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aber fie fängt an fich zu bewegen, aufzurollen, zu zertheilen. Gerade fo äufserlich, werden wir finden, find die antiken Formen den gothischen Conftructionen und Anlagen der Gebäude aufgeheftet. Die Gefinnung ist und bleibt noch geraume Zeit mittelalterlich gebunden, nur hie und da im Einzelnen fchleicht fich ein neues Ausdrucksmittel ein.

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§ 4.
JEAN FOUCQUET.

U den merkwürdigften Erscheinungen der Uebergangszeit gehört der Maler Jean Foucquet von Tours. Wir besitzen über ihn zahlreiche eingehende Arbeiten, fo dafs es hier nicht Noth thut, auf das allgemein Bekannte zurückzukommen. Wir wiffen, dafs er als »der gute Maler und Illuminator (enlumineur) König Ludwigs XI« bezeichnet wird, und dafs er für diesen Fürften und für andere vornehme Personen eine Anzahl von Handschriften mit Miniaturen gefchmückt hat. Dahin gehört die französische Ausgabe des Jofephus in der Nationalbibliothek zu Paris, wahrscheinlich für den Herzog von Nemours um 1465 ausgeführt. Unter den 14 darin vorhandenen Bildern darf man 9 auf Foucquets Hand zurückführen. Ebendort ift ein franzöfifcher Livius gleichfalls mit Miniaturen Foucquets gefchmückt. Ein anderer Livius mit Bildern des Meifters findet fich in der Bibliothek zu Tours, ein Virgil in der Bibliothek zu Dijon, mit Minia turen, die vielleicht feiner Schule angehören. Bedeutender ift ein anderes Werk, ein für den Schatzmeister Karls VII und Ludwigs IX Etienne Chevalier ausgeführtes Gebetbuch, das leider nicht mehr als Ganzes vorhanden ist, von dem aber nicht weniger als 40 Miniaturen im Besitze des Herrn Ludwig Brentano la Roche zu Frankfurt a/M. fich befinden, während zwei andre Blätter an den Baron Feuillet de Conches nach Paris und an Lady Springle nach London gelangt sind.

Ein anderes Werk, von den uns erhaltenen vielleicht das frühefte, ist die französische Uebersetzung von Boccaccio »de cafibus virorum et foeminarum illuftrium«<, jetzt in der Hofbibliothek zu München. Das Buch ist nach einer inschriftlichen Notiz am 24. November 1458 durch den Schreiber vollendet worden, worauf fich die Arbeit des Malers unmittelbar angeschlossen haben wird. Foucquet fteht in diefen Schöpfungen nicht blos als einer der vorzüglichsten Miniatoren aller Zeiten da, fondern er vereinigt in feiner Kunst die Vorzüge der damaligen flandrischen Malerei mit den Errungenschaften seiner italienischen Zeitgenoffen.') Der flandrifche Realismus

1) Mrs. Marc Pattifon, the renaiffance of art in France (London 1879) leugnet den flandrischen Einfluss (I. p. 290), wie mir fcheint mit Unrecht.

in der genauen Schilderung der Wirklichkeit, der durchaus individuellen Gestalten, der reichen Zeitkoftüme, der perspektivifch abgeftuften landschaftlichen und architektonischen Gründe, verbindet fich mit jenem Sinn für rhythmischen Aufbau der Compofitionen, wie ihn die damalige italienische Kunft, namentlich die florentiner Schule, entwickelt hatte. Manches erinnert an die milde Anmuth eines Fra Angelico, befonders der edle Stil der Gewandung, der Ausdruck der Köpfe und das meift in einer lichten Tonscala durchgeführte Colorit. Am auffallendften aber ift, dass Foucquet in feinen Werken neben den häufig vorkommenden gothischen Gebäuden, wie feine Heimat fie ihm auf Schritt und Tritt darbot, die Formen der Renaissance mit grofser Vorliebe anwendet, und zwar nicht blofs in jener naiven Vermischung mit mittelalterlichen Elementen, wie fie dem ganzen Norden bis tief in's 16. Jahrhundert geläufig war, fondern oft in völlig reiner und von auffallendem Verständniss zeugender Weise, so dass man fagen muss, dass Foucquet allen übrigen nordifchen Künstlern der gefammten Frührenaissance in dieser Hinficht um mehr als ein Menfchenalter vorausgeeilt war. Erwägen wir, dafs um die Mitte des 15. Jahrhunderts mehrere namhafte flandrische Künstler fich längere Zeit in Italien aufhielten und gleichwohl in ihren Werken nicht den leisesten Einfluss der Kunft des Südens fpüren laffen, so wird die Erscheinung Foucquets nur noch merkwürdiger. Ohne Frage mufs der Künstler, der zwifchen 1415 und 1420 in Tours geboren fein mag, fich längere Zeit in Italien aufgehalten haben. Vafari1) erzählt in feinem Leben Filaretes, dafs diefer durch einen fehr ausgezeichneten Maler Giovanni Focchetta (in der zweiten Ausgabe in Foccora corrumpirt,) das Bildnifs Papft Eugens IV für St. Maria fopra Minerva habe malen laffen. Filarete felbft berichtet ebenfalls diefe Thatfache, wobei er aber den Namen des Malers in Giachetto Franciofo corrumpirt. Dies mufs im Jahre 1443 geschehen fein, als Eugen IV nach feiner Vertreibung durch die Römer auf den päpftlichen Stuhl zurückkehrte. Auf dasfelbe Bild bezieht fich der italienische Humanist Francesco Florio, der um 1477 von Tours aus in einem Briefe an feinen Freund Jacopo Tarlato den Johannes Fochettus über alle Maler der Welt, felbft über Polygnot und Apelles, erhebt, und befonders die Gemälde desfelben in der von Ludwig IX. ausgeftatteten Kirche Notre dame la riche nicht genug zu rühmen weifs. Seit 1461 läfst fich dann Foucquet in den Urkunden als angefehener, für den französischen Hof viel beschäftigter Meister in der Heimat nachweifen, wo er um 1480 geftorben fein mufs.

