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diese Duplicität begründet keinen Artunterschied für die entsprechende Rechtsmasse, sondern lediglich eine Besonderheit derselben in Bezug auf jene Principien, und eine Besonderheit, die nicht jene Rechtseinheit aufhebt, sondern lediglich unterhalb derselben in Betracht fömmt. Und während daher für die Römer das ius civile und ius gentium als zwei selbstständige Rechtsganze erscheinen, für welche eine höhere specifische Begriffseinheit zu maaßgebender Bestimmung nicht erhoben ist; 788) so erkennen wir selbst, der höheren und objectiven Wahrheit entsprechend, jene Beiden als eine specifisch einheitliche Rechtsmasse an, unterhalb deren ius civile und ius gentium lediglich die Bedeutung von einzelnen Theilen, nicht aber von selbstständigen Einheiten bilden. Und wie nun jene antike Auffassung rom ius gentium und seines Gegensaßes zum ius civile als einer selbstständigen Rechtsart nur hervorgegangen ist aus einer nationalen Befangenheit der Anschauung, welche selbst hervorgerufen war durch gegebene historische Vorausseßungeu, so schwindet auch im Laufe der Zeit mit dieser Befangenheit jene eigenthümliche Auffassung und es tritt das objective wahre Sachverhältniß in der dritten Periode den Römern selbst vor Augen (§. 122).

Nach Alle dem aber hat uns das ius gentium nicht als welt= universelles Privatrecht zu gelten, welches allerorts und unabhängig von territorialen Grenzen über alle Freien gleichmäßig herrscht, sondern als römisches Privatrecht, welches den innerhalb des römischen Territorium verweilenden Freien nach Maaßgabe des Systems territorialer Herrschaft des Rechtes gleichmäßig seiner Herrschaft unterwirft. Allein da unsere Aufgabe es ist, dem Geiste der Geschichte erforschend, erkennend, enthüllend zu folgen, nicht aber ihn zu verbessern, so bleiben auch für uns jene antiken Gesichtspunkte maaßgebend.

788 a) Von jenem altrömischen Gesichtspunkte aus betrachtet ist auch jedes moderne Particularrecht nicht Stoff- und Begriffseinheit, als vielmehr Zweiheit: ius civile und ius gentium. Denn jedes solche Particularrecht ist zum einen Theil für den Staatsangehörigen allein berechnet und auf das Princip der personalen Herrschaft des Rechtes gestüßt, somit iuris civilis, so z. B. das den Zustand der Person an sich betreffende Recht, während ein anderer Theil für alle Menschen berechtet und damit iuris gentium, weil auf das Princip der localen Herrschaft gestüßt ist, wie z. B. das Obligationenrecht. Dieser Moment, wie die Ausführung in § 122. wird die Richtigkeit der obigen Bemerkung veranschaulichen.

§ 86.

Stellung des ius gentium gegenüber dem ius civile

Romanorum.

Die fortschreitende Entwicklung in den Verkehrsverhältnissen der Völker und namentlich der Uebergang zu neuen culturhistorischen und nationalöconomischen Lebensstadien wird nothwendiger Weise allenthalben markirt durch Neubildungen im Rechte; denn indem im Gefolge jener Vorgänge theils völlig neue Lebensvers hältnisse im Schooß der bürgerlichen Gesellschaft zu Tage treten, theils von Alters her gekannnte, aber rechtlich noch nicht normirte Lebensverhältnisse zu höherer Wichtigkeit gelangen, so entsteht nun für beiderlei Verhältnisse das Bedürfniß einer juristischen Regelung und hieraus wiederum gehen neue Rechtsbildungen fast unmittelbar hervor. Daß wir daher gleicher Erscheinung in Rom begegnen zu dem Zeitpunkte, wo dasselbe den in §. 69 bezeichneten so wichtigen Fortschritt unternahm, ist eine durch höheres Gesez bedingte Thatsache; denn mit dem Erblühen von Handel und geschäftlichem Verkehre traten ebensowohl neue, bisher völlig unbekannte Lebensverhältnisse in's Dasein, so z. B. die Societät, sondern auch bereits bekannte und seit langer Zeit gewohnte, aber einer Normirung durch das Recht bisher noch entbehrende Verhältnisse wurden nunmehr als der juristischen Regelung würdig und bedürftig empfunden, wie z. B. das formlose Darlehn, der einfache Kauf, und das erst in der nächsten Periode zum Rechtsverhältnisse erhobene pignus. Daß daher alle derartige Verhältnisse zu neuen Rechtssagungen führen und damit das römische Recht erweitern mußten, ist eine nur dem historischen Gange der Dinge entsprechende Erscheinung. Wohl aber ist es eine im höchsten Maaße auffallende Thatsache, daß diese neuen Rechtsbildungen zugleich als besonderes Rechtssystem in das Dasein treten, als ein selbstständiges Recht nämlich, welches neben das ius civile Romanorum als ein specifisch verschiedenes besonderes Ganze sich stellt. Die Erklärung dieser Erscheinung in ihrer reflexiven Grundlage haben wir in §. 85 gegeben; in ihrer factischen und historischen Grundlage dagegen wird die Erklärung geboten durch jene Zähigkeit und Hartnäckigkeit des römischen Volkes in Bewahrung und Festhalten der von Alters her ererbten Justitutionen, Sagungen und Principien. Denn indem die Römer ihr

