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(10. 16.) Kein Wunder also, daß, insbesondre nachdem feit Constantin die Grundabgaben unverhältnißmäßig zugenommen hatten, die Grundeigenthümer nicht selten, um von den sie als solche treffenden Abgaben frei zu werden, ihre Grundstücke, oder doch die weniger einträglichen darunter ganz derelinquirten oder zeitweise unbebaut liegen ließen. Den daraus sich ergebenden Mißständen zu begegnen, enthält der oben angeführte Titel des Coder eine Reihe von Verordnungen, unter denen uns hier zunächst nur eine von Valentinian II., Theodos I. und Arcadius herrührende (L. 8. C. 1, c.) interessirt, die sich ihrem Inhalte nach an ganz ähnliche Bestimmungen früherer Kaiser anlehnt*). Ihr zufolge foll nämlich derjenige, welcher sich in den Besiß eines vom bisherigen Eigenthümer unbebaut gelassenen tributpflichtigen Ackers sezt, und denselben unter Entrichtung der darauf lastenden Abgaben zwei Jahre lang bebaut, (qui agros.. desertos. . . ad privatum pariter publicumque compendium excolere festinat), das Eigenthum daran erwerben. Reclamirt indessen vor Ablauf dieser zwei Jahre der Eigenthümer sein Recht an dem fraglichen Grundstücke, so muß es der neue Inhaber gegen Ersaß der Verwendungen wieder räumen.

In neuerer Zeit ist mehrfach die practische Anwen-barkeit vorstehen. der Constitution auf Grundlage der Ansicht geläugnet worden, daß sie nur von kaiserlichen Erb- und Colenatgrundstücken handle. So ward sie schon früher namentlich von Perez (ad h. 1.), in neuerer Zeit von Ballhorn (Obs, ad L. 8. C. de omni agro deserto, Goett, 1803. insb. S. 5. 27. ff.) verstanden, denen Mehrere, wie v. Schröter (in

*) Dahin gehört namentlich, was uns von Vespasian berichtet wird: Suet. Vesp. cap. 8. Deformis urbs veteribus incendiis ac ruinis erat: vacuas areas occupare et aedificare, si possessores cessarent, cuicumque permisit. Cf. Aurel. Vict. Epit. cap. 9. §. 8. verb. permissa, si domini deessent, volentibus aedificandi copia. L. 4. C. de iure reip. (11. 29.) Noch weiter gieng Herodian zufolge (Hist. II. 4. §. 12. ed. Boecl.) der Kaiser Pertinar, indem er in Italien wie in allen übrigen Theilen des Reichs einem Jeden bleibendes Eigenthum und zehnjährige Steuerfreiheit zusprach, der ein bisher noch gar nicht bebautes oder später unbebaut liegen gelassenes Grundstück, und sei es ein kaiserliches, in Besit nahm und bebaute. Vergl. Guyet im Arch. f. civ. Pr. XVU. S. 58. 59. Daß bei dieser Bestimmung des Pertinar nicht, wie bei der Verordnung Valentinians IL, das fiscalische Interesse das vorwaltende war, leuchtet aus der verwilligten zehnjährigen Steuerfreiheit von selbst ein.

der Zeitschr. f. Civilr. u. Pr. II. S. 329), Mühlenbruch (Doctr. Pand. ed. III. §. 251, not. 17; nicht mehr in s. Lehrb. des Pand. R. II. §. 247. Note 19.), Wening-Ingenheim, (Lehrbuch des Civilrechts. II. §. 58. Vierte Auflage; nicht mehr Fritz in der fünften) gefolgt find. Indeffen die ganze Auffassung erscheint rein willkührlich, da zwar in der vorhergehenden L. 7. C. eod., nicht aber in unserer L. 8. C. cit. von Fundis patrimonialibus die Rede ist. Vielmehr wird in dieser wiederholt des Dominus, Vetus dominus, im Gegensaße des Novus cultor, fowie des Locus proprius gedacht und also geschlossen: Nam si biennii fuerit tempus emensum, omnis possessionis et dominii carebit iure, qui siluit. Vergl. auch noch des Eustathius Echrift über die Zeitabschnitte (Ai Рóлα)) c. 25. §. 16 Ed. Zach. p. 196. Guyet im Arch. f. c. Pr. XVII. S. 52–64. Mit L. 11. C. unde vi (8. 4.), wornach derjenige, welcher vacuam possessionem absentium sine iudiciali sententia detinet, usurpat, als ein Praedo (Invasor rei alienae, L. 7. C. eod.) behandelt werden soll, steht unsere L. 8. C. cit. deshalb nicht in Widerspruch), weil eben derjenige, welcher ein verlassenes tributpflichtiges Grundstück zwei Jahre bebaut und die öffentlichen Abgaben davon entrichtet, rechtlich nicht als ein Praedo, Invasor rei alienae erscheint. Mühlenbruch a. a. D. Schließlich braucht wohl kaum darauf aufmerksam gemacht zu werden, daß der hier erörterte Erwerb des Ager desertus fein eigentlicher Fall der Occupation ist, indem eines Theils als Object die Res nullius fehlt, und andern Theils die bloße Besizergreifung nicht genügt, sondern zweijährige Cultur und Zahlung von Abgaben zum Erwerbe des Eigenthums erforderlich wird.