Für unfre Betrachtung ist es von Werth, festzustellen, in welchem Umange der Meister fich die Formen der italienischen Renaissance zu eigen

1) Vafari ed. Sanfoni II, 461.

gemacht hat. Unterfuchen wir zunächst den Münchener Boccaccio, der durch die Pracht feiner Ausftattung und den Reichthum feiner Illuftrationen einen hohen Rang einnimmt. Unter den 91 Bildern ragt durch Gröfse und

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Fig. 1. Verehrung der Madonna. Miniatur von J. Foucquet. Frankfurt. (Kettlitz nach Phot.)

Schönheit das 282 cm breite und 34/2 cm hohe Titelblatt hervor, welches eine Gerichtsfitzung darftellt. Karl VII felbft thront in feinem Parlament, umgeben von den Grofswürdenträgern der Krone, während der General

prokurator die Anklage verlieft, und im Vordergrunde bewaffnete Wächter das herandrängende Volk zurückzuhalten suchen. Das Blatt mit seinen etwa 300 Figuren steht nicht blos an Gröfse und Reichthum, fondern auch an Feinheit der Ausführung, Schärfe der Charakteristik und harmonischer Farbenpracht einzig da. Aufser diefem Prachtstück ist noch eine Anzahl andrer Bilder auf Foucquet felbft zurückzuführen, namentlich die gröfseren Darstellungen, welche den einzelnen Kapiteln vorausgehen. Befonders anziehend ift die mehrmals in Variationen wiederkehrende Scene, wo Boccaccio am Schreibpulte fitzt und in dichtem Gedränge die berühmten Männer und Frauen fich ihm nahen, als wollten fie ihm felbft ihre Gefchichte erzählen. Der Seffel mit feinem Baldachin ift gothisch, ebenso die Einfaffung des Bogens, aber die Zwickelflächen find mit antiken Medaillonköpfen geschmückt, und der Abschluss zeigt Renaissanceformen mit Voluten und Akanthus. Zum letzten Male erscheint die Hand des Meifters auf Blatt 122. Die grofse Mehrzahl namentlich der kleineren Abbildungen vertheilt fich auf zwei Gehülfen, von denen der eine dem Meifter nahe zu kommen fucht, während der andere durch matteres Colorit und schwächere Zeichnung fich als beträchtlich geringer darftellt. Was die angewandten architektonischen Formen betrifft, fo treten zwifchen den gothifchen die Renaiffancemotive ziemlich häufig auf; es fehlt nicht an Rundtempeln mit Kuppeln, antiken Portalen und korinthischen Pilaftern; mehrmals kommen römische Triumphbögen vor mit allerlei kleinen Varianten, wobei die Kenntnifs römischer Triumphthore unverkennbar ist. Wo der Einblick in ein Gemach gegeben wird, besteht die Umrahmung des Bildes in der Regel aus cannelirten korinthischen oder römifchen Pilaftern.

Steht hier indefs überall das architektonische Beiwerk ziemlich befcheiden da, fo nimmt es eine ungleich höhere Bedeutung in Anfprnch bei den herrlichen Blättern zu Frankfurt, die dem nach oft wiederholtem infchriftlichen Zeugnifs für »>Meistre Eftienne Chevalier << ausgeführten Gebetbuch entstammen. Wie diefes Werk unbedingt die Höhe der künftlerischen Leiftungen Foucquets bezeichnet, so zeigt er fich auch im Verständnifs und der Anwendung der architektonischen Formenwelt als einen Mann, der die grofsen Neuerungen der italienischen Kunft fich völlig zu eigen gemacht hat. Schon darum mufs dieses Werk als das reifere, also auch spätere bezeichnet werden. Wohl weifs der Künstler die malerischen mittelalterlichen Profpecte feiner Heimat mit vollem Verständnifs vorzuführen; bisweilen wendet er auch die gothischen Formen für den Gefammtaufbau feiner Compofitionen an, wie denn die Verkündigung in einem gothischen Chor vor fich geht, wo die Madonna fich mit ihrem grofsen Gebetbuche auf einem Teppich häuslich eingerichtet hat. In andern Fällen mischt er beide Bauweifen in naivster Art, fo in der Verehrung der Madonna (Fig. 1), wo diefe in einer reichen

gothischen Portalnische thront, deren Füllung das Mufchelmotiv der Renaiffance zeigt. Noch auffallender ift die an das Portal unmittelbar anftofsende Wandbekleidung im Hintergrunde mit ihren cannelirten korinthifchen Pilaftern und genau durchgeführtem antiken Gebälk. Auch die über diefem

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Fig. 2. Einfegnung der Apoftel. Miniatur von J. Foucquet. Frankfurt. (Kettlitz nach Phot.)

fich tummelnden nackten Genien, welche Medaillons halten und Fruchtgewinde auf den Schultern tragen, find Elemente der Renaissance und contraftiren eigenthümlich mit den auf andern Blättern mehrfach vorkommenden bekleideten Engelknaben, die durch das Diakonengewand fich als Kinder des Mittelalters zu erkennen geben.

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