Recht, wie es von den Vorfahren gebildet und hinterlassen war, als nationales Sondergut bewahrten und vor profanirender Divulgation behüteten, andrerseits aber auch die Anforderungen des internationalen Verkehres auf einen rechtlichen Schuß seiner selbst zu mächtig waren, um überhört werden zu können, so mußte nun unausweichbar die Bahn betreten werden, daß man dieses divulgirte Recht für den internationalen Verkehr als ein von dem ius civile Romanorum specifisch unterschiedenes Ganze: als ein ana-tionales Verkehrsrecht neben das alte staatsbürgerliche Recht binstellte.

Beide Rechtsganze erscheinen nun von Vorn herein streng geschieden, durch. die Verschiedenheit zunächst des Lebensverkehres, sodann aber auch der Lebensverhältnisse, in welche Beide regelnd eingreifen. Denn das ius civile Romanorum ordnet von Vorn herein den nationalen Verkehr: die Rechtsverhältnisse zwischen eivis und civis, während das ius gentium den internationalen Verkehr: die Rechtsverhältnisse zwischen civis und peregrinus, wie auch zwischen Peregrinen unter einander regelt (§ 84.). Und sodann sind überdem auch die Rechtsverhältnisse an und für. sich andere, die einerseits das ius civile und andrerseits das ius gentium normirt: denn der civile Kauf z. B. unterscheidet sich bereits in seiner äußeren Erscheinungsform ganz wesentlich von dem Kaufe des ius gentium, jener in der Form der Mancipation, dieser in der Kundgebung des Consenses zu Tage tretend. So daher ist es eine genau und scharf markirte Grenzscheide, welche von Vorn herein das Gebiet beider Rechte von einander abschließt und jedem verwirrenden Uebergriffe vorbeugt.

Allein der Geist der Zeiten und die drängenden Anforderungen seiner Bedürfnisse warfen frühzeitig jene Schranken nieder: das ius gentium greift über auf den Verkehr zwischen civis und civis und usurpirt eine Herrschaft auch auf diesem Gebiete des socialen Lebens. Und indem hiermit jene Abgrenzung des Lebensverkehres › selbst für beide Rechte beseitigt wird, so wird damit zugleich auch die Grenzscheide verwischt, welche innerhalb der Rechtsverhältnisse an sich den Wirkungsfreis beider Rechte bestimmte. Denn indem das ius gentium an andere Momente des in dem Lebensverkehre zu Tage tretenden Thatbestandes seine Dispositionen anknüpfte, als solches Seitens des ius civile geschab; indem ferner in dem

durch geschäftliche Interessen zum einheitlichen Ganzen sich abschließenden Lebensverhältnisse ebensowohl die Merkmale zu Tage traten, welche das ius gentium für juristisch relevant und wesentlich erklärte, wie die Merkmale, an welche das ius civile seine Dispositionen anknüpfte; indem z. B. in dem Kaufgeschäfte der contractus der emtio venditio, wie die mancipatio sich vorsand; so fiel nun hiermit das einzelne Rechtsverhältniß selbst einem jedem von beiden Rechten zur juristischen Normirung anheim. Hiermit aber war das friedliche Nebeneinanderbestehen beider Rechte aufgehoben und zu Kampf und Streit waren beide Gewalten provocirt, indem ein gemeinsames Gebiet ihrer Wirksamkeit ihnen geöffnet war.