S. 20.
Fortseßung.

B. Von der Specificatio*).

1. Begriff und geschichtliche Einleitung.

Unter Specification i. w. S. versteht man die Verfertigung einer ihrem Begriffe und Wesen nach bisher noch nicht

*) Dieser Ausdruck sowie Specificare fommt zuerst im Brachylogus II. 5. Ed. Böck, vor. Er ist gebildet aus dem : Speciem facere, Species facta der Quelen. §. 25. I. de rer. div. (2. 1.) L. 7. §. 7. D. de adq. rer. dom. (41. 1.)

vorhandenen neuen Sache. Die Frage, wem das Eigenthum dieser neuen Species gehöre, wurde von den römischen Juristen je nach dem verschiedenen Standpunkte der Schule, welcher sie angehörten, verschieden beantwortet. Die Sabinianer betrachteten die Specification als eine Art Accession, indem sie das Hauptgewicht auf den Stoff_legten, und daher annahmen, wem dieser gehört habe, dem müsse auch das zufallen, was Neues daraus geschaffen werde. Den Proculejaneru dagegen war die Specification eine besondere Gestaltung der Occupation, indem sie den Stoff der Thätigkeit unterordneten, durch welche die alte Sache untergeht, und eine neue an ihre Stelle tritt, die sie dann als vorher noch in Niemandes Eigenthum gewesen, folglich herrnlos, dem Verfertiger als erstem Occupanten zusprachen. L. 7. §. 7. D. de adq. rer. dom. (41. 1.) Gaius: Cum quis ex aliena materia speciem aliquam suo nomine fecerit, Nerva et Proculus putant, hunc dominum esse qui fecerit, quia quod factum est, antea nullius fuerat. Sabinus et Cassius magis naturalem rationem efficere putant: ut, qui materiae dominus fuerit, idem eius quoque, quod ex eadem materia factum sit, dominus esset, quia sine materia nulla species effici possit; veluti si ex auro vel argento vel aere vas aliquod fecero; vel ex tabulis tuis navem aut armarium aut subsellia fecero; vel ex lana tua vestimentum ; vel ex vino et melle tuo mulsum; vel ex medicamentis tuis emplastrum aut collyrium; vel ex uvis aut olivis aut spicis tuis vinum vel oleum vel frumentum. Gaius II. 79.

Für die Dauer befriedigten übrigens diese beiden extremen Auffasfungen die römischen Juristen nicht, denn es bildete sich sehr bald eine dritte, vermittelnde Theorie, welche zwischen den Fällen unterschied, in denen die neue Species wieder in ihre frühere Gestalt zurückgebracht werden könne und solchen, in denen dies nicht thunlich. Nur dort sei die Auffassung der Sabinianer die richtige, hier dagegen die der Proculejaner. L. 7. §. 7. D. cit. Est tamen etiam media sententia recte existimantium, si species ad materiam reverti possit, verius esse, quod et Sabinus et Cassius senserunt; si non possit reverti, verius esse, quod Nervae et Proculo placuit; ut ecce vas conflatum ad rudem massam auri vel argenti vel aeris reverti potest, vinum vero vel oleum vel frumentum ad uvas et olivas et spicas reverti non potest; cet.

Hatte diese lettere vermittelnde Ansicht schon zur Zeit des classischen Rechtes an Calliftratus, Gaius, Paulus und Ulpian gewichtige Vertreter gefunden, L. 7. §. 7. L. 12. §. 1. L. 24. D. de adq. rer. dom. (41. 1.) L. 5. §. 1. D. de rei vind. (6. 1.), so erscheint für uns doch noch von größerer Bedeutung, daß sie es ist, der Justinian in seiner Compilation den Vorzug gegeben, und die folgeweise auch noch heutzutage practische Geltung hat. §. 25. I. de rer. div. (2. 1.). Quum ex aliena materia species aliqua facta sit ab aliquo, quaeri solet, quis eorum naturali ratione dominus sit, utrum is, qui fecerit, an ille potius, qui materiae dominus fuerit? Et post multas Sabinianorum et Proculejanorum ambiguitates placuit media sententia existimantium, si ea species ad materiam reduci possit, eum videri dominum esse, qui materiae dominus fuerit, si non possit reduci, eum potius intelligi dominum, qui fecerit. Theophil. ad h. 1.

