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somit, als deren Stüßpunkte in den Ländern des Occidentes wir Campanien, Großgriechenland, Sicilien, Massilia und einzelne Küstenpunkte Hispaniens anzuerkennen haben. Denn hier allenthalben war es, daß neben Luxus und Sitfenverderbniß 728) der griechische Geist in selbstständiger und freier Entfaltung die herrlichsten Früchte zeitigte und den Samen streute, aus dem die Cultur des gesammten Abendlandes die ersten Keime ihrer Entwicklung gewann. Denn wie überreich, sagt Droysen, Geschichte des Hellenismus II. p. 91,,,wie überreich waren die hellenischen Colonien Siciliens und Italiens aufgeblüht; es gab eine Zeit, wo ringsum die Küsten von Campanien bis Apulien, die von Sicilien, die liparischen Inseln mit Griechen bevölkert waren, wo Massilia die Südküsten Galliens colonisirte, Korsika von Phokaiern in Besitz genommen war und Bias von Priene mit den Joniern Asiens in Sardinien eine neue Heimath zu finden gedachte. In derselben Zeit, da die Griechen Kleinasiens der Persermacht erlagen, erhoben sich die im Westen zu unbeschreiblicher Blüthe. Umsonst versuchten die Punier gleichzeitig mit der Invasion des Xerxes den Kampf gegen Sicilien; am Himera wurden sie bewältigt; der kumäische Sieg vollendete die Sicherung der italienischen Griechen gegen die ge-waltige Landmacht der Etrusker, der Herren von Hetrurien, Lafium (?) und Campanien. Mit Staunen verweilt man bei dem Bilde des Griechenthums in Sicilien und Italien; welche Fülle der Macht, welcher Glanz der Fürstensöhne, welcher Reichthum der Städte, welche hohe Bewegung in ihrem politischen, ihrem geistigen Leben; dort bildete sich jener merkwürdige Bund der Pythagoräer, jene tiefsinnige Lehre der Eleaten; dort dichtete Empedocles, der Dante des Alterthums; von dorther kam den Athenern die Kunst der Rede. Selbst Jonien tritt gegen die Glanzfülle dieser Landschaften in den Schatten, so überreich, so überschwänglich war die Pracht ihrer Riesentempel, die Bevölkerung ihrer Städte, der Ertrag ihres Handels, ihr Leben und Genießen, ihr Dichten und, Denken."

Daß eine so hohe und bewundernswerthe Cultur nicht ohne tiefgreifenden Einfluß auf die verhältnißmäßig noch rohen Völker

728 a) Wegen des Luxus der großgriechischen Städte vgl. im Allgemeinen Dio Chrysost. II, p. 12. Reisk.

stämme Italiens verbleiben konnte, ist eine Thatsache, welche bedingt ist durch jenes naturgegebene Gesez des menschlichen Geistes, auf dem die ewige und ununterbrochene Attractionskraft höherer Cultur und Civilisation beruht. Und erwägen wir, wie durch die griechischen Ansiedelungen in Cumä, Dicäarchia (Puteoli), Neapolis und auf den Pithecusä die griechische Cultursphäre fast unmittelbar an Latium berangerückt war, wie ferner in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts zwar das griechische Cumä gleichzeitig mit der etruskischen Herrschaft in Campanien der Uebermacht der Samniten unterlag 729), allein die Sieger selbst wiederum jenem Gefeße der Attractionskraft höherer Cultur gehorchten und griechische Civilisation sich aneigneten 730); ja wie auf diesem Wege ganz Campanien mehr oder weniger der griechischen Cultur sich erschlieBen mochte; so mögen wir nach Alle dem nicht zweifeln, daß solche Nachbarschaft nicht ohne tiefgreifende Einflüsse auf Latium, wie auch auf Rom verbleiben konnte. Und wie bereits die Aeneassage und andere ähnlich lautende Mythen auf griechischen Einfluß in Latium hinweisen; wie in denselben ein volksthümlich-poetisches Anerkenntniß jenes Einflusses ausgesprochen ist, ein Anerkenntniß, welches die Culturströmung zur Heldenwanderung personificirt; wie ferner mehrfache historische Spuren solches griechischen Einflusses in Latium bis in das fernste Alterthum zurückführen; so finden wir auch nach Rom bereits in den Zeiten des Königs Numa diesen gricchischen Einfluß durch Latiums Vermittelung übergeleitet und ausgeprägt. 731) Allein in noch weit bestimmterer und ausgedehnterer Weise beginnen die griechischen Cultureinflüsse auf Rom mit den Tarquiniern sich geltend zu machen und treten hervor in Cultus und Religionsdogma, wie in Staatseinrichtungen, in Maaß- und Gewichtssystem, wie in Buchstabenschrift, allenthalben geleitet und vermittelt durch Latium als das Verbindungsglied. 732) Und wie

729) Vergl. Nägelé, Studien p. 99. Hermann, griech. Staatsalt. § 82. 730) Vergl. namentlich Str. V, 4. p. 243.

