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Punkt, daß den liberae civitates im Allgemeinen Autonomie und Autodifie zustand, weder bestritten, noch bestreitbar. Und eben so wenig halten wir es für zweifelhaft, daß die libertas die civitates, denen sie zustand, von dem römischen Provinzialorganismus, wie von dem Regimente des Provinzialregenten der Theorie nach vollständig eximirte (not. 878). Allein gerade dieser leztere Punkt, der für uns als einfache Consequenz sich darstellt, bedingt durch den Saß, daß fein Individuum die beiden einander direct entgegenstehenden und ausschließenden Status zu gleicher Zeit in sich vereinigen könne, wird negirt in einem Werke, welches mir lieb und werth ist, und geachtet, wie vielfach belehrend zur Seite steht. Denn in Beckers Handb. d. röm. Alterth. III, 1. läßt zwar Marquardt p. 247 und 265 die liberae civitates von dem directen (?) Imperium des Provinzialstatthalters eximirt sein, gesteht aber auch p. 124 denselben nur eine Sonderstellung innerhalb der Provinz zu, überweist ferner p. 180 solche civitates der Provinz als deren Bestandtheil, und erkennt endlich im Nachtrage zur Statistik d. röm. Prov. p. 14 sq. die Zuständigkeit der libertas für vollkommen vereinbar an mit der Einordnung in die Provinz. Allein alle diese Säße beruhen auf einer vollständigen Unklarheit theils über das Wesen der libertas, theils über das Wesen der Provinz, die selbst nur eine vereinzelte Erscheinungsform derjenigen mehreren politischen Ordnungen ist, denen die Römer die in der potestas Roms befindlichen Völkern unterstellten. Denn was zunächst den Begriff der libertas betrifft, so fehlt bei Marquardt eine klare und deutliche, ja jede bestimmtere Determinirung desselben gänzlich, indem vielmehr solche libertas einfach durch Freiheit überseßt und nach dem Maaßstabe des Begriffes der Unabhängigkeit oder Selbstständigkeit bemessen wird (Handb. p. 250. Stat. p. 14). Allein der Begriff der Freiheit besagt für uns gar Nichts, da die moderne Rechtsanschauung die Völker gar nicht nach dem Gesichtspunkte von Freiheit oder Unfreiheit in's Auge faßt, demgemäß aber dieser verdeutschende Ausdruck einen bestimmten technischen Begriff für uns nicht repräsentirt, vielmehr selbst erst in jener seiner Beziehung eine besondere Feststellung zu beanspruchen hätte; und die Begriffe von Selbstständigkeit, Unabhängigkeit u. dergl. haben dann, wenn wir ,,den staatsrechtlichen Begriff der libertas" (Stat. p. 15.) reconstruiren wollen, nur einen relativen Werth. Denn diese Begriffe fallen wesentlich

nur der Geschichte, nicht aber dem Staatsrechte anheim und bestimmen die historischen Verhältnisse und deren actuelle Gestaltung, nicht aber die staats- und völkerrechtlichen Verhältnisse und deren potens tielle Construction. Daher darf derjenige, welcher nicht die Geschichte Italiens und der Provinzen, sondern deren politisch-systematische Dr. ganisation als Sujet seiner Darstellung sich vorseßt, nicht die den Historifer leitenden Begriffe als maaßgebend für sich anerkennen, sondern er muß denjenigen Standpunkt`einnehmen und diejenigen Begriffe als bestimmend wählen, die durch seine Aufgabe mit innerer nothwendiger Consequenz erfordert werden. Und wollten wir die Selbststän digkeit der civitates zum leitenden Criterium für eine Verschiedenheit des staats- oder völkerrechtlichen Zustandes der civitates des Alterthumes erheben, so würden wir innerhalb der äußeren Gränzen des röm. Reichs überhaupt gar keine derartige Distinction anzuerkennen haben, weil von dem Ausgange der Republik abwärts alle jene civitates ihre Selbstständigkeit einbüßten. Und als inconsequent würde uns zu gelten haben, wenn Marquardt, Stat. p. 14 eine völlige Selbstständigkeit denjenigen civitates foederatae beimißt, welche ein aequum foedus mit Rom hatten; denn die im Handb. p. 248 genannten desfallsigen civitates haben in Wahrheit bereits von dem Ausgange der Republik abwärts ihre Selbstständigkeit eingebüßt, so Massilia durch nnd seit Cäsar, die föderirten Städte Kleinasiens durch und seit Lucullus und Pompejus, die in Sicilien seit der 2. Hälfte des 7. Jahrh. u. f. f. 296a).