2. Vorausseßungen und Wirkung.

Faßt man den oben angegebenen allgemeinen Begriff der Specification ins Auge, so ist derselbe unter folgenden Voraussegungen denkbar: 1. Der bisherige Eigenthümer fertigt aus seinem eigenen Stoffe eine neue Species oder läßt sie fertigen. Dieser Fall interessirt uns deshalb nicht, weil dem Eigenthümer einer Sache, was er auch daraus macht, das Eigenthum daran verbleibt, an einer eigenen Sache aber nicht noch einmal Eigenthum erworben werden fann. §. 10. I. de leg. (2. 20.) §. 14. I. de act. (4. 6.)

2. Der Specificant bringt theils aus eigenem, theils aus fremdem Stoffe die neue Species hervor. Hier geht die gemeine Lehre*) dahin, der Thätigkeit und Stoff an- und aufwendende Specificant erwerbe, weil §. 25. i. f. I. cit.**) ganz generell rede, jedesmal

*) Vergl. Thibaut System I. §. 286. a. E. Wening - Ingenheim Civilrecht B. II. §. 129. (39.), Mühlenbruch Pand. Recht. II. §. 252. Note 3., (der indessen in seiner Ansicht schwankend ist;) Schilling Lehrb. für Instit. u. Gesch. des Röm. Privatr. II. S. 159. Note g. Göschen Vorlesungen II. 1. §. 247. S. 81. Schrader ad S. 25. I. cit. W. Sell Versüche I. S. 211.212. Puchta Vorlef. 1. §. 154. S. 301.

**) Nach den leßten in den Text aufgenommenen Worten des §. 25. I. cit. und einigen erläuternden Beispielen fährt Justinian also fort: Quod si partim ex sua materia,

die neue Species, ohne Rücksicht, ob sich die Sache wieder in ihre alte Form zurückbringen lasse oder nicht. Allein daß Juftinian troß jener generellen Redeweise den soeben angeführten Unterschied, dessen er unmittelbar vorher gedacht, für den Fall einer theils aus eigenem, theils aus fremdem Stoffe gefertigten Species nicht aufgehoben wissen wollte, sieht man, abgesehen davon, daß auch kein genügender innerer Grund dafür spricht, aus der Reception der L. 5. §. 1. D. de rei vind. (6. 1.) und L. 12. §. 1. D. de adq. rer. dom. (41. 1.), in welchen Stellen der Erwerb resp. Nichterwerb einer aus theils eigenem, theils fremdem Stoffe gefertigten neuen Species ausdrücklich dadurch motivirt wird, daß ein Zurückbringen auf die alte Form in dem einen Falle unmöglich, in dem anderen möglich sei*).

3. Die neue Species ist nur aus fremdem Stoffe gefertigt worden. - Hier kann es wieder sein:

a. Der Eigenthümer des Stoffes gab seine Einwilligung zur Specification. In diesem Falle kommen die Grundsäße der Tradition zur Anwendung, L. 6. D. de donat. (39. 5.), und daher gehört dem Specificanten die neue Species selbst dann, wann sie sich in ihre frühere Form wieder zurückbringen läßt**). L. 24. D. de adq. rer. dom. (41. 1.) Paulus : In omnibus, quae ad eandem speciem reverti possunt†), dicendum est: .. me eorum dominum manere; L. 25. D. eod. Callistratus: nisi voluntate domini alterius nomine id factum sit; propter consensum enim tota res eius fit, cuius nomine facta est.

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b. Die neue Species ward ohne Einwilligung des bisherigen Eigenthümers gefertigt. In diesem Falle geht kein Eigenthum über, wenn

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partim ex aliena speciem aliquam fecerit quis, veluti ex suo vino et alieno melle mulsum miscuerit, cet. dubitandum non est, hoc casu eum esse dominum, qui fecerit; quum non solum operam suam dedit, sed et partem eius materiae praestavit.

*) Vergl. v. Vangerow Leitf. I. S. 497. Sintenis Gem. Sivilrecht I. S. 488. Note 16. Schmid Handbuch des gem, deutsch. bürgerl. R. I. S. 170. Note 11.Seuffert Prakt. Pand. Recht I. §. 131. Note 4.

**) Ganz dasselbe tritt auch ein, wenn nur theilweise fremder Stoff verwendet, aber vorher in die Verwendung eingewilligt wurde.

†) Der Cod. Flor. lieft hier: reverti non possunt. Einzig richtig ist es indeffen mit der Vulg. und Hal., wie geschehen, das nou wegzulassen.

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