums und der Genossenschaft hereingezogen und um so völliger denselben angeeignet. Ein gezähmter Löwe, ein abgerichteter Hund, eine angebaute Flur, eine entdeckte und cultivirte Insel erhalten und tragen das Gepräge ihres Machthabers, und erweisen sich, so wie sie nun sind, als lebendige Erzeugnisse und Offenbarungen seines persönlichen oder nationellen Karakters.

Die Situationen des Herrschens, m. a. W. die Rechtsverhältnisse erscheinen verschieden, je nachdem das Selbst oder die Welt Gegenstand des Herrschens ist, und wenn das Ergebniß des 1. Kapitels hinzugenommen wird je nachdem das Einzelwesen oder das Gemeinwesen Subject der Herrschaft ist.

Die Herrschaft über sich selbst bildet die Grundlage der sich dann zum Vermögensrecht erweiternden Herrschaft. Im Privatrecht erscheint diese Grundlage wenig umfang- und inhaltreich: sie beschränkt sich auf gewisse Grundzüge, die nahe bei einander liegen, gleichsam nur mikroskopisch unterscheidbar sind und daher im practischen Leben selten bedeutsam und gewichtig hervor- und auseinandertreten. Darin liegt der Grund, daß auch in der Theorie, d. h. in den üblichen Lehrdarstellungen unsrer Compendien, jene Grundzüge meist nur obenhin und beiläufig berührt werden. **

*) Vergl. Cursus § 11.

**) Vergl. Cursus, Thl. II. Buch 1. z. A.

Man könnte diesen Innenkreis der s. g. Urrechte oder Rechte der Persönlichkeit (s. Schilling Lehrb. f. Institutionen und Geschichte d. R. R. I. § 1, 4.) auch als das private Verfassungsrecht bezeichnen, wenn es schicklich wäre, Termini ohne Weiteres vom Staatsrecht zu entlehnen. In der That handelt es sich hier um die Verfassung des Einzelwesens, d. h. um die Zusammenfassung seiner einzelnen juristischen Bestandtheile und um diejenigen Formen, in denen der Private sich nach seinen unveräußerlichen Attributen behauptet und grundsätzlich regelt.

Der gleiche Unterschied eines Innen- und Außenkreises oder einer engern und weitern Sphäre ist für das Staatsrecht durchzuführen und der Theorie desselben allgemein zu Grunde zu legen. Hier tritt der Innenkreis, d. h. der Umkreis der eigentlichen Verfassungsrechte in weit erheblicheren Dimensionen hervor, so daß das Maßverhältniß des Innen- und Außenkreises fast das umgekehrte von dem privatrechtlichen ist. Das Verfassungsrecht zeigt uns das Gebiet der staatlichen Selbstbeherrschung, welche nicht bloß eine Behauptung und Abwehr nach Außen, sondern vor Allem eine Ordnung und Machtgestaltung nach Innen, nämlich die Constituirung eines durch (über-, neben- und untergeordnete) Organe herrschenden Gemeinwillens ist. Dieser centralisirte Gemeinwille ist der Souverän: er umgibt seine unmittelbaren Organe mit den Formen und Attributen der Souveränität, handelt in den einzelnen Fällen nach seinem freien und selbstbewußten Entschluß und spricht wohl auch allgemeine Maximen des Handelns aus (Legislative); und wie im Innern so auch nach Außen sichert und verfolgt er seine Verfassungsrechte manu militari; endlich erweitert und steigert er seine Staatsgewalt durch Unterordnung selbständiger Magistrate, welche, indem sie einmal angestellt kraft eignen Rechts agiren, gleich den Hauskindern in der Privatsphäre Filialpotenzen des Staatswesens (abgeleitete, abgezweigte, dependente Souveränitätscompetenzen: provinciae im altrömischen Sinne) darstellen. Vor Allem gehört in diesen Umkreis die Lehre von der Staatsform, d. h. von der verfassungsmäßigen Anlage und Grundstimmung des Staatsorganismus, wonach die Frage sich beantwortet, ob der eigentliche Träger der Souveränität das ungetheilte Volksganze (Frei- oder Volksstaat, Republik), oder ein aus dem Ganzen geschichtlich hervortretendes Cardinalglied (Dynastie, Oberhaupt) sei (Fürsten- oder Königthum): was durchaus nicht bloß ein Unterschied der politischen Form, sondern wesentlich und zunächst des historischen Organismus ist.

