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unter der Aufsicht des Vaters 17) von bewährten griechischen Lehrern, wie Tyrannio 18), Päonius und dem gelehrten Freigelassenen des Atticus, Dionysius 19). Diesen letzteren und seinen eigenen Freigelassenen nahm Cicero im Jahr 51 mit nach Cilicien, wohin ihn sein Sohn Marcus, der eben 14 Jahr alt geworden, und sein Neffe Quintus Cicero begleiteten 20). Von hier besuchten die beiden Knaben zusammen den König Dejotarus in Galatien 21) und verweilten darnach, unter der Leitung des strengen Dionysius zu Ende des Jahrs in Laodicea 22). Auf seiner Rückreise aus der Provinz im Jahre 50 schickte Cicero die Knaben nach Rhodus, das damals vornehmlich durch seine Rhetorenschule hervorragte und nahm sie von da über Ephesus mit nach Athen 23) und von da nach Italien, welches Cicero bekanntlich im November des Jahres 50 erreichte.

Bis dahin das wird Niemand in Abrede stellen wollen 24). können doch die partitiones oratoriae nicht geschrieben sein. Aber die Abfassungszeit derselben kann auch noch nicht in die nächstfolgende Zeit nach Ciceros Rückkehr fallen. Denn wie aus dem kurzen Proömium der partitiones hervorgeht 25), Cicero hatte sich, als er das Büchlein schrieb, bereits wieder eine Zeit lang in der Stadt Rom aufgehalten und dann erst Zeit gefunden, sich von Neuem wissenschaftlichen Beschäftigungen hinzugeben. Nun steht es aber fest, dass Cicero um seine Ansprüche auf einen Triumph nicht zu verwirken, nach seiner Rückkehr aus Cilicien, bis Ende 47 erst da entliess er bekanntlich seine 6 Lictoren mit ihren Lorbeerfasces die Stadt nicht wieder betrat. Vor diesen

17) ad Quint. fr. II 14, 2 (a. u. 700) maximae mihi vero curae erit, ut Ciceronem tuum nostrumque videam, scilicet quotidie, sed inspiciam quid discat quam saepissime, et nisi ille contemnet, etiam magistrum me ei profitebor, cuius rei nonnullam consuetudinem nactus sum in hoc horum dierum otio, Cicerone nostro minore producendo.

18) ad Quint. fr. II 4, 2 (a. u. 698) Quintus tuus, puer optimus, eruditur egregie; hoc nunc magis animadverto, quod Tyrannio docet apud me.

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rex ab senatu appellatus est, secum in regnum. Dum in aestivis nos essemus, illum pueris locum esse bellissimum duximus.

22) ad Att. VI 1, 12 (a. u. 704) Cicerones pueri amant inter se, discunt, exercentur; sed alter, uti dixit Isocrates in Ephoro et Theopompo, frenis eget, alter calcaribus - Dionysius mihi quidem in amoribus est; pueri autem aiunt eum furenter irasci.

23) ad fam. XIV 5, 1 (a. u. 704) pridie Idus Octobres Athenas venimus.

24) Das gibt selbst Hand zu, der in der Allgem. Encyklop. der W. u. K. von Ersch u. Gruber B. XVII S. 211 als frühesten Termin der Abfassung (aber irrtümlich) das Jahr 704 a. u, c. (50 v. Ch.) bestimmt.

25) p. or. 1, 1 otium autem primum est summum, quoniam aliquando Roma exeundi potestas data est.

§ 6.

Zeitpunkt also kann nach der angeführten Stelle im Proömium die
Abfassung der partitiones nicht gesetzt werden.