Dieser Widerstreit selbst aber tritt in zwiefältiger Erscheinungsform zu Tage: einmal insofern, als es sich um die beiden Rechten bereits gemeinsamen Verhältnisse handelt; denn indem, um das obgewählte Beispiel beizubehalten, der Kauf ebensowohl in das Gewand der Mancipation wie des Consensualcontractes der emtio venditio fich einkleiden konnte; indem ferner die Erfüllung des dabei Angelobten ebensowohl durch die actio emti verfolgt werden konnte, wie durch die actio auctoritatis, gestüßt auf das XII Tafelgeset: cum nexum faciet mancipiumque, uti lingua nuncupassit, ita ius esto, so trat nun hierin ein solcher Streitfall in Bezug auf ein bereits gemeinsames Rechtsverhältniß zu Tage. Zwar haben wir allerdings in Bezug auf derartige Verhältnisse der Annahme Raum zu geben, daß, selbst nachdem das ius gentium bereits auf den Verkehr zwischen cives als regelnde Norm übergegriffen hatte, anfänglich jedes Geschäft, welches in civile Form gekleidet war, damit auch in seiner Totalität und in allen seinen Wirkungen in Klage, wie Begründung von Rechten im Allgemeinen auch dem ius civile ausschließlich überwiesen wurde, und daß demnach das Geschäft in Form der Mancipation auch dem Gebiete des ius civile allein angehörte und durch Lezteres in Recht, wie in Rechtspflicht für den mancipio accipiens, wie dans bestimmt und determinirt ward, während hierüber hinaus ein weiteres Maaß und eine andere Beschaffenheit von Rechten und Pflichten der Paciscenten abgeschnitten war, so daß hiernach daher ein und dasselbe Rechts, verhältniß nicht zugleich iuris civilis und iuris gentium sein konnte. Allein daß diese Grenzscheide zwischen beiden Rechten bereits frübzeitig ebenfalls aufgegeben ward, ersehen wir unter Anderem aus

Cic. de Off. III, 16, 66., we P. Calpurnius Lanarius von dem T. Claudius Centumalus ein praedium urbanum in Rom erkauft und, als res mancipi durch Mancipation, zum Eigenthum erwirbt, auf Grund dieses Geschäftes aber nachher nicht die actio auctoritatis, sondern die actio emti anstellt und mit derselben obsiegt. Denn hierin tritt auf das Deutlichste der Gedanke zu Tage, daß der Mancipation, sobald ihr ein Kaufgeschäft zu Grunde lag, auch ein Kaufcontract inneliege, so daß daher jede solche Mancipation ein ihr voraufgehend annectirtes Rechtsgeschäft des ius gentium: eine emtio venditio im technischen Sinne umschließe, dementsprechend dann auch die Stipulation, welche einem Kaufgeschäfte als Form diente, einen doppelten Contract umschloß und eine obligatio quae consensu, wie eine obligatio quae verbis nascitur, ebenso wie eine actio emti venditi, und eine condictio erzeugte. Und wenn immer nun diese Auffassung auf einer Begriffsverwirrung insofern beruht, als sie das Geschäft mit dem Rechtsgeschäft, den Kauf mit dem Kaufcontract, die emtio venditio im vulgären Sinne mit derselben im technischen Sinne identificirte, so haben wir doch dieselbe nicht als reine Willkühr aufzufassen, sondern als das Resultat eines Entwickelungsganges, der bestimmt ward durch jenes vom Zeitgeiste dictirte Geseß, welches die Erweiterung des ius gentium auf Kosten des ius civile postulirte.

Und wie nun hiermit eine neue Classe von Streitfällen zwischen ius gentium und ius civile in's Dasein gerufen ward, so ordnet nun dieselbe der Rechtslehre sich unter, welche man als Colliston der Rechte bezeichnet, und hier nun ward, wie wir in Beilage XVI §. XII darlegten, die Lösung solcher Collision dadurch gewonnen, daß in Bezug auf das Rechtsgeschäft im Allgemeinen das freie Belieben der Interessenten entschied, ob solches in die Form des ius civile oder des ius gentium gekleidet ward, während in Bezug auf die actio das freie Belieben des Berechtigten maaßgebend war, je nachdem dieser dem ius civile oder dem ius gentium den Vorzug gewähren wollte. Dagegen direct widerstreitenden Rechtssäßen, bei denen solche Lösung nicht möglich war, beugte die Rechtsbildung selbst in abwehrender Weise vor.

Von noch größerer historischer Wichtigkeit erscheint jedoch der andere Streitfall, bei dem es um Rechtsverhältnisse sich handelt, die bis dahin noch dem einen von beiden Rechten ausschließlich

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