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§. 42.

Das Privatrecht der deditici bis gegen Ende des vierten Jahrhunderts.

Wenden wir uns nun nach Darlegung der staatsrechtlichen Stellung der dediticii, wie wir solche bis in die zweite Hälfte des 4. Jahrh. d. St. als maaßgebend zu statuiren haben, zu der besonderen Frage, ob und welches Privatrecht die Lebensverhältnisse und den bürgerlichen Verkehr der dediticii juristisch normirt habe, so ist als fundamental der Sag an die Spiße zu stellen, daß nach der Theorie des antifen ius gentium eine solche ordnende Rechtsnorm gänzlich mangelte: das ius gentium batte durch das Institut der Clientel dem Mangel eines Privatrechtes vorgesehen und durch den Schuß des Patrones, der auch in rechtlichen Angelegenheiten dem Clienten zu Theil wurde, die demselben fehlende Rechtsfähigkeit vollkommen erseyt. Die Beseitigung der Clientel war dagegen ein Act, für welchen das ius gentium nicht vorgesehen hatte: der dediticius, obgleich persönlich frei und nunmehr auch persönlich unabhängig, war dennoch a priori rechtlos, weil das Recht selbst fehlte, welches sich demselben als Object einer Rechtsfähigkeit dargeboten hätte.

Allein indem Rom durch sein Verfahren gegen die dediticii. diese theoretischen Consequenzen begründete, konnte dasselbe doch in keiner Weise diese Consequenzen selbst zu verwirklichen unternehmen, da jener Zustand weder für den Einzelnen, geschweige denn für gröBere Massen irgend wie erträglich sein konnte, ja der Staat selbst das nächste Interesse daran hatte, einem derartigen unnatürlichen, und seine eigene Sicherheit bedrohenden Zustande vorzubeugen. So nun mußte das thatsächliche Bedürfniß selbst der Individuen, wie der bürgerlichen Gesellschaft zu einer Modification jener theoretischen Consequenzen hinleiten, die nach Niebuhr, röm. Gesch. II. p. 56. 3. Aufl., Walter, Gesch. d. R. R. §. 205, Madvig, opusc. prior. p. 232. sq. und Marquardt, Handb. III, 1. p. 16. sq. darin bestanden haben würden, daß den alten Einwohnern wenigstens der Colonien die röm. Civität theils sine suffragio, theils auch ohne conubium ertheilt wurde. Diese Ansicht ist jedoch nicht allein

ohne alle quellenmäßige Berechtigung 337), wie Rein, Realencycl. II. p. 506. sq. dargethan hat, sondern dieselbe findet sogar ihre mittelbare Widerlegung durch Liv. XXXIV, 42. (s. §. 45), und unterliegt überdem den größten inneren Unwahrscheinlichkeiten, die namentlich zu Tage treten, sobald man einerseits die Werthschäzung berücksichtigt, welche die Römer bis zum 5. Jahrh. d. St. ihrer Givität zu Theil werden ließen, und andrerseits die niedere Stufe erwägt, auf welche der nationale Maaßstab politischer Werthschägung die unterworfene alte Bevölkerung der Colonieen stellen mußte. Unter solchen Umständen haben wir daher vollkommen Rein 1. c. p. 507. beizutreten, wenn derselbe die alte Bevölkerung der coloniae für peregrini (im weiteren Sinne) erklärt, obgleich Rein selbst wieder insofern entschieden irrt, als er annimmt, das privatrechtliche ius gentium habe die Rechtlosigkeit der alten Einwohner in den Colonien beseitigt. Vielmehr erscheint auch diese Annahme, die a priori ebenfalls nicht mehr für sich hat, als eine subjective Möglichkeit, nm deßwillen verwerflich, weil vor dem 5. Jahrh. ein privatrechtliches ius gentium überhaupt nicht existirte 338), nach diesem Zeitpunkte aber bereits bestimmte Maximen