Und gleiche Denkfehler treten uns entgegen bei der Wesenbes stimmung der Provinz als steuerpflichtiges Land oder praedium

296a) Wir würden überhaupt zu ganz absonderlichen Resultaten gelangen, wenn wir nach dem Maaßstabe der Selbstständigkeit die Stellung der Staaten im Alterthume theoretisch beurtheilen wollten; ich erinnere nur an die Stellung der kleinasiatischen liberae civitates zu den lydischen, macedonischen und syrischen Dynastieen. So findet Smyrna nichts Anstößiges und nichts mit der Würde seiner Souveränität Unvereinbares darin, von Seleucus von Syrien fid felbft gegenüber au fagen: ἐβεβαίωσεν τῷ δήμῳ τὴν αὐτονομίαν καὶ δημο xpatíav (C. I. Gr. no. 3137. lin. 10. 11.), während heutigen Tages selbst der kleinste Staat es verlegend finden würde, wenn seine Integrität unter die Garantie lediglich Einer Großmacht gestellt wäre, und es als Willkühr zurückweisen würde, wenn die Garantie eine bestimmte Staatsverfassung beträfe. Dennoch haben wir hier, wie dort den nämlichen Begriff der Souveränität bei einem verschiedenen Maaße von politischer Selbstständigkeit.

populi Romani 297). Denn da unter den Steuern, deren Pflichtigkeit in Betracht kommt, nicht bloß Grundsteuern, sondern auch Personalsteuern, wie stipendium und tributum verstanden wer den 298), so muß Marquardt consequenter Weise vielfach das Beste= hen einer Provinz bereits vor Organisation der Provinz, ja selbst da anerkennen, wo niemals solche Organisatiou statt hatte, so z. B. in den verschiedenen Territorien trans Rhenum, wo eine Tributpflichtigkeit theils vor, theils ohne alle Provinzialform vorkommt; er muß ferner zu den Provinzialcommunen theils vollkommen souveräne Staaten rechnen, wie Carthago, das zu verschiedenen Zeiten stipendium an Rom entrichtete, theils civitates, die im aequum foedus standen und bei denen gleiche Wahrnehmung zu machen ist, u. dgl. m.

Alle diese Irrthümer sind, wie bemerkt, dadurch bedingt, daß eine feste und bestimmte Construction der staats- und völkerrechtlichen Begriffe, welche das absolut unentbehrliche Fundament aller staatsrechtlichen Verhältnisse bilden, völlig zu vermissen ist, und wie dieser Mangel den großen Werth der obcitirten Schriften mannichfach beeinträchtigt, so tritt er auch zu Tage in der Unklarheit, mit welcher die Controverse über den Zeitpunkt der Einrichtung der Provinz Achaia gegen K. Fr. Hermann geführt ist 299).

297) Handb. p. 180. 243. Dies Merkmal erklärt Marquardt 1. c. p. 243 für das wesentlichste," woneben er noch der Merkmale: im Kriege unterwor fenes und von einem römischen Statthalter administrirtes Land gedenkt. Da indeß die Logik in Bezug auf wesentliche Merkmale weder einen Comparativ, noch einen Superlativ anerkennt, so nehmen wir jenes sogenannte wesentlichste Merkmal als logisch wesentliches hin, neben welchem wir die anderen Beiden als außerwesentliche betrachten. Und dies ist in der That nach p. 180. 243 eit. auch Marquardt's Ansicht.

298) Denn die Befreiung von Grundsteuern erklärt Marquardt Handb. p. 252., übereinstimmend mit Dirksen 1. c. p. 150 für ein nothwendiges Requifit der libertas, so daß der Begriff von Steuerpflichtigkeit der Provinzialcommun auch durch die Personalsteuer begründet sein muß, weil entgegenge= sezten Falles die liberae civitates nie Provinzial communen sein könnten. Für die Richtigkeit meiner obigen Auffassung der Ansicht Marquardt's bürgt übrigens Handb. p. 180. 253. u. ö. Stat. p. 15.

299) Vgl. Hermann, Handb. d. griech. Staatsalterth. 4. Aufl. §. 189. not. 8. u. Marquardt Statistik p. 13sq. Dem Leßteren tritt Zumpt, Comm. Epigr. II. p. 153 sq. bei, der p. 156 seine Ansicht dahin zusammenfaßt: libe

§. 38.

Völkerrechtliche Stellung der in dicione befindlichen Völker.

Die Dedition, welche die dicio des römischen Volkes über ein fremdes Gemeinwesen vermittelte, erfolgte, bedingt durch die Rechtsanschauung der Römer, von Alters her durch einen rituellen Act, indem in solennen Worten die Hingabe, wie Annahme in die dicio ausgesprochen wurde. Diese verba legitima sind uns you Liv. I, 38. in Anwendung auf Collatia überliefert und lauten:

,,Estne populus Collatinus in sua potestate?" Est.,,Deditisne vos populum Collatinum, urbem, agros, aquam, terminos, delubra, utensilia, divina humanaque omnia in meam populique Romani dicionem"? Dedimus. „At ego recipio.“ 300).