731) Vergl. Schwegler, röm. Gesch. I. p. 324. sq. u. 561. sq.. Bormann, Antiqu. Aric. p. 4. sq. und altlat. Chorogr. p. 102. 112. 139. Bamberger, in Rhein. Muf. 1838 p. 82. sq. u. a. m.; wegen griech. Gultureinflüsse auf Etrurien, vgl. Schwegler 1. c. I. p. 271. sq.

732) Vergl. Marquardt, Handb. IV. p. 43. sq. und die not. 266. Citirten, wozu namentlich nach Bernhardy, röm. Litt. § 29. fin., sowie oben bei

von diesem Zeitpunkte abwärts jener griechische Einfluß auf Rom, durch Latium geleitet, stetig fortdauerte, 733) so finden wir auch denselben auf das Bestimmteste ausgesprochen in dem Anerkenntnisse, daß Spuren griechischer Rechtssagungen in den XII Tafeln sich vorfinden und daß nach Griechenland, d. h. nach Großgriechenland eine Gesandtschaft gegangen ist, um durch Kenntnißnahme fremder Einrichtungen zur Abfassung jenes Grundgesezes des römischen Staates vorzubereiten. 734)

Wenn daher alle diese Momente die für unsere Aufgabe in mehrfacher Beziehung wichtige Thatsache feststellen, daß bereits frühzeitig durch Latiums Vermittelung ein Einfluß griechischer Cultur auf Rom statt fand, so haben wir doch andrerseits wiederum je nach dem Zeitpunkte der Betrachtung diese Einflüsse selbst ebensowohl auf ein bestimmtes Maaß zu reduciren, wie gleichzeitig lediglich auf einzelne genau markirte Beziehungen des nationalen Le

not. 707.; auch Duncker, Gesch. d. Alterth. III, p. 190, not. 3. und Zeyß, in Zeitschr. f. A. W. 1856. Sp. 223. sq. Marquardt 1. c. not. 278-280 erklärt diesen Einfluß durch den ausgebreiteten Sechandel der Römer, durch deren Verkehr mit Südetrurien und Unteritalien, wie mit Massilia, sowie durch die Verbindung mit Cumä. Allein jener ausgebreitete Sechandel der Römer und deren Verkehr mit Unteritalien ist ein luftiges Traumbild; dem Verkehre mit Südetrurien kann eine in jener Weise influirende Bedeutung nicht beigemessen werden (not. 728); der frequente Verkehr mit Massilia ist völlig unerwiesen und die directe Berührung mit Cumä kann erst durch Tarquinius II. und lediglich unter dessen Regierung eine stehende geworden und gewesen sein. ·

733) Vgl. namentlich Marquardt, Handb. IV. p. 51 sq. 77 sq. Bern hardy, röm. Litter. not. 114. und § 37. 38., auch Heffter, Gesch. d. lat. Sprache p. 83. 85. 97-106. So find die ältesten römischen Dichter Griechen, wie Livius Andronicus, der aus Tarent, Naevius, der aus Campanien, Ennius, der aus Rudiä in Calabrien stammt; ferner schrieben die ältesten römischen Annalisten griechisch (Schwegler, röm. Gesch. I. p. 74. sq.); die im J. 472 nach Tarent geschickten röm. Legaten sprachen bereits griechisch (App. Samn. 7, 2.) u. dergl. m.

734) Vgl. die Quellenstellen bei Häckermann, de legislat. decemvir. p. 4. not. 1., Klenze, Gesch. d. röm. R. § 26. unter 4., Burchardi, Lehrb. d. röm. R. I. § 21. not. 6. § 22 not. 3. 4. Wegen der Litteratur vergl. Bähr, röm. Litter. § 190 not. 4. und dazu Göttling, röm. Staatsverf. § 109. Wachsmuth, röm. Gesch. p. 369. Becker, Handb. II, 2. p. 133. Klog, Litterat. Gesch. p. 328. Gerlach, üb. d. Wesen der Geschgebung des Zaleucus und Charondas in Verbandl. der 16. Versammlung deutscher Philologen, Stuttg. 1857. p. 101. 104.

