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dachten. Und wie wichtig nun einerseits diese lettere Wahrnehmung für uns wird, weil sie uns erkennen läßt, wie fest und innig Rom mit dem Principe der Personalität des Rechtes verwachsen war und wie machtvoll und gewaltig die von Alters überlieferte Richtung des Blickes die Nationalanschauung bestimmte und fesselte, so gewinnen wir nun andererseits daraus die Erkenntniß, daß in dem jus gentium die stärkste Abweichung von der fundamentalen Ordnung der einschlagenden Verhältnisse uns entgegentritt, welche überhaupt die gegenwärtige Periode, ja das gesammte Alterthum

fennt.

So nun erkennen wir, wie in den drei verschiedenen Erscheinungsformen der gegenwärtigen Periode, welche Modificationen des Systemes der nationalen Herrschaft des Rechtes enthalten, eine innere Gradation uns entgegentritt, insofern conubium, commercium und recuperatio die geringste, jus nexi mancipiique die weitere, das privatrechtliche jus gentium aber die stärkste Deviation von der fundamentalen Ordnung der römischen Verhältnisse entbalten. Und wie nun ein durch speculative Reflexion, wie durch allgemeine historische Erfahrung zu gewinnendes Gesetz a priori die Annahme an die Hand giebt, daß jener inneren Gradation auch die zeitliche Folge entspricht, in der jene Modificationen in's Leben traten, so werden wir auch a posteriori diese Annahme bestätigt finden. Denn das Institut von conubium, commercium und recuperatio brachte Rom mit zur Welt (§. 21.); die Verleihung von jus nexi mancipiique läßt sich in ihrer Entstehung nicht vor die mittlere Königszeit sehen, ist aber in den XII Tafeln bereits urfundlich nachweisbar (§. 42.); endlich die Entstehung des jus gentium fällt deutlich wahrnehmbar in den Beginn des 6. Jahrhunderts d. St. (§. 77.).

§. 15.

Der durch das jus civile Romanorum gegebene allgemeine juristische Standpunkt der Römer.

Aus der zu Rom bewerkstelligten Verbindung der beiden Systeme der nationalen Herrschaft des eigenen und der Exclusion des peregrinen Rechtes ergiebt sich ein Verhalten des Rechtes im Staate zu den Rechtssubjecten, welches wir dahin bezeichnen können: das Recht innerhalb des römischen Staates nahm von Alters her einen Voigt, Jus naturale etc. II.

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specifisch-römischen Standpunkt ein, d. h. wo Etwas und was immer als Recht innerhalb des römischen Staates in Betracht kam, das war, abgesehen von dem Völkerrechte, einzig und allein jus civile Romanorum; alles andere Recht aber kam als Nichtrecht, und alles peregrine Rechtsverhältniß als nicht zu Recht bestehend in Nichtbetracht. Diesen Standpunkt nimmt deutlichst erkennbar das Recht der Römer von frühester Zeit her ein, und ihn wiederum können wir mit Rücksicht auf jene seine Eigenthümlichkeit als einen specifisch-römischen bezeichnen.

Diesem Standpunkte haben wir, indem wir ihn dem Rechte als solchem unterlegten, eine Objectivität und Dinglichkeit beigemessen, und die Befugniß hierzu gewinnen wir nicht allein aus der gesammten normativen Construction des römischen Staats- und Rechtslebens (§. 9.), sondern auch daraus, daß er in dem allgemeinen Sprachgebrauche Roms selbst deutlich wahrnehmbar sich ausprägt, worauf wir weiter unten zurückkommen werden. Allein diese Objectivität ist nur Reflex oder institutionell ausgeprägter Ausdruck einer subjectiven Anschauung, welche das Denken an sich der römischen Nation bestimmte und hier in der gesammten Volksanschauung, wie in der Rechtsbildung und Rechtswissenschaft zu Tage trat. Und gerade in dieser subjectiven Beziehung, und insbesondere in ihrem Vorherrschen in dem wissenschaftlichen Denken ist jenem Standpunkte eine eminente Wichtigkeit beizumessen, insofern, als er allein den Schlüssel uns bietet zum Begreifen so mancher Eigenheiten und Besonderheiten, die im römischen Rechtsleben uns entgegentreten. Denn wie für den einzelnen Menschen, so ist in gleicher Maaße auch für die Volksgesammiheiten der primitive und elementäre Stoff, mit welchem die Kategorieen des juristischen Denkens ausgefüllt werden, gegeben und bestimmt durch nationale Ueberlieferung, durch ein Hergebrachtes somit, das in Materie, wie in Richtung des Blickes auf Anschauung und Reflexion des in dieser Weise thätigen Subjectes bestimmend einwirkt. Diese Thatsache bedingt aber, daß die juristische Anschauung eines jeden Volkes in Stoff87), wie in Richtung des Blickes von Vorn herein eine

