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angehören; denn auf diesem Gebiete vornämlich sehen wir die römische Rechtsbildung in einer unausgeseßten und rastlosen Bewegung begriffen, die hervorgerufen ward, durch jenen stetigen und erbitterten Gegenkampf von ius civile und ius gentium. Und wie nun die Triebkraft dieses Kampfes das Bedürfniß selbst der Zeit und die Anforderung des bürgerlichen Verkehres bildet, so sehen wir auch, wie diese mächtigen Gewalten das ius gentium schrittweise von Sieg zu Sieg über das ius civile führen. Denn von dem höchst beschränkten Raume, auf welchem das ius gentium zu Zeit seiner Entstehung, ja selbst noch während der ganzen gegenwärtigen Periode steht, dringt es weiter und weiter vor auf das Gebiet des ius civile, ja sogar über seinen ursprünglichen Wirkungskreis hinausgreifend und von dem Boden des commerciellen Verkehres nicht allein auf das Gebiet des allgemein bürgerlichen Vermögensverkehres unter Lebenden übertretend, sondern auch die Familienverhältnisse ergreifend (§ 82.). Und in diesen Vorgängen erkennen wir zugleich das eine jener Agentien, welche den Bildungsproceß des römischen Rechtes bestimmen, so lange als überhaupt noch Lebenskraft dem römischen Volke und seiner Jurisprudenz inwohnte: neben dem aequum et bonum ist es das ius gentium, welches eine stete Bewegung und Spannung erzeugt und unablässig die rechtsbildenden Kräfte zur Thätigkeit anspornt. Und fassen wir nun das Resultat ins Auge, zu welchem jener Entwickelungsgang bis zum Schlusse der gegenwärtigen Periode geführt hatte, so finden wir, wie das ius gentium in ausgedehnter Maaße das Obligationenrecht: das Vertrags- wie Delictrecht, und ebenso auch das Mobiliarsachenrecht ergriffen und damit das ius civile in dem Gebiete des commercium und, was die in iure cessio betrifft, der legisactio in nicht geringer Maaße beeinträchtigt bat; wie es dagegen das Ehe- und Familienrecht erst in vereinzelten Punkten ergriffen hat, so daß hier das ius civile in dem conubium sein Gebiet nur wenig geschmälert behauptet, während wiederum das Proceßrecht in beträchtlichem Umfange dem ius gentium unterworfen ist, woneben das ius civile seine Sphäre in der legisactio nur vereinzelt behauptet. Gänzlich unberührt von dem ius gentium und lediglich dem ius civile unterworfen blich daher lediglich das Immobiliarsachenrecht, das Erbrecht und Vormundschaftsrecht, wie das Manumissions- und Patronatrecht.

Wenden wir uns schließlich nun zu einer Betrachtung der reellen Bedeutung des ius gentium für die Verhältnisse des römischen Rechtslebens, so haben wir demselben eine zwiefältige Stellung anzuweisen: zunächst die practische Bedeutung, Inbegriff selbstständiger Rechtssagungen zu sein, und sodann die juristischmetaphysische Bedeutung, den Träger der leitenden juristischen Grundbegriffe zu bilden. Denn was zunächst diesen leyteren überaus gewichtvollen Moment betrifft, so haben wir uns zu vergegenwärtigen, wie bereits innerhalb der gegenwärtigen Periode das römische Recht vornämlich aus drei wesentlich verschiedenen Massen bestand: aus dem ius civile Romanorum, dem ius gentium und den Rechten der dediticii, worunter namentlich die iura provincialia mit ihren zahllosen Particularitäten von Bedeutung sind, und denen Allen im Laufe der nächsten Periode noch die Rechte der` liberae civitates innerhalb der äußeren Gränzen des römischen Reiches sich beigesellen (§ 101). Für diese so heterogene, in ihrem Inhalte oft bedeutend divergirende, an sich völlig diffuse Rechtsmasse bedurfte es nun, indem dieselbe sei es bei Responsen, sei es bei rein wissenschaftlicher Thätigkeit zur Cognition der römischen Rechtsgelehrten gelangte, nothwendig gewisser allgemeiner Grundbegriffe, welche über den particulären Besonderheiten als die juristischmetaphysischen Einheiten standen und das Urtheil über jene besonderen Rechtserscheinungen leiteten und fundamental bestimmten: es bedurfte eines abstracten und einheitlichen Denkstoffes, der genau in der Weise, wie Plato die Ideen sich dachte, das reale Allgemeine bildete, welchem alle die historisch gegebenen, mehrfältigen, partikulären, juristischen Erscheinungsformen sich unterordneten; es bedurfte z. B. eines einheitlichen und abstracten, das Denken maaßgebend bestimmenden Begriffes vom onerosen Ver= äußerungsgeschäfte sobald der Betrachtung ebensowohl die mancipatio des ius civile Romanorum, wie die emtio venditio des ius gentium und die ρäg und v1⁄2 und óλnis der hellenistischen Rechte zum Urtheile sich darbot. Diesem Bedürfnisse aber, welches namentlich gegenüber den wohlausgebildeten hellenistischen Rechten bereits in der gegenwärtigen Periode dringend zu Tage trat und in dieser Beziehung bereits in § 53. in Betracht gezogen worden ist; diesem Bedürfnisse, sagen wir, mußte die römische Jurisprudenz nothwendig in der Weise genügen, daß sie aus dem angeVoigt, Jus naturale etc. II.