bens zu beschränken: allenthalben sind es zuerst religiöse und politische oder hiermit in Verbindung stehende Beziehungen, die von jener griechischen Culturströmung berührt werden; an diese sodann schließen sich die Einwirkungen auf die socialen Verhältnisse des römischen Volkes an, worauf endlich in noch späterer Zeit dieselben auf dem Gebiete der Wissenschaft und Kunst zu Tage treten und von hier aus sodann immer tiefer und allgemeiner in jeder dieser Sphären um sich greifen. Denn, was die socialen Verhältnisse insbesondere betrifft, so dürfen wir aus den im Obigen dargelegten Momenten um so weniger einen frühzeitigen griechischen Einfluß auf dieselben folgern, als gerade derartige Einwirkungen eines ausgedehnteren persönlichen Verkehres erfordern, um in allgemeinerem Maaße auf die bürgerliche Gesellschaft zu wirken. Gerade diese Voraussetzungen aber der Uebertragung griechischen Wesens auf das römische Volk und zwar zunächst erst des Bekanntwerdens der Römer mit den gesteigerten Bedürfnissen der Griechen treten nicht vor Beginn des fünften Jahrhunderts ein, vielmehr erst mit jenem Zeitpunkte, wo Capua in die innigsten völker- und staatsrechtlichen Beziehungen zu Rom tritt (§. 24), wo sodann während des ersten famnitischen Krieges (412—414), während des latinisch - capuanischen Krieges (415 u. folgende), während des Krieges mit Paläopolis (428), während des zweiten samnitischen Krieges (429 u. folgende) die römischen Legionen Campanien nach allen Richtungen hin durchziehen und andauernd ihre Standquartiere daselbst neb men, bis sie endlich weiter vordringen nach Lukanien und Apulien, hier die Hauptsize griechischer Cultur im Occidente berührend. Und in welcher Maße die Wohlgenüsse und Annehmlichkeiten des griechischen Lebens in jenen Gegenden anziehend und überwältigend auf die einfachen und unverdorbenen Römer einwirkten, dafür bietet das fünfte Jahrhundert uns zwei eclatante Beispiele, zunächst aus dem J. 412, wo das zu Capua stationirte römische Heer, berauscht von den verführerischen Genüssen des Aufenthaltes und die gewohnte römische Mannszucht vergessend, den Plan faßt, die Stadt den mit Rom verbundenen Einwohnern zu entreißen und in deren Besiz sich zu sehen, 735) und sodann das J. 473, wo das in dem

735) Liv. VII, 38, 5.: iam tum minime salubris militari disciplinae Capua instrumento omnium voluptatium delenitos militium animos

befreundeten Rhegium stationirte römische Praesidium dessen Bürger überwältigt, und der Stadt selbst sich bemächtigt. 736)

Erwägen wir daher, wie leicht der Geschmack für erhöhte Annehmlichkeiten und für gesteigerten Sinnenreiz im persönlichen Verkehre übertragen wird; wie sodann die hiervon angesteckten Legionen jenes Gift in ihr Vaterland mit einschleppen mußten; wie endlich daneben noch ein geschäftlicher Verkehr zwischen Römern und Cavuensern herläuft (§. 34), der in gleicher Richtung wirken mußte, so werden wir auf Grund Alles dessen den Zeitpunkt, von wo an die Römer in ausgedehnterer und allgemeinerer Maaße ein gesteigertes Lebensbedürfniß kennen lernten, in die erste Hälfte des fünften Jahrhunderts zu versezen haben (vgl. §. 80).

Wenden wir sodann unsere Betrachtung der zweiten jener primitiven Triebfräfte des Passivhandels, dem Capitale zu, so bedarf es keiner weiteren Bemerkung, daß gerade Rom ohne bedeutendere Geldmittel einen derartigen Handel niemals eröffnen konnte. Denn da in der That Roms Handel stets nur Passiv-,`nie aber Activhandel war, so mußte selbstverständlich für Jenes die HandelsbiLanz auf das Allerungünstigste sich stellen, weil der Handel einen stetigen und regelmäßigen Capitalabfluß herbeiführte, ohne daß jemals durch eigene Production Rom die abfließenden Geldmittel wieder nach sich zurückzuleiten vermocht hätte. Daher konnte Nom's Handel einzig und allein dadurch bestehen, daß beständig von Auswärts her bedeutende Geldsummen nach Rom flossen und so den Capitalabgang deckten, der durch die Befriedigung der Bedürfnisse der ewigen Stadt bewirkt wurde. Woher nun in den Zeiten der ausgehenden Republik Rom diese Capitalien entnahm, ist leicht erkennbar: die Zölle und Steuern der Provinzen, die widerrechtlichen

avertit a memoria patriae: inibanturque consilia in hibernis eodem scelere adimendae Campanis Capuae, per quod illi eam antiquis cultoribus ademissent; u. f. w., sowie Dionys. Exc. Esc. bet Müller, fr. hist. Gr. II. p. XXXVI. sq. Bergl. auch Cic. de leg. agr. II, 35, 95.: ex hac copia atque omnium rerum affluentia primum illa nata est - luxuries (sc. Campanorum), quae ipsum Hannibalem, armis etiam tune invictum, voluptate vicit.

736) Polyb. I, 7. App. Samn. 9. Diod. XXII, 1. Epit. Liv. XII. XV. Liv. XXVIII, 28. XXXI, 31. Oros. IV, 3. und nun auch namentlich Dionys. Exc. Esc. bei Müller, fr. hist. Gr. II. p. XXXIX fin. sq.

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