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Erste Periode.

Das privatrechtliche jus civile

und

jus gentium der Römer und ihre Mittelglieder

bis zum Zeitalter Cicero's.

Erstes Capitel.

Das privatrechtliche jus civile Romanorum.

§. 11.

System der nationalen Herrschaft des privatrechtlichen
jus civile Romanorum über das Subject.

Das Privatrecht eines Volkes, als ein Theil von dessen gesammtem Particularrrechte und als solches Product und Schöpfung des Volksgeistes, muß beherrscht und durchdrungen sein von den nämlichen Principien, welche, aus der nationalen Grundanschauung hervortretend, maaßgebend und bestimmend sind für die gesammte Ordnung der Lebensverhältnisse des Volkes und so auch für dessen Particularrecht im Allgemeinen. Daher mußte auch das Privatrecht Roms von Anfang an dem Systeme der nationalen Herrschaft des Rechtes unterstellt sein, da, wie wir in §. 6. feststellten, dieses System das gesammte Particularrecht Roms ergriff. Diese Voraussegung erhält aber durch historische Zeugnisse in der That ihre volle Bestätigung; denn es lehren dieselben, daß das System der nationalen Herrschaft des Rechtes gerade auf dem Gebiete des Privatrechtes in einer hohen Ausdehnung und Reinheit bis in die spätesten Zeiten des Kaiserreiches sich behauptet hat. Und während auf dem Gebiete des jus publicum bereits mit Ausgang der Republik jenes System in seiner extensiven Gültigkeit vielfach beschränkt ist und unter den feindlichen und zerstörenden Einflüssen eines neuen Zeitgeistes verfällt und zerbröckelt, so finden wir, wie das civile Privatrecht bis zu den äußersten Endpunkten seines Herrschaftsgebietes jenes System aufrecht erhält, ja daß ein Aufgeben des Lezteren nicht erfolgt, ohne daß zugleich das jus civile von der diesem Systeme entfremdeten Masse fich lossagte und solche abtrünnige Gruppe dem jus gentium zur Herrschaft überwiese. Und wie diese lettere Erscheinung es überhaupt erst erklärlich erscheinen läßt, daß in extensiver Beziehung jenes System seine ungebrochene Herrschaft behauptet, so erklärt gleicher Grund, daß auch in intensiver Beziehung diese Herrschaft sich aufrecht erhielt. Denn die innere

Reinheit und Consequenz solchen Systemes tritt namentlich darin zu Tage, daß nicht allein bei zweiseitigen Rechtsgeschäften das Requisit der maaßgebenden persönlichen Qualität, der Civität, für die Subjecte aufgestellt ist, sondern daß auch bei einseitigen Rechtsgeschäften wie für den Handelnden selbst, so auch für den passiv Betheiligten gleiches Erforderniß festgehalten wird, so daß die Civität für den Erbnehmer und Legatar in gleicher Weise wie für den Erblasser oder den Contrahenten der Fiducia erfordert ist. Und hierauf gerade, daß die Römer mit Starrheit und Consequenz nach den beiden Seiten des Rechtsverhältnisses hin jenes System aufrecht erhielten; daß sie nicht innerhalb des Verhältnisses nur den einen Interessenten für die maaßgebende und bestimmende, den andern für die bestimmt werdende Persönlichkeit in Bezug auf Recht und Rechtsfähigkeit anerkannten, gerade hierin beruht es, daß das privatrechtliche jus civile Romanorum zu allen Zeiten sich abschloß gegen das System der causalen Herrschaft des Rechtes, welches in dem hellenistischen, wie in dem modernen Leben eine so wichtige Bedeutung erlangt hat (vgl. §. 3. und Beil. XVI. §. VII. sq.).

Das in dem Systeme der nationalen Herrschaft des Rechtes ausgeprägte Princip wirkt nun bestimmend zurück auf die Richtung der Auffassung und auf die Modalität, in welcher die Volksanschauung das Verhältniß des Rechtes gegenüber dem von ihm beherrschten empirischen Elemente sich denkt: das moderne Leben, in seiner Anschauung beeinflußt durch das ihm maaßgebende Princip der localen Herrschaft des Gesezes, denkt sich diese Beziehung überwiegend als eine Herrschaft des Rechtes über die Verhältnisse 56); dagegen dem Alterthume, unter dem Eindrucke des Principes der personalen Herrschaft des Gefeßes stehend, ist maaßgebend und bestimmend die objectiv wahrere Auffassung jener Beziehung als einer Herrschaft des Rechtes über die Person, eine Anschauungsweise, die für uns erkennbar wird in ihrer Ausprägung: der Sprachweise. Denn die stehenden Bezeichnungen, welche auf das Ver