Cicero war zu Anfang des Jahres 49 als imperator vor Rom angekommen und übernahm dann in Folge des Senatsbeschlusses vom 6. Januar die Beschützung der Seeküste von Campanien. Hierhin begleitete ihn auch sein Sohn Marcus und sein Neffe Quintus. Als sich aber Pompejus am 17. Merz 49 nach Dyrrhachium eingeschifft hatte und Cäsar ungehindert vordrang, begann für Cicero die traurige Zeit des Schwankens, auf welche Seite er sich neigen sollte; er zog sich mit den beiden Knaben auf sein Formianum zurück, wo ihn Cäsar auf seinem Wege nach Rom aufsuchte; reiste dann, um unter einem schicklichen Vorwand von Rom fern bleiben zu können, nach seiner Geburtsstadt Arpinum, wo er seinen Sohn Marcus Ende Merz in die männliche Toga einkleidete 26), und schiffte sich endlich am 11. Juni mit seinem Sohne, der jetzt im 16. Lebensjahre stand und für Pompejus war 27), nach Dyrrhachium über. Der junge Cicero erhielt alsbald eine Stelle im Heere des Pompejus als Anführer einer Reiterschwadron und erwarb sich durch Ausdauer und Gewandtheit die Zufriedenheit des Oberfeldherrn 28). Nach der unglücklichen Schlacht bei Pharsalus am 9. August 48 setzte Cicero mit seinem Sohne wieder nach Brundisium über und verlebte dort bis Ende September 47 eins der unglücklichsten Jahre seines Lebens. Den anfänglichen Plan, seinen Sohn im Jahre 47 nach dem Orient zu Cäsar zu schicken 29), gab er wieder auf; Cäsar kehrte nach Besiegung seiner Gegner noch in demselben Jahre nach Italien zurück und zeigte sich sehr zuvorkommend gegen Cicero. Cicero entliess seine Lictoren und war Ende 47 nach langer Abwesenheit, seit seiner Abreise nach Cilicien im Mai 51, zum erstenmal wieder in Rom. Aber die gänzlich veränderte politische Lage war für Cicero unerträglich, er flüchtete sich in das Gebiet der Wissenschaften 30) und begann nach langer Zeit wieder sich der schriftstellerischen Thätigkeit zu widmen. Wo es irgend angieng - denn ganz durfte er schon aus politischen Rücksichten Rom nicht verlassen

26) ad Att. IX 19, 1 (a. u. 705) ego
meo Ciceroni, quoniam Roma care-
mus, Arpini potissimum togam pu-
ram dedi; idque municipibus nostris
fuit gratum.

27) ad Att. X 9, 2 (a. u. 705).
28) de off. II 13, 45 tua autem ae-
tas incidit in id bellum, cuius altera
pars sceleris nimium habuit, altera
felicitatis parum. Quo tamen in bello
cum te Pompeius alae praefecisset,
magnam laudem et a summo viro et
ab exercitu consequebare equitando,

zog er sich

iaculando, omni militari labore tolerando.

29) ad Att. XI 17, 1 (a. u. 707) ego cum Sallustio Ciceronem ad Caesarem mittere cogitabam.

30) ad fam. IX 26, 1 (a. u. 798) vivas, inquis, in litteris. An quidquam me aliud agere censes? aut possem vivere, nisi in litteris viverem u. her nach § 4 quotidie aliquid legitur aut scribitur. Vgl. meine Ausgabe von Ciceros Brutus Einl. § 17 n. 108.

aus der Stadt auf seine Landgüter zurück, um hier in ungestörter Musse den Wissenschaften zu leben und namentlich auch die rhetorischen Studien wieder aufzunehmen, aus denen einst nicht nur seine erste Jugendschrift, die libri rhetorici (de inventione), sondern vor 10 Jahren in der Blüte seines Mannesalters das vollendete Werk de oratore hervorgegangen war. Der Acker, der lange brach gelegen, trug reichliche Früchte: ausser mehreren andern Werken schrieb Cicero in dieser Zeit, im Jahre 46, den Brutus und den orator. Und eben in diese Zeit fallen auch die partitiones oratoriae.

Wir wissen, dass Cicero in dieser Zeit sogar erwachsene Rö- § 7. mer in der Beredsamkeit unterrichtete 31). Daher mochte es für ihn selbst ein Bedürfnis sein, ein solches kurzes Compendium in lateinischer Sprache abzufassen, das in einer systematischen Uebersicht das ganze Gebiet der Rhetorik darstellte. Die rhetorische Theorie war ihm ohnehin wieder bei der Abfassung des Brutus wie insbesondere des orator nahe gebracht, so dass ihm dieses Resumé der sämtlichen in der Rhetorik in Betracht kommenden Punkte nicht die geringsten Schwierigkeiten machte. Die vornehmste Rücksicht aber war freilich, wie bereits erwähnt ist, die Rücksicht auf seinem Sohn. Schon damals mochte Cicero die Absicht haben, diesen seinen Sohn nach Athen zu schicken; diess schien ihm jedenfalls ein besserer Ausweg zu sein, aus manchen nahe liegenden Conflicten herauszukommen, als wenn er dem Plan des jungen Mannes nachgegeben hätte, bei Cäsar in Spanien Dienste zu nehmen 32). Athen war die Stadt der Wissenschaften; dort sollte jetzt Marcus, der in seinem 19. bis 20. Lebensjahre stand, Philosophie studieren und besonders das damalige Haupt der peripatetischen Schule Cratippus hören. Auch für diesen Zweck war eine solche kleine propädeutische Schrift wie die partitiones oratoriae, ganz geeignet. Marcus gieng, wie wir wissen, wirklich bereits Ende Merz 45 nach Athen und hörte dort die damals berühmtesten Lehrer und Philosophen 33); brauchte aber sehr viel Geld und scheint mehr dem Vergnügen, als den Studien nachgegangen zu sein 34). Im Jahr 44 dedicierte ihm bekanntlich Cicero