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stammten vaterländischen Rechte jenen Grundstoff des Denkens für die juristischen Hauptfiguren entnahm (vgl. §. 102). Denn dieser Stoff selbst war den römischen Juristen gewissermaaßen angeboren oder mit der Muttermilch wenigstens von Jugend an eingesogen. Und in der That finden wir daher z. B. wie Cic. p. Flacc. 21, 51. die hypotheca des griechischen Rechtes als fiducia bezeichnet (not. 520), während gleichwohl die Berechtigung hierfür nur in der Gemeinsamkeit des allgemeinen practischen Zweckes beider Geschäfte liegt, im Uebrigen aber dieselben in Wahrheit grundverschiedenen Wesens sind, daher denn auch ad Fam. XIII, 56, 2. weit angemessener die originale Bezeichnung hypotheca gewählt ist; wir finden ferner, wie ebenfalls p. Flacc. 21, 51. das Zinsdarlehn des griechischen Rechtes als fenus und somit nach einem Rechtsverhältnisse bezeichnet wird, welches wenigstens zum einen Theile auf dem Boden des ius civile Romanorum, und nur als nauticum auf dem Boden des ius gentium steht. Allein wenn immer auch das ius civile Romanorum jene leitenden Grundbegriffe für die verschiedenen particulären juristischen Erscheinungsformen den Römern dann bot, wenn das ius gentium dieselben nicht zu geben vermochte, weil diesem selbst die analogen Bildungen mangelten, so ist doch diese Bedeutung des ius civile in der That nur als eine subsidiäre anzusehen, weil das ius gentium selbst allenthalben an erster Stelle jene Grundbegriffe lieferte. Denn abgesehen davon, daß, wie selbstverständlich, auch dem ius gentium der metaphysische Maaßstab für Beurtheilung provincieller Verhältnisse entlehnt ward, wie z. B. bei Cic. p. Flacc. 18, 43, und 21, 49., wo von einer furti und pro socio damnatio und einer venditio mancipiorum geredet wird, die rein auf dem Boden des provinciellen Rechtes steht, so ersehen wir überdem auf das Deutlichste, wie selbst gegenüber dem ius civile Romanorum das ius gentium jene Bedeutung einer metaphysischen Denkbasis gewann. Denn prüfen wir z. B. Cic. de Off. III, 16., so erkennen wir, wie hier allenthalben nur von Veräußerungsgeschäften die Rede ist, welche nothwendig in der Form der mancipatio fich bewerkstelligten und somit streng auf dem Boden des ius civile Romanorum stan den. Und gleichwohl unterstellt Cicero diese Geschäfte dem Gesichtspunkte der emtio venditio und einem Maaßstabe, der einzig und allein dem ius gentium eigenthümlich, dagegen dem ius civile

Romanorum selbst im Allgemeinen fremd erscheint (vgl. Beilage II). Und Gleiches tritt auch zu Tage in dem ädilicischen Edicte de mancipiorum venditione (Cic. de Off. III, 17, 71.), welches, obgleich) die venditio mancipiorum Seitens der cives Romani lediglich in Form der mancipatio in Concurrenz mit in iure cessio, fiducia und dergl. erfolgen mußte, doch den Moment der Vereinbarung über die Veräußerung auf das Gewichtvollste betont, und damit, auf den Standpunkt des ius gentium übertretend, das Geschäft dem Begriffe der emtio venditio dieses Rechtes maaßgebend unterstellt.

