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Erster Abschnitt.

Vom Inhalte und der Beschaffenheit der Ästhetik, wie auch von Entstehung dieser Wissenschaft. Ein Begriff im Ganzen.

Die Ästhetik ist uns eine Wissenschaft, welche die Regeln zur Hervorbringung, zur Beurtheilung und zum Genusse eis ner gewissen Art von Kunstwerken enthält, welche man mit dem allgemeinsten Nahmen die schönen benennet.

Von diesem Sake wollen und müssen wir ausgehen. Es ist aber so mancherlei dabei zu bemerken, daß ich mich långer dabei verweilen muß, als bei irgend einem der übriz gen. Ehe ich meine Schritte in das Feld selbst sehe, mit welchem ich Sie näher bekannt machen soll, wird es nicht undienlich seyn, mit Ihnen auf einen höhern Standpunct hinauf zu steigen, von wo aus Sie nicht nur dieses Feld selbst mehr auf Ein Mahl und im Ganzen übersehen, sondern auch wahrnehmen können, was für eine Lage, was für ein Verhältniß, und welchen Zusammenhang es mit andern, und sonderlich benachbarten Feldern der menschlichen Erkenntniß habe. Alles menschliche Wissen und Können erhält sein Wesen und seine Gestalt ganz allein aus seinen Verhältnissen und Beziehungen, die es auf einen einzigen allgemeinen Mittelpunct hat, nach welchem alle Radien hinlaufen, und um welchen sich Alles herumdreht, wie das Rad um seine Achse. Das ganze große, erhabene, allem Anscheine nach so fest ges gründete, so wohl zusammenhängende und verbundene Weltgebäude der menschlichen Wissenschaft und Kunst, daß ich mich so ausdrücke, stürzt auf Ein Mahl zusammen, verschwindet, wie ein Wolkenbild vor dem Winde, zergleitet, wie ein Morgentraum vor dem Erwachen, in ein helles klares Nichts, so bald dieser Mittelpunct verrückt und aufgehoben wird.

Welches ist denn nun aber dieser Mittelpunct, welches ist die einzige Achse, um welche sich das Alles herumdrehet? — Mir! Wtr homunciones find es! Darin, daß wir fo, als wir uns wirklich befinden, beschaffen sind, darin, daß wir gerade dieses und kein anderes Wesen haben, darin, daß wir uns Alles, was außer uns und in uns ist und vorgeht, auf diese Art, als wirklich geschiehet, vorstellen, darin, daß wir so, und nicht anders fühlen, so und nicht anders wollen, so und nicht anders können, darin hat alle menschliche Wissenschaft und Kunst ihren Grund, das ist die Quelle alles ihres Inhalts, aller ihrer Brauchbarkeit. Denn wenn alle menschliche Kunst und Wissenschaft nichts anders zum Gegenstande hat, als das Wahre, das Schöne, das Gute in seiner allge meinsten Bedeutung, so folget, daß alle menschliche Wissenschaft und Kunst dahin fällt, so bald dasjenige,' was wahr, was schön, was gut ist, oder was uns als wahr, als schön, als gut erscheinet, von uns nicht mehr dafür erkannt und empfunden wird.

Aus dem Gesagten muß nun ganz unlåugbar so viel er: hellen: Der wichtigste und erste Gegenstand aller menschlichen Wissenschaft und Kunst ist der Mensch selbst, weil Alles in der ganzen physischen und moralischen Natur sich les diglich auf ihn beziehet, es mag nun diese Beziehung eine nåhere oder entferntere seyn. - Die Wissenschaften und Künste sind von Menschen für Menschen erfunden worden. Sie hangen also rückwärts und vorwårts auf das genaueste mit dem Menschen zusammen. Rückwärts wie Ursache und Wirkung; vorwärts wie Mittel und Zweck. Um von der Richtigkeit, der Vollständigkeit und der Gestalt des Inhaltes der Wissenschaften und Künste, wie auch von ihrer Brauchbarkeit und ihrem Werthe gehörig urtheilen zu können, müßten wir den Menschen vollständig nach seinem ganzen Wesen, nach allen seinen Kräften, nach allen seinen leidenden so wohl, als thätigen Fähigkeiten kennen. Denn der Mensch ist rückwärts die Quelle, und vorwårts das Ziel. Die Wissenschaf= ten und Künste kommen von ihm als der Quelle, und gehen wieder auf ihn hin als ihr Ziel. Allein: Was ist der Mensch? Das ist die große und wichtige Frage, an de=