Wie nun das gebildete Einzelwesen nothwendig um sich einen weiteren Umkreis von Rechten (das s. g. Vermögensrecht) hat, so erwirbt sich auch der (Cultur-) Staat jederzeit einen Außenkreis von Rechten, welche nicht mit den Verfassungsrechten vermengt oder gar identificirt werden dürfen. Ich nenne diese die Hoheitsrechte des Staats; sie sind die Formen der Herrschaft des Staatskörpers über die Welt unter sich und um sich. Vermöge dieser Hoheitsrechte ergreift der Staat Land und Leute, Provinzen und Colonien. Vermöge der Territorialhoheit be

herrscht er staatsrechtlich den Grund und Boden innerhalb seiner Grenzen, vermöge der Volkshoheit nimmt er die Wehr- und Steuerkraft seiner Staatsangehörigen in Anspruch, und er erstreckt endlich seine Hoheit auch über exterritoriale Gebiete (Provinzen, Meere, Colonien), sowie über diejenigen Landesbewohner, die nicht Staatsangehörige sind. Wir fassen das Gesagte in folgender Uebersicht zusammen:

I. Civilistisches Gebiet (Privatrechtsverhältnisse).

a. Esoterisches Gebiet: Recht der Persönlichkeit.
b. Exoterisches Gebiet: Vermögensrecht.

II. Publicistisches Gebiet (Staatsrechtsverhältnisse).
a. Esoterisches Gebiet: Verfassungsrecht.
b. Exoterisches Gebiet: Hoheitsrecht.

III. Kapitel.

Die Anstalt des Rechts.

(Zu § 10-12)

Die dreifache Bedeutung von Staat.

Zu § 12] Ueber der Idee des Staats liegt eine Wolke von Streitfragen theils rechtsphilosophischen, theils rechtspolitischen Inhalts: hauptsächlich betreffen sie die Grenzen und den Zweck der Staatsgewalt.

Zu einer gründlichen Lösung derselben scheint es vor Allem erforderlich, daß eine dreifache Bedeutung von Staat unterschieden wird, welche etwa als die universelle (speculative), antike und moderne bezeichnet werden kann. Die erste oder weiteste (universelle) schwebt vor Augen, wenn von Recht und Staat als zwei sich deckenden Vorstellungs- und Lebenskreisen, insonderheit gegenüber und neben Religion und Kirche, geredet wird. Die zweite oder mittlere (antike) Bedeutung tritt uns aus dem publicum jus der Römer (dieser altera positio neben dem jus privatum) entgegen, indem hier Gemeinde und Staat noch als identisches Gemeinwesen gefaßt und nur Anfänge, unvöllige Ansätze zu einem Gemeinde- und einem Staatswesen in unserem heutigen Sinne seit den letzten Zeiten der Republik gemacht wurden.* Endlich die dritte oder engste (moderne) Bedeutung ist diejenige, an welche man in unsrer Zeit am liebsten denkt, wenn man vom Staat im eminenten und eigentlichen Sinn redet.

Den Naturgrund (Substrat) des Staats in diesem heutigen Sinn bildet das geographisch fixirte (wenn auch nicht gerade arrondirte) und räumlich umgrenzte Naturganze eines Volkes, einer Nation, d. h. der durch gemeinsame Abstammung begründete, in gemeinsamer Sprache und Sitte zusammengehaltene und durch die Verwandtschaft der geistigen Triebe und Ueberzeugungen verbundene Organismus, welcher sich als selbständige Größe in dem geschichtlichen Gang des Völkerlebens behauptet und vorzugsweise aus dem Fond der eignen materiellen und *) s. unten Excurse zu § 161-176. No. III.

geistigen Hülfsmittel sich zu befriedigen vermag. Daß der politischen Einheit eine natürliche entspreche und zu Grunde liege, ist aber nur der Normalfall, nicht absolut wesentlich, wie die Geschichte zeigt, denn es gibt Föderativ- und Bundesstaaten neben den reinen National- und Einheitsstaaten.

Sonach ist der Staat die Nation von ihrer politischen Seite. Die ästhetischen, wirth- und wissenschaftlichen, moralisch-religiösen (z. B. Lehr- und Unterrichts-) Zwecke gehören an sich nicht zu den Aufgaben des Staats in diesem Sinn. Indeß darf der Staat, welcher solchen außerhalb gelegenen Aufgaben sich gewachsen fühlt, sich ihnen nicht entfremden und verschließen, besonders dann nicht, wenn die übrigen Organe des Volksthums und Gesellschaftswesens nicht reif oder nicht gesund genug oder zu altersschwach sind, ihren Platz auszufüllen und ihre antheiligen Verrichtungen ohne Staatshülfe zu leisten. In dieser Weise haben z. B. Staat und Kirche zu verschiedenen Zeiten einander unterstützt und ergänzt.

IV. Kapitel.

Der Ursprung des Rechts.
(Zu § 13-15)
I.

Göttliches und menschliches Recht.