337) Die einzigen Quellenzeugnisse, welche mit Sicherheit auf die alten Einwohner der Colonieen insbesondere bezogen werden können, bietet Dionys, der II, 35. (unter Romulus) das Verhältniß, in welchem die alten Einwohner von Antemnä und Cänina nach Colonisirung ihrer civitas zu Rom verblieben, als piλla bezeichnet, während er III, 49. den alten Einwohnern von Crustumerium (unter Marquinius Briscus) ein τῆς Ῥωμαίων πολιτείας μετέχειν beilegt. Der Ausdruck pikia ist in obiger Beziehung untechnisch, daher seiner sachlichen Bedeutung nach unsicher; der Ausdruck pereze dagegen ist zweideutig, weil er ebensowohl das Mitinnehaben der Civität, wie den Mitgenuß von Vortheilen der Civität bezeichnet. Der ersteren Bedeutung würde die pıλia widersprechen, der leyteren Deutung dagegen und der piλía entspricht unsere eigene Ansicht vollkommen. Stellen, wie Vellei. I, 14.: per colonias auctum Romanum nomen communione iuris; Gell. XVI, 13.: iura institutaque omnia populi Romani, non sui arbitrii habent (sc. coloniae); Suet. Oct. 46. (coloniae) etiam iure ac dignatione urbi quodammodo-adaequavit, beweisen für die obige Frage Nichts, weil sie nicht auf die alte Bevölkerung der Colonieen sich beziehen lassen. Ebenso bezieht sich Dionys II, 16. (ἐνίαις δὲ [sc. ἀποικίαις] καὶ πολιτείας μεταδιδόναι) auf bie coloniae civium im Allgemeinen im Gegensaß zu den coloniae latinae.

338) Es läßt nicht sich sagen, das ius gentium sei im Verkehre zwischen den dediticii und röm. Bürgern entstanden; denn entweder würde man anzu

sich gebildet hatten, nach denen den alten Einwohnern der Golonien eine rechtliche Ordnung ihrer Lebensverhältnisse gewährt wurde.

Nach Alle dem konnte daher die Rechtlosigkeit der dediticii nur in der Weise beseitigt werden, daß Rom denselben ein Privatrecht gnadenreich verlieh 339), als die regelnde Norm, welche die Lebensverhältnisse Jener in Rechtsverhältnisse umwandelte, und welches sich selbst den dediticii als das Object des Genusses und Be sizes darbot, in welchem das Wesen der Rechtsfähigkeit bestebt. Wenn nun aber für die Frage, was für ein Recht es war, welches die Verhältnisse der dediticii ordnete, die Alternative uns entgegentritt, daß entweder das röm. Recht selbst oder ein anderes Recht solche Stelle angewiesen erhielt, so bieten sich für eine Entscheidung in dieser Beziehung mehrfache Anknüpfungspunkte dar. Denn erwägen wir vor Allem, wie zwischen den Colonen und den alten Einwohnern der Colonieen ein Vermögensverkehr unter Lebenden unbedingt statt gehabt haben muß, da die Colonen die Classe der Grundbesizer, wie überhaupt das Colonialpatriciat bildeten, wäh rend in den Reihen der Colonialplebs die Gewerbtreibenden gesucht werden müssen; wie ferner in den praesidia die daselbst stationirte Mannschaft darauf angewiesen war, von den Einwohnern der betreffenden Orte ihre Bedürfnisse zu entnehmen; wie endlich solcher vermögensrechtliche Verkehr nur erschwert und behindert worden wäre, dafern man Jenen anderes Recht, als das römische gegeben hätte; so gelangen wir hiermit zu dem Saze, daß schon die fürsorgliche Rücksicht für die eigenen cives es gebot, daß Rom den dediticii wenigstens das den Vermögensverkehr unter Lebenden betreffende römische Recht verlieh, während bezüglich des Familienund Erbrechts ein derartiger Grund allerdings nicht vorlag. Und

nehmen haben, daß den dediticii von Rom überhaupt kein Privatrecht verliehen worden sein; dann wäre allerdings die vorausgeseßte Entstehung des ius gentium nicht allein denkbar, sondern sogar wahrscheinlich, allein gerade jene anzunehmende anfängliche Rechtlosigkeit selbst der dediticii beweist sich als unwahr, wie als unwahrscheinlich; oder man nimmt an, daß Rom den dediticii ein Privatrecht in der That verliehen habe, und dann ist nicht abzusehen, wie daneben noch das ius gentium entstehen konnte; vgl. übrigens not. 685a.

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339) Diese Verleihung eines Rechtes wird technisch bezeichnet durch ius, eges dare, s. not. 549.

wie wir dann ferner in der gesammten Politik Roms und namentlich auch in seinem Colonisationsverfahren das Bestreben zu erkennen vermögen, die unterworfenen Völker zu romanisiren und so zu dauernder `Unterordnung unter die römische Herrschaft empfänglich zu machen (s. §. 59), so erfordert diese Maxime auch, daß den dediticii das römische Privatrecht zuertheilt wurde, um auf diesem Wege jenes Ziel zu fördern. Und wenn nach unserer Annahme von dieser Verleihung des römischen Rechtes das Familien- wie Erbrecht ausgeschlossen blieb, so ist der bestimmende Grund hierfür daxin zu erblicken, daß theils den dediticii die communio comitiorum fehlte, theils denselben das conubium aus höheren Rücksichten versagt wurde, unter solchen Umständen aber die Verleihung jener Partien des röm. Rechts theils von sich selbst verbot, theils als unrathsam sich darstellen mochte.

