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allgemeines Urtheil den Sah hinzustellen, daß im großen Ganzen die occidentalischen Provinzen der Romanisirung nicht entgangen find. Vielmehr erkennen wir hierin im Allgemeinen das Endziel, dem die Culturverhältnisse der occidentalischen Provinzen ausnahmelos entgegenstrebten, wenn immer auch, wie bemerkt, einzelne Provinzen oder Districte erst spät oder nur annäherungsweise dasselbe erreichten. Denn aus den dargelegten Ursachen erklärt sich, daß z. B. das innere Britannien 600) erst später sich civilisirte als Gallien, daß ferner Armorica und die Pyrenäenthäler 601) dem Eindringen romanischer Cultur in höherem Maaße sich zu entziehen vermochten, als das übrige Gallien und Spanien, sowie daß endlich das transrhenanische Germanien 602) nur oberflächlicher, wenn auch thatsächlich von der Civilisation des Südens berührt wurde. Ja die Binnenlands-Bewohner von Sardinien und Corsica mögen erst in verhältnißmäßig späterer Periode den Einflüssen des Romanis-, mus ausgesezt gewesen sein, da lange Zeit hindurch Rom sie ihrem rohen und wilden Leben in den unzugänglichen Wäldern und Bergen ihres Landes überließ 603). Gänzlich unberührt aber von romanischer Cultur blieb kein Theil des Occidentes, der je unter röm. Herrschaft gestanden; ja wie durchgreifend und vollständig im Allgemeinen die Romanistrung sich bewerkstelligte, dafür bietet den schlagendsten Beweis der Umstand, daß als seit Beginn des fünften Jahrhunderts die vollständige Ueberschwemmung Galliens, Spaniens, Brittaniens, wie der oberen und unteren Donauländer durch die Barbaren erfolgt, hier allenthalben nicht mehr von Kelten oder Germanen oder Jberiern, sondern einzig und allein noch von Rö

600) Wegen der röm. Cultur in Britannien vgl. Brandes, das ethnogr. Verh. d. Kelt. u. Germ. p. 31. sq. 50. sq. u. dazu Gildas de Exc. Brit. §. 7. Stev.: ita ut non britannia, sed romana insula censeretur; auch §. 104. 601) Vgl. not. 619 und not. 639.

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602) Flor. IV, 12, 27. und 30.: ea denique in Germania pax erat, ut mutati homines, alia terra, coelum ipsum mitius molliusque solito videretur, und: Germani mores nostros magis, quam arma suspiciebant. Vell. Pat. II, 188. Vgl. namentlich Ozanam, les Germains avant le christianisme ch. IV et VII. Barth, Teutschlands Urgesch. IV. f. 430. sq. Eine wesentliche Ausnahme begründen die agri decumates, p. Marquardt, Handb. III, 1. p. 92.

603) Diod. V, 15. Str. V, 2. p. 224.

mern die Rede ist: denn die damaligen Bewohner jener Länder treten unterschiedslos als Römer unter die Herrschaft der Gothen, Franken, Sachsen u. a., und das Recht, was ihnen zugestanden und belassen wird, ist das römische Recht. Und in gleicher Weise begegnen wir noch heute in dem alten Dacien und Mösten einer Bevölkerung, welche selbst für sich die Benennung Romëni in Anspruch nimmt. Ja die Herrschaft der römischen Sprache in den occidentalischen Provinzen war im Allgemeinen eine so fest und dauerhaft begründete, daß sie noch heute in den romanischen Sprachen: im Portugiesischen, Spanischen, Französischen und Wallachischen, wie in dem Ladin und Roman Graubündens fortlebt; und die Herrschaft des römischen Rechtes war dort allenthalben so wohl fundirt, daß keine einzige der zahlreichen leges Barbarorum der Affection durch jenes sich zu entziehen vermochte.