Zu § 13] Wenn die Rechtserzeugung als That des Menschen bezeichnet wird, so ist damit nicht der Gedanke abgelehnt, daß das Recht im letzten Grunde aus Gottes Rathschluß und Willensordnung abzuleiten sei, denn mit der menschlichen Persönlichkeit und Energie ist auch das Recht eine Schöpfung Gottes, welcher aber, indem er die Menschen als freie Wesen schuf, diesen den Gang der eignen Entwicklung als ihre eigne und freie That überließ. Außerdem ist das Institut der obrigkeitlichen Autorität und Gewalt noch besonders auf eine erste und allgemeine Einsetzung Gottes zurückzuführen: die Zwangsgewalt der Obrigkeit (jus gladii, jus vitae ac necis) ist von Gott selbst dem Menschen in die Hand gegeben worden, indem er den ersten Menschen zum Herrn über das Weib, d. h. Haus und Familie bestellte. Durch den Sündenfall war dieses Rechtsmittel bedingt und gefordert: durch sich selbst und aus eigner ursprünglich menschlicher Machtvollkommenheit hätte der Mensch kein Recht über Leben und Tod des Mitmenschen; er muß es nun aber als Obrigkeit haben zur Aufrechthaltung der Ordnung im Widereinander der Völker und Individuen, und er hat es dazu aus Gottes Hand erhalten, um es gemäß den Entwicklungsgesetzen der politischen Ordnung zu handhaben. Darum wer der Obrigkeit das Schwert nimmt, untergräbt die Fundamente aller Rechtsordnung.

In einem anderen, prägnanten Sinne spricht man von göttlichem und menschlichem Recht (jus divinum und humanum): jenes beruht

auf unmittelbarer göttlicher Satzung d. h. Offenbarung, wie das (Adamitische, Noahitische) Mosaische Recht, dieses auf unmittelbarer menschlicher Satzung ohne göttliche Eingebung. Von solcher Eingebung kann im eigentlichen Sinne bei heidnischen Völkern nicht die Rede seyn. Was diese etwa auf den Willen ihrer vermeintlichen Nationalgötter zurückführen und auf alte religiöse Ueberlieferungen gründen (fas, jus sacrum), ist Menschenwerk, welches höchstens einen Rest der heiligen Uranlage der Menschheit in sich trägt.

II.

Die historische und philosophische Juristenschule.

Zu § 14] Die im Cursus genannten drei ersten Grundqualitäten der Rechtsordnung (positive, sociale und historische) sind durch die s. g. historische (oder positivistische) Schule zur Geltung gebracht. Vor und neben derselben bestand, theilweise in scharf ausgesprochenem Gegensatz, die s. g. philosophische (oder rationalistische) Schule, welche alles Recht auf dem Wege vernunftmäßiger Ermittelung und Schlußfolge finden und es ohne wesentliche Rücksicht auf die verschiedenen Culturstufen ein für allemal construiren wollte. Die vierte Grundqualität (das Recht als intuitive Ordnung) folgt aus der ersten und bildet eigentlich nur das dogmatische Facit oder Complement jenes Cardinaldogmas der historischen Schule; beide aber lassen sich wohl unter dem Ausdruck organisch zusammenfassen. Vergl. meine Schrift: der Wendepunkt der Rechtswissenschaft (1856) S. 62 ff., in Verbindung mit v. Savigny, System d. R. R. I. S. 7. 9. 292.

Im Großen und Ganzen sind jetzt die Grundsätze der historischen Schule zur Anerkennung gekommen, indeß darf nicht auf dem von derselben eröffneten Wege einseitig fortgegangen werden. Denn unmöglich kann zugegeben werden, daß sämmtliche Elemente des Rechts dem Flusse geschichtlicher Entwicklung und nationaler Umbildung unterliegen, vielmehr wie im einzelnen Menschen gewisse Grundzüge seines individuellen Karakters bleiben und von einer Centralkraft aus aller Wechsel mehr oder weniger beherrscht, und so der Gang in einer Bahn erhalten wird: so finden wir auch in der Weltgeschichte des Rechts das Walten einer Centralkraft des menschlichen Geistes, eine Bahn allmählichen Fortschritts, die stille Herrschaft von Rechtsidealen, welchen die Besten der Nation, der Zeit zustreben, und die Völker, so lange sie blühen, immer näher kommen. In den Gesetzen, von welchen dieser Gang universal- und nationalgeschichtlicher Entwicklung des Rechts gerichtet wird, sind die Grundzüge der Rechtsordnung enthalten, und diese sind so tief im Wesen des menschlichen Geistes begründet und von so allgemeinem ethischen Werthe, daß sie als absolute gelten und auf einem, von der Geschichte verhältnißmäßig unabhängigen Wege philosophischer Speculation erkannt werden können.

Man bezeichnet das dem positiven Recht einer einzelnen Nation oder Culturepoche gegenübergestellte und unabhängig hiervon entwor

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