87) Fast die nämliche Bemerkung finde ich bei Wachsmuth, in Ber. d. k. sächf. Gef. d. Wiss. Phil. hist. Ct. Bd. VIII. p. 135. in Bezug auf die Fähigkeit der Völker zur Geschichtsschreibung ausgesprochen; denn derselbe sagt: „Des Menschen geistiges Auge sicht überhaupt durch eine mehr oder minder

beschränkte ist. Und wie wir selbst nun erst durch historische und philosophische Studien die Fertigkeit, ja die Fähigkeit selbst gewinnen, bei Betrachtung und Beurtheilung historisch gegebener Rechtssagungen und Institute ein freieres und unbefangeneres Urtheil zu geben und einen objectiven Maaßstab uns zu schaffen, so gewinnen auch die gesammten Nationen erst durch die Bekanntschaft mit fremden Institutionen und Sagungen und mit fremden Verkehrs- und Lebensverhältnissen und Umgangsformen, wie durch das Vertrautwerden ihrer Wissenschaft mit der comparativen Jurisprudenz und der Philosophie jenen Standpunkt, von welchem aus ein unbefangenes Urtheil über den empirisch gegebenen Rechtsstoff möglich ist und das Recht im Ganzen, wie in seinen einzelnen Theilen als ein anderes und in anderer Weise gedacht werden kann, denn in der durch eine nationelle Ueberlieferung von Alters bestimmten Richtung des Blickes, wie gegebenen Firirung des Gedankenstoffes; es gewinnt erst dadurch, wie wir in Thl. I. §. 44. sagten, das Volk für seine herrschenden Ideen, für seine Sagungen und Institutionen einen über der Subjectivität der Anschauung stehenden Maaßstab und erlernt, die ihm angeborenen oder angebildeten Grundsäße und Einrichtungen als etwas von seiner Individualität Trennbares zu denken, wie nach Inhalt und Umfang, Grund und Folge zu erwägen und abzuschäßen.

Daß nun Rom überhaupt zu irgend welchem Zeitpunkte diesen specifisch-römischen Gesichtspunkt einnahm, ist eine Thatsache, die

gesellschaftlich gefärbte Brille. Eine vollkommene und freie Selbstständigkeit des Individuums, die jenes gesellschaftlichen Gepräges entäußert, eine so zu sagen. kosmopolitische Weltanschauung, wie sie in dem idealen Urgeiste des Menschenthums sich denken läßt, gewönne, ist nur approximativ in der Bildung der ausgezeichnetsten Vernunftvirtuosen und hochragendsten Repräsentanten der Abstraction vorhanden. Es ist wie mit der Atmosphäre, in welcher reine Lebensluft sich nirgends darbietet, sondern erst durch künstlichen Läuterungsproceß gewonnen werden kann." Allein hier ist diese Thatsache in eine absolute Beziehung zu der Volksanschauung geseßt, während wir selbst solche in einer relativen Beziehung auffaßten und damit anerkannten, daß von dem Stadium höchster Befangenheit der Nationalanschauung zu der Stufe einer annäherungsweise kosmopolitischen und unbefangenen Anschauung ein normaler Fortschritt und eine orga= nische Entwickelung in dem Leben der Völker gegeben ist. Und diese Thatsache allein ist es, der wir im Obigen für uns die höchste Wichtigkeit beilegten, und deren Wahrnehmung nothwendig ist für Jeden, der historische Vorgänge nicht blos zu erschauen, sondern auch zu begreifen strebt.