Fassen wir nun im Einzelnen die hauptsächlichsten Wirkungen in's Auge, in denen jene romanisirenden Einflüsse zu Tage treten, so erkennen wir an, wie der Occident eine rationelle Bodencultur, eine dauernde Sonderbewirthschaftung des Ackers, wie er Seßhaftigkeit und städtisches Leben, und Handel und Industrie von Rom aus empfing: allenthalben entfaltet sich in dem Occidente mit Handel und Industrie, mit Ackerbau und Gewerbe ein neuer Wohlstand, eine bürgerliche Gesittung und ein fleißiges und reges gewerbthätiges Leben. Und in Verbindung hiermit werden neue Bedürfnisse wach gerufen, wie mitgetheilt; und wie das gesteigerte und verfeinerte Bedürfniß in geistiger und in sinnlicher Beziehung Hand in Hand gehen, als höchstes Gut der Menschheit, wie als verderbenbringendes Gift, so ersehen wir neben neuem Laster und Verbrechen eine Theilnahme an wissenschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen erwachen 604) und ein Uebertreten zu romanistischen

604) Vgl. Bernhardy, röm. Litt. not. 37. 53. 149. gr. Litt. §. 82. not. 2. Thierry, hist. de la Gaule I. p. 200 sq. Unter den Schriftstellern aus den gallischen Provinzen zeichnen sich namentlich aus: Valerius Cato, Varro Atacinus, Cornelius Gallus, Trogus Pompeius, Petronius; unter den Schriftstellern aus Spanien: Seneca, Quinctilian, Pomp. Mela, Colu mella, Lucanus, Silius Italicus, Florus, Martialis. Bereits Cic. p. Arch. 10. sagt bezüglich des Q. Metellus Pius, 675. Proc. in Spanien; usque eo de suis rebus scribi cuperet, ut etiam Cordubae natis poetis,

Culten und Glaubenslehren sich bewerkstelligen 605). Allenthalben wird der Speculationsgeist wach gerufen, es werden die geistigen. Kräfte, wie die menschlichen Triebe in neuer Weise angeregt und von der Attractionskraft der ewigen Stadt in ihren Richtungen, wie in den Modalitäten ihrer Kundgebung bestimmt 606). Die Umgangsformen im bürgerlichen Verkehre 607) und die Sprache 608), jene unmittelbarsten Factoren und Träger des Rechtes, werden rö

pingue quiddam sonantibus atque peregrinum tamen aures suas dederat. Wegen Pannonien vgl. not. 579.

605) Vgl. im Allgemeinen Marquardt, Handb. IV, p. 82. 88. 92. not. 567. p. 94. not. 574.; wegen des Mercurius, Hercules, Mars und der Isis in Germanien Tac. Germ. 9.; wegen des Mercurius, Mars, Apollo, Jupiter und der Minerva in Gallien Caes. B. G. VI, 17. und Thierry, hist. des Gaulois III. p. 290 sq. Creuzer, zur Gesch. altröm. Cultur am Oberrhein p. 45 sq. Vgl. endlich auch die Stellen aus Seneca in §. 58.

606) Dies tritt saillant darin hervor, daß die Occidentalen in Masse in den röm. Staatsdienst eintreten und Siz in der Curie, wie auf der sella curulis, ja auf dem Kaiserthrone selbst erlangen; vgl. im Allgemeinen Thierry, hist. de la Gaule I. p. 124. sq. Aus Gallien (Nemausus) stammt Antoninus Pius, aus Italica in Baetica Traian und Hadrian; Antoninus Philos. gehört einer Familie an, welche aus Succubo in Baetica stammt; sein Urgroßvater Annius Verus war nach Jul. Capit. 22. nach Rom eingewandert und dort Prätor und Senator geworden.

607) Vgl. im Allgemeinen Bernhardy, röm. Litt. not. 53. 241.