ren Auflösung man vom Anbeginne der Welt bald durch Grübelei, bald durch Beobachtung und Erfahrung gearbeitet hat, und bis an's Ende der Welt fortarbeiten wird, ohne je mahls damit zu Stande zu kommen. Daher mag es denn auch wohl mit Recht von den Wissenschaften und Künsten in manchem Betrachte wie von dem Winde im Evangelio heißen: Du hörest sein Sausen wohl, weißest aber nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt. Ich werfe dieß Sprüchlein nicht als eine bloße rednerische Blume hin, sondern als eine Wahrheit, deren Anwendung sich im Verfolge unserer Wissenschaft bei mehr, als Einer Gelegenheit zeigen wird. Denn da zeigen sich gar manche Erscheinungen, wor auf wir Regeln bauen, ohne daß wir im Stande sind, das Wie? Warum? Woher? zu erklåren.

So mannigfaltiger Veränderungen und Bestimmungen auch das lebendige Wesen, welches Mensch heißt, fähig ist, so scheinen die Philosophen doch größten Theils darin überein zu kommen, daß alles dieses dem Anscheine nach noch so Ver schiedenartige in irgend etwas Einfachem gegründet seyn müsse. Denn es ist der menschlichen Vernunft, vermittelst welcher alles Philofophiren verrichtet wird, wesentlich eigen, in allen ihren Erkenntnissen nach höchster Einheit zu streben. Dieses Einfache wäre denn die Grundkraft, das Grundwesen des Menschen, von welchem alle übrigen Erscheinungen nur als verschiedene Modificationen anzusehen seyn würden. Es könnte nähmlich dieses Wesentliche nichts anders seyn, als dasjenige, was allen noch so verschiedenen Äußerungen die fer Kraft gemein wåre, worin sie sich alle auflösen ließen, und woraus man von allen ihren Bestimmungen Rechenschaft geben könnte. Über diese Grundkraft ist nun von je her gar viel und mancherlei philosophirt worden, welches wir aber gar füglich zur Seite liegen lassen können. Denn so leicht es ist, für diese Grundkraft mancherlei Nahmen zu erfinden, so schwer, ja selbst unmöglich dürfte es doch seyn,. ausfündig zu machen, worin sie ihrem Realwesen nach an und für sich bestehe. Man nenne fie Lebenskraft, man nenne fie Vorstellungskraft, oder wie man sonst wolle, man wird Dadurch doch nicht flüger in einer Sache, die wohl immer

in unserm gegenwärtigen Zustande ein unerforschliches Geheimniß bleiben dürfte.

Zu unserer gegenwärtigen Absicht ist es uns hinlånglich, uns das lebendige Wesen, Mensch, mit seiner angenommenen Grundkraft, als erwacht zum Gefühl feines Daseyns, gleichsam mitten in einem Walde von Gegenstånden rund umher vorzustellen, und zu bemerken, auf wie mannigfaltige Art der Mensch mit seinen Kräften und Werkzeugen so wohl leldend, als thätig sich verhält.