31) Sueton. de clar. rhet. 1 Cicero ad praeturam usque Graece declamavit; Latine vero senior quoque et quidem consulibus Hirtio et Pansa, quos discipulos et grandes praetextatos vocabat; diese unterrichtete er schon früher ad fam. IX 18, 1 (a. u. 708) quod sublatis iudiciis, amisso regno forensi ludum quasi habere coeperim.

32) ad Att. XII 7, 1 (a. u. 709).

33) ad fam. XVI, 21 (a. u. 710, Brief des Marcus Cicero an Tiro) § 3 Cratippo me scito non ut discipulum, sed ut filium esse coniunctissimum § 5 praeterea declamitare Graece apud Cassium institui, Latine autem apud Bruttium exerceri volo.

34) Die nachdrücklichen Worte des Vaters p. or. 25, 90 atque etiam voluptas, quae maxime est inimica virtuti bonique naturam fallaciter imitando adulterat, quam immanissimus quis

§ 8.

seine drei Bücher de officiis; doch das Jahr war auch das letzte seiner Studienjahre. Marcus schloss sich in Griechenland dem Heere des M. Brutus an und kämpfte als dreiundzwanzigjähriger Reiteranführer im Jahre 42 in der Schlacht bei Philippi mit.

Sein weiteres Leben fällt ausserhalb des Kreises unserer Betrachtung; Marcus flüchtete nach der unglücklichen Schlacht zu Sextus Pompejus nach Sicilien; er wurde mit einem angemessenen Rang im Heere aufgenommen; aber die verkehrten Massregeln der Feldherrn verleideten ihm den Kriegsdienst. Als die Triumvirn im Jahre 39 bei Misenum mit Pompejus Friede schlossen, kam Marcus wieder nach Rom. Octavian hielt ihn für ungefährlich, machte ihn später zum Augur und im J. 30 zum Consul und dann zum Proconsul von Asien. Wahrscheinlich starb er bald nach seiner Statthalterschaft, vielleicht in Folge seines unmässigen Trinkens. Vom Geist seines Vaters war nichts in ihm; schon in seiner Jugend hatte er sehr des Antriebes bedurft und später scheint die geistige Akedie eher noch zugenommen zu haben.

Dass übrigens die oben angegebene Zeitbestimmung der Abfassung der partitiones oratoriae in der zweiten Hälfte des Jahres 46 richtig ist, dafür bieten sich uns auch noch einige andere Anhaltspunkte und Beweise dar. Quintilian (III 3, 7) spricht ausdrücklich von den partitiones oratoriae als einem gereifteren Werke Ciceros und stellt sie in dieser Beziehung mit dem orator zusammen, indem er sie beide als der späteren Schriftstellerperiode Ciceros angehörig bezeichnet. Cicero habe in seiner rhetorischen Erstlingsschrift, den libris rhetoricis so äussert sich Quintilian an der angeführten Stelle 35) speciell der inventio noch als besondern Teil das iudicium subordiniert; gegen diese Auffassung sei aber geltend zu machen, dass das iudicium ja ebenso bei allen übrigen Functionen des Redners (der dispositio, elocutio und pronuntiatio) in Betracht komme. Darauf fährt nun Quintilian fort: quod hoc audacius dixerim, quod in partitionibus oratoriis ad easdem, de quibus supra dictum est, quinque pervenit partes. Nam cum dupliciter primum divisisset, in inventionem atque elocutionem, res ac dispositionem inventioni, verba et pronuntiationem elocutioni dedit, quintamque constituit communem ac velut custodem omnium memoriam 36); idem in oratore quinque rebus

que sequitur, neque solum honestis
rebus, sed etiam necessariis anteponit

sollten wol zugleich zum voraus eine Warnung für den Sohn sein.