ras fuisse eas civitates, quae suis, non Romanis legibus uterentur: edictum provinciale praesidis ad eas non pertinebat, quia avitas suas leges habebant. Sed quae pro imperio imperantur, ea liberis civitatibus imperantur non minus quam reliquis, quae in provincia sunt, ac magis adeo quam foederatis, quarum foedere si quid exceptum est, eo non tenentur. Allein der minder wichtigen Punkte nicht zu gedenken, so beruht 1) gerade das edictum provinciale auf dem imperium des praes. prov. u. fällt daher unter ea, quae pro imperio imperantur; 2) ist nicht zu ersehen, worauf Zumpt jenen statuirten Unterschied zwischen liberae und foederatae civitates stüßt, und 3) ist es wahrheitswidrig, zu sagen, daß in Bezug auf ea quae pro imperio imperantur, die parthischen Könige, wie die germanischen Gränznachbarn Roms, und Massilia, wie die syrischen Duodejdynasten den Provinzialcommunen gleichstehen. Die Irrthümer Marquardt's haben übrigens bereits ihren Einfluß geäußert bei Stark, Gaza, der in Folge dessen mit sich selbst in Widerspruch gerathen ist, wie eine Vergleichung von p. 534. fin. sq. und 524. sq. ergiebt.

300) Vgl. Liv. VII, 31, 4.: Populum Campanum, urbemque Capuam, agros, delubra Deum, divina humanaque omnia in vestram, patres conscripti, populique Romani dicionem dedimus; IX, 9, 5.: si coëgissent nos, verba legitima dedentium urbes nuncupare, diceretis, hanc urbem, templa, delubra, fines, aquas Samnitium esse; ferner die Rogation wegen der Campaner bei Liv. XXVI, 33, 12: Omnes Campani, Atellani, Calatini, Sabatini, qui se dediderunt in ditionem populi Romani Fulvio proconsuli, quaeque una secum dediderunt: agrum urbemque, divina humanaque utensiliaque sive quid aliud dediderunt, etc.; sodann Liv. VIII, 19, 12.: agros, urbem,

In der späteren Zeit kam jedoch, entsprechend dem Entwickelungsgange des gesammten römischen Rechtes diese solenne Form anßer Gebrauch und es trat an deren Stelle ein, wie es scheint, gänzlich formloser Deditionsabschluß.

Wenden wir uns nun, mit Umgehung aller die Dedition bes treffenden besonderen Punkte 301), zu der für uns allein maaßgebenden Frage nach den allgemeinen Wirkungen jenes Actes und demgemäß nach dem Inhalte der dicio selbst, wie Beides durch die Theorie des ius gentium gegeben wird 302), so ist hierfür von vornämlichem Gewichte theils die Deditionsformel selbst, wie wir solche im Obigen in Verbindung mit not. 300 nachwiesen, theils der Bericht von Polyb. XXXVI, 2.:

corpora ipsorum conjugumque ac liberorum suorum in potestate populi Romani esse; Plaut. Amph. I, 70.: Urbem, agrum, aras, focos seque uti dederent, und v. 102 sq.: Deduntque se, divina humanaque omnia, urbem et liberos, In dicionem atque arbitratum, cuncti, Thebano populo. Daher se suaque omnia in fidem ac dicionem tradere bei Liv. XXXIV, 35, 10., in dicionem se suaque omnia permittere bei Liv. XL, 49, 4., se suaque omnia in fidem atque in potestatem permittere bei Caes. B. G. II, 3, 31. Hierher gehört auch Liv. XXVIII, 34.: mos vetustus erat Romanis, cum quo nec foedere nec aequis legibus iungerentur amicitia, non prius imperio in eum tamquam pacatum uti, quam omnia divina humanaque dedisset, obsides accepti, arma ademta, praesidia urbibus imposita forent, eine Stelle, welche um ihrer rhetorischen Haltung willen mit Discretion zu benußen ist und in welcher das vi capi als das zweite Glied in dem Gegensaße zum amicitia iungi neben dem in deditionem venire unberücksichtigt gelassen ist; Gleiches ist der Fall bei Serv. in Aen. XI, 322., was jedoch durch die Darstellung in §. 40 seine genügende Erklärung finden wird.

301) Vgl. darüber Osenbrüggen de iure belli p. 65 sq.; auch Niebuhr, röm. Gesch. I. p. 573 sq. III. p. 616 sq.

302) Die durch die Principien des ius gentium gegebenen abstracten Folgewirkungen der Dedition treten nicht ein, wenn 1) durch besondere pacta, welche jener beigefügt wurden, in concreto jene Principien zu Gunsten der Dediticii modificirt wurden, so bei Liv. XXII, 52. XXXVII, 32. u. ö. vgl. Liv. VI, 3, 10.: oppidum ante noctem redditum Sutrinis inviolatum integrumque ab omni clade belli, quia non vi captum, sed traditum per conditiones fuerat; 2) wenn die Römer willkührlich von jenen Consequenzen abwichen uud zwar a) zu Gunsten der dediticii; hiervon wird in §.40 sq. die Rede sein; b) widerrechtlicher Weise zum Nachtheile derselben; hierüber vgl. z. B. Liv. II, 17. XLII, 8. Sallust. Iug. 91.

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