als selbstverständlich einer besonderen Hervorhebung nicht bedürfte, weil, wie bemerkt, bei allen Völkern das Gleiche wiederkehrt. Wohl aber ist es eine für das volle Verständniß unserer Quellen sehr hoch zu veranschlagende Thatsache, daß noch bis tief in die Kaiserzeit herab jener beschränkte Gesichtspunkt in vielfältigen Beziehungen seine Nachwirkung äußerte. Die bemerkenswerthesten Erscheinungen, auf welche wir in dieser Beziehung hier hinzuweisen vermögen, bietet vor Allem der Sprachgebrauch, so namentlich, daß justum vielfach nur das bezeichnet, was nach jus civile Romanorum besteht, und zwar in der Weise, daß das nach anderem Rechte Bestehende nicht etwa, bestimmt durch die besonderen Zwecke des Redenden, einfach bei Seite gesezt und als fremdartig außer Acht gelassen, sondern planmäßig als etwas jenem Begriffe Fremdartiges ausgeschlossen wird, so daß daher in Wahrheit die Bedeutung von jure civili Romanorum factum dem justum begrifflich inliegt, und nicht lediglich von Außen her und in Folge der concreten Anschauung des Redenden hinzutritt, daher denn auch das nach jus provinciale oder nach jus civile peregrinorum oder nach jus gentium Bestehende in Wahrheit diesem Begriffe des justum als ein non justum gegenübersteht (Beil. X. §. IV—VII.). Gerade hierin aber offenbart sich uns eine Erscheinung, für welche das moderne Leben durchaus nichts Analoges uns bietet. Anders dagegen verhält sich dies, wenn unter civile das dem civis Romanus Eigenthümliche, unter jus civile das jus civile Romanorum, unter populus der populus Romanus u. dergl.88) verstanden wird, da hier diese Individualisirung des Wortfinnes nicht eine begriffliche, sondern lediglich durch den besonderen jeweiligen Standpunkt des Redenden gegeben ist, und hierin zwar ebenfalls jener specifische civil-römische Gesichtspunkt, aber bei Weitem nicht in jener schroffen und markirten Weise

88) So z. B. steht populus in diesem eminenten Sinne in der Definition des Ael. Gallus bei Fest. p. 274.: reciperatio est, quum inter populum, et reges nationesque et civitates peregrinas lex convenit (vgl. Beil. XII. §. XXII.), und damit erkennen wir, wie diese Definition auf dem specifischen römischen Standpunkte steht; Paul. Diac. p. 275. hob nun die Definition von diesem Standpunkte ab, sie auf den universellen verseßend und sagte daher: reciperatio est, quum inter civitates peregrinas lex convenit; denn die civitates peregrinae find hier die unter sich fremden Staaten, — eine correspective Beziehung. die allerdings dem Ausdruck peregrinus in der guten Latinität fremd ist; vgl. Sell, Recuperatio, p. 30. not. 1.

sich offenbart. Wohl aber ist Lezteres der Fall in verschiedenen, uns überlieferten Definitionen, so z. B. von jus publicum als jus quod ad statum rei Romanae spectat u. a. m., worüber vergl. Thl. I. §. 51. Weniger dagegen ist hierher zu ziehen, daß bis zu Ende dieser Periode das jus civile Romanorum, selbst mit Abweifung des jus gentium, wie andererseits des jus honorarium das System für die rechtswissenschaftliche Doctrin lieferte, worüber vgl. Thl. I. §. 43. Denn in der That tritt bereits mit Ausgang der gegenwärtigen Periode die Veränderung ein, daß ein annäherungsweise universeller Standpunkt gewonnen wird theils unter dem Einflusse der comparativen Jurisprudenz, zu welcher namentlich die Provinzialrechte hinleiteten, theils unter dem Einflusse der Philosophie, welche einen abstract speculativen Standpunkt ermöglichte, vor Allem aber unter dem Einflusse des jus gentium, als dem wahrbaft internationalen Rechte (§. 87.).

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