35) In den 2 Büchern de inventione findet sich übrigens von dieser Aufzälung des iudicium als eines besondern, der inventio unterzuordnenden

Teiles nichts. Es kann daher (wenn sich Quintilian nicht etwa geirrt hat, was schwerlich anzunehmen ist) die erwähnte Stellung des iudicium nur in einem der folgenden, aber verloren gegangenen Bücher der libri rhetorici, etwa im Anfang des dritten Buchs (de dispositione), vorgekommen sein. 36) c. 1, 3.

constare eloquentiam dicit; in quibus postea scriptis certior eius sententia est. Ganz dem entsprechend beruft sich Quintilian auch an einer andern Stelle (III 11, 10) auf die partitiones oratoriae als auf eine besonders zu beachtende Autorität. So bei der Lehre von der ratio d. h. dem Rechtfertigungsgrund der That von Seiten des Angeklagten und dem firmamentum d. h. dem der ratio entgegengestellten Erwiderungsgrund des Anklägers 37). In Beziehung hierauf lehrt Quintilian in Uebereinstimmung mit der Parallelstelle in den partitiones (30, 104): causa facti (d. h. ratio) non in omnes controversias cadit; nam quae fuerit causa faciendi, ubi factum negatur? At ubi causa tractatur (d. h. wo aber die ratio ihre Anwendung findet), negant eodem loco esse iudicationem, quo quaestionem, und fügt dann zur Unterstützung dieser Unterscheidung hinzu: idque et in rhetoricis Cicero et in partitionibus dicit, also sowol in seiner Jugendschrift, als auch in dem weit späteren, gereifteren Werke ein triftiger Beweis, dass diese Auffassung ihren guten Grund hat 38).

Aehnlich spricht sich Quintilian weiter unten (III 11, 18 f) über die Benennung der eben erwähnten rhetorischen termini aus 39):

37) p. or. 29, 102 ff.

38) Beim status coniecturalis kann von der ratio als dem Rechtfertigungsgrund der That nicht die Rede sein, weil ja die That selbst von dem Angeklagten in Abrede gestellt wird. Ďa fällt also ratio und folgeweise auch der Gegensatz der ratio, das firmamentum weg, und bleibt nur die quaestio übrig, die hier mit der iudicatio (dem novóμsvov) zusammenfällt: nam in coniectura est quaestio ex illo factum, non factum; an factum sit. Ibi ergo iudicatio, ubi quaestio, quia in eadem re prima quaestio et extrema disceptatio' (Quint. III 11, 11. p. or. 30, 104. de inv. I 14, 19). Anders ist es beim status generalis: matrem Orestes occidit lautet die Anklage; recte die ratio des Angeklagten; non recte der Erwiderungsgrund des Anklägers, das firmamentum; daraus resultiert zunächst die quaestio: an recte occiderit; das ist aber im vorliegenden Fall noch nicht die Schlussfrage (iudicatio), sondern die erhebt sich erst jetzt: illa patrem meum occiderat sagt Orest, sed non ideo tu matrem debuisti occidere erwidert der Ankläger; die schliessliche Hauptfrage (iudicatio) ist nun: an debuerit. So fallen also hier quaestio und iu

dicatio auseinander (Quint. 1. 1. p. or. 1. 1. de inv. I 13, 18).

39) Hinsichtlich der Definition und Benennung der rhetorischen Termini von ratio, firmamentum, continens, quaestio, iudicatio bleibt sich Cicero in seinen rhetorischen Schriften nicht gleich. In den Büchern de inventione, in denen er dem älteren Hermagoras folgt (vgl. m. Abhandlung de Hermagora rhetore Hersfeld 1839) werden nur folgende 4 termini in dieser Ordnung aufgeführt de inv. I 13, 18 Quaestio est ea, quae ex conflictione causarum gignitur controversia hoc modo: non iure fecisti; iure feci'; causarum autem est conflictio, in qua constitutio constat (oder der status causae, orάois, abstract genommen das blosse Gegenüberstehen der Position und Negation); ex ea igitur nascitur controversia, quam quaestionem dicimus, haec: iurene fecerit? Ratio est ea, quae continet causam (der Rechtfertigungsgrund), quae si sublata sit, nihil in causa controversiae relinquatur, hoc modo, ut docendi causa in facili et pervulgato exemplo consistamus: Orestes si accusetur matricidii, nisi hoc dicat: 'iure feci, illa enim patrem meum occiderat' non habet defensionem, qua

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