608) Einen schlagenden Beleg, wie röm. Recht und lat. Sprache im Allgemeinen einen parallelen Gang nehmen, bietet Frankreich, das seit der fränkischen Herrschaft in zwei Culturgebiete zerfiel, in das Nördliche: das pays de coutumes und Gebiet der langue d'oil, und das Südliche: das pays de droit écrit und Gebiet der langue d'oc. Und wie nun in dem Norden der Germanismus festeren Fuß faßte, während in dem Süden der Germanismus kräftiger sich behauptete (vgl. Brandes, ethnogr. Verh. d. Kelt. u. Germ. p. 285), so überwiegt in dem droit écrit, wie in der langue d'oc im Allgemeinen das römische Element gegenüber dem germanischen, während die coutumes dem röm. Rechte fremder stehen und in entsprechender Maaße auch in der langue d'oil eine erhöhte Annäherung an das germanische Element statt findet; vgl. Pardessus, Mém. sur l'origine du droit cout. en France (not. 560) p. 706 sq. Maury, questions relatives à l'ethnographie ancienne de la France p. 26. Und diese Verschiedenheit tritt auch in einzelnen wichtigen Punkten auf das deutlichste hervor, so darin, daß im Süden Frankreichs das röm. Princip des freien Grundeigenthums (franc-allen, Allod) sich erhielt, dagegen im Norden das entgegengeseßte germanische Princip des Lehnwesens und der Grundherrschaft (nulle terre sans seigneur) Plaß

misch, und das Recht selbst folgt nothwendig Schritt um Schritt diesem großen Umwandlungsprocesse (§. 58). Wo immer der Römer festen Fuß faßt, da allenthalben beginnt ein neues Leben für den rohen Barbaren und dieses neue Leben ist der Keim und Träger des Romanismus 609).

So empfing der Occident im persönlichen Verkehre mit Rom, wie späterhin noch durch seine Studien der kümmerlichen Reste einer zertrümmerten Litteratur- und Kunstperiode die schönsten Güter, welche des Menschen Dasein zieren und seinen Lebenspfad der Gottähnlichkeit entgegenführen.

Der Orient hat die ewige Roma apotheosirt: er baute glänzende Tempel und verehrte als Göttin jene Repräsentantin der politischen Macht und des socialen Lebens im Staate. Und doch fallen Roms Verdienste um jene Völkergruppen nur dem Gebiete der dynamischen Machtwirkung anheim. Um wie viel schwerer aber wiegen die Verdienste Roms um den Occident!

Wohl mag zwar ein zur Romantik geneigter Patriotismus mit Wehmuth die Wahrheit erkennen, daß durch das Uebergewicht römischer Civilisation die reine und ureigne Entfaltung der Nationen beeinträchtigt ward und daß fremde Culturelemente auf das Germanenthum, wie Keltenthum bestimmend einwirkten; wohl mag ferner auch das unbefangene Auge manchen trüben Fleck entdecken, welcher in den Beziehungen Roms zu dem Occidente hervortritt; allein wer da erwägt, wie der Umgang mit dem geistig höher Stehenden die Kräfte zu einer Thätigkeit und Entfaltung auregt, die in dem eigenen, isolirten Leben nie gewonnen sein würde, der wird

griff; vgl. Lafferière im Recueil de l'académie de législation de Toulouse, tom. IV. p. 67. sq.

609) Str. II, 4. p. 127.: Ρωμαῖοί τε πολλὰ ἔθνη παραλαβόντες καὶ τὴν φύσιν ἀνήμερα διὰ τοὺς τόπους ἢ τραχεῖς ὄντας ἢ ἀλιμένους ἢ ψυχροὺς ἢ ἀπ ̓ ἄλλης αἰτίας δυσοικήτους πολλοῖς τούς τε ἀνεπιπλέκτους ἀλλήλοις ἐπέπλεξαν καὶ τοὺς ἀγριωτέρους πολιτικῶς ζῆν ἐδίδαξαν. Dio Cass. LVI, 18.: ἔς τε τὸν κόσμον σφῶν (τῶν Ρωμαίων) οἱ βάρβαροι μετεῤῥυθμίζοντο καὶ ἀγρὸς ἐνόμιζον, συνόδους τε elonvixás éroloüvto. Daß die Barbaren verhältnißmäßig schnell die römische Cultur fich aneigneten, dafür kann auch als Beleg dienen Zonar. I, 71., der berichtet, wie Kaiser Probus die unterworfenen scythischen Bastarner nach Ebracien transferitt babe unb bann beifügt: καὶ διετέλεσαν τοῖς Ρωμαίων βιοτεύοντες νόμοις.