So daher dürfen wir in der That sagen, daß bereits zu Ausgang dieser Periode die Römer den Grundstoff ihres juristischen Denkens wie gegenüber allen römischen Rechten, so auch gegenüber dem ius civile selbst aus dem ius gentium zu entlehnen begannen, insoweit dieses überhaupt jenen Stoff ihnen bot, und daß hiermit zugleich auch die entschiedenste Superiorität des ius gentium über das ius civile sich vorbereitete. 788b)

Gehen wir sodann zum ius gentium in seiner anderen Bedeutung als Summe selbstständiger Rechtssagungen über, so finden wir, wie hier der Stoff theils ein ureigener, theils ein dem ius civile Romanorum entlehnter ist: einerseits stellt das ius gentium ganz neue, dem römischen Rechte bisher fremde Rechtsgeschäfte, wie überhaupt Gründe der Erwerbung, Veränderung und des Verlustes der Rechte auf, so in der Specification, der Tradition, den Consensualcontracten, und führt neue Klagen, wie überhaupt rechtliche Wirkungen ein, wie in der Publiciana in rem und exceptio rei venditae et traditae, und andrerseits zieht es auch die Erwerb- und Verlustgründe, wie die Rechtswirkungen des ius civile zu sich herüber, wie den Litteralcontract und die retentiones dotis. In seinen neuen Rechtsschöpfungen aber ordnet es sich nicht allein durchgängig denjenigen Principien unter, die wir in Thl. I. §. 66 dem aequum et bonum überwiesen und die in dieser Be

788b) Nicht ohne Wichtigkeit für diese Thatsache ist, daß zu Ausgang dieser Periode theils für die theoretischen Schriften der Jurisprudenz neben dem Civilrechtssysteme auch das Edictssystem angenommen wurde (Cic. de Leg. I, 5, 17.), insofern das prätorische Edict mehr und mehr von der inneren Herrschaft des ius civile sich befreite (§ 112 fin.), theils aber auch die XII Tafeln aufhörten, den Elementarstoff des jurist. Unterrichtes zu bilden (Cic. de Leg. II, 23, 59.), vielmehr zweifelsohne das prätorische Edict auch hierin an die Stelle Jener trat.

ziehung in Thl. III. ihre nähere Betrachtung erfahren werden, sondern auch noch einzelnen andern Sägen von allgemeinerer Bedeutung, die verwandt zwar mit dem aequum et bonum, doch demselben nicht unmittelbar angehören und in §. 113 weiter in Betracht zu ziehen sind.

§. 87.

Der durch das ius gentium gegebene allgemeine juristisch e Standpunkt der Römer.

Die Entstehung des privatrechtlichen ius gentium bildet in der Geschichte Roms einen Wendepunkt, an welchem eine neue Epoche in dem Leben der Nation begann, und eine neue Zeit bereinbrach, deren tiefiter Sinn ein Bruch mit den Traditionen der Vergangenheit war: indem das ius gentium ganz unmittelbar die alte Rechtlosigkeit des Peregrinen selbst theoretisch beseitigte; indem es die Römer darauf hinwies, in dem Freien an sich das Subject und den Träger der Lebensbeziehungen anzuerkennen und zu würdigen, nicht aber von der Civität Rechte und Pflichten, wie überhaupt eine Stellung des Individuum abhängig zu machen, in welcher dasselbe gar nicht als Glied des Staates, sondern lediglich als Glied der bürgerlichen Gesellschaft erscheint; so ward hiermit Rom zu jener so wichtigen Erkenntniß hingeleitet, daß neben dem Staate, als dem politischen Ganzen der staatsbürgerlichen Gesellschaft noch eine andere Gemeinheit in den vielfältigen Lebensbeziehungen und Regungen der auf gemeinsamen Boden sich bewegenden Menschheit zu Tage tritt: das sociale Ganze der bürgers lichen Gesellschaft. Und wie hiermit ein unberechenbar weiter Fortschritt gethan war auf der Bahn zur Civilisation und Humas nität, so ward namentlich auch dadurch das Privatrecht von der naturwidrigen Verbindung erlöst, in die es von Alters her durd Fesselung an die Eivität gesezt war: denn da das Privatrecht nicht den Zwecken des Staates, sondern den Zwecken der bürgerlichen Gesellschaft in principaler Weise dient, so erscheint es naturwidrig, die Theilnahme an diesem Rechte an die Mitgliedschaft im Staate, nicht aber an die Mitgliedschaft in der bürgerlichen Gesellschaft zu knüpfen.

Verwandt hiermit ist aber auch der weitere Moment, der an die Entstehung des ius gentium sich aufnüpft: jener Fortschritt der Nationalanschauung von dem Stadium völligster Befangen

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