Wenn wir uns unserer so wohl, als der Gegenstände um uns her bewußt und dadurch zu Handlungen bestimmt werden, so geschieht dieß auf zwei sehr merklich verschiedene Arten. Diese sind das Leßte, sie sind die Quellen, die Prin cipien alles unseres Leidens und Thuns. Und obgleich diese Principien in einer gemeinschaftlichen Grund- und Stammwurzel zusammen hangen mögen, und auch gemeinschaftlich zusammen wirken, jedoch so, daß bald das eine, bald das andere Princip größeren Antheil an dieser Wirkung nimmt, so lassen wir uns doch um diese Grund- und Stammwur zel unbekümmert. Denn diese Grundwurzel liegt wohl so sehr in den dunkelsten Tiefen unserer Natur, daß unsere Bemühung, sie ausfündig zu machen, vergeblich seyn dürfte. Diese beiden Principien heißen Sinnlichkeit und Ver: stand. Die Sinnlichkeit ist überhaupt nichts anders, als die åußere und innere Empfänglichkeit für einen uns ohne unfer Zuthun neben einander oder nach einander gegebenen Stoff, an welchem das zweite Princip, der Verstand, als ein felbstthätiges Princip, die Form zur Erkenntniß hervorbringet.

Wir legen also dem Menschen Sinnlichkeit bei, in so fern er eine Fähigkeit hat, durch Eindrücke Vorstellungen von den Gegenständen zu empfangen. Diese Fähigkeit wird ein Sinn genannt, in so fern sie auf eine besondere Art von Eindrücken eingeschränkt ist. Davon gibt es überhaupt einen åußern und einen inneren Sinn. Der innere Sinn ist die Fähigkeit, von den Veränderungen seines Selbst afficirt zu werden. Der äußere Sinn aber ist die Fähigkeit, von solchen Gegenständen durch Eindrücke Vorstellungen zu empfangen, die von unserm Selbst verschieden sind.

Der Verstand ist überhaupt das Vermögen der For: men. Er verwandelt das von der Sinnlichkeit, d. i. von Sinnen, Einbildungskraft und Gedächtniß Empfangene vermöge der ihm eigenen Selbstthätigkeit in Erkenntniß, und feine eigenthümlichen Operationen sind Begriffe, Urtheile und Schlüsse. Man nennt ihn in Beziehung auf die Begriffe Verstand in engerer Bedeutung; als Ursache der Urtheile nennt man ihn Urtheilskraft, und als Ursache der Schlüsse Vernunft.

Vermittelst dieser beiden Principien, Sinnlichkeit und Verstand, bringen wir ein dreifaches Geschäft zu Stande: 1) Wir erkennen. 2) Wir fühlen. 3) Wir begehren. Hieraus ergeben sich die drei Haupt-Seelenvermögen, die so wohl in Sinnlichkeit, als in Verstand überhaupt gegründet sind: Erkenntniß Gefühls- und Begehrungs: Vermögen.

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Wir wissen, daß von allen so wohl in uns, als außer uns in der Welt geschehenden Veränderungen unsere Seele nur diejenigen wahrnehmen kann, welche gewisse Eindrücke auf die Receptivitåt des innern so wohl, als des äußern Sinnes machen, und nennen diese Eindrücke Empfindungen, womit alles unser Leiden und Wirken anhebet. Allein dieser Ausdruck Empfindung hat eine Zweideutigkeit, auf welche meines Wissens Kant in der Kritik der Urtheilskraft zuerst aufmerksam gemacht hat. Man nennt nähmlich bald die Wahrnehmung eines sinnlichen Gegenstandes durch den Eindruck eine Empfindung; bald nennt man die Luft oder Unluft, die uns diese Wahrnehmung verursacht, auch eine Empfindung. Z. B. die grüne Farbe der Wiese, als Wahrnehmung eines Gegenstandes des Sinnes, nennt man eine Empfindung; und auch die Annehmlichkeit, die Lust, welche uns diese Wahrnehmung verursacht, nennt man eine Empfindung. Das sollte billig nicht seyn, daß zwei so specifisch unterschiedene Dinge einerlei Nahmen führen. Denn wenn eine Bestimmung des Gefühls der Luft und Unlust Empfin dung genannt wird, so bedeutet dieser Ausdruck etwas ganz anders, als wenn ich eine Vorstellung einer Sache, z. B. die grüne Farbe, als etwas zur Erkenntniß Gehöriges, Empfin dung nenne.

Denn im leßten Falle wird die Vorstellung

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