Voigt, Jus naturale etc. II.

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dich preisen, du ewige Stadt, als den Ausgang der Civilisation und der intellectuellen, wie ästhetischen Bildung des Abendlandes, und wird in die Worte einstimmen, welche der heilige Augustin einst aussprach:

Humanissime factum est, ut omnes ad romanum imperium pertinentes societatem acciperent civitatis et romani cives essent 609).

§. 56. Fortseßung.

(Einfluß der römischen Cultur auf die hispanischen und gallischen Provinzen insbesondere).

Unternehmen wir es nun, jene Einwirkungen des Romanismus auf die Culturverhältnisse der occidentalischen Provinzen in exemplarischer Weise uns zu vergegenwärtigen, und fassen wir dabei zunächst die beiden Hispaniae in's Auge 610), welche theilweis bereits im J.

609a) August. de C. D. V, 17.; vgl. auch die treffenden Bemerkungen von Str. II, 4, 20. p. 126. fin. sq. und die durch ihren Stoff zur Beredtsamkeit einer früheren Periode begeisterten Worte des Aristid. in Rom. p. 365. fin. sq. Dind.: τὸ Ομήρῳ λεχθὲν Γαῖα δ ̓ ἔτι ξυνὴ πάντων ὑμεῖς ἔργῳ ἐποιήσατε, καταμετρήσαντες μὲν πᾶσαν τὴν οἰκουμένην, ζεύξαντες δὲ παντοδαπαῖς γεφύραις ποταμούς, καὶ ὄρη κόψαντες ἱππήλατον γῆν εἶναι, σταθμοῖς τε τὰ ἔρημα ἀναπλήσαν τες, καὶ διαίτῃ καὶ τάξει πάντα ἡμερώσαντες. ὥστ ̓ ἔγωγε τὸν νομιζόμενον πρὸ Τριπτολέμου βίον τοῦτον εἶναι τὸν πρὸ ὑμῶν ἐπινοῶ, σκληρόν τινα καὶ ἄγροικον καὶ ὀρείου διαίτης ὀλίγον ἀποκεχωρηκότα, ἀλλ ̓ ἄρξαι μὲν τοῦ ἡμέρου τε καὶ τοῦ νῦν τὴν ̓Αθηναίων πόλιν, βεβαιωθῆναι δὲ καὶ τοῦτον ὑφ ̓ ὑμῶν δευτέρων, φασὶν, ἀμεινόνων· vgl. auch dens. p. 367. sq. Dind.

610) Ueber die phönicische Colonisation Spaniens handelt Masdeu, hist. crit. de España II. lib. IV., über die griech. Colonisation lib. V., über die punische lib. VI., wo indeß diese Cultureinflüsse bei Weitem überschäßt werden; tom. III. behandelt Spanien unter röm. Herrschaft. Das Werk ist brauchbar, obgleich der vorkritischen Zeit angehörig. Bei Weitem höher steht indeg Moron, Curso de historia de la civilizacion de España, Madrid 1842, der leider in Folge der Bestimmung seines Werkes seine Ausführungen nur allgemeiner hält; tom. II. lecc. V. giebt einen exámen del estado primitivo de España, y de su cultura por medio de los fenicios, griegos, cartagines y romanos und behandelt insbesondere p. 18–39. den Einfluß der röm. Cultur auf Spanien. Im Allgemeinen vgl. Marquardt, Handb. III, 1. p. 80. sq. Höck, röm. Gesch. I, 1. p. 357. 2. p. 265. Forbiger,

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