Wenn wir demnach durch innere Gründe zu der Annahme uns bestimmen lassen konnten, daß das den Vermögensverkehr unter Lebenden regelnde römische Recht den dediticii verliehen, bezüglich des Erb- und Familienrechtes dagegen denselben ihr angestammtes Recht belassen wurde, so finden wir nun auch genau eine derartige Ordnung der Dinge in den XII Tafeln statuirt in dem Geseze, welches wir in Beilage XV. §. I. dahin restituirten:

Nexum mancipiumque idem quod Quiritium foreti sanatisque supra infraque Romam esto;

denn, wie wir in obiger Beilage in §. II. sq. ausführten, sind ebensowohl unter den forcti und sanates die der potestas Roms unterworfenen und je nach ihrem politischen Verhalten prädicirten dediticii zu verstehen, wie auch jenem Geseze in sachlicher Beziehung die Bedeutung beizumessen ist, daß es diesen dediticii die Fähigkeit zur Theilnahme an dem das nexum und mancipium betreffenden römischen Rechte, oder vielmehr das römische ius nexi mancipiique selbst verleiht. Und diese Thatsache wird auch unterstüßt durch den Bericht des Dionys. X, 57., wenn derselbe von den Decemvirn d. J. 303. berichtet:

ἅπαντες

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· διήτων τὰ δημοτικὰ συμβόλαια καὶ τὰ δημόσια οπόσα τε (το 2abus) πρὸς ὑπηκόους καὶ συμμάχους - ἐγκλή ματα τυγχάνοι γενόμενα ἀνασκοποῦντες ἕκαστα (omnes Xviri iudiciorum publicas et civiles causas et quaecunque ad

versus dediticios et socios actiones utique ortae sunt, singulas cognoscebant).

Ja auf eine derartige Ordnung der Dinge leitet auch der Entwickelungsgang hin, den die entsprechenden Verhältnisse der römischen Plebs einschlugen, wenn wir denselben innerhalb der beiden Endpunkte in's Auge faffen, welche durch die lex Canuleia einerseits, und durch den Zeitpunkt der Entstehung der Plebs selbst unter Ancus Marcius andrerseits gegeben sind. Denn wie hier an dem ginen Endpunkte die Plebejer als eine Schaar von dediticii erscheinen, die zwar persönlich unabhängig, doch des eigenen ius civile entbehren, während an dem anderen Endpunkte die Plebejer im vollen Mitbesize des durch die zwölf Tafeln codificirten römischen Privatrechtes, wie auch des römischen commercium erscheinen, und durch die lex Canuleia schließlich auch das römische conubium erringen; so ist auch als nothwendiges Mittelglied für diese Endpunkte der Zustand gegeben, wo lediglich die Theilnahme an dem den Vermögensverkehr unter Lebenden betreffenden römischen Rechte sammt dem römischen commercium den Plebejern zustand, die Theilnahme am civilen testamentarischen Erbrechte aber wegen mangelnder Theilnahme an den Comitien, die Theilnahme am civilen Intestaterbrechte und Familienrechte dagegen wegen des verweigerten conubium versagt blieb. Hier nun trat allerdings, begründet durch die reformirte Verfassung des Servius Tullius, wie durch spätere historische Ereignisse, eine weiter greifende Apprehension des privatrechtlichen ius civile ein, indem die plebs nicht allein des testamentarischen Erbrechtes fähig gemacht wurde, sondern auch troß des noch mangelnden conubium auch dem alt-civilen Intestaterbrechte, wie Familienrechte innerhalb gewisser Gränzen Anwendung auf sich zu verschaffen wußte 340); allein gerade bezüglich der dediticii blieb bis zur zweiten Hälfte des 4. Jahrh. jene fortschreitende Entwickelung aus, weil in Folge der Verfassung des Servius eine

340) Daß jedoch diese leßtere Extension bereits unter Servius geschab, ist zu bezweifeln, da wenigstens Dionys. IV, 13. demselben nur véus œuvrÀλaxtınoì xal rẹpì tổv àdizyμátov in Bezug auf das Privatrecht beimißt; vgl. auch Arnaud, var. coni. I, 17. fin. Jedenfalls war aber zur Zeit der XII Tafeln der obige Zustand eingetreten; vgl. Wachsmuth, röm. Gesch. p. 345. not. 40.

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