56) So z. B. auch Savigny §. 344.: „Es bleibt jezt, für den allgemeinen Theil des Systemes, noch übrig, die Verbindung der Rechtsregeln mit den Rechtsverhältnissen festzustellen; diese Verbindung erscheint, von der einen Seite betrachtet, als Herrschaft der Regeln über die Verhältnisse, von der andern Seite als Unterwerfung der Verhältnisse unter die Regeln"; u. ö. Vgl. dagegen §. 2. u. Beil. XVI. §. I.

halten des Rechtes zu seinem empirischen Elemente sich beziehen, find: lege tenetur aliquis, lex tenet aliquem, und lex pertinet ad aliquem oder pertinet aliquis ad legem 57).

Das System der nationalen Herrschaft des Rechtes beruht nun, in seiner Anwendung auf das privatrechtliche jus civile Romanorum in's Auge gefaßt, in den einander correlaten Säßen: es herrscht solches jus civile über den civis Romanus allein, und: die Empfänglichkeit für soldes jus civile in Befugniß, wie Verbindlichkeit, somit die Rechtsfähigkeit des jus civile hat ausschließlich der civis Romanus. Und auf der hierdurch gegebenen Gestaltung der Verhältnisse beruht es zugleich, daß die Römer den einheitlichen

57) Lege teneri in den leges Valeria et Horatia, Publilia Philonis, Hortensia, f. Marquardt, Handb. II, 3. p. 161. not. 51–54., in der lex reg. de imp. Vesp. lin. 24. bei Göttling, 15 Urf. p. 20. sq., in der Formel des bezüglichen Senatus decretum bei Cic. p. dom. 16, 41. p. Corn. I. fr. 11. u. dazu Ascon. p. 68. Or. ; ferner bei Cic. Phil. V, 4, 10. XI, 5, 11. XII, 5, 12. p. Balb. 8, 20. p. Rab. Post. 5, 11. in Verr. II, 56, 139. IV, 66, 149. Liv. IX, 34, 8. XXXV, 7, 2. Macrob. Sat. III, 17, 6. u. die Beisp. bei Brisson. de V.S. s. v. Lex tenet bei Liv. IX, 34, 9. Dies ist die alte und legale Ausdrucksweise, neben der sich in den späteren Quellen findet: lex pertinet ad aliquem, se Pompon. lib. 11. Epist. (Dig. XL, 13, 3.), Dosith. Interpr. de Manum. §. 14. L., Ulp. lib. 9. de Off. Proc. (Dig. XLVIII, 15, 2. pr.), lib. 4. fideicomm. (Dig. XXXVI, 1, 6. §. 3.), lib. 35. ad Ed. (Dig. XXVI, 2, 19. §. 1.), lib. 50. ad Ed. (Dig. XXIX, 5, 1. §. 7.), lib. 71. ad Ed. (Dig. XLIII, 29, 3. §. 1.), lib. 76. ad Ed. (Dig. XLIV, 6, 1. §. 1.), Paul. lib. sing. ad l. Falc. (Dig. XXXV, 2, 1, §. 1. 2.), Macer. lib. 2. Public. (Dig. XVIII, 16, 15. §. 1.), Tertullian. lib. 1. Quaest. (Dig. I, 3, 27.), Quint. J. O. VII, 1, 57.; iura pertinent ad aliquem: Quinct. Decl. 244.; pertineo ad leges: Paul. lib. sing. ad Orat. Div. Anton, et Carac. (Dig. XXIII, 2, 60. pr.), Philipp. in C. Just. VIII, 56, 1. Constantin. in C. Theod. VI, 35, 3., Gratian., Valentinian. et Theodos, in C. Theod. X, 10, 14., Quint. Decl. 244. Zwar findet sich daneben auch: lex pertinet ad aliquid, so z. B. Pompon. lib. 7. Epist. (Dig. XL, 5, 20.) u. ö., sowie pertinet aliquid ad legem, so z. B. Paul. lib. 36. ad Ed. (Dig. XXIII, 5, 3. pr.) u. ö., worüber vgl. Brisson. s. v., u. refertur aliquid ad legem, so ¿. B. Paul. lib. sing. ad l. Falc. (Dig. XXXV, 2, 1. §. 7.); allein dies ist insofern irrelevant, als wir nicht fragen und bestimmen, welches die alleinige, sondern welches die maaßgebende und bestimmende, die vornämliche Anschauungsweise ist, nach welcher von Alters her, Volk und Wissenschaft das Verhältniß des Rechtes zu seinem empirischen Elemente sich denkt, und hierüber für Rom bereits durch die uralte Ausdrucksweise lege teneri cein genügender Anhaltepunkt der Entscheidung gegeben ist.

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